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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss OWi 465/99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: OWi

Stichworte: Aufhebung, Geschwindigkeitsmessung durch Hinterherfahren, Nachfahren, Grundlagen der Beweiswürdigung nicht mitgeteilt, Umstände der Messung, Toleranzabzug; Nachtzeit

Beschluss: Bußgeldsache gegen H. W.,
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Münster vom 15.01.1999 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06.05.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften" zu einer Geldbuße von 300,- DM sowie zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.
In den Feststellungen heißt es:
"Der Betroffene befuhr am 01.03.1998 gegen 22.29 Uhr mit seinem PKW Mercedes-Benz, amtliches Kennzeichen RE-HW 65, die BAB 1. Zwischen Kilometer 272 und 274 wurde von den Zeugen E. und R. durch Nachfahren eine Geschwindigkeit nach Abzug des Toleranzwertes von 15 % in Höhe von 153 km/h gemessen. Dies stellt eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 53 km/h dar, denn auf diesem Autobahnteilstück ist die höchstzulässige Geschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt.
Im Hauptverhandlungstermin hat der Betroffene die Messung nicht weiter angegriffen. Seine Einlassung ging dahin, daß er als Einzelunternehmer im Bereich des Pferdereitsports (Traber) von einem einmonatigen Fahrverbot unverhältnismäßig härter getroffen werde als andere Betroffene. Er habe die Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder schlicht übersehen, da er mit den gedanklichen Vorbereitungen für den nächsten Tag beschäftigt gewesen sei."
Zur Schuldform ist in dem Urteil ausgeführt:
"Trotz der deutlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ist das Gericht von Fahrlässigkeit ausgegangen. Nach unwiderlegter Einlassung hat der Betroffene die Beschilderung lediglich übersehen. Der Fahrlässigkeitsvorwurf, der dem Betroffenen hier zu machen war, bestand darin, nicht ausreichend auf die vorhandene Beschilderung geachtet zu haben. Von einem sorgsamen Autofahrer kann erwartet werden, daß er auf die Beschilderung im Straßenverkehr achtet. Dies gilt insbesondere im Bereich einer BAB, wo die Schilderdichte verhältnismäßig gering ist und eine besondere Beachtung aufgrund der üblicherweise erhöhten Geschwindigkeit geboten ist."
Gegen das Urteil richtet sich die form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, hilfsweise gegen eine angemessene Erhöhung der Geldbuße den Wegfall des Fahrverbots erstrebt. Er rügt mit näheren Ausführungen insbesondere zum Verschuldensgrad und zu den Voraussetzungen eines Fahrverbots die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, wie erkannt zu entscheiden.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat jedenfalls vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil weist in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtliche Fehler auf.
Zunächst sind daraus die Feststellungsgrundlagen nicht erkennbar. Zwar ist angeführt, daß zwei "Zeugen" - anscheinend Polizeibeamte - die Geschwindigkeit durch Nachfahren gemessen haben. Dem Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, was diese Zeugen ggf. in der Hauptverhandlung dazu bekundet haben und inwiefern ihre Aussagen geeignet waren, den Betroffenen im Sinne des Schuldspruchs zu überführen.
Des weiteren läßt das Urteil hinreichende Feststellungen zu den Umständen der von den Zeugen durchgeführten Geschwindigkeitsermittlung vermissen, so daß für den Senat nicht überprüfbar ist, ob das Amtsgericht den Beweiswert des Geschwindigkeitsvergleichs durch Nachfahren hier rechtsfehlerfrei bejaht und den möglichen Fehlerquellen durch den Abzug eines Toleranzwertes von 15 % genügend Rechnung getragen hat.
Bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren handelt es sich nicht um ein standardisiertes Meßverfahren mit in gleicher Weise herabgesetzten Anforderungen an das Erfordernis der Darlegung in den Feststellungen zur Frage der ordnungsgemäßen Messung wie im Falle einer automatisierten Messung etwa durch eine Radaranlage. Der Tatrichter muß daher mit seinen Feststellungen erkennen lassen, daß er sich der Gefahr der Ungenauigkeit der Messung durch Nachfahren ohne Verwendung weiterer Aufzeichnungsgeräte, die die Geschwindigkeitsermittlung erleichtern und rekonstruierbar machen, bewußt war und sich im konkreten Einzelfall von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugt hat. Dazu ist es erforderlich, daß die wesentlichen Umstände der Geschwindigkeitsermittlung wie die Länge der Meßstrecke, die Abstandsverhältnisse auf dieser (Größe des Abstands, gleichbleibend, vergrößernd oder verringernd), der im nachfahrenden Kraftfahrzeug abgelesene Geschwindigkeitswert und die Frage der Justierung des betreffenden Tachometers im Urteil festgestellt und ggf. erörtert werden.
