Aktenzeichen: 3 Ss 832/03 OLG Hamm
Leitsatz: Räumt der Betroffene nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und offenbar in Kenntnis von dessen Ergebnis die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung ein, so ist das Amtsgericht aus Rechtsgründen nicht gehindert, dieses Geständnis der Verurteilung der Betroffenen zugrunde zu legen.
Senat: 3
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung; Feststellungen; Toleranzabzug; Geständnis des Betroffenen
Normen: StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen J.T.
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.09.2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr zu einer Geldbuße von 100,- verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat Dauer festgesetzt. Ferner hat es bestimmt, dass das Fahrverbot mit der amtlichen Verwahrung des Führerscheins wirksam wird, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten ab Rechtskraft des Urteils.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen zum Schuldspruch getroffen:
Aufgrund der durch seinen Verteidiger abgegebenen geständigen Angabe steht fest, dass der Betroffene am 19. März 2002 um 19.45 Uhr die BAB 2 in Höhe des Kilometers 329,1 befuhr. Die in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritt er - unter Anrechnung der Messtoleranz - um zumindest 45 km/h.
Der Betroffene hat über seinen Verteidiger eingeräumt, Fahrer gewesen zu sein. Er hat darüber hinaus auch den Geschwindigkeitsverstoß als solchen eingeräumt. Diese geständige Einlassung ist glaubhaft, da sie in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der mit einem geeichten Gerät Multanova 6 F Nr. L-86-181 durchgeführten Geschwindigkeitsmessung steht. Die Richtigkeit dieser Geschwindigkeitsmessung wurde darüber hinaus durch die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Reuther bestätigt. Nach dem Inhalt des von ihm erstellten Gutachtens ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte für Fehlmessungen. Der Betroffene hat sich damit einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach § 41 Abs. 2, 49 StVO schuldig gemacht.
Gegen das in seiner Abwesenheit verkündete Urteil hat der Betroffene mit am 23.09.2003 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangenem Schreiben seines Verteidigers Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 04.11.2003 hat dieser die Rechtsbeschwerde für den Betroffenen mit weiterem Schreiben vom 28.11.2003, am selben Tage beim Amtsgericht in Bielefeld eingegangen, begründet. Die Rechtsbeschwerde wendet sich mit näheren Ausführungen insbesondere gegen das Vorliegen einer groben oder beharrlichen Pflichtverletzung auf Seiten des Betroffenen. Diese könne insbesondere nicht allein aus der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung geschlossen werden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben, § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG. Der näheren Erörterung bedarf allein Folgendes:
Das angefochtene Urteil ist insbesondere auch nicht deshalb fehlerhaft, weil es den von der gemessenen Geschwindigkeit in Abzug gebrachten Toleranzwert nicht mitteilt. Dies war hier nämlich entbehrlich, weil der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dieser Höhe zur Überzeugung des Amtsgerichts glaubhaft eingeräumt hatte (vgl. BGH, NJW 1993, 3081, 3084). Der Angabe des Toleranzwertes bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (ebda.) dann nicht, wenn der Betroffene uneingeschränkt und glaubhaft eingesteht, die vorgeworfene Geschwindigkeit - mindestens - gefahren zu sein. Dabei darf der Tatrichter die Verurteilung auf eine Einlassung des Betroffenen nur dann stützen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (ebda.). Hier hatte sich das Amtsgericht eine solche Überzeugung von der Richtigkeit des Geständnisses des Betroffenen rechtsfehlerfrei verschafft. Das Geständnis ist nämlich abgegeben worden, nachdem das Amtsgericht zuvor ein Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens von Messfehlern im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung eingeholt hatte. Räumt der Betroffene aber nach Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens und offenbar in Kenntnis von dessen Ergebnis die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung ein, so ist das Amtsgericht aus Rechtsgründen nicht gehindert, dieses Geständnis der Verurteilung der Betroffenen zugrunde zu legen. Insoweit hat der Bundesgerichtshof es nämlich bereits ausreichen lassen, dass der Betroffene allein deshalb ein Geständnis abgibt, weil er im Falle einer Geschwindigkeitskontrolle durch anerkannte Messgeräte aufgrund seines regelmäßigen Fahrverhaltens oder der anders gelagerten Zielrichtung seines Verteidigungsvorbringens die Zuverlässigkeit der Geräte und das Ergebnis der Messung nicht bezweifeln will. Dies muss erst recht für den Fall gelten, dass der Betroffene die Zuverlässigkeit der Messung zunächst bezweifelt, hiervon aber nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ausdrücklich abrückt.
Dagegen war die Angabe des Toleranzwertes hier nicht bereits deshalb entbehrlich, weil der Amtsrichter das Messgerät benannt hatte und keine Besonderheiten bei der Messung erkennbar waren, die einen höheren als den regelmäßigen, zu diesem Messgerät bestehenden Toleranzabzug erforderlich gemacht hätten. Der anders lautenden - früheren - Rechtsprechung des 1. Senats des Oberlandesgerichts Hamm (NZV 2000, 144) vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1993, 3380) widerspricht, wonach die Angabe des Toleranzwertes stets erforderlich ist, es sei denn, der Betroffene gesteht die Geschwindigkeitsüberschreitung uneingeschränkt und glaubhaft ein, überzeugt sie auch in der Sache nicht. Der 1. Senat geht in seiner Entscheidung von der Prämisse aus, dass der Tatrichter durch die Benennung des Messverfahrens bzw. des zur Anwendung gebrachten Messgerätes konkludent zum Ausdruck bringt, dass er die bei diesem Gerät systemimmanenten Fehler durch den entsprechenden Toleranzabzug berücksichtigt hat, so dass es reine Formsache wäre, würde man zusätzlich die ausdrückliche Angabe des Toleranzwertes verlangen. Dem kann der Senat sich nicht anschließen. In der Praxis kommen mitunter durchaus Fälle vor, in denen dem Tatrichter der zutreffende Toleranzwert nicht bekannt ist. Insbesondere kommt es häufiger zu dem Fehler, dass auch bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von über 100 km/h nicht ein Toleranzabzug von 3 % (etwa bei einer Radarmessung), sondern nach wie vor ein Toleranzabzug von nur 3 km/h von dem gemessenen Geschwindigkeitswert gemacht
wird. Um solche Fehler, die sich zum Teil deutlich zum Nachteil des Betroffenen aus-wirken können, zu vermeiden, ist die Angabe des Toleranzwertes zur Kontrolle der Beweiswürdigung des Tatrichters weiterhin unabdingbar, es sei denn, es liegt wie hier ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis des Betroffenen hinsichtlich der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.
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