Aktenzeichen: 3 Ss OWi 182/03 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Verstößt der Fahrzeugführer auf einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften, so handelt es sich selbst bei Gleichartigkeit dieser Verkehrsordnungswidrigkeiten regelmäßig um jeweils selbständige Handlungen i.S.d. § 20 OWiG und nicht insgesamt um ein tateinheitliches Geschehen nach § 19 OWiG.
2. Das tatrichterlicher Urteil muss Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten, damit es dem Rechtsbeschwerdegericht möglich ist zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbotes etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine möglicherweise unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt
Senat: 3
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: mehrere Verkehrsverstöße, gleichartige Verkehrsverstöße auf einer Fahrt, Umfang der Feststellungen, persönliche Verhältnisse
Normen: OWiG 19, OWiG 20, BKatVO 4
Beschluss: Bußgeldsache
gegen J.F.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 20.11.2002 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 6. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen :
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Minden vom 20.11.2002 wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 100,- verurteilt worden. Außerdem wurde gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Betroffene hat eingeräumt, am 08.04.2002 gegen 12.09 Uhr auf der BAB 2 in Bad Oeynhausen, Km 296,950, Fahrtrichtung Dortmund im dortigen Höchstgeschwindigkeitsbereich von 100 km/h mit 155 km/h mit dem Fahrzeug XXXXXXXXXX gefahren zu sein. Unter Abzug eines Toleranzwertes von 5 km/h liegt somit eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h vor. Gemessen wurde die Geschwindigkeit mit dem Messgerät, Zulassungszeichen 18.11/84.64, Typ MU VR 6F, Bedienungsgerät-Nr. 11-86-181, Eichung vom 18.01.2002 bis 31.12.2003.
Um 12.01 Uhr befuhr der Betroffene die gleiche BAB aus Richtung Hannover kommend im Bereich der Gemarkung Rinteln, Landkreis Schaumburg. Höhe Kilometer 276,450 wurde er mit einer Überschreitung von 61 km/h (unter Beachtung des Toleranzwertes) gemessen. Gegen ihn wurde unter dem Aktenzeichen 01.11215.211761.4 ein Bußgeldbescheid in Höhe von 275,00 Euro mit einem Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.
Dieser Bußgeldbescheid ist noch nicht rechtskräftig.
Im Bereich von km 283,800 bis 287,200 in Fahrtrichtung Oberhausen befindet sich eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h bzw. 100 km/h.
Entsprechende Verkehrszeichen sind an folgenden Standorten vorhanden:
km 282,500 Zeichen 274-62, km 282,700 Zeichen 274-60, km 283,500 Zeichen 274 -60, km 284,800 Zeichen 274-62, km 286,270 Zeichen 274-62, km 287,200 Zeichen 282. Zwischen der Anschlussstelle Porta Westfalica und dem Autobahnkreuz Bad Oeynhausen war die Geschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt. Verkehrszeichen waren wie folgt aufgestellt:
km 295,100, km 295,300, km 295,700, km 296,750.
Die Vorfallorte liegen 20 Kilometer auseinander. Die Messungen erfolgten auf einer zusammenhängenden Fahrt.
Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, der Betroffene könne wegen der um 12.09 Uhr am 08.04.2002 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung gesondert zur Verantwortung gezogen werden, da dieser Verkehrsverstoß und die weitere Geschwindigkeitsüberschreitung vom selben Tag um 12.01 Uhr, die dem Betroffenen mit dem Bußgeldbescheid des Landkreises Schaumburg zur Last gelegt werde, im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stünden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt und geltend gemacht wird, entgegen der Ansicht des Amtsgerichts seien die beiden dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen als eine einheitliche Tat anzusehen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Die Überprüfung des Schuldausspruchs des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Auffassung des Amtsrichters, der durch den Betroffenen um 12.09 Uhr am 08.04.2002 begangene Geschwindigkeitsverstoß und die weitere dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung, die dieser am selben Tag um 12.01 Uhr begangen haben soll, stünden nicht im Verhältnis der Tateinheit zueinander, nicht zu beanstanden. Verstößt der Fahrzeugführer auf einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften, so handelt es sich selbst bei Gleichartigkeit dieser Verkehrsordnungswidrigkeiten regelmäßig um jeweils selbständige Handlungen i.S.d. § 20 OWiG und nicht insgesamt um ein tateinheitliches Geschehen nach § 19 OWiG (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 870 sowie Beschluss des 5. Senats für Bußgeldsachen des OLG Hamm vom 09.01.2002 - 5 Ss OWi 1108/01 -, jeweils m.w.N.). Auch im vorliegenden Verfahren ist hinsichtlich der beiden dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstöße von jeweils selbständigen Handlungen auszugehen. Nach den Urteilsfeststellungen endete die Geschwindigkeitsbeschränkung, gegen die der Betroffene am Tattage gegen 12.01 Uhr verstoßen haben soll, spätestens bei Kilometer 287,200, da an dieser Stelle das Zeichen 282 aufgestellt war. Es schloss sich sodann eine längere Fahrstrecke an, die keiner Geschwindigkeitsbegrenzung unterlag. Erst bei Kilometer 295,100 wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit erneut begrenzt, und zwar auf 100 km/h. Es handelte sich daher um zwei unterschiedliche Geschwindigkeitsbegrenzungen, für die von dem Betroffenen jeweils eine gesonderte Überprüfung und Entscheidung abverlangt. Es lässt sich vorliegend daher nicht feststellen, dass die beiden dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstöße auf eine einzige Willensbetätigung zurückzuführen sind. Sie stellen sich auch nicht als eine natürliche Handlungseinheit dar. Eine solche ist gegeben, wenn mehrere Verhaltensweisen in einem solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten objektiv als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., vor § 19 Rdnr. 3). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich hier angesichts des nicht unerheblichen Streckenabschnittes zwischen den beiden Geschwindigkeitsbeschränkungen, der eine deutliche Zäsur darstellt, nicht bejahen.
Der Rechtsfolgenausspruch hält allerdings einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um die Anordnung des Fahrverbotes rechtfertigen zu können. Das angefochtene Urteil enthält nämlich keinerlei Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen. Damit ist es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbotes etwa wegen besonderer Umstände in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine möglicherweise unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt. Die Notwendigkeit, hierzu Feststellungen zu treffen, entfällt auch nicht deshalb, weil der Regelfall des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV vorliegt. Denn gemindert ist in solchen Fällen für den Tatrichter allein der notwendige Begründungsaufwand (vgl. Senatsbeschluss vom 26.11.2002 - 3 Ss OWi 674/02 -; OLG Hamm, Beschluss vom 09.11.1999 - 4 Ss OWi 1061/99 -, veröffentlicht in DAR 2000, 130, m.w.N.).
Darüber hinaus lässt das angefochtene Urteil auch Ausführungen zu § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG vermissen, obwohl nach den Urteilsfeststellungen gegen den Betroffenen in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit und auch bis zu der in dem vorliegenden Verfahren getroffenen Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot gegen den Betroffenen jedenfalls nicht rechtskräftig verhängt worden ist. Der Bußgeldbescheid des Landkreises Schaumburg, mit dem gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt worden war, stand einer Anwendung des § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG nicht entgegen, da er nach den Urteilsfeststellungen noch nicht rechtskräftig war. Für die Berechnung der 2-Jahres-Frist ist nicht der Zeitpunkt der früheren, ein Fahrverbot anordnenden Entscheidung, sondern deren Rechtskraft entscheidend (vgl. BGH NJW 2000, 2685).
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