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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ss 319/03 OLG Hamm

Leitsatz: Es entspricht der überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass grundsätzlich eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die Feststellung voraussetzt, dass die Tatzeit-BAK mindestens 0,3 o/oo beträgt. Allerdings kann in Ausnahmefällen auch bei einer Blutalkoholkonzentration unter 0,3 o/oo eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit angenommen werden, wenn sich diese aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sonstigen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat beziehen, ergibt.

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: relative Fahruntüchtigkeit; Alkoholisierung; Blutalkoholkonzentration;

Normen: StGB 316; StGB 315 c, StGB 142, StPO 267

Beschluss: Strafsache
gegen J.S.
wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.

Auf die Revision des Angeklagten vom 16. Januar 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 15. Januar 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 09. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Siegen hat den Angeklagten am 15. Januar 2003 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit zu einer Unfallflucht in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,- € verurteilt. Zugleich wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen. Die Verwaltungsbehörde ist angewiesen worden, dem Angeklagten vor Ablauf von fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am Vortag der Tat trank der Angeklagte abends bis ca. 23.00 Uhr mehrere Flaschen Bier und zwei doppelte Klare. Am Morgen des 11. März 2002 fuhr der Angeklagte von seinem Wohnort zu einem Kunden in Wilnsdorf. Er nahm vor der Arbeit zunächst ein Frühstück zu sich, wobei er mindestens eine Flasche Bier trank. Sodann machte er sich auf den Weg mit dem PKW zu einem anderen Kunden nach Burbach, um dort ein in Wilnsdorf benötigtes Ersatzteil zu holen. Gegen 7.50 Uhr befuhr er mit einem Personenkraftwagen der Marke Daimler-Chrysler (Kennzeichen: XXXXX) in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die Hagener Straße aus Richtung Siegen kommend in Fahrtrichtung Haiger. In Höhe einer auf der rechten Seite befindlichen Bäckerei fuhr er infolge seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit auf den PKW der Zeugin S. auf und verursachte dabei einen Schaden in Höhe von 641,60 €. Die vor ihm fahrende Zeugin S. fuhr dabei kein „Stop und Go“, sondern blieb aufgrund des Gegenverkehrs hinter den teilweise auf der Straße geparkten Fahrzeugen stehen. Aufgrund seiner alkoholbedingten verringerten Reaktionsfähigkeit schaffte es der Verurteilte nicht mehr, sein Fahrzeug ebenfalls zum Stillstand zu bringen. Nach dem Auffahrunfall stieg der Angeklagte zunächst aus, um sich den entstandenen Schaden anzusehen. Der Angeklagte und die Zeugin S. wechselten einige Worte über den Unfall. Der Zeugin S. fiel auf, dass der Angeklagte keinen sicheren Gang hatte und sich auch nicht klar artikulierte. Dabei war der Angeklagte bemüht hochdeutsch zu sprechen. Als er sich den Schaden an der Stoßstange betrachtete, hatte er in der Hocke keinen sicheren Stand. Die Zeugin S. rief aufgrund der von ihr bemerkten Alkoholisierung des Angeklagten den Zeugen O. an. Dieser befand sich im Zeitpunkt des Unfalls am Arbeitsplatz der Zeugin S., der nur wenige Meter vom Unfallort entfernt lag. Der Zeuge O. kam zur Unfallstelle und betrachtete sich den Schaden am Fahrzeug der Zeugin S.. Er riet aufgrund seines Eindrucks vom Angeklagten die Polizei zu rufen. Die Zeugin S. verständigte die Polizei über ihr Mobiltelefon. In diesem Augenblick ging der Angeklagte zu seinem Fahrzeug zurück, stieg ein und verließ den Unfallort. Er teilte den Zeugen hierfür keinen Grund mit. Dann fuhr er mit seinem Fahrzeug zunächst weiter nach Burbach und sodann zurück nach Wilnsdorf. Dabei war ihm bei der Weiterfahrt bewusst, dass er alkoholbedingt fahrunsicher war. Durch die telefonische Mitteilung des Prokuristen der Firma S. GmbH, Neustadt/Wied, die Halter des vom Angeklagten beim Unfall gefahrenen Fahrzeuges ist, konnte der Angeklagte als Fahrer des Fahrzeugs ermittelt werden. Durch die Polizeiwache in Königswinter wurde der Angeklagte gegen 17.10 Uhr zu Hause aufgesucht. Zum Zeitpunkt des Eintreffens der Polizisten schlief der Angeklagte. Ein gegen 17.14 Uhr durchgeführter Alkoholtest mit dem Dräger 7410, Geräte-Nr. 423 ergab ein Ergebnis von 1,20 mg/l. Daraufhin wurde eine Blutprobe angeordnet. Die um 18.45 Uhr entnommene Blutprobe hatte eine Blutalkoholkonzentration von 2,45 o/oo ergeben, die um 18.55 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 2,39 o/oo.“

