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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ss 762/01 OLG Hamm

Leitsatz: Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG setzt ein besonders gravierendes Ausmaß von Strafzumessungsschuld voraus. Das äußere Tatgeschehen erlangt nur insoweit Bedeutung, als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld und charakterlichen Haltung des Täters zulässt. Dabei ist auch bei der Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld der Erziehungsgedanke maßgeblich zu berücksichtigen.

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: Jugendrecht, Annahme von "Schwere der Schuld", Erziehungsgedanke, Rechtsfolgenausspruch

Normen: JGG 17

Beschluss: In der Strafsache
gegen 1. H.G. und 2. J.K.
wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz

Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen
- Jugendschöffengericht - vom 31. Mai 2001 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 09. 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Angeklagten gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Siegen zurückverwiesen.

Gründe:
Das Jugendschöffengericht Siegen hat die Angeklagten mit Urteil vom 31. Mai 2001 wegen gemeinschaftlicher illegaler Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 I Nr. 4 BtMG zu einer Jugendstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Jugendstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.

Nach den Feststellungen haben die Angeklagten gemeinschaftlich am 06.01.01^267 gr. Haschisch und 40 Gr. Marihuana mit einem THC-Gehalt von insgesamt 22,7 gr. in den Niederlanden gekauft und bei Nettetal-Kaldenkirchen über die Grenze nach Deutschland gebracht. Da sie in den Niederlanden ihr ganzes Geld ausgegeben hatten, traten sie den Rückweg nach Deutschland zu Fuß an. Durch diesen Einkauf wollten sie sich einen Vorrat zum Eigenkonsum anlegen.

Das Jugendschöffengericht hat den Strafausspruch u.a. wie folgt begründet:

"... Zu ihren Gunsten ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sie ihr entsprechendes Fehlverhalten, nachdem sie zunächst noch bei der Polizei von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe zur Tat als solche nicht geäußert hatten, im jetzigen Termin ihr entsprechendes Fehlverhalten, und zwar auch noch über die Annahme der Anklage hinaus, nämlich dahingehend eingeräumt haben, dass sie die bei ihnen im erheblichen Umfang vorgefundenen Drogen nicht nur illegal besessen, sondern unmittelbar zuvor in die Bundesrepublik Deutschland eingeschmuggelt...., wie es auch positiv einzustufen ist, dass sie darüber hinaus auch eingeräumt haben, nach der entsprechenden kurzfristigen Festnahme vom 06.01.2001 noch das eine oder andere Mal illegal Drogen erworben und konsumiert, es also bis zum heutigen Tage nicht geschafft haben, sich aus der Drogenszene zurückzuziehen.

Ferner war ihnen natürlich zugute zu halten, dass sie beide bisher anderweitig strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sind, auch wenn nun einmal die sich allerdings nur geringfügig auswirkende Einschränkung zu machen ist, dass sie, wie sie eingeräumt haben, neben dieser allerdings einmaligen gravierenden Drogenstraftat vom 06.01.2001 sowohl vorher als auch später weitere allerdings weniger bedeutsame Drogenstraftaten begangen haben. Auf der anderen Seite war den beiden Angeklagten natürlich im besonderen Maße "anzukreiden", dass sie, auch wenn dies im Jugendstrafrecht gegenüber dem Erziehungsgedanken (...) nachrangig ist, der Gesetzgeber für einen Erwachsenen eine Mindeststrafe von zwei Jahren bzw. für den, wie bereits angedeutet, hier nun einmal zugrundezulegenden minder schweren Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 StGB immer noch eine Mindeststrafe von drei Monaten bis zu 5 Jahren vorsieht und für den, wie aus den Ausführungen zu B. am Ende zu entnehmen ist, ja nun wahrlich ernsthaft ins Kalkül zu ziehenden Fall, dass den beiden Angeklagten nicht die "Wohltat" des Jugendstrafrechts zugute gekommen, ..., eine sehr deutlich über der Mindeststrafe von 3 Monaten und zudem deutlich über 6 Monaten liegende und im Bereich von einem Jahr anzusiedelnde Freiheitsstrafe von einem Jahr "fällig" gewesen wäre.

.... Auch wenn die beiden Angeklagten bisher anderweitig noch nicht in Erscheinung getreten sind und es im vorliegenden Fall (zumindest aus der Sicht des Verteidigers der H.G.) "nur um ein Drogendelikt" und zudem "nur" um sogenannte weiche Drogen geht, (und überdies, wie bereits hier erwähnt werden soll, den beiden Angeklagten ohne weiteres eine gute Sozialprognose zu geben ist), so kann auch gerade im Rahmen des vorrangigen Erziehungsgedankens und der diversen nachrangigen Umstände und Gesichtspunkte insbesondere nicht außer Betracht bleiben, dass es sich nicht nur bei der fraglichen Tat ... um ein Verbrechen, ... gehandelt hat ..., und darüber hinaus noch einige, teils bereits erwähnte/angedeutete im Sinne der 2. Alternative des § 17 Abs. 2 JGG "schwergewichtige" Gesichtspunkte hinzukommen. So unterscheidet sich dieser Fall von dem einen oder anderen in Rechtsprechung und Literatur erwähnten Fall z. B. dadurch, dass diese beiden Angeklagten nicht etwa z. B. durch einen agent provocateur oder, (...) oder durch einen älteren Freund zu der fraglichen gravierenden Drogenstraftat regelrecht "verführt" worden sind und Unüberlegtheit und Abenteuerlust im Vordergrund gestanden hat,..."

