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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ws 424/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: besondere Sicherungsmaßnahmen, Umgehung der Briefkontrolle, Einzelhaft

Normen: StPO 119 Abs. 3

Beschluss: Strafsache gegen F.A.,
wegen Mordes u.a.,
hier: Beschwerde des Angeklagten gegen besondere Sicherungsmaßnahmen während des Vollzugs von Untersuchungshaft.

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 18.10.1999 gegen die Genehmigung von besonderen Sicherungsmaßnahmen durch den Vorsitzenden der 2. Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Münster vom 20.09.1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers mit der Maßgabe verworfen, daß die angeordneten Maßnahmen zunächst auf die Dauer der Hauptverhandlung begrenzt werden.

Gründe: I. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Genehmigung besonderer Sicherungsmaßnahmen während des Vollzugs von Untersuchungshaft.
Zur Zeit findet gegen den Angeklagten seit dem 05.10.1999 vor dem Schwurgericht des Landgerichts Münster die Hauptverhandlung statt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, am 15.08.1994 in Dülmen-Hiddingsel die am 20.09.1973 geborene A.D. mit der er zuvor befreundet gewesen sein soll, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen mit zwei Salven aus einer Maschinenpistole gegen 8.20 Uhr auf offener Straße erschossen zu haben. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen flüchtete der Angeklagte anschließend nach Serbien. Auf ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Münster wurde er dort am 26.03.1996 in Untersuchungshaft genommen, die beantragte Auslieferung wurde jedoch abgelehnt. Die serbischen Behörden übernahmen vielmehr die Strafverfolgung wegen dieser Tat. Weil ihnen die Ermittlungsvorgänge zunächst nicht vorgelegt worden waren, mußte der Angeklagte nach Ablauf von sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Er wurde später durch das Kreisgericht Prokuplje am 19.06.1997 in Abwesenheit wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Der Angeklagte wurde schließlich am 07.05.1998 aufgrund der durch die hiesigen Strafverfolgungsbehörden eingeleiteten internationalen Fahndung in Italien festgenommen und am 23.02.1999 den deutschen Grenzschutzbeamten übergeben. Seit diesem Tage befindet sich der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Coesfeld vom 24.08.1994 - 3 b Gs 296/94 - in Untersuchungshaft, die zunächst in der Justizvollzugsanstalt Münster vollzogen wurde.
Am 28.06.1999 wurden bei einer Zellenkontrolle des Einzelhaftraumes des Angeklagten in einem mit Zucker gefüllten Glas fünf kleine Tütchen mit Haschisch gefunden. Dem Angeklagten, der den unerlaubten Erwerb dieses Rauschgiftes eingeräumt hat, ist deswegen durch den Vorsitzenden des Schwurgerichts als Disziplinarmaßnahme für die Dauer von zwei Monaten die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen in der Justizvollzugsanstalt untersagt worden.
Nachdem am 07.09.1999 bei einem Strafgefangenen für den Angeklagten bestimmte Briefe aufgefunden worden waren, die offenbar nicht durch die Briefkontrolle gegangen waren, wurde der Haftraum des Angeklagten am 08.09.1999 durchsucht. Dabei wurden zahlreiche weitere Briefe aufgefunden, die ebenfalls nicht die Briefkontrolle durchlaufen hatten. Der Angeklagte wurde daraufhin am selben Tage aufgrund einer Anordnung des Vorsitzenden des Schwurgerichts in die Justizvollzugsanstalt Bochum verlegt. Durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt Bochum sind sodann gegen den Angeklagten wegen Flucht- und besonderer Verdunkelungsgefahr vorläufig besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet worden, die der Vorsitzende des Schwurgerichts am 20.09.1999 gemäß § 119 Abs. 6 StPO genehmigt hat. Hierbei handelt es sich im einzelnen um folgende Maßnahmen:
strenge Einzelhaft - Nr. 60 UVollzO, Fesselung der Hände bei Aus- und Vorführungen, Begleitung durch drei Bedienstete, Transport unter Polizeischutz, Unterbringung in dem VGH Abteilung 3, tägliche Durchsuchung des Gefangenen, seiner Habe und seines Haftraumes, Verbot der Arbeitsaufnahme außerhalb des Haftraumes, Verbot der Teilnahme an allen Gemeinschaftsveranstaltungen und am Gottesdienst, Umschlußverbot, Vorsicht beim Öffnen des Haftraumes, Öffnen des Haftraumes mit zwei Bediensteten, Vorführungen innerhalb der Anstalt mit einem Bediensteten, Verbot des Tragens von Privatkleidung, Entzug von fluchtbegünstigenden Gegenständen und Materialien, Einzeltransport, Einzelfreistunde, Einzelduschen, Einzelbesuch, Rücksprache mit der Abteilung Sicherheit und Ordnung bei Transporten und Überstellungen, Führen einer Überwachungsliste für ausgehende Post.
