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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 1163/02 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Im Jugendstrafverfahren gelten hinsichtlich der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat dieselben Grundsätze wie im allgemeinen Strafrecht.
2. Auch im Jugendstrafverfahren ist daher unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat eine Pflichtverteidigerbestellung grundsätzlich erst bei einer Straferwartung von einem Jahr erforderlich. Allerdings kann, wenn eine Verhängung einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und mehr droht, nicht allein auf die rechnerische Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe abgestellt werden. Maßgebend ist vielmehr, in welchem Umfang sich die neu zu verhängende Einheitsjugendstrafe faktisch auf das Leben des Jugendlichen oder Heranwachsenden auswirkt.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger; Bestellung im Jugendstrafverfahren, Schwere der Tat, Unfähigkeit der Selbstverteidigung;

Normen: JGG 68; StPO 140

Beschluss: URTEIL
In der Strafsache
gegen W.P.
wegen Bedrohung
Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Jugendschöffengericht - Bielefeld vom 25. September 2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Hauptverhandlung am 14. 05. 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender, Richterin am Oberlandesgericht und Richterin am Oberlandesgericht als beisitzende Richter.
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus B. als Verteidiger für den Angeklagten,
Justizangestelle als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld vom 25. September 2002 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld vom 25.09.2002 wegen Bedrohung unter Einbeziehung der Entscheidungen des Amtsgerichts Bielefeld vom 13. Juli 2000 (19a Ls 35 Js 773/00 - P 3/00) und vom 22.01.2001 (19a Ls 35 Js 1266/00) sowie des Amtsgerichts Herford vom 18.04.2002 (3b Ls 35 Js 1349I01 (36/02)) zu einer neuen Einheitsjugendstrafe von 2 Jähren und 2 Monaten verurteilt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts zu den persönlichen Verhältnissen- und strafrechtlichen Vorbelastungen des zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zwanzig Jahre alten Angeklagten ist dieser im Jahre 1995 mit seinen Eltern und seiner Schwester von Kirgisien nach Deutschland übergesiedelt. Er erlangte im Jahre 1999 den Hauptschulabschluss, absolvierte aber keine Berufsausbildung und ist seit dem Jahre 2000 arbeitslos. Er ist ledig und kinderlos.
Bereits seit seinem 13. Lebensjahr trinkt der Angeklagte vermehrt Alkohol. Etwa im Sommer 1998 begann er mit dem Konsum harter Drogen.
Am 02.12.1999 wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld wegen Diebstahls mit einer Geldauflage belegt.
Ab dem 23.06.2000 befand er sich für das Verfahren 19a Ls 35 Js 773/00 Amtsgericht Bielefeld für gut drei Wochen in Untersuchungshaft. Am 13.07.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Bielefeld in diesem Verfahren wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwölf Fällen, davon dreimal in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zu einer Jugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte hatte in allen Fällen höherwertige alkoholische Getränke gestohlen, die er verkaufte, um damit seine bereits damals bestehende Drogensucht zu finanzieren.
Auch nach seiner Entlassung aus der Haft trank der Angeklagte weiter und spritzte Heroin. Auf Betreiben seiner Bewährungshelferin unterzog sich der Angeklagte dann einer Entgiftung und arbeite anschließend bei einer Leiharbeitsfirma.
Am 09.10.2000 kam der Angeklagte erneut in Untersuchungshaft. Am 22.01.2001 wurde er durch das Amtsgericht Bielefeld (19a Ls 35 Js 1266/00) unter Einbeziehung der vorgenannten Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls im besonders schweren Fall in fünf Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Auch bei diesen Taten hatte der Angeklagte jeweils mehrere Flaschen Whiskey und Cognac entwendet, die er weiterverkaufte, um damit wiederum Geld für den Kauf von Drogen zu haben. Er verbüßte diese Strafe bis zum 13.05.2002 in der Justizvollzugsanstalt Herford. Selbst dort kam es zu Alkoholmissbrauch.
