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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ss 912/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Feststellungen eines vom Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung freisprechenden Urteils

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: Trunkenheitsfahrt, Trunkenheit am Steuer, Straßenverkehrsgefährdung, Anforderungen an Urteil

Normen: StGB 315 c, StPO 267

Beschluss: Urteil In der Strafsache
gegen E.S.
wegen Trunkenheit im Verkehr hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 9. Juli 2002 in der Hauptverhandlung vom 11. 12. 2002, an der teilgenommen haben:
pp.
für Recht erkannt:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Siegen zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Siegen hatte die Angeklagte am 14. Februar 2002 wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,- EUR verurteilt, ihr die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihr vor Ablauf von weiteren fünf Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil hatte die Angeklagte rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt, welches sie später als Berufung bezeichnet hat.

Das Landgericht Siegen hat die Angeklagte sodann aufgrund der Berufungshauptverhandlung vom 3. und 09.07.2002 im Termin vom 09.07.2002 vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen und sie wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1, 3 StVG zu einer Geldbuße verurteilt. Den Freispruch hat die Kammer wie folgt begründet:

„Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ist nicht zur Überzeugung der Kammer bewiesen, dass die Angeklagte als Fahrerin ihres VW-Golf XXXX den Verkehrsunfall am 31. Oktober 2001 gegen 16.25 Uhr auf der BAB 45, Höhe Siegen-Eisern, KM 112,515, Fahrtrichtung Frankfurt, infolge des zu diesem Zeitpunkt bei ihr bestehenden Blutalkoholgehaltes von 0,68 %o fahrlässig verursacht hat (gleich relative Fahruntüchtigkeit).
Es stehen folgende Zahlen, Daten und Fakten über die Vorgenannten hinaus fest:
Die Angeklagte hat sich zum Anklagevorwurf nicht geäußert. Zum Tatzeitpunkt war es sehr kalt, zugunsten der Angeklagten ist davon auszugehen, dass es zu diesem Zeitpunkt jedenfalls auch regnete, dass das Fahrzeug der Angeklagten in die rechte Schutzplanke geriet und in Fahrtrichtung auf dem Seitenstreifen stehenblieb, wobei an dem Fahrzeug ein Schaden von rund 31.000,00 DM und an der Schutzplanke ein Schaden von 1.000,00 DM entstanden und sonstige Unfallspuren (etwa auf der Fahrbahn) nicht vorhanden waren; die Zeugin G.M. war mit ihrem Polizeifahrzeug allein an der Unfallstelle erschienen, hatte das Geschehen als normales Abkommen von der Fahrbahn beurteilt, weshalb sie - weil alles nach Routine aussah - eine auf dem rechten Seitenstreifen mit ihrem Fahrzeug stehende „Zeugin“ nach kurzer Befragung - indessen heute nicht mehr wissend, was diese „Zeugin“ konkret angegeben hat - wegschickte, ohne sich deren Personalien zu notieren; die Angeklagte selbst war bei Erscheinen der Zeugin G.M. zwar aufgeregt, aber durchgehend kooperativ und - wie auch die ganze Zeit danach - friedlich; die Zeugin hat den Unfallbericht erst Stunden später, als die Angeklagte überhaupt nicht mehr anwesend war, aus dem Gedächtnis heraus gefertigt; den kaum merkbaren Alkoholgeruch bei der Angeklagten (keine frische Fahne) hatte die Zeugin an der Unfallstelle erst festgestellt, als die Angeklagte im Polizeifahrzeug auf dem Beifahrersitz saß und die Zeugin ihre Personalien notieren wollte.

Das eigentliche Geschehen, wie es zu dem Unfall tatsächlich gekommen ist, kann zur Überzeugung der Kammer nicht festgestellt werden, jedenfalls nicht mit einer solchen Sicherheit, dass es zur Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit kommen kann. Zwar ist der Staatsanwaltschaft zuzugeben, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,68 %o die Konzentrationsfähigkeit sinkt, falsche Einschätzungen von Verkehrssituationen leichter möglich sind und auch Fahrfehler ungewöhnlicher Art auf diesen Alkoholgenuss zurückzuführen sind. Indessen ist die falsche Einschätzung einer Verkehrssituation für sich allein noch keine alkoholbedingte Ausfallerscheinung und auch kein Fahrfehler ungewöhnlicher Art. Gerichtsbekannt ist zudem, dass die zivil- und strafrechtliche Behandlung und Entscheidung insbesondere von Unfallgeschehen dann schwierig ist, wenn das Gericht nur auf die Angaben von Beteiligten und Zeugen angewiesen ist; hier ergeben sich in der Regel zahlreiche Anlässe, nachzufragen, Aufforderung, Skizzen zu fertigen und zu erklären sowie einzelne Darstellungen gegenüberzustellen mit entsprechenden weiteren Vorhalten. All das ist vorliegend nicht möglich. Das kann - nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ - aber nicht zu Lasten der Angeklagten gehen. Selbst wenn sich der Unfall nach einem Überholvorgang so ereignet hat, dass beim anschließenden Einscheren ein vor dem überholten Fahrzeug sich befindliches schwarzes Fahrzeug „übersehen“ worden ist, so kann das vorliegend auch unter Berücksichtigung der schlechten Witterungsverhältnisse geschehen sein. Vor allem ist aber auch einfach nicht auszuschließen, dass sich dieses Fahrzeug bei Beginn des Überholvorganges noch gar nicht vor dem zu überholenden Fahrzeug befand, weil es von der rechten Fahrspur auf die mittlere Fahrspur zu einem Zeitpunkt gewechselt hat bzw. wechseln wollte, als es von der Angeklagten noch gar nicht gesehen werden konnte. All diese Unwägbarkeiten dürfen jedenfalls nicht zu Lasten der Angeklagten gewertet werden, weil die Ermittlungen an Ort und Stelle eben unvollkommen gewesen sind.“

