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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ws 515/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbeschwerde, Haftverschonung, Invollzugsetzung nach Urteil, hohe Freiheitsstrafe, letzte Haftentscheidung, dringender Tatverdacht aufgrund Verurteilung, Fluchtgefahr

Normen: StPO 116 Abs. 4 Nr. 3, StPO 112 Abs. 2 Nr. 2

Beschluss: Strafsache gegen D.R.,
wegen schweren Menschenhandels u.a. (hier: Haftbeschwerde).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 16.11.1999 gegen den Beschluß der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 07.09.1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe: I. Am 25.11.1998 erließ das Amtsgericht Paderborn Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer (Az:21 Gs 1271/98), in dem dieser beschuldigt worden ist, mit einem Mitbeschuldigten in der Zeit von 4 bis 5. 1998 die Geschädigte P. (alias: D.) in Polen in seine Gewalt gebracht zu haben, indem sie sie von der Straße weg in ein mitgeführtes Fahrzeug gestoßen hätten. Anschließend seien sie mit ihr in ein Hotel gefahren, wo sie über Nacht verblieben seien und die Geschädigte mehrfach vergewaltigt hätten. Sie hätten diese sodann von einem Schleuser in die Bundesrepublik Deutschland bringen lassen und in der Wohnung eines Mittäters beherbergt. Von dort aus sei sie in verschiedene Bordelle gebracht worden, wo sie der Prostitution hätte nachgehen müssen. Die Mitbeschuldigten hätten ihr die gesamten Einnahmen weggenommen. Zum Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO hat der Ermittlungsrichter darauf hingewiesen, daß die begangenen Straftaten Verbrechen (der sexuellen Nötigung und des schweren Menschenhandels) seien, der Beschuldigte deshalb mit erheblichen Strafen zu rechnen habe, was "erfahrungsgemäß einen Anreiz zur Flucht" darstelle (Bl. 70 R DA). Aufgrund dieser Haftanordnung ist der Beschwerdeführer am 27.03.1999 festgenommen worden. Auf. den Haftverschonungsantrag der Strafverfolgungsbehörde setzte das Amtsgericht Paderborn den Vollzug des Haftbefehls mit Beschluß vom 30. 4 1999 aus und erteilte dem Beschuldigten, der noch am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, verschiedene Weisungen gemäß § 116 Abs. 1 StPO.
Am 29.06.1999 erhob die Staatsanwaltschaft Paderborn Anklage gegen den Beschwerdeführer. Die Hauptverhandlung fand am 07.09.1999 vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Paderborn statt. In deren Verlauf wurde die Strafverfolgung "auf den Vorwurf des schweren Menschenhandels in Tateinheit mit der Vergewaltigung (in Görlitz)" beschränkt (Bl. 164 R DA). In ihren Schlußanträgen gingen die Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage sowie der Verteidiger von unterschiedlichen (Rechts-)Standpunkten aus und beantragten die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (Staatsanwaltschaft), von vier Jahren (Nebenklage) und von "unter 1 Jahr" (Verteidigung, Bl. 165 DA). Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Paderborn hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat er rechtzeitig Revision eingelegt.
In der Hauptverhandlung vom 07.09.1999 hat die Strafkammer zugleich den Beschluß vom selben Tag verkündet, wonach der Haftbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 25.11.1998 "nach Maßgabe des heutigen Urteils" wieder in Vollzug gesetzt wird. Zum Haftgrund der Fluchtgefahr heißt es, daß "angesichts des Strafausspruchs ... konkrete Fluchtgefahr" besteht (Bl. 166 DA). Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.11.1999 hat der Angeklagte, "soweit schließlich gegen (ihn) Haftbefehl erlassen worden ist, ... gegen diese Entscheidung hiermit Beschwerde eingelegt mit der Maßgabe, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, diesen außer Vollzug zu setzen" (Bl. 207 DA). Zur weiteren Begründung hat er selbst ein Schreiben vom 14.11.1999 zu den Akten gereicht. Die 1. Strafkammer des Landgerichts Paderborn hat der Beschwerde mit Beschluß vom 19.11.1999 nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II. Die Beschwerde des Angeklagten "gegen den Haftbefehl" ist dahin auszulegen, daß, er sich gegen die zuletzt ergangene Haftentscheidung, hier also gegen den den erneuten Vollzug der Untersuchungshaft anordnenden Beschluß der 1. großen Strafkammer vom 07.09.1999, wendet. Anfechtbar ist nämlich immer nur die zuletzt ergangene, den Bestand des Haftbefehls betreffende Haftentscheidung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. (1999), § 117 StPO Rdnr. 8 m.w.N.).
In der Sache hat das gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Rechtsmittel keinen Erfolg. Wie dem Gesamtzusammenhang der angefochtenen Haftentscheidung entnommen werden kann, kommt nach Auffassung des erkennenden Gerichts der erneute Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 25.11.1998 nur deshalb in Betracht, weil "neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen" (§ 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO). Die Sach- und Rechtslage hat sich seit der Außervollzugsetzung der ursprünglichen Haftanordnung so deutlich geändert, daß der erneute Vollzug der Untersuchungshaft erforderlich und gerechtfertigt ist.