Bevor der Angeklagte die vorgenannte Strafe voll verbüßt hatte, nämlich am 18.04.2002, wurde er durch das Amtsgericht Herford (3b Ls 34 Js 1349/01 (36/02)) wegen Nötigung unter Einbeziehung des Urteils vom 22.01.2001 zu einer neuen Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Gegenstand dieser Verurteilung war, dass der Angeklagte während seiner Haftzeit anlässlich eines Umschlusses am 26.08.2000 auf der Zelle des E.B. diesem gegenüber eine drohende Haltung angenommen hatte, die dazu führte, dass dieser verängstigt den ihm erteilten Anweisungen des Angeklagten folgte, So forderte der Angeklagte den B. auf, zu tanzen, was dieser auch tat. Schließlich forderte der Angeklagte den B. auf, sich den Stiel einer Toilettenbürste in den Anus zu schieben. Auch dieser Aufforderung kam E.B. aus Angst vor dem Angeklagten nach.
Diese neue Einheitsjugendstrafe ist noch nicht vollständig vollstreckt worden.
Nach seiner Entlassung aus der Haft am 13.05.2002 hat sich der Angeklagte um Weiterbildungsmöglichkeiten bemüht. Seit Anfang September 2002 ist er bei der Volkhochschule eingeschrieben und will dort den Realschulabschluss nachholen.. Nach seinen Angaben trinkt er nur noch wenig Alkohol und konsumiert auch keine Drogen mehr.
Zur Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
„Nachdem der Angeklagte am 13.05.2002 aus der Strafhaft, die er in der JVA Herford verbüßt hatte, entlassen worden war, nahm er seine Haftentlassung zum Anlass, diese in den nächsten Tagen heftig mit Alkohol zu begießen. Auch am 16.05.2002 trank er reichlich Alkohol. Er setzte sich dann als Beifahrer in den Pkw Toyota des A.H., der das Fahrzeug steuerte. Auf dem Rücksitz saßen noch der A:M., der E.R., und der. K.B.. Der M. hatte an diesem Tage eine Gaspistole der Marke Röhm, Kaliber 9 mm, gekauft, die einer scharfen Waffe zum Verwechseln ähnlich sieht. Gegen 21.40 Uhr befuhr der Hegel mit seinem Toyota die Alfred-Bozi-Straße in Bielefeld. Der Angeklagte nahm nunmehr die zwischen den Sitzen liegende Gaspistole des M. an sich und betrachtete diese. Als der H. an der Einmündung Stapenhorststraße vor einer roten Ampel verkehrsbedingt halten musste, lehnt sich der Angeklagte mit dem Oberkörper aus dem geöffneten Beifahrerfenster und richtete mit ausgestrecktem Arm die Gaspistole in einer Entfernung von maximal 1,5 Meter auf den Kopf des Taxifahrers M., der mit seinem Taxi auf der Rechtsabbiegerspur neben dem Pkw des Zeugen H. stand und deutete so an, auf den Zeugen schießen zu wollen. In dem Taxi saß noch die Kundin B., die es mit der Angst zu tun bekam. Der Taxifahrer M. fuhr dann anschließend mit seiner Kundin zur Polizei und erstattete dort Strafanzeige, weil er die Waffe durchaus für echt hielt und die Sorge hatte, dass der Angeklagte und seine Mitfahrer eine echte Gefahr für die Bevölkerung darstellen könnten.
Kurze Zeit später wurde das Fahrzeug dann von der Polizei angehalten und die Gaspistole sichergestellt. Die dem Angeklagten um 23.40 Uhr entnommene Blutprobe wies einen Blutalkoholmittelwert von 1,74 0/0o auf."
Nach den weiteren Urteilsausführungen hat der Angeklagte letztlich eingeräumt, es könne sein, dass er die Waffe aus dem Fenster und auch in Richtung des Taxifahrers und Zeugen M. gehalten habe. Seine weitere Einlassung, er habe aber niemanden bedrohen wollen, hat das Amtsgericht aufgrund der Aussage des Zeugen M. als widerlegt angesehen.