Das Amtsgericht ist aufgrund der Aussagen der Zeugin S. sowie des Zeugen O. und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. vom Rechtsmedizinischen Institut Bonn davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Unfalls zumindest relativ fahruntüchtig war. Der Sachverständige Dr. S. hatte dargelegt, dass beim Angeklagten auch bei Zugrundelegen eines Alkoholkonsums von nur einer 0,5-l-Flasche Bier zum Frühstück ein Blutalkoholspiegel von mindestens 0,25 bis 0,32 o/oo vorgelegen habe. Aufgrund der unsicheren Angaben des Angeklagten über den am Vortag erfolgten Vortrunk sowie den nach dem Vorfall erfolgten Nachtrunk sei eine genauere Bestimmung des Blutalkohols nicht möglich. Darüber hinaus hat der Sachverständige den erfolgten Auffahrunfall als typisch alkoholbedingten Fahrfehler bezeichnet. Das Amtsgericht ist diesen Feststellungen des Sachverständigen gefolgt und hat ausgeführt, dass selbst bei Unterstellung der wenig nachvollziehbaren Einlassung des Angeklagten, die Zeugin S. sei „Stop und Go“ gefahren, das Auffahren auf das Fahrzeug der Zeugin als alkoholbedingt anzusehen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Angeklagte das Fahrzeug nach einem kurzen Wiederanfahren nicht wieder durch ein Bremsen zum Stehen habe bringen können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er ist der Auffassung, dass eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit stets voraussetze, dass bei dem Täter zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 o/oo feststellbar sei. Dies sei indes nicht der Fall. Darüber hinaus seien die vom Amtsgericht benannten Beweisanzeichen für eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit nicht ausreichend.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und Trunkenheit im Straßenverkehr hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Amtsgerichts rechtfertigen nicht die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit.

