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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 554/03 OLG Hamm

Leitsatz: Die Strafzumessung ist rechtsfehlerhaft, wenn im Rahmen der Strafzumessung bei einem bestreitenden Angeklagten auf die „bis heute völlig fehlende Reue und Einsicht des Täters in die Tat" abgestellt wird.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Strafzumessung, fehlende Einsicht und Reue, Verfahrensrüge

Normen: StGB 46, StPO 344, StPO 325, StPO 244

Beschluss: Strafsache
gegen L.S.
wegen Körperverletzung

Auf die Revision des Angeklagten vom 12. Juni 2003 gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. Juni 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 11. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gem. § 349 Abs. 2, 4 StPO beschlossen:

Das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. Juni 2003 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Strafrichter - Bochum hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EURO verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Dagegen wendet sich der Angeklagte nun noch mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Die Revision ist zulässig und hat auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Im Übrigen ist die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden.

1.
Die formellen Rügen haben keinen Erfolg. Sie sind nicht ausreichend i.S. des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet.

a) Der Angeklagte macht u.a. mit der Verfahrensrüge die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO geltend. Er sieht die Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass das Landgericht keinen medizinischen Sachverständigen zur Frage gehört habe, „wie stark der Angeklagte zugedrückt haben muss, damit noch 15 Minuten später „rote Flecken“ am Hals der Zeugin sichtbar sind.“. Diese Aufklärungsrüge ist nicht ausreichend begründet. Zur im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichenden Begründung der Aufklärungsrüge ist auch die Darlegung des Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung erforderlich (vgl. Senat in NZV 2002, 139; zur Begründung der Aufklärungsrüge im allgemeinen Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., 2003, § 244 Rn. 81 ff mit weiteren Nachweisen). Soweit der Angeklagte geltend macht, durch eine sachverständige Begutachtung hätten die „roten Flecken“ sachlich zutreffend bewertet werden können, lässt dieser Vortrag die Mitteilung eines konkret zu erwartenden Beweisergebnisse vermissen. Der Angeklagte teilt insoweit auch nicht mit, auf welcher Grundlage das vermisste Sachverständigengutachten überhaupt noch hätte erstattet werden können. Insoweit fehlt der Vortrag, dass die für eine (nachträgliche) Begutachtung erforderlichen Unterlagen, wie z.B. detaillierte Beschreibungen oder Fotoaufnahmen der „roten Flecken“, noch zur Verfügung stehen.

b) Der Angeklagte beanstandet weiter, dass § 261 StPO dadurch verletzt sei, dass das Landgericht im Urteil Feststellungen getroffen habe, die nicht durch die in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweismittel gewonnen wurden. Er rügt, dass die Feststellung, der Zeuge Sangmeister haben die roten Flecken festgestellt, nicht durch ein Beweismittel belegt worden sei, das Gegenstand der Hauptverhandlung war. Obwohl zur Begründung dieser Rüge die gemäß § 325 StPO verlesene Aussage des Zeugen Sangmeister zitiert wird, ist der Vortrag nicht ausreichend. Die erhobene Rüge ist nur zulässig, wenn auch dargelegt wird, dass der Beweisstoff nicht anderweitig in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist (vgl. u.a. BGH StV 1987, 421). Hierzu schweigt die Revisionsbegründung.

c) Die Revision rügt außerdem, dass das Landgericht gegen § 325 Halbs. 2 StPO verstoßen habe, indem es das Protokoll über die erstinstanzliche Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bochum hinsichtlich der Aussage des Zeugen Sangmeister ohne Zustimmung des Angeklagten verlesen habe. Auch diese Rüge ist nicht ausreichend begründet. Die Revision teilt zwar mit, dass die Aussage des Zeugen Sangmeister aus dem Protokoll der Hauptverhandlung beim Amtsgericht Bochum verlesen worden ist. Sie gibt außerdem die Aussage wörtlich wieder und verweist hinsichtlich der fehlenden Zustimmung auf das Schweigen des Sitzungsprotokolls (§§ 273, 274 StPO). Es fehlen jedoch Ausführungen dazu, dass die Verlesung nicht ausnahmsweise auch ohne Zustimmung hätte erfolgen können, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen des § 325 Halbs. 2 StPO nicht vorlagen (Meyer-Goßner, a.a.O.; § 325 Rn. 15). Nach § 325 Halbs. 2 StPO ist die Verlesung nämlich auch ohne Zustimmung des Angeklagten dann zulässig, wenn kein Antrag auf Ladung des Zeugen gestellt worden ist oder der Zeuge nicht geladen worden ist. Dazu macht die Revision jedoch keine Angaben.

d) Die Revision rügt schließlich noch mit einer weiteren Aufklärungsrüge, dass zur besseren Sachaufklärung statt der Verlesung der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Sangmeister gemäß § 325 StPO dessen persönliche Anhörung hätte erfolgen müssen. Diese Rüge scheitert schon daran, dass nicht vorgetragen wird, welches konkrete Beweisergebnis von der persönlichen Vernehmung dieses Zeugen zu erwarten gewesen wäre.

