Aktenzeichen: 2 Ss OWi 327/03 (56) OLG Hamm
Leitsatz: Bestehen hingegen Zweifel an der Eignung des Lichtbildes als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers, muss der Tatrichter im Urteil nähere Angaben zur Feststellung der Identität machen
Senat: 2
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Täteridentifierung; Lichtbild; Geeignetes Lichtbild; Bezugnahme
Normen: StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen S.S.
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 18. Oktober 2002 gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 17. Oktober 2002 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 05. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 S. 1, Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den ihm zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Herne-Wanne zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Herne-Wanne hat gegen die Betroffene durch Urteil vom 17. Oktober 2002 wegen einer am 28. August 2001 in Herne-Wanne auf der Bundesautobahn A 42 in Fahrtrichtung Dortmund fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 64 km/h eine Geldbuße von 350 sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.
Die Betroffene hat sich nicht zur Sache eingelassen. Das Amtsgericht hat sie anhand von dem Verkehrsverstoß gefertigter Lichtbilder als Fahrerin zum Vorfallszeitpunkt identifiziert. Dazu hat es folgendes ausgeführt:
Ferner steht zur sicheren Überzeugung des Gerichts fest, dass die Betroffene Fahrerin des betreffenden Fahrzeugs zum Tatzeitpunkt war. Die auf Bl. 1 R d.A. befindlichen Fotos, die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen wurden und auf die hiermit ausdrücklich verwiesen wird (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO), sind so deutlich, dass sie zur Identifizierung der Betroffenen uneingeschränkt geeignet waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des amtsgerichtlichen Urteils wird auf dessen Gründe Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herne-Wanne zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist auch in der Sache zumindest vorläufig Erfolg beschieden. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen, die zur Aufhebung und zur Zurückverweisung führen.
Zwar steht der Verfolgung der am 28. August 2001 begangenen Ordnungswidrigkeit auch nach Auffassung des Senats das Verfahrenshindernis der Verjährung nicht entgegen, weil diese mehrfach unterbrochen worden ist. Die erste Unterbrechung wurde durch die Versendung eines Anhörungsschreibens an die Betroffene am 25. September 2001 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bewirkt. Die Anordnung der Versendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen als Halter eines Pkw unterbricht diesem gegenüber die Verfolgungsverjährung, wenn er wie hier der Ordnungswidrigkeit als Fahrer des Wagens beschuldigt wird und durch die Übersendung des Anhörungsbogens der Fahrer nicht nur erst ermittelt werden soll (OLG Hamm MDR 1981, 607; OLG Köln VRS 95, 119 m.w.N.). Die verjährungsunterbrechende Wirkung tritt auch dann ein, wenn die Anordnung der Absendung des Anhörungsbogens im Wege der Datenverarbeitung vollautomatisch nach einem von der Bußgeldbehörde vorprogrammierten Fristenplan abläuft (OLG Düsseldorf VRS 64, 455; OLG Köln VRS 66, 362, DAR 2000, 131 und NZV 1994, 78, 79; AG Freiburg NJW 1985, 2657). Zum Nachweis dieses Vorgangs reicht es aus, wenn der Tag der Anordnung oder Versendung des Anhörungsbogens wie geschehen in der Datenhaltung der Bußgeldbehörde vermerkt wird (OLG Brandenburg DAR 1997, 320). Die Verjährung ist des weiteren unterbrochen worden am 14. Dezember 2001 durch den Erlass des Bußgeldbescheids (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG), durch den die Verjährungsfrist gemäß § 24 Abs. 3 StVG zugleich von drei auf sechs Monate verlängert worden ist, und am 28. Februar 2002 sowie am 08. August 2002 durch Anberaumung einer Hauptverhandlung (§ 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG). Nach Verkündung des Urteils des ersten Rechtszugs ruht die Verfolgungsverjährung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (§ 32 Abs. 2 OWiG).
Die Feststellungen des Amtsgerichts Herne-Wanne tragen aber die Verurteilung der Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht.
Dass das Amtsgericht die Verurteilung lediglich auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit gestützt hat, begründet zwar bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens wie des hier benutzten für sich allein genommen keinen sachlich-rechtlichen Fehler des Urteils (BGHSt 39, 291, 303; BGHSt 43, 277). Auch begegnet es keinen Bedenken, wenn das Amtsgericht ohne weitere Begründung annimmt, dass für Zweifel an der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch das standardisierte Messverfahren keinerlei Veranlassung besteht. Über die Berücksichtigung von Messtoleranzen hinaus muss der Tatrichter sich nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (BGH a.a.O.; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2003 in 2 Ss OWi 1148/02, ferner in VRS 102, 218 = NZV 2002, 245 = DAR 2002, 226 = zfs 2002, 404 = VD 2002, 379; OLG Hamm NStZ 1990, 546). Diese sind jedoch nicht ersichtlich.