Ein Kraftfahrer ist fahruntüchtig i.S.d. § 316 StGB, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistiger, seelischer oder körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (BGHSt 13, 83, 90). Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest. Es hat dabei zu berücksichtigen, dass nach gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ein Kraftfahrer bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 o/oo absolut fahruntüchtig ist (BGHSt 37, 89, 91). Bei einer geringeren Blutalkoholkonzentration muss der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit aufgrund zusätzlicher Tatsachen geführt werden, wobei die an die konkreten Ausfallerscheinungen zu stellenden Anforderungen umso geringer sind, je höher die Blutalkoholkonzentration und je günstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt des Angeklagten sind (BGHSt 31, 42). Dabei entspricht es überwiegender Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass grundsätzlich eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die Feststellung voraussetzt, dass die Tatzeit-BAK mindestens 0,3 o/oo beträgt (Tröndle/Fischer, StGB,
51. Aufl., § 316 Rdnr. 7; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 15; Köln NZV 1989, 357 m.w.N.). Allerdings kann in Ausnahmefällen auch bei einer Blutalkoholkonzentration unter 0,3 o/oo eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit angenommen werden, wenn sich diese aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sonstigen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat beziehen, ergibt. Dabei sind aber an die einzelnen Beweisanzeichen für die alkoholbedingte Fahrunsicherheit und an die Gesamtwürdigung strenge Anforderungen zu stellen (OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000, 12; BayObLG StVE Nr. 94 zu § 316 StGB).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass zum Tatzeitpunkt aufgrund des vom Angeklagten eingeräumten Konsums von 0,5 l Bier zum Frühstück eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,25 bis 0,32 o/oo bestand. Weitere Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration vermochte das Amtsgericht aufgrund der unsicheren Angaben des Angeklagten am Alkoholkonsum zum Vorabend nicht zu treffen. Die weiteren Feststellungen des Amtsgerichts rechtfertigen unter diesen Umständen aber nicht die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit. Zwar ist das Amtsgericht davon ausgegangen, bei dem durch den Angeklagten verursachten Auffahrunfall handele es sich um einen alkoholtypischen Fehler. Eine regelwidrige Fahrweise kann auch grundsätzlich auf eine alkoholbedingte Ausfallerscheinung zurückzuführen und deshalb ein wesentliches Beweisanzeichen für eine Fahrunsicherheit sein. Da Fahrfehler aber auch bei nüchternen Kraftfahrern zu beobachten sind, ist insoweit entscheidend, ob das konkrete Verhalten erfahrungsgemäß häufiger - typischerweise - bei alkoholisierten Fahrern vorkommt und deshalb der Schluss gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte sich in nüchternem Zustand anders verhalten hätte, als er es tatsächlich getan hat (OLG Köln NZV 1995, 454). Die Feststellungen des Amtsgerichts rechtfertigen vorliegend aber nicht die Annahme, bei dem Auffahrunfall handele es sich um einen typischen alkoholbedingten Fahrfehler, da unter Berücksichtigung des festgestellten Fahrverhaltens der Zeugin S., die aufgrund des Gegenverkehrs hinter teilweise auf der Fahrbahn abgestellten Fahrzeugen ihr Fahrzeug anhielt, ein solcher Fahrfehler auch von einem nüchternen Kraftfahrer begangen werden kann. Es fehlen Ausführungen dazu, ob der Angeklagte aufgrund der verbleibenden Durchfahrbreite der Straße davon ausgehen konnte, die Zeugin S. werde trotz Gegenverkehrs an dem auf der Straße befindlichen Hindernis vorbeifahren. Auch ist nicht beschrieben, wie weit der Gegenverkehr noch entfernt war, als die Zeugin ihr Fahrzeug anhielt. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, dass der Fahrfehler dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung nicht unterlaufen wäre. Angesichts dessen reichen die weiteren, vom Amtsgericht festgestellten Ausfallerscheinungen, der Angeklagte habe keinen sicheren Gang gehabt und habe sich nicht klar artikulieren können, allein zur Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit nicht aus, weil diese zu ungenau sind.

Angesichts dessen war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen zurückzuverweisen. Dabei unterliegt das Urteil auch hinsichtlich der Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort der Aufhebung. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort steht in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr. Wegen ein und derselben Tat i.S.d. § 52 StGB kann aber die Entscheidung nur einheitlich ergehen, da insoweit eine Teilbarkeit nicht gegeben ist.

Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat verwehrt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bezüglich der Alkoholisierung des Angeklagten weitere Feststellungen getroffen werden können. Das Amtsgericht wird zu prüfen haben, ob nicht bezüglich der Menge des am Vorabend konsumierten Alkohols und bezüglich des Trinkendes weitere Feststellungen möglich sind. Nicht ausschließbar kann insoweit auch auf Angaben, die der Angeklagte bei der Blutentnahme gemacht hat, zurückgegriffen werden.


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