Auf de~ Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht den Angeklagte der Bedrohung gemäß § 241 StGB für schuldig befunden. Wegen angenommener Reifeverzögerungen bei dem zur Tatzeit 19 Jahre und 10 Monate alten Angeklagten sowie unter Berücksichtigung des seiner Auffassung nach stark jugendtümlichen Charakters der begangenen Straftat hat das Amtsgericht gemäß § 105 JGG Jugendstrafrecht angewendet.
Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
„Die Tat erfolgte nur drei Tage nach seiner Haftentlassung, worin sich zeigt, dass der Angeklagte letztlich nichts dazugelernt hat und bei ihm nach wie vor von schädlichen
Neigungen auszugehen ist. Die bei dem Angeklagten bereits in. der Vergangenheit mehrfach festgestellten schädlichen Neigungen haben- sich daher mit dem hier in Rede stehenden Fehlverhalten erneut bestätigt, so dass, unter Einbeziehung der Vorverurteilungen, gemäß § 31 JGG nur die erneute Verhängung einer Jugendstrafe in Betracht kam. Hierbei war strafmildernd zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich weitgehend geständig eingelassen hat. Er hat zumindest eingeräumt, die Pistole in der Hand gehalten zu haben und letztlich auch nicht ausgeschlossen, dass er diese auf den Zeugen M. gerichtet hat. Des weiteren stand der Angeklagte bei Begehung der Tat ganz erheblich unter Alkoholeinfluss. Rückgerechnet auf den Tatzeitpunkt hat er einen Blutalkoholgehalt von rund 2,3 0/0o gehabt und sich damit im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB befunden. Allerdings kann diese verminderte. Schuldfähigkeit des Angeklagten zu seinen Gunsten nicht allzu sehr in die Waagschale geworfen werden, weil der Angeklagte seit vielen Jahren ständig Alkohol in großen Mengen trinkt und sicherlich weiß, dass er unter Alkoholeinfluss den Hang dazu hat, weitere Straftaten zu begehen. Negativ fällt natürlich ins Gewicht, dass der. Angeklagte die Tat gerade mal drei Tage nach seiner Entlassung aus der Strafhaft begangen hat.
Unter Berücksichtigung aller Umstände erschien letztlich eine Erhöhung der einzubeziehenden Entscheidungen und damit verbundenen zugrunde liegenden Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten um vier Monate auf zwei Jahre und zwei Monate als tat- und schuldangemessen und zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich."
Gegen dieses Urteil, das der damaligen Verteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin R., am 23.10.2002 zugestellt worden ist, richtet sich die Revision des Angeklagten. Mit der erhobenen Verfahrensrüge wird geltend gemacht, es sei der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben. Denn die Hauptverhandlung sei ohne Mitwirkung eines Verteidigers durchgeführt worden, obwohl angesichts der Höhe der neu verhängten Einheitsjugendstrafe, aber auch aufgrund der Anklageerhebung beim Jugendschöffengericht ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 StPO i. V. m. § 68 JGG vorliege. Zudem seien in dem Verfahren mehrere Zeugen vernommen worden, so dass für eine angemessene Verteidigung Akteneinsicht erforderlich gewesen sei, die gemäß § 147 StPO nur über einen Verteidiger erlangt werden könne. Mit der im übrigen allgemein erhobenen Sachrüge wird unter näherer Darlegung beanstandet, dass das angefochtene Urteil Ausführungen zu den Vorschriften der §§ 57 StGB und 31 Abs. 3 JGG vermissen lässt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts Bielefeld vom 25.09.2002 hat für den Angeklagten zwar kein Verteidiger an der Hauptverhandlung teilgenommen. Die erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §§ 338 Nr. 5,1-40 Abs. 2 StPO i.V.m. § 68 Nr. 1, 109 JGG hat aber dennoch keinen Erfolg.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung: Zu berücksichtigen sind aber auch die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten sowie sonstige schwerwiegende Nachteile, die er infolge der Verurteilung zu gegenwärtigen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 140 Randziffer 23- 25 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch im Jugendstrafverfahren, wobei es sowohl im Bereich des allgemeinen Strafrechts als auch im Bereich des Jugendstrafrechts unerheblich ist, ob sich die drohende Straferwartung allein ,aus der abzuurteilenden Tat oder aber infolge der erforderlichen Bildung einer Einheitsjugendstrafe bzw. einer Gesamtstrafe ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom 26.09.1996, veröffentlicht in NStZ-RR 1997, 78 m.w.N.