Das angefochtene Urteil wird aber den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an den Umfang der tatrichterlichen Ausführungen, wenn der Betroffene als Täter eines Verkehrsverstoßes anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes identifiziert wird, nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 41, 374 = NZV 1996, 157), der sich die Oberlandesgerichte angeschlossen haben (vgl. u.a. OLG Hamm DAR 1996, 245 = NStZ-RR 1996, 244; DAR 1996, 417 = NZV 1996, 466 = VRS 91, 369; zuletzt zfs 2000, 577; zu den Nachweisen aus der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung siehe Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rn. 47 a), darf der Tatrichter gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf ein zur Identifizierung geeignetes Foto verweisen. Handelt es sich dabei um ein qualitativ hochwertiges Foto, sind in der Regel keine weiteren Ausführungen zur Identitätsfeststellung erforderlich (OLG Hamm DAR 1996, 417; so auch BayObLG DAR 1999, 370). Das Rechtsbeschwerdegericht kann dann, da das Lichtbild durch die ordnungsgemäße Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe geworden ist, aus eigener Anschauung beurteilen, ob das Tatgericht zutreffend die Identität des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person festgestellt hat. Bestehen hingegen Zweifel an der Eignung des Lichtbildes als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers, muss der Tatrichter im Urteil nähere Angaben zur Feststellung der Identität machen (ständige Rechtsprechung der Bußgeldsenate des OLG Hamm, vgl. u.a. OLG Hamm NZV 1996, 466; so auch OLG Dresden DAR 2000, 279) und vor allem auch darlegen, warum er ungeachtet der schlechten Qualität des Lichtbildes den Betroffenen hat als Fahrer identifizieren können (Senat, Beschluss vom 18. November 2002 in 2 Ss Owi 927/02). Hierzu ist insbesondere dann Anlass gegeben, wenn das Gesicht des auf dem Foto abgebildeten Fahrzeugführers nicht vollständig erkennbar ist (OLG Hamm DAR 1996, 417).
Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Geeignetheit des von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes als Grundlage für eine Identifizierung der Betroffenen. Der Stirnbereich des Fahrers sowie die Haare sind durch eine Baseballkappe und deren Schirm weitgehend verdeckt. Dies gilt sowohl für das in normaler Größe in den Akten befindliche Lichtbild als auch für die davon hergestellten Ausschnittvergrößerungen. Zudem verdeckt der linke Unterarm des Fahrers die gesamte Mund- und Kinnpartie seines Gesichts. Diese schlechte Qualität der Beweisfotos machte Erörterungen im angefochtenen Urteil dazu erforderlich, warum der Tatrichter dennoch die Betroffene als Fahrer des Pkw erkannt hat (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Dazu hätte er ihr Aussehen beschreiben sowie einen Vergleich zwischen ihr und dem auf den Fotos abgebildeten Fahrer vornehmen müssen. Derartige Ausführungen enthält das angefochtene Urteil jedoch nicht.
Nach allem hat damit das Rechtsbeschwerdegericht keine Möglichkeit zu prüfen, ob der Tatrichter die Fahrereigenschaft der Betroffenen zutreffend festgestellt hat.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
Die tatrichterlichen Feststellungen ermöglichen dem Senat nicht, Feststellungen zur Verwertbarkeit der zu Lasten der Betroffenen berücksichtigten Voreintragung zu treffen. Es ist nicht erkennbar, ob die frühere Bußgeldentscheidung zum Zeitpunkt des Urteils am 17. Oktober 2002 bereits rechtskräftig oder wie von der Betroffenen vorgetragen schon tilgungsreif war. Denn die Urteilsgründe teilen lediglich den Tattag und die Höhe der verhängten Geldbuße mit, jedoch nicht das Datum des Erlasses des Bußgeldbescheids sowie das seiner Rechtskraft. Dies ist aber erforderlich, um dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit eine Prüfung zu ermöglichen (Senat, Beschluss vom 22. Januar 2003 in 2 Ss OWi 1148/02).
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