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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ws 649/03 OLG Hamm

Leitsatz: Die Frage, ob einem sprachunkundigen Ausländer bei Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist danach zu beurteilen, ob dieser sich in hinreichender Weise darum bemüht hat, Kenntnis vom Inhalt einer ihn belastenden Entscheidung und der dazugehörigen Rechtsmittelbelehrung zu erlangen.

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Verschulden, Deutsch, deutsche Sprache, Ausländer, Erkundigungspflicht, eigene eidesstattliche Versicherung, Glaubhaftmachung

Normen: StPO 44; StPO 45

Beschluss: Strafvollstreckungssache
gegen N. B., zur Zeit in dieser Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Münster,
wegen Raubes u.a.,
hier: Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde und Ablehnung der bedingten Entlassung aus der Strafhaft.

Auf den Antrag des Verurteilten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde und seine sofortige Beschwerde vom 20. Oktober 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster vom 30. September 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verworfen.
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen.

Gründe:
Der Verurteilte wendet sich mit seiner am 20. Oktober 2003 bei dem Landgericht Münster eingegangenen sofortigen Beschwerde vom selben Tage gegen den ihm selbst am 2. Oktober 2003 zugestellten Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster vom 30. September 2003, durch den die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 4. April 2002 - 8 Ls 2 Js 476/01 (55/01) zur Bewährung abgelehnt hat.
Gleichzeitig hat der Verurteilte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 7. November 2003 dazu ausgeführt:

"II. Der Antrag des Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 44 StPO ist nicht begründet, weil der Verurteilte nicht glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden verhindert war, die in § 311 Abs. 2 StPO bestimmte Wochenfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde einzuhalten.
Er hat vorgebracht, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig zu sein und deswegen den angefochtenen Beschluss und die Rechtsmittelbelehrung nicht verstanden zu haben.
Die eigene Erklärung des Verurteilten ist jedoch selbst dann, wenn der behauptete Wiedereinsetzungsgrund besonders nahe liegt oder der Lebenserfahrung entspricht, kein geeignetes Mittel der Glaubhaftmachung im Sinne des § 45 Abs. 2 StPO (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflg., Rdn. 9 zu § 45 m.w.N.).
Darüber hinaus ergibt sich aus dem Vorbringen des Verurteilten nicht, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten.
Die Frage, ob einem sprachunkundigen Ausländer bei Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist danach zu beurteilen, ob dieser sich in hinreichender Weise darum bemüht hat, Kenntnis vom Inhalt einer ihn belastenden Entscheidung und der dazugehörigen Rechtsmittelbelehrung zu erlangen. Versäumt ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer, dem eine gerichtliche Entscheidung in deutscher Sprache ohne eine ihm verständliche Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden ist, die Rechtsmittelfrist, so verbieten es zwar nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsschutzgarantien nach Artikel 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG, die Versäumung der Rechtsmittelfrist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Ausländers beruht, als verschuldet anzusehen (zu vgl. BVerfG, StV 1995, 394; NJW 1976, 1021 f.). Jedoch folgt daraus nicht, dass der sprachunkundige Ausländer jeglicher Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte enthoben ist. Kann der Ausländer das in deutscher Sprache verfasste Schriftstück jedenfalls soweit erfassen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handeln könnte, das eine ihn belastende Verfügung enthält, so hat er im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstückes zu verschaffen. Unternimmt ein Ausländer aus vermeidbarer Gleichgültigkeit oder aufgrund anderer, auf sein schuldhaftes Verhalten zurückzuführender Umstände solche zumutbaren Anstrengungen nicht und erlangt er deshalb erst nach Ablauf dieser angemessen Frist Kenntnis von dem genauen Inhalt des Schriftstücks, so ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden und nach dem Grundgedanken des Wiedereinsetzungsrechts sachgerecht, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen (zu vgl. BVerfG, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 06.12.2000 - 5 Ws 261/00 - m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass der Verurteilte die ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen, sich zuverlässige Kenntnis vom Inhalt des angefochtenen Beschlusses nebst beigefügter Rechtsmittelbelehrung zu verschaffen, nicht in angemessener Frist unternommen hat. Der Verurteilte konnte bereits an der Gestaltung des ihm in der Justizvollzugsanstalt förmlich zugestellten Beschlusses des Landgerichts Münster erkennen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück mit nicht unbedeutendem Inhalt handelte. Ihm stand eine Vielzahl von - formellen und informellen - Möglichkeiten zur Verfügung, sich über den Inhalt des ihm zugestellten Schriftstücks zuverlässig zu informieren. Er hätte beispielsweise jugoslawische Mitgefangene um Übersetzung bitten oder den Beschluss nebst Rechtsmittelbelehrung dem für ihn zuständigen Sozialarbeiter der Justizvollzugsanstalt vorlegen und um Übersetzung durch einen Dolmetscher bitten können. Angesichts dieser nur beispielhaft genannten Möglichkeiten kann von einer unverschuldeten Fristversäumnis nicht ausgegangen werden (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
Ein Verteidigerverschulden ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
III. Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 57 StGB statthafte sofortige Beschwerde ist nicht fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden.
Der angefochtene Beschluss ist dem Verurteilten am 02.10.2003 zugestellt worden. Die sofortige Beschwerde hätte demnach spätestens am 09.10.2003 bei dem Landgericht Münster eingehen müssen. Tatsächlich ist sie dort erst am 20.10.2003 und damit verspätet eingegangen."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an, so dass die nachgesuchte Wiedereinsetzung zu versagen und die sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen war.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster wird jedoch zu prüfen haben, ob das Rechtsmittel des Verurteilten als neuer Antrag auf Anordnung der bedingten Entlassung auszulegen ist.


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