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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 669/03 OLG Hamm

Leitsatz: Der Begriff der unentschuldigten Säumnis in § 329 Abs. 1 StPO setzt nicht nur eine Pflichtverletzung des Angeklagten in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht voraus Dazu muss das Verwerfungsurteil tatsächliche Ausführungen enthalten.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufungsverwerfung; Ausbleiben des Angeklagten; Anforderungen an Urteilsgründe;

Normen: StPO 329; StPO 267

Beschluss: Strafsache
gegen K.P.
wegen Betruges

Auf die Revision des Angeklagten vom 23. September 2003 gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 03. September 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 01. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Hagen mit Urteil vom 21. März 2003 wegen gemeinschaftlich begangenen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden. Hiergegen hat er form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Das Landgericht hat daraufhin Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 03. September 2003 bestimmt. In der Hauptverhandlung ist der Angeklagte, der am 18. Juli 2003 ordnungsgemäß geladen worden ist, nicht erschienen. Der Verteidiger des Angeklagten hat in der Hauptverhandlung eine vom Angeklagten stammende Email vom 1. September 2003 verlesen, in der es u.a. heißt: „....leider kann ich in der Hauptverhandlung nicht erscheinen, weil mir die Fahrtkosten fehlen. Ab heute habe ich einen festen Arbeitsjob. Mit den gelegentlichen Jobs habe ich noch niemals das noetige zum leben verdient. Ich hatte auch keine Moeglichkeit die Fahrtkosten durch Privatdarlehen zu sichern, weil ich hier ganz allein bin. Ich bitte Sie das Gericht entsprechend zu informieren. Ich moechte Sie noch mal bitten, mich vor Gericht, selbst wenn ich abwesend bin, zu verteidigen. ......“.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Diese Entscheidung hat es wie folgt begründet:

„Der Angeklagte hat gegen das Urteil vom 21. März 2003 zwar rechtzeitig Berufung eingelegt, ist aber in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung, ungeachtet der durch die Urkunde vom 18. Juli 2003 nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden.

Er hat auch seit längerem Kenntnis vom Termin. Seine Erklärung, er habe kein Geld für eine Anreise aus Griechenland ist keine ausreichende Entschuldigung. Zum einen hätte der Angeklagte sich rechtzeitig darum kümmern müssen, seine Reise nach Deutschland antreten zu können und hierfür entsprechende Anträge stellen können. Zum anderen hätte er vor Ausreise bedenken müssen, dass in dem laufenden Berufungsverfahren die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins zu erwarten war, zu dem er erscheinen muss.........“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte nun noch mit der Revision, nachdem sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch den Beschluss des Landgerichts vom 17. Oktober 2003 rechtskräftig verworfen worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht Hagen zurückzuverweisen.

II.
Die Revision des Angeklagten hat - zumindest vorläufig - Erfolg, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen war.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

„Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Revision ist rechtzeitig eingelegt und fristgerecht in noch zulässiger Weise begründet worden.

Wird mit der Revision gegen ein gem. § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt gewesen, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 329 Rdnr. 48). An die Zulässigkeit dieser Verfahrensrüge werden keine strengen Anforderungen gestellt, zumal das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die in der Revisionsbegründung nicht wiederholt zu werden brauchen, gebunden ist (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 07.10.1999 - 2 Ss 1011/99). Ergibt sich, dass der Angeklagte Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, so ist es ausreichend, wenn ausgeführt wird, das Berufungsgericht habe das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 02.10.2002 - 2 Ss 839/02). Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung.

Die somit zulässig mit der Verfahrensrüge begründete Revision hat auch in der Sache Erfolg, weil die Begründung des angefochtenen Urteils aus Rechtsgründen zu beanstanden ist. Sie genügt nämlich nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gem. § 329 Abs. 1 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte muss das nach § 329 Abs. 1 StPO ergangene Urteil so begründet sein, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. Namentlich müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht bei Prüfung der Frage, ob das Berufungsgericht die in § 329 StPO enthaltenen Rechtsbegriffe verkannt hat, an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 07.10.1999 - 2 Ss 1011/99 -). Obwohl der kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen ausweislich des Sitzungsprotokolls die e-mail des Angeklagten vom 01.09.2003 vorgelegen hat, hat sie sich mit dieser inhaltlich im Urteil insoweit nicht auseinandergesetzt, als der Angeklagte darin die Bitte an seinen Verteidiger vorgetragen hat, ihn auch bei seiner Abwesenheit vor Gericht zu verteidigen. Der Vortrag des Angeklagten ist dahingehend auszulegen, dass dieser davon ausgegangen ist, in der Berufungshauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten werden zu können. Die kleine Strafkammer hätte daher in den schriftlichen Urteilsgründen zumindest zum Ausdruck bringen müssen, dass sie das Vorbringen des Angeklagten auch daraufhin geprüft hat, ob dieses zur Entschuldigung seines Ausbleibens geeignet war und seine gegebenenfalls verneinende Entscheidung dann weiter so begründen müssen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, nachzuprüfen, ob dabei der Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung nicht verkannt worden ist.