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Randziffer 24). Bei welcher Straferwartung ein Fall notwendiger Verteidigung zu bejahen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zwar nicht ganz einheitlich beurteilt, jedoch wird nach heute überwiegender und zutreffender Ansicht jedenfalls bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht (vgl. vorgenannten Senatsbeschluss; Beschluss des 4. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 23.10.2001 - 4 Ss 932/01 -; Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Randziffer 23). Eine solche Straferwartung ist nach Auffassung des Senates auch im Jugendstrafverfahren für die Prüfung der Pflichtverteidigerbestellung zugrunde zu legen (ebenso KG StV 1998, 325; LG Frankfurt StV 1998, 326),: Denn § 68 Nr. 1 JGG bestimmt ausdrücklich, dass dem Beschuldigten immer dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn auch einem Erwachsenen ein solcher zu bestellen wäre. Angesichts dieser uneingeschränkten Verweisung auf das allgemeine Strafrecht vermag der Senat die Auffassung, eine Pflichtverteidigerbestellung sei im Jugendstrafverfahren regelmäßig bereits dann notwendig, wenn die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten sei (vgl. Eisenberg, JGG, 9. Aufl., ,§ 68 Randziffer 24), nicht zu teilen. Das Jugendstrafrecht hat durch das Jugendgerichtsgesetz eine spezialgesetzliche Regelung erhalten, die sich in §.68 JGG auch mit der Frage befasst, wann einem jugendlichen Angeklagten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. So wird in § 68 Nr. 4 JGG - abweichend von der im allgemeinen Strafrecht in § 140 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 StPO getroffenen Regelung bestimmt, dass dem Jugendlichen, soweit gegen ihn Untersuchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung nach §,126 a StPO vollstreckt wird, unverzüglich ein Verteidiger zu bestellen ist. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wenn er auch bei einer Anwendung der Vorschrift des § 68 Nr. 1 JGG eine gesonderte Behandlung Jugendlicher oder. Heranwachsender gewollt hätte, dies durch eine entsprechende Regelung ebenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, was aber nicht geschehen ist.
Auch im Jugendstrafrecht ist daher unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat ' eine Pflichtverteidigerbestellung grundsätzlich erst bei einer Straferwartung von einem Jahr erforderlich. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine starre Grenze. Außerdem ist - wie bereits oben dargelegt - insbesondere auch die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Diese wird bei einem sehr jungen Angeklagten in der Regel sicherlich anders zu beurteilen sein wird, als bei einem Jugendlichen kurz vor Vollendung seines 18. Lebensjahr oder etwa bei einem Heranwachsenden, der bereits vielfach vor Gericht gestanden hat. Besonderheiten, die sich aufgrund der Persönlichkeit oder des Entwicklungsstandes des Jugendlichen oder Heranwachsenden ergeben, kann dadurch hinreichend Rechnung getragen werden.
Soweit die Revision mit Schriftsatz vom 03.03.2003 geltend macht, dass nach ständiger Rechtsprechung auch des Oberlandesgerichts Hamm bei einer Anklageerhebung zum Schöffengericht immer ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben sei und dementsprechend eine Pflichtverteidigerbestellung auch bei einer Anklageerhebung vor dem Jugendschöffengericht geböten sei, gibt dieses Vorbringen keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Die beiden Fallgestaltungen sind nämlich nicht miteinander vergleichbar, da eine Zuständigkeit des Schöffengerichts gemäß § 25 Nr. 2 GVG i.V.m. § 24 GVG erst gegeben ist, wenn mit der Verhängung einer höheren Strafe als einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu rechnen ist, während eine sachliche Zuständigkeit des Jugendschöffengerichtes gemäß § 40 Abs. 1 JGG i.V.m. § 39 Abs. 1 JGG bereits dann gegeben ist, wenn überhaupt die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten ist.
