Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 848/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: falscher Sachverständiger, mehrere Betäubungsmittel, Toxikologe, Psychiater, Schuldunfähigkeit

Beschluss: Strafsache gegen M.I-St.,
wegen Straßenverkehrsgefährdung.

Auf Revision der Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 14.01.1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.01.2000 nach Anhörung des Generalstaatsanwalts gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe: Das Amtsgericht Steinfurt hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Führen eines Kraftwagens unter Einfluss berauschender Mittel in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und angeordnet, dass ihr die Verwaltungsbehörde vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf.
Die Strafkammer hat die Berufung der Angeklagten verworfen. Sie hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
"Am Abend des 03.05.1998 fuhr die Angeklagte, die keine Fahrerlaubnis besaß und besitzt, mit ihrem PKW Opel-Kadett, amtliches Kennzeichen MS-xx, von Münster nach Ahaus, um einen Bekannten zu besuchen, den sie in einer früheren stationären Drogenentzugsbehandlung kennengelernt hatte. Den auf seinen Namen zugelassenen PKW hatte ihr Vater, der von der im Jahre 1996 erfolgten Entziehung der Fahrerlaubnis nichts wusste, ihr zur Verfügung gestellt, als er sich einen neuen PKW anschaffte.
Während ihres Aufenthalts in Ahaus nahm die Angeklagte zusammen mit dem Bekannten Kokain zu sich, ferner in erheblicher Dosierung Diazepam und Oxazepam sowie Methadon, mit welchem sie seit Jahren substituiert wird.
Am Vormittag des 04.05.1998 wollte sie nach Münster zurückfahren. Infolge des Zusammenwirkens der von ihr genommenen Rauschmittel war sie nicht in der Lage, ein Fahrzeug sicher zu führen. Das hätte sie bei sorgfältiger Beobachtung ihres körperlichen Zustands auch erkennen und die Fahrt unterlassen oder wenigstens abbrechen können und müssen, als sie Orientierungsschwierigkeiten bemerkt und sich in Ahaus mehrfach verfahren hatte. Es ist möglich, dass ihre Fähigkeit, gegenüber den Antrieben zur Heimfahrt Hemmungen zu bilden, erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert gewesen ist.
Gegen 10.56 Uhr befuhr die Angeklagte die Bundesstraße 64 im Raume Ochtrup in Richtung Münster. Vor ihr fuhr der Zeuge B. mit einem PKW Citroen, amtliches Kennzeichen BN-AV 331, mit einer Geschwindigkeit von rund 110 km/h. Diesen PKW nahm die Angeklagte aufgrund des Einflusses der Rauschmittel nicht wahr. Sie fuhr mit deutlich höherer Geschwindigkeit auf ihn auf. Der Wagen des Zeugen B. geriet ins Schleudern und nach links über die Gegenfahrbahn hinweg mit dem Heck gegen die Schutzplanken. Das Fahrzeug der Angeklagten kam ebenfalls ins Schleudern und stieß zweimal gegen einen im Gegenverkehr herannahenden LKW, der von dem Zeugen Tekampe gesteuert wurde, und anschließend gegen die rechte Leitplanke. Beide PKW wurden zerstört, die beteiligten Fahrer verletzt. Der Zeuge B. erlitt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule, die Angeklagte einen Bruch des Brustbeins und der Zeuge T. eine Schulterzerrung, als er beim Aussteigen ins Leere trat, weil das Trittbrett des LKW abgerissen war. Der Zeitwert des PKW B. betrug 2.100,00 DM. An den von dem Zeugen mitgeführten Sachen entstanden Schäden von mehr als 20.000,00 DM. Feststellungen zur Höhe der Schäden an dem LKW und der Straßeneinrichtung sind nicht getroffen worden.
Der Angeklagten wurde um 12.53 Uhr eine Blutprobe entnommen, die keinen Alkohol, aber 190 ng/g pro Gramm Diazepam, 56 ng/g pro Gramm Desmethyldiazepam, 2740 ng/g pro Gramm Oxazepam, knapp 10 ng/g pro Gramm Kokain und 1146 ng/g pro Gramm Benzoylecgonin, das Abbauprodukt des Kokains, sowie 49 ng/g pro Gramm Methadon enthielt."
