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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 148/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Fluchtgefahr, wenn der Beschuldigte die zeitweise Außervollzugsetzung des Haftbefehls nicht zur Flucht genutzt hat.

Senat: 2

Gegenstand: 6_Bl, Haftprüfung

Stichworte: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht; Fluchtgefahr, hohe Straferwartung

Normen: StPO 112

Beschluss: Strafsache gegen. I.P.
wegen Betruges (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der (Viert-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat
der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03.09.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seiner Verteidiger beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Der Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 10. Mai 2001 - 64 Gs 2332/01 wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:

1. Der Beschuldigte hat wieder bei seiner Familie in Wohnung zu nehmen und jede Wohnsitzänderung der Staatsanwaltschaft Bochum mitzuteilen.
2. Der Beschuldigte darf bis auf weiteres das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen. Reisen innerhalb Deutschlands, die länger als drei Tage dauern, sind vorher der Staatsanwaltschaft Bochum anzuzeigen. Der Beschuldigte darf bis auf weiteres ggf. beantragte neue Personalpapiere nicht vom Einwohnermeldeamt in Empfang nehmen.
3. Der Beschuldigte hat allen Ladungen von Gerichten und Staatsanwaltschaft Folge zu leisten.
4. Der Beschuldigte hat sich zweimal wöchentlich, und zwar Montags und Donnerstags bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden.

Gründe
I.
Der Beschuldigte wurde zunächst am 9. November 1999 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 23. August 1999 (64 Gs 4168/99) vorläufig festgenommen und befand sich sodann nach Verkündung des Haftbefehls seit dem 10. November 1999 in Untersuchungshaft. In diesem Haftbefehl wurden dem Beschuldigten 30 in der Zeit vom 1. März bis zum 15. Juli 1999 begangene Betrugstaten zur Last gelegt. Der Haftbefehl geht von einem Schaden von rund 80 Mio. DM aus.

Das Amtsgericht Bochum setzte sodann mit Beschluss vom 31. Januar 2000 den Haftbefehl vom 23. August 1999 außer Vollzug. Dem Beschuldigten wurde u.a. aufgegeben, bei seiner Familie Wohnung zu nehmen und sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden. Der Beschuldigte kam diesen Auflagen nach.

Mit Beschluss vom 10. Mai 2001 hob das Amtsgericht dann den Haftbefehl vom 23. August 1999 und den Haftverschonungsbeschluss vom 31. Januar 2000 auf und erließ einen neuen Haftbefehl (64 Gs 2332/01), in dem dem Beschuldigten nunmehr 38 in der Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 14. August 1999 begangene Betrugstaten mit einem Schaden von rund 90 Mio. DM zur Last gelegt wurden. Der Beschuldigte wurde am 10. Mai 2001 vorläufig festgenommen. Der neue Haftbefehl wurde dem Beschuldigten am 11. Mai 2001 verkündet. Seitdem befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Bei den dem Beschuldigten im Haftbefehl vom 10. Mai 2001 zur Last gelegten Betrugstaten handelt es sich im wesentlichen um Taten zu Lasten von Leasing-Firmen, denen vorgetäuscht wurde, dass bestimmte Baumaschinen oder sonstige Gegenstände vorhanden seien. Von den Leasing-Firmen wurden dann diese Maschinen angekauft. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des dem Beschuldigten im einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den genannten Haftbefehl vom 10. Mai 2001 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten dem Senat durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Bochum und der Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

II.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen. Allerdings konnte der Haftbefehl erneut gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt werden (§ 116 StPO). Damit kann nach Auffassung des Senats die Frage dahinstehen, ob das Amtsgericht bei Erlass des neuen Haftbefehls am 10. Mai 2001 die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO genügend beachtet hat.

1. Es besteht gegen den Beschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten. Dies ergibt sich aus der eigenen, teilweise geständigen Einlassung des Beschuldigten sowie der Angaben der Mitbeschuldigten W., B., K., N. Be., F. und Kl. sowie der beschlagnahmten Unterlagen.