Die Anträge des Verteidigers vom 5. und 06.10.1999 auf Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen hat der Vorsitzende mit Schreiben vom 07.10.1999 zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde vom 18.10.1999 wendet sich der Angeklagte "gegen die Verfügung vom 08.09.99 sowie gegen die Entscheidung vom 07.10.99". Ausweislich der Beschwerdebegründungen vom 18. 10. und 08.11.1999, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, begehrt der Angeklagte allein die Aufhebung der besonderen Sicherungsmaßnahmen, insbesondere solcher Maßnahmen, die ihm Kontakte zu Mithäftlingen unmöglich machen. Die Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Bochum (Verfügung vom 08.09.1999) wird als möglicherweise "sachgerecht" erkennbar von dem Angriff ausgenommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die besonderen Sicherungsmaßnahmen aufzuheben, weil seit ihrer Anordnung neue Unregelmäßigkeiten nicht mehr bekannt geworden seien.
II. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde des Angeklagten hat im wesentlichen keinen Erfolg. Sie führt lediglich dazu, die angeordneten Maßnahmen vorläufig auf die Dauer der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht in Münster zu beschränken.
Die angeordneten Maßnahmen sind durch § 119 Abs. 3 StPO gerechtfertigt. Sie sind angesichts der bestehenden erhöhten Fluchtgefahr und der vorliegenden besonderen Verdunkelungsgefahr unverzichtbar, um den Zweck der Untersuchungshaft zu gewährleisten. Weniger einschneidende Maßnahmen reichen nicht aus, der bestehenden Flucht- und Verdunkelungsgefahr hinreichend wirksam zu begegnen.
Bei dem Angeklagten besteht erhöhte Fluchtgefahr.
Er hat im Falle der Erweislichkeit des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs mit der Verhängung einer sehr hohen, möglicherweise lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen, was schon für sich einen hohen Fluchtanreiz bietet. Vorliegend kommt hinzu, daß sich der Angeklagte nach der Tat seiner Festnahme durch Flucht entzogen hat. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen suchte er nach der Tat die Wohnung des Zeugen B. in Appelhülsen auf, wo sich auch der Zeuge S.A. aufhielt. Diese beiden brachten ihn mit dem Pkw der Zeugin D.B. zu Verwandten des Angeklagten nach Bad Salzuflen, wo seine weitere Flucht durch den Zeugen I. organisiert wurde. Die Zeugen Z. und A. M. verbrachten den Angeklagten gegen ein Entgelt von 10.000,00 DM über Österreich nach Jugoslawien. Von dort flüchtete er, nachdem er aus der Untersuchungshaft entlassen werden mußte, weiter nach Italien. Der Angeklagte hat sich somit sowohl dem hiesigen Verfahren als auch der Strafverfolgung durch die serbischen Behörden über sehr lange Zeit durch Flucht entzogen. Dabei muß weiter berücksichtigt werden, daß die dem Angeklagten vorgeworfene Tat ausweislich der bei den Akten befindlichen beschlagnahmten Briefe zumindest in einem Teil seiner Verwandtschaft auf Verständnis und sogar Zustimmung trifft, und daß die bisherige Flucht offenbar durch finanzielle Mittel und persönlichen Einsatz von Familienmitgliedern und Bekannten unterstützt worden ist. Aufgrund dieser konkreten Umstände muß vorliegend von einer deutlich erhöhten Fluchtgefahr bei dem Angeklagten ausgegangen werden.
Zurecht sind die getroffenen Maßnahmen auch auf eine besondere Verdunkelungsgefahr gestützt.
