Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss OWi 1052/76

Leitsatz: Zur Frage, ob ein Kfz-Führer, der sich kurz vor einer, gerade auf Rotphase umspringenden Lichtzeichenanlage befindet und der sein Kfz noch rechtzeitig von der LZA hätte zum Stehen bringen können, trotz Rotphase der LZA die Kreuzung durchfahren kann, wenn er kurz vor der Kreuzung von starken kolikartigen Schmerzen befallen wird.

Senat: 4

Gegenstand: OWi

Stichworte: plötzliche Schmerzen, Rotlichtverstoß, Rechtfertigungsgrund, Rechtfertigung, rechtfertigender Notstand

Normen: OWiG 16, StVO 37

Fundstelle: VRS 53, 365

Beschluss: OLG Hamm, Beschluß vom 13.01.1977

Das AG hat gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 75,- DM wegen Mißachtung des Rotlichts einer Verkehrssignalanlage (§§ 37, 49 StVO) festgesetzt; es hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 04.03.1976 befuhr der Betroffene mit seinem Pkw in B die B-Straße in ostwärtiger Richtung, um an der durch Verkehrssignalanlage gesicherten Kreuzung am AG rechts abzubiegen. Der Betroffene folgte einem Lkw, der mäßige Geschwindigkeit fuhr. Der Lkw bog an der Kreuzung rechts ab, in jene Fahrtrichtung, die auch der Betroffene nehmen wollte. Während der Lkw-Fahrer noch bei Grünphase in den Kreuzungsbereich einfahren konnte, sprang die Verkehrssignalanlage bereits wieder auf Rotphase, als der Betroffene noch etwa 8 m vor der Ampelanlage war. Trotz der Rotphase fuhr der Betroffene in den Kreuzungsbereich ein und bog ab in Fahrtrichtung M. Die Einlassung des Betroffenen, kurz vor der Kreuzung hätten starke Kolikschmerzen eingesetzt, er sei deshalb nicht durchgefahren, sondern dann in eine Seitenstraße eingebogen und habe versucht, durch Öffnen der Kleidung die starken Schmerzen zu verringern, hat das AG als nicht widerlegt angesehen. Es ist der Ansicht: Beim Auftreten der Schmerzen sei er in eine echte Interessenkollision geraten; seine Entscheidung, trotz der auftretenden Schmerzen noch durch die Rotphase zu fahren, sei sowohl aus ärztlicher Sicht als auch aus verkehrstechnischer Sicht falsch gewesen; ein kranker Kraftfahrer bilde ein erhebliches Risiko für den öffentlichen Straßenverkehr; die Entscheidung des Betroffenen hätte dahin getroffen werden müssen, sofort anzuhalten, möglicherweise unter Zuhilfenahme des rechten Bürgersteiges; gerade das Einfahren in eine gesperrte Kreuzung bedeute eine erhebliche Gefahr für den freigegebenen Querverkehr; selbst ein verkehrswidriges Anhalten eines Pkws vor einer Kreuzung sei weniger gefahrenträchtig, als das vom Betroffenen in Kauf genommene Einfahren in die gesperrte Kreuzung.
- Seite 366 -
Durch Senatsbeschluß ist die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen worden, nämlich zur Frage, nach welchen Gesichtspunkten das objektiv verkehrsordnungswidrige Verhalten eines von plötzlichen kolikartigen Schmerzen befallenen Kraftfahrzeugführers zu beurteilen ist.
Jedoch war der Rechtsbeschwerde der Erfolg zu versagen.
So ist schon die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) unbegründet. Da das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen über das plötzliche Auftreten der Schmerzen für nicht widerlegt ansah, erübrigte es sich, zu dieser Frage noch die Beifahrerin des Betroffenen als Zeugin zu vernehmen.
Aber auch die Sachrüge ist unbegründet. Der Betroffene besaß für sein Handeln keinen Rechtfertigungsgrund. Da er vor dem Ampelbereich langsam in der Kraftfahrzeugkolonne fuhr, war es ihm zuzumuten, rechtzeitig vor der Ampel zu halten. Für ihn bestand entgegen seiner Ansicht in diesem Zeitpunkt nicht die Alternative, statt eines (durch das infolge der Schmerzen veranlaßte Stehenbleiben mit dem Pkw verursachte) Blockieren der Straße vor der Verkehrsampel das Durchfahren des Kreuzungsbereichs trotz Rotphase der Ampel als geringeres Übel in Kauf zu nehmen. Da für seine Fahrtrichtung an der Ampelanlage Rotphase war, bestand ohnehin zunächst für alle Kraftfahrzeuge der mit ihm gleichen Richtung das Gebot zu halten und zu warten. Das hätte der Betroffene auch tun und durch Öffnen der Kleidung seine Schmerzen, wie gewünscht, lindern können. Wäre bei der dann kommenden Grünphase wegen der Schmerzen dein Betroffenen eine Weiterfahrt nicht möglich gewesen, dann hätte er ohne Gefährdung des gleichlaufenden Verkehrs der sich hierauf einstellen konnte, weiter halten und ggf. nach rechts auf den Bürgersteig fahren können; insoweit wäre sein möglicherweise verkehrswidriges Verhalten gemäß § 16 OWiG zu rechtfertigen (vgl. Göhler, Komm. zum OWiG, 4. Aufl. 1975, Anm 6, 8 bis 10 zu § 16 OWiG; Cramer, StVR Bd I, 2. Aufl. 1977, Rdz 105, 138 zu § 3 StVO; OLG Hamm in VerkMitt 1974, 23). Aber auf keinen Fall durfte er, dessen Aufmerksamkeit und Verkehrstüchtigkeit durch die starken Schmerzen erheblich verringert war (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO; Cramer, StVR, Bd 1 Rdz 93 bis 94 zu § 3 StVO; Drees-Kuckuck-Werny, StVR, 2. Aufl. 1972, Rdz 2 zu § 3 StVO, Rdz 6 zu § 1 StVO), bei Rotphase der Verkehrssignalanlage ausgerechnet auch noch in den Kreuzungsbereich einfahren; denn das Überfahren des Rotlichts beschwört eine besonders hohe Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer herauf; diese gefährliche Situation erfordert gerade eine besondere Anspannung und Aufmerksamkeit (vgl. OLG Köln in VOR (Cramer) Nr. 9 zu § 37 StVO; KG in VOR Nr. 3 zu § 37 StVO; OLG Karlsruhe in VOR Nr. 42 zu § 1 StVO), zu der der Betroffene in diesem Augenblick gar nicht in der Lage war. Daher war sein Verhalten nicht durch § 16 OWiG gerechtfertigt.
Der Betroffene handelte schuldhaft. Er war i.S.v. § 12 OWiG verantwortlich Wie aus den getroffenen Feststellungen und aus seiner Einlassung zu ersehen ist, bestand bei ihm während des gesamten Verkehrsablaufes die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Die Vorschrift des § 21 StGB brauchte in diesem Zusammenhang nicht angewendet zu werden, da eine derartige Milderungsvorschrift im Ordnungswidrigkeitenrecht entbehrlich ist. Denn das OWiG geht von keinen Mindestgeldbußen aus (vgl. Göhler, Anm 4 zu § 12 OWiG). Aus dem angefochtenen Urteil ist ersichtlich, daß das AG das Auftreten der Schmerzen bei der Festsetzung der Geldbuße mildernd berücksichtigt hat.
Ebenso begegnet die Höhe des verhängten Bußgeldes keinen Bedenken.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".