Aktenzeichen: 3 Ss OWi 1010/02 OLG Hamm
Leitsatz: Ein Sicherheitsabschlag von 3 % bei Messwerten
über 100 km/h gleicht alle möglichen Betriebsfehlerquellen aus. Ein
darüber hinaus gehender Sicherheitsabschlag ist rechtsfehlerhaft
Senat: 3
Gegenstand:
Rechtsbeschwerde
Stichworte:
Geschwindigkeitsüberschreitung, Sicherheitsabschlag, Toleranzabzug,
Betriebsfehlerquellen
Normen: StPO 261, StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen G.Z.
wegen
Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 17. Mai 2002 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 02, 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Herford zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen
fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung und fahrlässigen
Nichtmitführens des Führerscheins zu einer Geldbuße von 80,-
verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am
17. Juli 2001 um 00:08 Uhr mit einem PKW außerhalb geschlossener
Ortschaft im Bereich der Stadt Löhne die B 61 in Richtung der BAB 30. In
Höhe der Straße Auf dem Keile, wo durch mehrfach
aufgestellte Verkehrszeichen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf
70 km/h beschränkt war, wurde die Geschwindigkeit des Fahrzeugs mit einem
ordnungsgemäß bedienten und arbeitenden Messgerät der Marke
Multanova 6 F gemessen. Die Messung ergab einen Wert von 115 km/h. Auf der
Grundlage dieser Messung ist das Amtsgericht von einer vorwerfbaren
Geschwindigkeit von 110 km/h ausgegangen. Bei der Bemessung der dem Betroffenen
anzulastenden Geschwindigkeitsüberschreitung hat das Amtsgericht anstelle
der bei Radarmessungen allgemein angewandten, auch von der Rechtsprechung
fortgeschriebenen, Messtoleranz von 3 % des gemessenen Wertes bei
Geschwindigkeiten über 100 km/h, die im vorliegenden Fall 3,45 km/h und
zugunsten des Betroffenen aufgerundet 4 km/h beträgt, eine solche von 5
km/h abgezogen. Dabei hat es sich im Wege der Mehrfachverweisung auf die
eigenen Urteile vom 23. Dezember 1999 - 11 OWi 14 Js 704/99 (312/99) - und vom
4. Juni 1993 - 3 OWi 53 Js 793/92 (192/92) - auf ein von dem
Sachverständigen Dr. Löhle im letztgenannten Verfahren erstattetes
Gutachten vom 12. Januar 1993 berufen, in welchem dieser mit näherer
Begründung ausgeführt hat, der übliche Toleranzabzug könne
theoretisch dann unzureichend sein, wenn die Geschwindigkeit, wie im Fall des
Betroffenen, in abfließender Verkehrsdichtung gemessen werde und die
Messung ausnahmsweise erst so spät nach der Einfahrt des Fahrzeugs in den
Radarstrahl erfolge, dass die von dem eingebauten Kompensationsrechner bei
einer Heckmessung automatisch vorgenommene Addition von 1 % des Nennwerts zur
Ermittlung einer Geschwindigkeit führe, die leicht über der
tatsächlich gefahrenen liege, weswegen in diesem Fall ein
zusätzlicher Toleranzabzug von 1 km/h notwendig sein könne. Wegen der
von ihm auf diese Weise angenommenen Geschwindigkeitsüberschreitung um
(lediglich) 40 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft hat das Amtsgericht
von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.
Mit der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt die Staatsanwaltschaft Bielefeld den Zuschlag von 1 km/h zur üblichen Eichtoleranz.
II.
Das in zulässiger Weise eingelegte und
begründete Rechtsmittel hat Erfolg. Der Abzug von 5 km/h von der
ermittelten Geschwindigkeit ist rechtsfehlerhaft, da ein Sicherheitsabschlag
von 3 % bei Messwerten über 100 km/h, d.h. hier von 4 km/h, alle
möglichen Betriebsfehlerquellen ausgleicht (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 59 m.w.N.). Hierauf
hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1994 - 3 Ss OWi
992/93 - (NZV 1994, 489), mit welcher er nach Zulassung der von der
Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsbeschwerde das vom Amtsgericht für
die Richtigkeit seiner Auffassung herangezogene eigene Urteil vom 4. Juni 1993
aufgehoben hatte, mit näheren Ausführungen hingewiesen. Gleichwohl
hat das Amtsgericht bei seiner jetzt angefochtenen Entscheidung wiederum
verkannt, dass der Sachverständige Dr. Löhle in seinem Gutachten
lediglich eine rechnerisch mögliche zusätzliche Betriebsfehlerquelle
aufgezeigt, ihre Übertragung auf die Praxis jedoch ausdrücklich vom
Ergebnis durchzuführender Versuche abhängig gemacht hat. Wie der
Senat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1994 ausgeführt hat, haben
gerade derartige Versuche jedoch die ausnahmslose Einhaltung der in der
Eichordnung vorgegebenen Fehlergrenzen ergeben. Nach der Stellungnahme der
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vom 24. Juni 1993, die dem
Amtsgericht ausweislich des angefochtenen Urteils bekannt ist, haben
tausendfache Versuchsmessungen, die sowohl bei der Zulassungsprüfung der
hier in Frage stehenden Gerätebauart zur Eichung als auch bei
späteren Untersuchungen in verschiedenen Messsituationen im Vergleich mit
Referenzmessgeräten durchgeführt sind, belegt, dass in der Praxis
keine Werte zustande kommen, die bei gemessenen Geschwindigkeiten von über
100 km/h mehr als 3 % über dem tatsächlichen Geschwindigkeitswert
liegen. An dieser gesicherten Erkenntnis hat sich bis heute nichts
geändert.
Hiernach beträgt die von dem Betroffenen gefahrene
Geschwindigkeit 115 km/h - 4 km/h = 111 km/h. Das bedeutet, dass er die
zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h um 41 km/h überschritten
hat. Der Regelfall für die Verhängung eines Fahrverbots
gemäß Nr. 5.3.4 der Tabelle 1 des Anhangs zu § 2 BKatV liegt
somit vor. Eine eigene Entscheidung des Senats hierzu kam allerdings nicht in
Betracht, da die Urteilsfeststellungen insoweit keine ausreichende Grundlage
darstellen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Vorinstanz
zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch
gemacht, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herford
zurückzugeben.
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