Es sind allein 28 Briefe aufgefunden worden, die unter bewußter Ausschaltung der Briefkontrolle den Angeklagten bereits erreicht hatten oder in den Besitz eines Mithäftlings gelangt waren, so daß die Übergabe an ihn ohne rechtzeitiges Eingreifen der Justizvollzugsanstalt unmittelbar zu erwarten war. Völlig offen ist dabei, ob den Angeklagten darüber hinaus weitere Briefe erreicht haben, die bereits vernichtet worden sind. Dafür spricht, daß die aufgefundenen Briefe, soweit sie lediglich zur Habe des Angeklagten genommen worden sind, entweder offenbar keinen verfahrensrelevanten Inhalt hatten oder, soweit sie beschlagnahmt worden sind, einen Inhalt hatten, der eine aufwendige Umgehung der Briefkontrolle unter Einschaltung von Mithäftlingen kaum verständlich macht.
Zumindest muß aber davon ausgegangen werden, daß auch der Angeklagte in erheblichem Umfang Briefe geschrieben hat, die unter Umgehung der Briefkontrolle tatsächlich nach außen gelangt sind. Dies ergibt sich aus dem beschlagnahmten Schreiben - offenbar der Ehefrau des Angeklagten - vom 02.09.1999, in welchem sie an den Angeklagten die Frage richtet, "ob Du alle meine Briefe hast, Deine habe ich alle". Die vom Senat veranlaßte Überprüfung der Begleitumschläge für ausgehende Haftpost, die bei der Wachtmeisterei des Landgerichts Münster verwahrt werden, hat ergeben, daß der Angeklagte in der Zeit vom 01.06.1999 bis Anfang September 1999 auf diesem Wege nur einen Brief abgeschickt hat, der an die Stadt Dülmen gerichtet war. Dem Umstand, daß der Angeklagte somit ersichtlich in erheblichem Umfang Briefe an seine Ehefrau unter Umgehung der Briefkontrolle geschickt hat, kommt deshalb besondere Bedeutung bei, weil einerseits der Inhalt dieser Briefe nicht bekannt ist, es andererseits aber völlig unverständlich wäre, daß der Angeklagte Briefe unter Umgehung der Briefkontrolle aus dem Bereich der Justizvollzugsanstalt herausschmuggeln lassen würde, wenn sie einen unverfänglichen Inhalt hätten.
Der besonderen Verdunkelungsgefahr kann auch nicht das angeblich volle Geständnis des Angeklagten am ersten Hauptverhandlungstag, dem 05.10.1999, entgegenstehen, auf das der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 08.11.1999 hingewiesen hat. Daß ein solches nicht abgegeben worden sein kann, erhellt der Umstand, daß die ursprünglich auf acht Verhandlungstage angesetzte Hauptverhandlung durch Verfügung des Vorsitzenden des Schwurgerichts vom 13.10.1999 um weitere zehn Verhandlungstage ergänzt werden mußte, selbst wenn darin einzelne Sprungtermine enthalten sein sollten.
Angesichts der demnach bestehenden hohen Flucht- und der besonderen Verdunkelungsgefahr sind die angeordneten Maßnahmen unerläßlich, insbesondere um unerlaubte und unkontrollierte Außenkontakte verläßlich zu unterbinden. Der Angeklagte hat in der Vergangenheit gezeigt, daß er unter üblichen Vollzugsbedingungen in relativ kurzer Zeit in der Lage ist, das Sicherheitssystem in einer Justizvollzugsanstalt weitestgehend auszuhebeln, was sich neben der Ausschaltung der Briefkontrolle auch aus seinem Besitz von Haschisch ergibt. Bei dieser Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß jeglicher Kontakt zu Mithäftlingen vom Angeklagten dazu mißbraucht wird, erneut unkontrolliert Kontakte zu seinen Familienangehörigen aufzunehmen. Das muß aber - zumindest für die Dauer der Hauptverhandlung - wirksam unterbunden werden. Jegliche Lockerung dieser Maßnahmen würde, wie sich auch aus den Stellungnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 7. und 25.10.1999 ergibt, erneute Mißbrauchsmöglichkeiten für den Angeklagten eröffnen.
Ob und in welchem Umfang nach Abschluß der Hauptverhandlung die besonderen Sicherungsmaßnahmen weiterhin erforderlich sind, muß zu gegebener Zeit neu geprüft werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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