Aktenzeichen: 1 Ss OWi 740/03 OLG Hamm
Leitsatz: Von einem (schlüssig erklärten) Widerspruch i.S. des 72 OWiG ist auszugehen, wenn der Betroffene eine mündliche Verhandlung oder eine Überprüfung des Sachverhalts oder eine (ergänzende) Beweisaufnahme verlangt bzw. erkennbar anstrebt, ebenso, wenn er den im Bußgeldbescheid zugrunde gelegten Sachverhalt bestreitet
Senat: 1
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Widerspruch; schriftliches Verfahren; schlüssiger Widerspruch; Auslegung
Normen: OWiG 72
Beschluss: Bußgeldsache
gegen H.B.
wegen Verstoßes gegen die Satzung zum Schutz des Baumbestandes in der Stadt Dortmund.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 30. Mai 2003 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 13. Mai 2003 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 11. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht Brauch als Einzelrichter gemäß § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Stadt Dortmund hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 7. Januar 2003 eine Geldbuße in Höhe von 200,- verhängt. In dem Bußgeldbescheid wird dem Betroffenen vorgeworfen, im Frühjahr 2002 auf dem Grundstück in Dortmund, Mollwitzer Straße 3, einen Ahornbaum, der nach seiner Art, seinem Standort und Stammumfang zu den durch die Satzung zum Schutz des Baumbestandes der Stadt Dortmund geschützten Bäumen gehört, ohne erforderliche Genehmigung um 50 % gekappt zu haben. Gegen diesen ihm am 9. Januar 2003 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit Schreiben vom 19. Januar 2003, bei der Stadt Dortmund eingegangen am 20. Januar 2003, Einspruch eingelegt. In diesem Einspruchsschreiben verteidigt er sich gegen den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf mit der Einlassung, der Ahornbaum sei tatsächlich nicht um 50 % gekappt worden, entsprechende Fotos könnten dem Gericht vorgelegt werden. Im Übrigen sei die von ihm im Auftrag des Grundstückseigentümers vorgenommene Reduzierung der Kronenhöhe wegen der Ausbruchgefahr kopflastiger Äste erforderlich gewesen. Hierfür könne er zwei Augenzeugen benennen. Vor Gericht werde er sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.
Nachdem das Verfahren an das Amtsgericht Dortmund weitergeleitet worden war, hat das Amtsgericht dem Betroffenen mit Schreiben vom 19. Februar 2003, das ihm am 28. Februar 2003 zugestellt wurde, den Hinweis nach § 72 OWiG zugeleitet. Auf dieses Schreiben hat der Betroffene innerhalb der Widerspruchsfrist von 2 Wochen nicht reagiert. Daraufhin hat das Amtsgericht Dortmund mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. Mai 2003 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen wesentlichen Veränderns des Aufbaus eines geschützten Baumes ohne Genehmigung eine Geldbuße in Höhe von 200,- festgesetzt. Gegen diesen ihm am 23. Mai 2003 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit Schreiben seines Verteidigers vom 30. Mai 2003, das am selben Tag beim Amtsgericht Dortmund einging, Widerspruch erhoben, insoweit zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gleichzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt verbunden mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der vom Gericht gemäß § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG nachträglich mit Gründen versehene Beschluss ist dem Betroffenen am 8. Juli 2003 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. Juli 2003, das am selben Tage beim Amtsgericht Dortmund einging, hat der Betroffene die Rechtsbeschwerde unter Bezugnahme auf sein Widerspruchsschreiben vom 30. Mai 2003 ergänzend begründet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Amtsgericht Dortmund mit Beschluss vom 22. September 2003, den der Betroffene nicht angefochten hat, verworfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene mit einer den Anforderungen der §§ 344, 345 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Begründung u.a. rügt, das Amtsgericht habe unzulässigerweise durch Beschluss gemäß § 72 OWiG entschieden, ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat durch Beschluss nach § 72 OWiG entschieden, obwohl der Betroffene diesem (schriftlichen) Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte. Grundlage der Entscheidung durch Beschluss im schriftlichen Verfahren ist, wie sich aus § 72 Abs. 1 S. 1 und 2 OWiG ergibt, der fehlende Widerspruch des Betroffenen und der Staatsanwaltschaft gegen diese Verfahrensweise. Einverständnis wird unterstellt, wenn die Beteiligten die ihnen eingeräumte Möglichkeit zum Widerspruch nicht nutzen. Diese Unterstellung wird jedoch wieder beseitigt, wenn einer der Beteiligten durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht einverstanden ist (vgl. OLG Düsseldorf VRS 62, 291; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 72 Rdnr. 13). Ob eine Widerspruchserklärung eines Betroffenen vorliegt, die das schriftliche Verfahren sperrt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, namentlich des wirklichen Willens des Betroffenen unter Berücksichtigung des Gebotes eines fairen Verfahrens festzustellen (Göhler, a.a.O., § 72 Rdnr. 14). Hierbei ist unter mehreren möglichen Erklärungsinhalten der für den Erklärenden günstigste anzunehmen (KK-Steindorf, OWiG, 2. Aufl., § 79 Rdnr. 13). Auch schlüssiges Verhalten reicht für die Annahme einer Widerspruchserklärung aus (Göhler, a.a.O., § 72 Rdnr. 16). Ein schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch Beschluss ist in jeder Äußerung des Betroffenen zu sehen, aus der hervorgeht, dass der Betroffene mit einer Entscheidung allein aufgrund des bis dahin aktenkundigen Sachverhalts nicht einverstanden ist, sondern vielmehr eine weitere Klärung des Tathergangs in einer Hauptverhandlung wünscht (BayObLG VRS 92, 425; OLG Hamm VRS 58, 46; OLG Hamm, Beschluss vom 03.07.2001 - 1 Ss OWi 545/2001 -). Von einem schlüssig erklärten Widerspruch ist daher auszugehen, wenn der Betroffene eine mündliche Verhandlung oder eine Überprüfung des Sachverhalts oder eine (ergänzende) Beweisaufnahme verlangt bzw. erkennbar anstrebt, ebenso, wenn er den im Bußgeldbescheid zugrunde gelegten Sachverhalt bestreitet (BayObLG und OLG Hamm a.a.O.; Göhler a.a.O., § 72 Rdnr. 16). Dadurch, dass der Betroffene in seiner Einspruchsschrift vom 19. Januar 2003 den im Bußgeldbescheid festgestellten Sachverhalt, was das Ausmaß der Kappung des Ahornbaumes betrifft, bestritten, die Notwendigkeit der Kappung der Baumkrone dargelegt und für seine diesbezüglichen Ausführungen Beweismittel (Fotos, Zeugnis von Augenzeugen) benannt hat, hat er konkludent und hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Klärung des Sachverhalts vor Gericht im Wege der Beweisaufnahme zur Entkräftung der gegenüber ihm erhobenen Vorwürfe für erforderlich erachtet. Damit lag ein stillschweigend erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren vor.
Dieser bereits vor Erhalt des gerichtlichen Hinweisschreibens nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG erklärte - stillschweigende - Widerspruch wurde nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betroffene auf den gerichtlichen Hinweis schwieg und die ausdrückliche Anfrage des Gerichts, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet ließ (vgl. KK-Senge, 2. Aufl., § 72 Rdnr. 23 m.w.N.). Ein bereits bei den Akten befindlicher - ausdrücklich oder konkludent erklärter - Widerspruch braucht nach Erhalt des Hinweisschreibens nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG nicht nochmals erklärt werden.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen.
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