2.
Die Sachrüge hat nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg.

a) Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts vorzunehmende Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt hinsichtlich des Schuldspruchs Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung. Sie sind widerspruchsfrei und lückenlos, lassen Verstöße gegen Denkgesetzte nicht erkennen und begegnen hinsichtlich ihrer rechtlichen Bewertung keinen Bedenken. Insoweit war die Revision daher entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

b) Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

Das Landgericht hat zur Strafzumessung Folgendes ausgeführt:

„Die Kammer ist bei der Verhängung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verblieben. Bei der Strafzumessung hat die Kammer keine Veranlassung gesehen, die Strafe, die das Amtsgericht verhängt hat, zu mildern. Eine reformatio in peius ist ausgeschlossen. Zu Gunsten des Angeklagten konnte berücksichtigt werden, dass er bisher nur einmal vorbestraft worden ist und die dort verhängte Bewährungsstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen werden konnte. Zu Gunsten des Angeklagten wurde weiterhin berücksichtigt, dass die Körperverletzung nur geringfügige Auswirkungen für das Opfer hatte. Sie litt zwar noch einige Zeit nach der Tat unter Hautrötungen und Angst und Schrecken, ein Dauerschaden ist aber nicht eingetreten. Es handelte sich auch nicht um eine geplante Tat, sondern um eine spontane Handlung des Angeklagten, zu der er sich in seiner Erregung hinreißen ließ. Zu Lasten des Angeklagten musste berücksichtigt werden, dass er sich ein junges Mädchen als Opfer ausgesucht hat, das von ihm keinerlei Angriff körperlicher Art erwartet hatte und das nur seine mietvertraglichen Rechte ihm gegenüber im Gesprächswege geltend machen wollte. Im Hinblick auf die bis heute völlig fehlende Reue und Einsicht des Täters in die Tat hat die Kammer wie das Amtsgericht eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen a 10 Euro für ausreichend, aber auch angemessen erachtet. Die Tagessatzhöhe hat das Gericht geschätzt.“

Diese Strafzumessungserwägungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft:

Zu beanstanden ist zunächst, dass die tatrichterlichen Erwägungen teilweise widersprüchlich sind. Denn einerseits hält die Kammer dem Angeklagten zu Gute, dass es sich „nicht um eine geplante Tat, sondern um eine spontane Handlung des Angeklagten, zu der er sich in seiner Erregung hinreißen ließ“ gehandelt hat. Zu seinen Lasten berücksichtigt sie dann aber, „dass er sich ein junges Mädchen als Opfer ausgesucht hat“. Insoweit kann allerdings dahinstehen, ob allein schon dieser Rechtsfehler zur Aufhebung des angefochtenen Urteils geführt hätte oder ob es sich nur um ein Formulierungsversehen gehandelt und der Tatrichter gemeint hat, dass sich die Tat gegen ein junges Mädchen gerichtet hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass das Lebensalter des Opfers grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Strafzumessung haben kann.

Auf jeden Fall rechtsfehlerhaft ist es jedoch, wenn die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung bei dem bestreitenden Angeklagten auf die „bis heute völlig fehlende Reue und Einsicht des Täters in die Tat“ abstellt. Das lässt besorgen, dass sie dem Angeklagten sein zulässiges Verteidigungsverhalten straferschwerend zugerechnet hat (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl. § 46 Rn. 29 c). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen auf diesem Rechtsfehler beruht.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich empfehlen dürfte, nähere/weitere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen. Die Grundlagen einer Schätzung sind nachvollziehbar darzulegen (vgl. Beschluss des Senats vom 2. November 1999, 2 Ss 699/99, veröffentlicht in StraFo 2001, 19 = http://www.burhoff.de zuletzt Senat im Beschluss vom 22. 9. 2003, 2 Ss 425/03, http://www.burhoff.de)


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