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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 5 Ss 223/99 OLG Hamm

Senat: 5

Gegenstand: Revision

Stichworte: notwendige Verteidigung, Pflichtverteidiger, Aufhebung, Schwere der Tat, Folgen der Verurteilung, Unterbringung, Entziehungsanstalt

Normen: StPO 140 Abs. 2, StPO 338 Nr. 5, StGB 64

Beschluss: Strafsache gegen W.L.,
wegen Trunkenheit im Straßenverkehr pp.

Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 02.10.1988 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.03.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Castrop-Rauxel zurückverwiesen.

Gründe: Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 5 Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Im Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen.
Das gegen das Urteil eingelegte Rechtsmittel ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Revision bezeichnet worden. Diese hat mit der formgerecht erhobenen Rüge, § 338 Nr. 5 StPO sei verletzt, Erfolg, denn die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat ohne Verteidiger stattgefunden, obwohl die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwere der Tat geboten war, § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO.
Ob eine Tat im Sinne dieser Vorschrift als schwer zu betrachten ist, beurteilt sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolge. So wird überwiegend als Anlaß gesehen, einen Verteidiger beizuordnen, wenn dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung droht (vgl. hierzu OLG Köln StV 1993, 402; OLG Frankfurt StV 1995, 628; OLG Düsseldorf VRS 89, 367 f; OLG Hamm wistra 1997, 318 ff. und Beschluß vom 26.03.1997 - 2 Ss 308/97 -; BayObLG in VRS 90, 211 (Anm: falsches Zitat)). Angesichts der erheblichen, auch einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten war damit zu rechnen, daß im Falle der Verurteilung im vorliegenden Verfahren die zu bildende Gesamtstrafe sich der Jahresgrenze nähern würde.
Hier ist der Angeklagte durch das angefochtene Urteil zwar (nur) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden. Die Verurteilung war jedoch mit absehbaren schwerwiegenden weiteren Folgen verbunden. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 03.11.1995 - 5 Ds 49 Js 375/95 - wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung für die Dauer von 4 Jahren verurteilt worden. Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dieser Verurteilung hängt im wesentlichen davon ab, ob der Angeklagte im vorliegenden Verfahren zu einer Bewährungsstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wird. Unter Berücksichtigung eines solchen zu erwartenden Widerrufs stand hier ein Freiheitsentzug von deutlich über einem Jahr im Raum. Damit ist die Grenze derjenigen Straferwartung, bei der in der Regel Anlaß besteht, einen Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bejahen, deutlich überschritten. Zwar handelt es sich insoweit nicht um eine starre Grenze. In einfach gelagerten Fällen kann sie möglicherweise auch maßvoll überschritten werden. Hier handelt es sich jedoch nicht um einen einfachen Fall. Aus den Ausführungen des Amtsgerichts ergibt sich eine erhebliche Alkoholgefährdung des Angeklagten. Den Alkoholmißbrauch zur Zeit der Taten hat der Angeklagte trotz einer nach seinen Angaben zwischenzeitlich durchgeführten Kurzzeittherapie nicht überwunden; vielmehr hält selbst sein behandelnder Arzt eine Langzeittherapie für dringend geboten. Bei dieser Sachlage drängte sich vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Vorgeschichte des Angeklagten die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten und seiner etwaigen Unterbringung gemäß § 64 StGB auf. Auch dies hätte das Amtsgericht bei der Frage, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger zu bestellen war, berücksichtigen müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat sind nämlich sämtliche Rechtsfolgen maßgebend, die insgesamt an den Verfahrensgegenstand geknüpft sind. Zur Frage der Schuldfähigkeit oder Unterbringung kann sich der Angeklagte auch ersichtlich nicht selbst hinreichend verteidigen, da dazu besondere Sachkenntnisse erforderlich sind.
Ein weiterer im Rahmen des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO zu berücksichtigender Nachteil ist darin zu sehen, daß das Amtsgericht die Verwaltungsbehörde angewiesen hat, dem Angeklagten für die Dauer von 5 Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Jedenfalls aufgrund des Zusammentreffens der vorgenannten Umstände war hier die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten. Da der Verstoß gegen § 140 Abs. 2 StPO einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO darstellt, war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Castrop-Rauxel zurückzuverweisen.


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