Dieser Mangel des angefochtenen Urteils würde nur dann nicht zur Aufhebung führen, wenn sich ergebe, dass der zur Begründung vorgetragene Umstand ganz offensichtlich nicht geeignet sein konnte, das Ausbleiben des Angeklagten zu entschuldigen, so dass das Fehlen einer überprüfbaren tatrichterlichen Würdigung unschädlich wäre (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.1998 - 4 Ss 1051/98 -). Dies ist hier indes nicht der Fall. Die irrtümliche Annahme, dass der Verteidiger zur Vertretung berechtigt ist, kann das Ausbleiben des Angeklagten entschuldigen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., Rdnr. 25 zu § 329 m. w. N.).

Diese überzeugenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft, denen sich der Senat nach eigener Sachprüfung anschließt, entsprechen der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den Anforderungen an die Begründung eines gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenen Verwerfungsurteils (vgl. Senat in 2 Ss 394/98, StraFo 1998, 233 = NStZ-RR 1998, 281; Senat in 2 Ss 121/99, DAR 1999, 277[ Ls.] = VRS 97, 44; Senat in der von der Generalstaatsanwaltschaft angeführten Entscheidung in 2 Ss 1011/99, DAR 2000, 56[ Ls.] = NStZ-RR 2000, 85 = VRS 98, 203; Senat in 2 Ss 839/02, wistra 2003, 40 (Ls.) = NStZ-RR 2003, 86 (Ls.) = VRS 104, 145 = NZV 2003, 248; Senat in 2 Ss OWi 873/02, ZAP EN-Nr. 866/2002 = VA 2003, 8 = NZV 2003, 152; Senat in 2 Ss 1135/02, StraFo 2003, 173 = PA 2003, 70 = VRS 105, 143 = NZV 2003, 348, 396; Entscheidungen alle auch im Volltexte auf www.burhoff.de). Danach muss das nach § 329 Abs. 1 StPO ergangene Verwerfungsurteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. Insbesondere müssen etwa vorgebrachte Entschuldigungsgründe und sonstige ggf. als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden.

Dahinstehen kann, ob das Berufungsgericht - soweit es seine Erwägungen mitgeteilt hat - zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, weil er sich nicht rechtzeitig um eine Reisemöglichkeit von Griechenland nach Deutschland gekümmert hat. Erforderlich ist nämlich die Würdigung aller vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe. Diese hat das Berufungsgericht jedoch nicht vorgenommen. Denn den dem angefochtenen Urteil lässt sich, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, nicht entnehmen, ob das Berufungsgericht sich auch damit auseinandergesetzt hat, dass der Angeklagte offenbar davon ausgegangen ist, dass er bei Abwesenheit in der Hauptverhandlung dort von seinem Verteidiger in der Verteidigung vertreten werden könne.

Die Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen des Angeklagten war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Vorbringen das Ausbleiben des Angeklagten ggf. von vornherein nicht genügend entschuldigen konnte. Falls das Berufungsgericht dieser Annahme gewesen sein sollte, ist nämlich zu beanstanden, dass es sich dann nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der Angeklagten insoweit ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Der Begriff der unentschuldigten Säumnis setzt nicht nur eine Pflichtverletzung des Angeklagten in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht voraus (vgl. Beschluss des hiesigen 5. Strafsenats vom 8. August 2000 - 5 Ws 159/00 = 5 Ss 789/00 und vom 05. September 2000 in 5 Ss 817/00, http://www.burhoff.de; OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). Diese vermag der Senat aber nach den derzeit vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht festzustellen. Das angefochtene Urteil enthält dazu keinerlei tatsächliche Ausführungen. Es teilt noch nicht einmal mit, welchen Beruf der Angeklagte ausübt und ob er sich ggf. bei seinem Verteidiger erkundigt hat, so dass nicht geprüft werden kann, ob er zu Recht von der geäußerten Rechtsauffassung aufgehen konnte. Die in der Email vertretene Auffassung, dass der Angeklagte im Fall seiner Abwesenheit durch seinen Verteidiger verteidigt werden kann, ist - für einen Laien - aber auch nicht so abwegig, dass schon deshalb auch in subjektiver Hinsicht ein Schuldvorwurf hinsichtlich des Ausbleibens gemacht werden könnte.

Der Fall gibt dem Senat im übrigen Anlass zu folgendem Hinweis: Bei der Entscheidung, ob ein zur Verhandlung über die allein von ihm eingelegte Berufung nicht erschienener Angeklagter sein Ausbleiben genügend entschuldigt hat, darf kein zu enger Maßstab angelegt werden. Denn es ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Angeklagte - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - ein eigenes Interesse an der Durchführung der Hauptverhandlung hat, von der er sich - durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO geschützt - einen ihm günstigeren Ausgang des Verfahrens als in erster Instanz erhofft. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Angeklagte ggf. mit eigenem Kostenrisiko einen Wahlverteidiger beauftragt hat oder - wie hier - eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, im Raum steht (ähnlich auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 22. 10. 2003, 1 Ws 471/03, nicht veröffentlicht).


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