In der Hauptverhandlung hat die Strafkammer zu dem Unfallgeschehen und seinem Vorfeld die Angeklagte vernommen, das Protokoll über die erstinstanzlichen Aussagen der Zeugen B., E. und T. gemäß § 325 StPO verlesen und eine Toxikologin als Sachverständige gehört. Zu den Ausführungen der Sachverständigen hat die Kammer folgendes im Urteil niedergelegt:
"Die Sachverständige Dr. K. hat die von ihr bzw. unter ihrer Aufsicht und Verantwortung festgestellten chemischen Befunde dargestellt und weiter ausgeführt, das Benzoylecgonin sei ein Metabolit des Kokain. Dieses selbst werde recht schnell abgebaut und sei nach vier bis fünf Stunden weg. Der Metabolit habe keine pharmakologische Wirkung. Der Befund von Kokain von knapp 10 ng/g pro Gramm sei niedrig. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache das zwischen dem Unfall und der Blutentnahme rund zwei Stunden lägen, könne man nicht sicher feststellen, dass die Angeklagte noch unter akutem Kokaineinfluss gestanden habe. Wenn ihre Einlassung zutreffe, dass sie die Gesamtmenge am Vorabend genommen habe, müsse diese jedoch erheblich gewesen sein. Die Angeklagte habe sich jedoch in der Spätphase der Kokainwirkung befunden. In der ersten Phase wirke Kokain euphorisch, in der zweiten Phase disphorisch. Der Konsument sei müde, erschöpft und häufig von Depressionen erfasst.
Die Benzodiazepine, sowohl das Diazepam wie auch das Oxazepam, seien stark wirkende Psychopharmaka. Sie würden in therapeutischer Dosierung zur Dämpfung, zur Bekämpfung von chronischer Angst, von Depressionen angewandt. Hier sei Missbrauch häufig, weil sie bei der zweiten Phase des Kokainrausches hilfreich seien.
Die von ihr festgestellten Konzentrationen von Diazepam bzw. seinem Hauptabbauprodukt lägen im therapeutischen Bereich, diejenige von Oxazepam deutlich darüber. Die Konzentration des Methadons, das zur Bekämpfung des Heroinhungers bei davon Abhängigen benutzt werde, liege im therapeutischen Bereich. Zwischen allen drei Chemikalien bestehe, wenn sie gleichzeitig genommen würden, ein starkes Wechselspiel, das auch erheblich in die Verkehrstüchtigkeit einwirke. Sowohl die Benzodiazepine wie auch das Methadon führten zu einem reduzierten Allgemeinzustand, zur Reduzierung der Aufmerksamkeit, zu Müdigkeit und zur allgemeinen Verlangsamung, damit auch der Reaktionsfähigkeit. Solche Befunde seien ja auch von dem Arzt bei den Entnahme der Blutprobe noch erhoben worden. Insbesondere sei die Fähigkeit zur geteilten Aufmerksamkeit (zwei Dinge gleichzeitig zu beachten) unterdrückt. Der Betreffende könne nur noch an eine Sache denken und an nichts anderes.
Der Unfallhergang lasse sich aus toxikologischer Sicht mit dem Grad der Vergiftung des Körpers der Angeklagten zwanglos erklären."
Aufgrund "dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme" ist die Kammer zu der "Überzeugung von der Richtigkeit der von ihr getroffenen Feststellungen"' gekommen. Die Einlassung der Angeklagten, sie habe während des Auffahrunfalls weg- und zu ihren rechts neben ihr liegenden Süßigkeiten geschaut, hat die Strafkammer aufgrund der Beobachtungen des Zeugen Buße als widerlegt erachtet.
Die Strafkammer wertet die getroffenen Feststellungen als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung durch Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von anderen berauschenden Mitteln (als Alkohol) gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und zugleich - § 52 StGB - als vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil zweier Menschen gemäß § 230 StGB.
Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten mit näher ausgeführten Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Wie die Revision mit der in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 StPO) erhobenen Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO zu Recht geltend macht, ergeben sich aus den Feststellungen der Strafkammer Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte bei Begehung der ihr zur Last gelegten Tat möglicherweise wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Im Hinblick auf die Beurteilung dieser Frage hätte es sich der Kammer aufdrängen müssen von Amts wegen aufzuklären, ob das Einsichts- oder Steuerungsvermögen der Angeklagten im Tatzeitraum möglicherweise nicht nur erheblich vermindert, sondern ausgeschlossen war. Die Kammer hat festgestellt, dass die Angeklagte den vor ihr fahrenden PKW des Zeugen B.aufgrund des Einflusses der von ihr konsumierten Rauschmittel nicht wahrgenommen hat. Bei einer derart massiven Ausfallserscheinung drängt sich die Abklärung und nähere Erörterung der Frage auf, ob die Angeklagte trotz der Wirkung der Rausch- und Arzneimittel überhaupt in der Lage war, ihre vor dem Unfall in Ahaus vorgekommenen "Orientierungsschwierigkeiten" zu erkennen und dementsprechend die Weiterfahrt zu unterlassen. Ohne nähere Aufklärung ist jedenfalls nicht ausschließbar, dass sich der Konsum der Betäubungsmittel und der Medikamente auf das Einsichts- oder Steuerungsvermögen der Angeklagten so sehr ausgewirkt haben, dass sie sowohl bei Fahrtantritt als auch im weiteren Verlauf der Heimfahrt schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen ist. Dahingehende Ermittlungen, unter anderem unter Zuhilfenahme eines dafür zuständigen Sachverständigen, lagen auf der Hand. Die Sachverständige Frau Dr. rer. nat. K. - Toxikologin am Institut für Rechtsmedizin der Universität Münster -, die in der Hauptverhandlung über die chemischtoxikologische Untersuchung des der Angeklagten nach dem Unfall entnommenen Blutes gehört worden ist, hat aber nicht die für die Beurteilung von Art und Umfang der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit der Angeklagten im konkreten Fall erforderliche Sachkunde. Sie hat die Wirkung der von der Angeklagten eingenommenen Substanzen in allgemeinchemischer Hinsicht erklärt. Erforderlich war aber, dass sich die Kammer nähere Erkenntnisse über die physische und psychische Verfassung der Angeklagten im konkreten Fall und über die Auswirkungen der mehreren Substanzen in ihrer Kombination auf die geistig-seelischen Vorgänge bei der Angeklagten verschaffte. Auf diesem Aufklärungsmangel beruht das Urteil, weil nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer nach Anhörung eines psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigen möglicherweise dazu gekommen wäre, dass die Schuldunfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit nicht auszuschließen ist.
Darüber hinaus liegt auch ein sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils darin, dass es sich mit der Möglichkeit der Aufhebung der Schuldfähigkeit der Angeklagten ungeachtet der sich aus den bereits jetzt getroffenen Feststellungen ergebenden Hinweise mit keinem Wort auseinandersetzt. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit dieser Frage stellt bei der gegebenen Sachlage einen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es geboten sein dürfte, die Unfallzeugen persönlich sowie auch zu etwaigen Auffälligkeiten im Verhalten der Angeklagten zu hören, um eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für die Bewertung der Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten zu gewinnen. Insoweit kann es auch geboten sein, den Arzt zu hören, der nach dem Unfall die Blutentnahme bei der Angeklagten durchgeführt hat.
Sollten die Voraussetzungen des § 20 StGB, nicht jedoch diejenigen des § 21 StGB auszuschließen sein, so wird bei der Strafzumessung zu erörtern sein, ob von der Strafmilderungsmöglichkeit des § 49 StGB Gebrauch zu machen ist.
Auch wird es im Falle einer Verurteilung der Angeklagten auch näherer Darlegung bedürfen, ob der Angeklagten die Körperverletzung des Zeugen T., der beim Aussteigen aus dem LKW ins Leere trat, weil das Trittbrett des LKW abgebrochen war, noch in objektiver und subjektiver Hinsicht zuzurechnen ist. Schließlich ist anzumerken, dass mit Wirkung vom 01.04.1998 an die Stelle von § 230 StGB (a.F.) der § 229 StGB getreten ist.
Wegen der aufgezeigten Rechtsmängel war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".