Allerdings kann nach Auffassung des Senates auch dann, wenn die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und mehr droht, nicht ausschließlich auf die rechnerische Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe abgestellt werden. Maßgebend d ist vielmehr, in welchem Umfang sich die neu zu verhängende Einheitsjugendstrafe faktisch auf das Leben des Jugendlichen oder Heranwachsenden auswirkt: Die zu erwartende Rechtsfolge gebietet daher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat erst dann, wenn dem Jugendlichen oder Heranwachsenden auch faktisch die Möglichkeit eines Freiheitsentzuges von mindestens einem Jahr droht.
Im vorliegenden Verfahren hatte der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht Bielefeld bereits ein Jahr und acht Monate Strafhaft bis zum 13.05.2002 und damit den weit überwiegenden Teil der durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 18.04.2002 verhängten und nunmehr einzubeziehenden Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verbüßt. Für die in dem jetzigen Verfahren angeklagte Tat bestand sicherlich keine über vier Monate hinausgehende Straferwartung, so dass der Angeklagte im Verurteilungsfall allenfalls noch, 10 mit einem weiteren Freiheitsentzug von sechs Monaten zu rechnen hatte. Das Gewicht dieser zu erwartenden Rechtsfolge gebot eine Pflichtverteidigerbestellung nicht. Da auch keine sonstigen schwerwiegenden Nachteile, wie etwa der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung in einer anderen Sache zu erwarten waren, war hier unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 68 Nr. 1, 109 JGG nicht gegeben.
Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu seinem bereits oben zitierten Beschluss vom 26.09.1996 (NStZ-RR 1997, 78). Denn diesem Beschluss lag eine andere Fallgestaltung als in dem vorliegenden Verfahren zugrunde. In jenem Verfahren war die in die neue Einheitsjugendstrafe einzubeziehende vorherige Einheitsjugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt gewesen. Dem Angeklagten drohte im Falle seiner Verurteilung nicht nur die Verhängung einer Freiheitsstrafe von deutlich mehr als einem Jahr, sondern, da eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Betracht kam, auch ein faktischer Freiheitsentzug von über einem Jahr.
Soweit der behauptete Verstoß gegen §§ 338 Ziffer 5, 140 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 68 Nr. 1, 109 JGG durch den Revisionsführer auch damit begründet wird, es seien im vorliegenden Verfahren mehrere Zeugen vernommen worden und für eine angemessene Verteidigung sei deshalb Aktenkenntnis, die sich nur ein Verteidiger gemäß § 147 StPO hätte verschaffen können, erforderlich gewesen, fehlt es an einer Darlegung, aus welchen Gründen die Beweissituation und damit die Sachlage als schwierig einzustufen war und daher die Mitwirkung eines Verteidigers erforderte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 338 Randziffer 41). Abgesehen davon kann unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vorliegend nur ein Hauptbelastungszeuge zu vernehmen war, gegen den nach dem Ermittlungsergebnis jedenfalls gravierende Glaubwürdigkeitsbedenken nicht bestanden, sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt hatte, die Gaspistole beim geöffneten Autofenster in die Hand genommen zu haben, von einer schwierigen Beweissituation nicht gesprochen werden. Es ist daher nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen es zu einer angemessenen Verteidigung des Angeklagten erforderlich gewesen wäre, über einen Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu nehmen.