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Siegen mit ihrer Revision vom 09.07.2002, welche am 11.07.2002 beim Landgericht eingegangen ist. Das Rechtsmittel wurde nach der erfolgten Zustellung des Urteils am 13.08.2002 unter dem 04.09.2002 durch die Staatsanwaltschaft begründet. Die Revisionsbegründung ging am 11.09.2002 - rechtzeitig - beim Landgericht ein. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei die Beweiswürdigung der Berufungskammer insgesamt in sich widersprüchlich, lückenhaft und verstoße zum Teil gegen Denkgesetze. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel beigetreten. Sie macht geltend, das angefochtene Urteil könne schon deshalb keinen Bestand haben, weil die getroffenen Feststellungen keine tragfähige Grundlage für einen Freispruch darstellten.

Die Revision hat mit diesen Ausführungen einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Das Urteil hält rechtlichen Nachprüfungen nicht stand. Die Urteilsgründe genügen den Anforderungen des § 267 Abs. 1 S. 1 StPO nicht. Es fehlt schon an der Darstellung des genauen Schuldvorwurfs. Grundsätzlich muss ein freisprechendes Urteil die Schilderung des Anklagevorwurfs enthalten (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 267 RN 33; BGH 37, 21, 22; BGHR § 267 Abs. 5 StPO, Freispruch 5).
Bei dem Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2 StGB aufgrund relativer Fahruntüchtigkeit gehören zwingend die Mitteilung der Umstände hinzu, aus denen nach der Anklageschrift neben dem festgestellten Alkoholgehalt auf die relative Fahruntüchtigkeit der Angeklagten zu schließen ist. Hieran fehlt es. Ferner muss bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen der Tatrichter im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildenden Sachverhalt erschöpfend erfasst und gewürdigt ist (vgl. BGHR § 267 Abs. 5 Freispruch 5).

Davon kann hier nicht die Rede sein. Da bereits in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt ist, aufgrund welcher Umstände die Anklage - und ihr folgend das Amtsgericht - von einer relativen Fahruntüchtigkeit ausgegangen ist, kann bereits nicht festgestellt werden, ob das Landgericht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel ausgeschöpft und die Tatsachen ausreichend gewürdigt hat.
Mangels Angaben der Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung bleibt unklar, auf welcher Beweisgrundlage die Strafkammer ihre rudimentären Feststellungen getroffen hat.

So fehlt beispielsweise die Wiedergabe des Unfallberichts der Zeugin G.M..
Es bleibt auch offen, welche Angaben die Angeklagte an der Unfallstelle gegenüber dieser Zeugin gemacht hat und ob diese verwertbar sind.

Soweit sich die Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung in einer Hilfsüberlegung mit einem fiktiven Unfallgeschehen im Verlauf eines möglichen Überholvorganges auseinandersetzt, wird nicht klar, was Anlass für diese Überlegung gegeben hat. So bleibt alles Spekulation.

Darüber hinaus bleibt völlig offen, aufgrund welcher Umstände die Kammer Feststellungen zu den Witterungsverhältnissen hat treffen können bzw. warum sie zu Gunsten der Angeklagten, welche sich nicht zur Sache eingelassen hatte, von schlechten Witterungsverhältnissen ausgegangen ist. Dies durfte sie nur dann unterstellen, wenn hierfür Anlass bestand und eine weitere Aufklärung (Auskunft des Wetterdienstes) nicht möglich war.

Insgesamt leidet die Entscheidung daher an solchen grundlegenden Mängeln, dass sie mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben war.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landgericht zu berücksichtigen haben, dass - sollte es erneut eine relative Fahruntüchtigkeit nicht feststellen können - der Tenor des Urteils anders zu fassen sein wird. Bei den Tatvorwürfen „Trunkenheit im Verkehr“ und „fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG“ handelt es sich um dieselbe Tat i.S.d. § 52 StGB. In einem solchen Fall kann der Tenor stets nur auf Freispruch oder Verurteilung lauten. Ist Gegenstand der Anklage eine Straftat, hinter der gemäß § 21 Abs. 1 OWiG die Ordnungswidrigkeit zunächst zurückgetreten ist, kann eine Ahndung jedoch nur aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit erfolgen, muss sich die Urteilsformel jedoch auf die Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit beschränken; ein (Teil-)Freispruch kommt daher nicht in Betracht. Lediglich in den Urteilsgründen ist darzulegen, weshalb keine Verurteilung unter dem Gesichtspunkt der Straftat ausgesprochen wird (vgl. OLG Karlsruhe MDR 73, 781).


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