2.
Als Haftgrund ist bei dem Beschuldigten (noch) der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, Betrugstaten mit einem erheblichen Schaden begangen zu haben. Er hat deswegen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat, mit einer empfindlichen, langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die mit Sicherheit nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Diese hohe Straferwartung stellt erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar. Der Senat hat jedoch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass allein eine hohe Straferwartung die Fluchtgefahr i.S. von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich nicht begründen kann (vgl. Senat in StV 1999, 37; StV 1999, 215; StraFo 1999, 248 und NStZ-RR 2000, 188 = StraFo 2000, 203). Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Beschuldigte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben (so auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 112
Rn. 24 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Beurteilung der Fluchtgefahr erfordert, neben der Straferwartung, damit die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, wozu insbesondere die Lebensverhältnisse des Beschuldigten und sein bisheriges Verhalten während des Ermittlungsverfahrens zählen.

Die damit erforderliche Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls führt vorliegend dazu, dass zwar noch Fluchtgefahr besteht, diese aber nicht so stark ist, dass ihr nicht durch andere Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden könnte. Dabei übersieht der Senat nicht die beträchtliche Höhe des Schadens. Er übersieht auch nicht, dass der Beschuldigte sich zu Beginn des Verfahrens mit seiner damaligen Geliebten zunächst verborgen gehalten hat. Er hat sich jedoch nach seiner Haftentlassung im Januar 2000 mit seiner Ehefrau wieder ausgesöhnt und danach mit ihr und den gemeinsamen Kindern zusammengelebt. Hinzukommt und entscheidend für die Annahme einer nur noch geringen Fluchtgefahr ist, dass der Beschuldigte nach Außervollzugsetzung des Haftbefehls vom 23. August 1999 am 31. Januar 2000 nicht die Möglichkeit, sich (erneut) dem Verfahren zu entziehen, genutzt hat, sondern sich über 15 Monate zur Verfügung der Ermittlungsbehörden gehalten hat. In dieser Zeit hat er Ladungen zu fast 20 Terminen Folge geleistet und die Auflagen aus dem Haftverschonungsbeschluss, der noch nicht einmal eine Kaution festgesetzt hatte, erfüllt. Damit ist die Annahme gerechtfertigt, dass der - noch bestehenden geringen - Fluchtgefahr erneut mit den vom Senat festgesetzten Auflagen, die denen des Haftverschonungsbeschlusses vom 31. Januar 2000 entsprechen, begegnet werden kann. Soweit die Staatsanwaltschaft auf das zwischenzeitlich gegen den Beschuldigten eingeleitete Verfahren 35 Js 69/01 verweist, in dem dem Beschuldigten neue Straftaten zur Last gelegt werden, die er während der Zeit der Haftverschonung begangen haben soll, weist der Senat darauf hin, dass diese Taten, die der Beschuldigte bestreitet, nicht Gegenstand dieses Haftprüfungsverfahrens sind. Sie haben daher bei der Prüfung der Fluchtgefahr außer Betracht zu bleiben (vgl. Senat in StV 1995, 200).

3.
Die übrigen für die grundsätzliche Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft erforderlichen Voraussetzungen im Verfahren nach den §§ 121, 122 StPO sind gegeben (vgl. dazu Senat in StV 2000, 631[ Ls.] = ZAP EN-Nr. 747/2000).

Es steht die bisher gegen den Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft nämlich im Übrigen nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls auch noch gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer und den Vollzug der Untersuchungshaft grundsätzlich rechtfertigen würden. Nach der (erneuten) Festnahme des Beschuldigten sind zunächst die umfangreichen und schwierigen Ermittlungen in dem umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren weiter geführt worden. Das Verfahren richtet sich auch gegen eine größere Zahl von Beschuldigten. In der Folgezeit sind Vernehmungen von Zeugen und Mitbeschuldigten durchgeführt und die beschlagnahmten Unterlagen teilweise ausgewertet worden. Anklage ist bislang noch nicht erhoben. Das ist derzeit angesichts der Fülle des Materials noch nicht zu beanstanden. Vermeidbare Fehler und Versäumnisse der Justizbehörden können demgemäss noch nicht festgestellt werden.

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass, nachdem sich der Beschuldigte nunmehr mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft befindet, die Staatsanwaltschaft Bochum entsprechend ihrer Zusage unverzüglich Anklage zu erheben haben wird. Weiteres Abwarten ist im Hinblick auf den sich aus Art. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten nicht mehr hinnehmbar.

III.
Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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