Dass der Angeklagte, der bereits mehrere. Vorverurteilungen aufweist und daher als gerichtserfahren anzusehen ist, nicht in der Lage war, sich selbst angemessen zu verteidigen, ist mit der Revisionsbegründung nicht vorgetragen worden. Für eine mangelnde Selbstverteidigungsfähigkeit des Angeklagten, der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 20 Jahre alt war, ergeben sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Soweit mit Schriftsatz vom 19.03.2003 geltend gemacht wird, der Angeklagte habe ab dem 02.04.2003 eine Lehrstelle gefunden und sich bis zum 17.03.2003 wegen in der Vergangenheit aufgetretener Suchtprobleme einer ärztlichen Behandlung unterzogen, eine Mitteilung dieser Umstände im Prozess wäre möglich gewesen, sei aber wegen der mangelnden Mitwirkung eines Verteidigers nicht erfolgt, vermag dieses Vorbringen der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn dieser Vortrag ist erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, die am 23.11.2002 endete, erfolgt. Außerdem lässt dieses Vorbringen für sich allein noch nicht den Rückschluss auf eine mangelnde Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten zu, da nicht vorgetragen ist, aus welchen Gründen dieser die vorgenannten Umstände, falls sie tatsächlich in der Hauptverhandlung bereits eingetreten und damit bekannt gewesen sein sollten nach den Urteilsgründen wollte der Angeklagte nämlich ab September 2002 den Realschulabschluss nachholen, wofür er mindestens ein Zeitraum von einem Jahr benötigt hätte - verschwiegen hat.

2. Auch die materiell-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht ergeben. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen den Schuldausspruch wegen Bedrohung gemäß § 241 StGB. Die Beweiswürdigung ist nachvollziehbar und weist weder Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten auf, noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze.
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls einer rechtlichen Überprüfung stand.
Der Angeklagte hat sich nach den Urteilsfeststellungen weder durch die mit Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 13.07.2000 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung noch. durch verbüßte Untersuchungs- und Strafhaft von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen. Vielmehr ist er noch während der Strafhaft sowie durch die hier in Rede stehende nur wenige Tage nach seiner Haftentlassung erneut straf fällig geworden. Angesichts dessen begegnet die Bewertung des Jugendschöffengerichts, bei dem Angeklagten sei nach wie vor von schädlichen Neigungen auszugehen, denen 'nur durch die Verhängung einer Jugendstrafe begegnet werden könne, keinen Bedenken. Das Gleiche gilt für die maßvolle Erhöhung der einzubeziehenden früheren Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten um vier Monate auf zwei Jahre und zwei Monate.
Die Einheitsstrafenbildung gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 JGG ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift obligatorisch. Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Einbeziehung als Regelfall ansieht (vgl. Schoreit in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 3. Aufl., § 31. Randziffer 25 m.w.N.). Zweck dieser Regelung ist es, eine auf die Täterpersönlichkeit abgestimmte einheitliche Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen, die auf aktueller Diagnose und Prognose beruht (vgl. Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl., § 31 Randziffer 8 m.w.N..). Nur ausnahmsweise kann gemäß § 31 Abs. 3 JGG von der Einbeziehung früherer Verurteilungen abgesehen werden, wenn Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind (vgl. BGH NJW 1989, 1490 (1492)). Im vorliegenden Fall sind erzieherische Gesichtspunkte, die eine Einbeziehung der früheren Verurteilung unzweckmäßig erscheinen lassen, nicht ersichtlich. Dass sich der Angeklagte nicht einmal durch die Verbüßung von Jugendstrafe nachhaltig hat beeindrucken lassen, stellt unter erzieherischen Gesichtspunkten sicherlich keinen Grund dar, auf die erneute Straftat des Angeklagten nunmehr mit milderen Mitteln als mit der Verhängung von Jugendstrafe zu reagieren.
Es bestand daher entgegen der Ansicht der Verteidigung für das Amtsgericht kein Anlass, um derartige Maßnahmen verhängen zu können, sich mit der Möglichkeit eines Absehens der Einbeziehung der vorangegangenen Verurteilungen gemäß § 3'l Abs. 3 JGG auseinander zu setzen. Das Amtsgericht musste sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht wegen der bereits erfolgten Teilverbüßung der einzubeziehenden Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten mit der Frage einer etwaigen Reststrafenaussetzung gemäß § 88 JGG befassen. Denn eine Strafaussetzung. zur Bewährung im vorliegenden Verfahren mit Rücksicht auf diese Möglichkeit wäre ohnehin nicht in Betracht gekommen, da gemäß § 21 Abs. 2 JGG eine verhängte Jugendstrafe nur zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn sie zwei Jahre nicht übersteigt, was vorliegend aber nicht der Fall ist.

Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.


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