Daraus folgert das Amtsgericht, dass "sehr wohl unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld die Verhängung einer Jugendstrafe einfach unumgänglich" sei.

Die zulässigen (Sprung-)Revisionen der Angeklagten richten sich allein gegen den Rechtsfolgenausspruch.

Trotz der allgemein erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts ergibt sich diese Rechtsmittelbeschränkung konkludent aus den Revisionsbegründungen, die allein Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch beinhalten und sich ausschließlich mit der Frage auseinander setzten, ob die getroffenen Feststellungen die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der "Schwere der Schuld" begründen können. Eine solche Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch zulässig, da dieser Teil in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil selbständig beurteilt werden kann (BGH NJW 56, 757; BGHR Beschränkung 13).

Die Rechtsmittel haben mit den materiellen Rügen einen zumindest vorläufigen Erfolg und führen zur Aufhebung und Zurückverweisung der angefochtenen Entscheidung im Rechtsfolgenausspruch.

Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden Bedenken.

Zwar trägt die Verantwortung für die Rechtsfolgen in erster Hinsicht der Tatrichter, insbesondere die Strafbemessung ist seine Aufgabe (vgl. BGHSt 17, 35, 36; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 337 Rn. 34 m.w.N.). Das Rechtsmittelgericht darf nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen im Urteil in sich rechtsfehlerhaft sind (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). So liegt der Fall hier:

Die vom Jugendschöffengericht getroffenen Feststellungen tragen die Annahme der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 II 2. Alt. JGG als Voraussetzung für die Verhängung der Jugendstrafe nicht.

Schwere der Schuld im Sinne von § 17 II JGG setzt ein besonders gravierendes Ausmaß von Strafzumessungsschuld voraus. Das äußere Tatgeschehen erlangt nur insoweit Bedeutung, als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld und charakterlichen Haltung des Täters zulässt (BGH StV 82, 335; StV 94, 602; NStZ-RR 97, 21 f.; OLG Hamm StV 2001, 175). Dabei ist nach st. Rspr. auch bei der Verhängung der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld der Erziehungsgedanke maßgeblich zu berücksichtigen (BGHSt 15, 224 ff.; 16, 261, 263; BGH NStZ-RR 98, 285; BGH JR 82, 432).

Zwar werden mit zunehmendem Alter auch Belange des Schuldausgleichs gewichtiger, die Schwere der Schuld kann jedoch nicht allein mit dem Verbrechenscharakter des Deliktes begründet werden (OLG Zweibrücken JR 90, 304 f.).

Diesen Anforderungen werden die Strafzumessungserwägungen des Jugendschöffengerichts nicht gerecht.

Nach den getroffenen Feststellungen sind die beiden sozial eingegliederten Angeklagten bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Sie haben - sogar über den ursprünglichen Anklagevorwurf hinaus - umfassende Geständnisse in der Hauptverhandlung abgelegt. Es handelt sich zudem bei den eingeführten Betäubungsmitteln Marihuana und Haschisch um sog. weiche Drogen, zudem sollten sie lediglich dem Eigenkonsum dienen. Auch die laut den Feststellungen an den Tag gelegte Planung, das Abheben des Geldes vom Sparkonto und das Besorgen eines Wochenendtickets der Dt. Bahn für die Fahrt in die Niederlande lassen nicht auf eine erheblich erhöhte kriminelle Energie der Angeklagten schließen. Die Feststellung, dass die Angeklagten den Weg ab der niederländischen Grenze zu Fuß zu rücklegen mussten, da sie kein Geld mehr für ein Ticket zurück hatten, spricht eher gegen eine umfassende Planung und damit erheblich erhöhte kriminelle Energie.

So geht das Tatgericht auch selbst davon aus, dass es sich im Falle der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht um einen minder schweren Fall im Sinne von § 30 II BtMG gehandelt hätte.

Es liegt danach nahe, dass das Tatgericht die Anforderungen an die "Schwere der Schuld" im Sinne des § 17 II JGG verkannt hat. Es hat nämlich im Ergebnis maßgeblich auf den Verbrechenscharakter der Tat und damit auf das äußere Tatgeschehen abgestellt, sich aber nicht damit auseinander gesetzt, warum dies einen Schluss auf das Maß der persönlichen Schuld und die charakterliche Haltung der Täter zulässt. Dies zeigt sich schon in dem vom Tatgericht vorgenommenen hypothetischen Vergleich mit dem nach Erwachsenenstrafrecht anzuwendenden Strafrahmen. Die u.a. vom Tatgericht angeführten weiteren "schwergewichtigen Gesichtspunkte", so z. B. dass die Angeklagten nicht von Dritten überredet worden seien, dass Unüberlegtheit und Abenteuerlust nicht im Vordergrund gestanden hätten, sind keine Umstände, die nachvollziehbar ein besonderes Maß an persönlicher Schuld ergeben und damit positiv die Schwere der Schuld begründen könnten. Es handelt sich vielmehr um Umstände, die, wenn sie gegeben sind, lediglich zusätzlich gegen eine schwere Schuld sprechen könnten.

Auch die vom Tatgericht darüber hinaus berücksichtigte Planung der Tat und die Tatsache, dass die Angeklagten bei Tatbegehung schon 19 Jahre alt und mehr als durchschnittlich begabt waren, können bei einer Gesamtabwägung die Schwere der Schuld nicht allein begründen.

Nach alledem war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.


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