1. Die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft (vgl. § 112 StPO) sind weiterhin gegeben.
a) Der dringende Tatverdacht ergibt sich schon daraus, daß der Angeklagte durch die 1. große Strafkammer des Landgerichts Paderborn wegen der Tat zum Nachteil der Geschädigten P. für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Daß das Urteil nicht rechtskräftig ist und der Verteidiger dessen Bestand anzweifelt, steht der Annahme dringenden Tatverdachts nicht entgegen. Allein der Umstand, daß das Gericht nach Durchführung eines rechtsstaatlichen Regelungen unterworfenen Erkenntnisverfahrens zu der Überzeugung der Täterschaft und Schuld des Angeklagten gelangt ist, spricht für eine hohe Wahrscheinlichkeit seines strafbaren Handelns in der festgestellten Weise. Für eine andere Beurteilung gibt es keinen Anlaß.
b) Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte muß damit rechnen, daß die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten rechtskräftig und in absehbarer Zeit vollstreckt werden wird. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er sich auf freiem Fuß befunden und der Hauptverhandlung gestellt hat, ist der Anreiz, sich der Strafvollstreckung durch Flucht oder Untertauchen zu entziehen, gegeben.
Dieser wird durch die angeführten persönlichen Beziehungen zu seinen Eltern und zu seiner Verlobten nicht so weit herabgesetzt, daß Auflagen und/oder Weisungen ausreichten, um den Haftzweck zu sichern. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die 1. Strafkammer in ihrer Nichtabhilfeentscheidung ausdrücklich die Bindungslosigkeit des Angeklagten hervorgehoben hat, wie sie sich im übrigen auch aus dem Akteninhalt ergibt. Der Angeklagte ist ohne Berufsausbildung, war bei verschiedenen Arbeitgebern tätig und ist zur Tatzeit ohne Arbeitsstelle gewesen. Seine Ehe ist nach dreimonatiger Dauer vor ca. neun Jahren geschieden worden. Das Verlöbnis hat im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht bestanden.
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang deshalb, daß sich der Beschwerdeführer in Kenntnis der laufenden Ermittlungen gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin eine Wohnung genommen hat, in der er sich tatsächlich aufgehalten hat, ohne seinen offiziellen Wohnsitz aufzugeben. Nach dem Eindruck der Ermittlungsbehörden hat er sich zum Zeitpunkt seiner Festnahme dort verborgen (vgl. Bl. 119 DA), was dadurch, bestätigt wird, daß die Wohnung nach seiner Inhaftierung umgehend geräumt worden ist (vgl. Bl. 82/83 DA).
Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind danach nicht ausreichend, das weitere Verfahren zu sichern.
c) Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Hinblick auf die Höhe der nicht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe gewahrt.
2. Hinsichtlich der Wiederinvollzugsetzung eines Haftbefehls nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO reicht zwar für sich allein ein nach der Haftverschonung ergangenes Urteil nicht aus, durch das die der Haftanordnung zugrundeliegende Wahrscheinlichkeit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe bestätigt wird (vgl. Senatsbeschluß vom 24.11.1998 - 4 Ws 655/98 OLG Hamm; KG JR 1989, 260;HansOLG Bremen StV 1988, 392; OLG Düsseldorf StV 1988, 207). Andererseits kann aber die Wiederinvollzugsetzung eines wegen Fluchtgefahr erlassenen Haftbefehls nach dieser Vorschrift dann gerechtfertigt sein, wenn die Prognose des Haftrichters und insbesondere des Angeklagten bezüglich der Straferwartung von dem noch nicht rechtskräftigen Rechtsfolgenausspruch erheblich nach unten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch so wesentlich erhöht, daß weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft nun nicht mehr geeignet erscheinenden Sicherungszweck der Untersuchungshaft zu gewährleisten (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 116 StPO Rdnr. 28). In diesem Sinne beurteilt der Senat den vorliegenden Sachverhalt.
Wenn auch die Schlußanträge der Verteidigung nur begrenzte Rückschlüsse auf die Straferwartung eines Angeklagten zulassen, so bestehen doch hier keine Zweifel daran, daß sich der Fluchtanzeiz für den Beschwerdeführer - für den es nach dem Plädoyer seines Verteidigers um eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr gegangen ist - durch die Höhe der gegen ihn aus, gesprochenen Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten deutlich verstärkt hat. Wie seinem Brief vom 14.11.1999, zu entnehmen ist, hat dem Beschwerdeführer erst die Urteilsverkündung gezeigt, daß ihm das Gericht - abweichend von dem Gang des Ermittlungsverfahrens und der staatsanwaltschaftlichen Haftprognose - "die Hauptlast dieser Tat unterstellt" hat (Bl. 213 DA). Von daher ist er mit der Urteilsverkündung erstmals damit konfrontiert worden, daß die Vollstreckung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe konkret bevorsteht.
III. Nach § 473 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.


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