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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 12/02 OLG Hamm

Leitsatz: Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Verfahren nach § 57 StGB kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil noch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr offen steht.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidiger, Beiordnung, Strafvollstreckungsverfahren

Normen: StPO 140

Beschluss: Strafsache
gegen M.R.,
wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz (hier: Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren).

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 15. Januar 2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 07. Januar 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04.02.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Gründe:
I.
Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 25. Februar 2000 wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Diese Strafe verbüßt der Verurteilte zur Zeit. 1/2 der Strafe waren am 22. November 2001 verbüßt, 2/3 werden am 8. August 2002 verbüßt sein, das Ende der Strafzeit ist auf den 8. Januar 2004 notiert. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 6. November 2001 hat der Verurteilte beantragt, die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bochum gem. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Gleichzeitig hat der Verurteilte den Antrag gestellt, ihm Rechtsanwalt Deppe als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat nach Anhörung der Staatsanwaltschaft den Beiordnungsantrag durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat sie sich auf den Gesetzeswortlaut des § 140 StPO bezogen. Hiergegen wendet sich nunmehr der Verurteilte mit seiner Beschwerde, der die Strafvollstreckungskammer nicht abgeholfen hat.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat vorliegend zu Recht den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Verteidigers im Strafvollstreckungsverfahren als unbegründet abgelehnt.

Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen allgemein anerkannt, dass die Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO, der die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Erkenntnisverfahren regelt, auch im Strafvollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung findet; dies entspricht auch der - soweit ersichtlich - übereinstimmenden Auffassung der Strafsenate des OLG Hamm (vgl. u.a. schon OLG Hamm NStZ 1983, 189 sowie OLG Hamm NStZ-RR 1999, 319; NStZ-RR 2000, 113 = StV 2000, 92; StraFo2000, 32 sowie u.a. auch noch die Beschlüsse in 2 Ws 71/01, 2 Ws 77/01, 2 Ws 85/01, 1 Ws 183/99 und 1 Ws 313 u. 314/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 140 Rdnr. 33, 33 a m.w.N.). Eine solche wertorientierte Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO ist verfassungsrechtlich geboten. Danach muss im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebietet.

Allerdings hat der Senat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO im Licht der Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens gesehen werden müssen (vgl. die Beschlüsse in 2 Ws 71/01 und vor allem 2 Ws 85/01). Das gilt vor allem deshalb, weil die an sich für das Erkenntnisverfahren vorgesehene Vorschrift des § 140 StPO im Vollstreckungsverfahren nur entsprechend angewendet werden kann. Diese nur entsprechende, über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus gehende Anwendung macht eine besonders sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalls unter besonderer Besonderheiten des Vollstreckungsverfahren erforderlich. Anderenfalls wird der Anwendungsbereich der Vorschrift zu weit ausgedehnt.

Auf der Grundlage dieser Ausführungen sind vorliegend die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht gegeben.

Die Entscheidung der Frage, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht so schwierig, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten wäre. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht die Tatsache, dass der Verurteilte rechtliche Laie und mit dem Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens nicht vertraut ist. Das trifft für jeden Nicht-Juristen zutrifft. Weitere Gesichtspunkte, die eine Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage begründen könnten, sind auch vom Verteidiger - weder in der Begründung des Halbstrafenantrags noch in der Beschwerdebegründung - nicht vorgetragen worden. Es handelt sich um einen "normalen" Halbstrafenantrag. Auch hinsichtlich der im Rahmen des § 57 Abs. 2 StGB zu stellenden Prognose sind keine Besonderheiten zu erkennen, die ggf. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfordern würden (vgl. dazu Rotthaus NStZ 2000, 350).

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Umstand, dass der Verurteilte bei einer negativen Entscheidung noch eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu verbüßen hat. Zwar wird von Lüderssen in Löwe-Rosenberg (StPO, 24. Aufl., § 140 Rdnr. 94 - 99) und dem Oberlandesgericht Schleswig (SchlHA 1997, 153) die Auffassung vertreten, dass im Falle des § 57 StGB eine Beiordnung gemäß § 140 StPO regelmäßig in Betracht komme, wenn - ähnlich wie im Strafverfahren hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe - noch die Verbüßung einer Restfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr offen stehe. Dieser Auffassung vermag sich der Senat indes nicht anzuschließen (siehe auch Beschlüsse des Senats in 2 Ws 71/01 und 2 Ws 85/01 sowie Beschluss des 1. Strafsenats in NStZ-RR 1999, 319). Es ist bereits wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die Tatsache, dass im Strafverfahren bei einer Straferwartung von einem Jahr in der Regel die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten ist, auf der Erwägung beruht, dass diese Straferwartung ein Indiz für die Schwere der Tat ist. Die Schwere der Tat ist im Erkenntnisverfahren, in dem es u.a. um den Nachweis der Schuld des Täters und des Findens der dafür gerechten Strafe geht, der maßgebliche Gesichtspunkt für die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers. Käme es im Vollstreckungsverfahren für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung auf die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe an, so wäre diese zudem abhängig vom Zeitpunkt der Entschließung. Das könnte zur Folge haben, dass einem Verurteilten bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 2 StGB ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müsste, bei der Prüfung einer Aussetzung der Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe allerdings nicht mehr, da zu jenem Zeitpunkt ggf. nicht mehr ein Jahr Freiheitsstrafe zu verbüßen wäre. Ist maßgeblicher Gesichtspunkt für die Pflichtverteidigerbestellung - wegen der Schwere der Tat - aber die noch zu verbüßende Reststrafe, dann kann die Schwere der Tat jedoch nur einheitlich beurteilt werden. Sie kann nicht abhängig sein vom Zeitpunkt der Entscheidung. Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht spricht, worauf auch der 1. Strafsenat (a.a.O.) schon hingewiesen hat - die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch in den Fällen des § 57 a StGB, §§ 67 c Abs. 1, 67 d Abs. 2, 67 e StGB zu prüfen ist, ob die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebietet (BVerfG NJW 1986, 767, 771; NJW 1992, 2947, 2954). Dadurch wird deutlich, dass auch für das Bundesverfassungsgericht die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe kein Kriterium für die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung ist.

Dem Beschwerdeführer ist auch nicht deshalb ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil nur dieser Akteneinsicht bekommt und sich so mit den Stellungnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen kann (so LR-Lüderssen, a.a.O.). Im Vollstreckungsverfahren werden dem Verurteilten diese Stellungnahmen entweder ausgehändigt oder jedenfalls bekannt gegeben, so dass auch der Verurteilte sich dazu äußern kann. Eben sowenig trägt das Argument (LR-Lüderssen, a.a.O.), der Verurteilte benötige einen Verteidiger, da er sich bei der mündlichen Anhörung eher defensiv verhalte und nicht in der Lage sei, offensiv für eine positive Prognose günstige Anhaltspunkte vorzutragen. Die mündliche Anhörung dient in erster Linie dazu, sich einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen. Das Gericht soll sich ein Bild von diesem machen. Dies ist aber nur durch ein persönliches Gespräch zwischen dem Verurteilten und dem Gericht möglich. Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welche Gesichtspunkte für eine positive Prognose vorgetragen werden. Stellt sich die Beurteilung der Sozialprognose ausnahmsweise schwierig dar, so ist ggf. bereits aus diesem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Verteidiger zu bestellen (Rotthaus, a.a.O.), was vorliegend, wie bereits ausgeführt, indes nicht der Fall ist.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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