Bei Messungen zur Nachtzeit gilt das auch in Bezug auf die Beleuchtungsverhältnisse und die Erkennbarkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs sowie des Abstandes (vgl. insoweit z.B. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., Rn. 62 zu § 3 StVO sowie Mühlhaus/Janiszewski, Komm. zur StVO, 15. Aufl., Rn. 78 - 85 und 87 zu § 3, jeweils m.w.N.).
Das angefochtene Urteil läßt diese notwendigen Feststellungen nahezu sämtlich vermissen. Insbesondere fehlen dort Feststellungen zur Länge der tatsächlichen Meßstrecke, dem Abstand des verfolgenden Fahrzeuges zu dem des Betroffenen sowie zu den Beobachtungsumständen. Weiter fehlt es auch an Feststellungen zur Sicht, was angesichts der Tatzeit (22.29 Uhr am 1. 3.) für die Bewertung der Messung von Bedeutung sein kann. Die fehlenden Feststellungen werden auch nicht etwa durch den vorgenommenen Sicherheitsabschlag von 15 % ausgeglichen. Dieser Sicherheitsabschlag wäre lediglich ausreichend gewesen, um allgemeine Fehlerquellen bei einer Geschwindigkeitsmessung mit justiertem Tachometer durch Nachfahren zur Nachtzeit unter hierfür hinreichend günstigen Sichtverhältnissen und konstanter Nachfahrt auszugleichen (vgl. OLG Hamm VRS 93, 372; OLG Düsseldorf NZV 1997, 321 und NZV 1999, 138, 139). Daß weitere Fehlerquellen auszuschließen sind, ist dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen.
Der Notwendigkeit der Feststellungen zum Meßvorgang und den Begleitumständen war das Amtsgericht auch nicht etwa deswegen enthoben, weil der Betroffene in der Hauptverhandlung "die Messung nicht weiter angegriffen" hat. Aus diesem Einlassungsverhalten kann weder die ein Eingeständnis der Richtigkeit der Messung - mithin der Geschwindigkeitsverstoß im angenommenen Umfang in objektiver Hinsicht - gefolgert werden, noch läßt sich daraus etwas zur subjektiven Tatseite ableiten.
Hinsichtlich der objektiven Tatbestandsverwirklichung gilt dies selbst dann, wenn man - was allerdings nicht angängig ist - in der Stellungnahme des Betroffenen zur Messung eine geständnisgleiche Einlassung sehen würde. Der Tatrichter darf die Verurteilung auf Angaben des Betroffenen nämlich nur stützen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Er hat sich umfassend darüber Klarheit zu verschaffen, wie die Äußerung des Betroffenen im Zusammenhang mit dem übrigen Verfahrensstoff und im Hinblick auf den konkreten Rechtsverstoß zu verstehen ist.
Hierzu bedarf es auch einer Auseinandersetzung damit, ob und aufgrund welcher Umstände der Betroffene in der Lage war, insoweit überhaupt zutreffende Angaben zu machen (vgl. BGHSt 39, 291, 303 f; OLG Düsseldorf NZV 1995, 321). Solche Erwägungen sind im angefochtenen Urteil nicht enthalten. Insbesondere hat das Amtsgericht sich nicht damit auseinandergesetzt, ob und inwieweit der Betroffene damit, daß er die Messung nicht angegriffen hat, überhaupt die objektive Geschwindigkeitsüberschreitung eingeräumt haben könnte. Zu einer Auseinandersetzung damit bestand aber umso mehr Anlaß, als dem Betroffenen ein lediglich fahrlässiges Tun zur Last gelegt wird. Anhaltspunkte dafür, daß der Betroffene gleichwohl hinreichende Kenntnis von der Geschwindigkeitsüberschreitung und deren Ausmaß aus eigenem Wissen oder eigener Anschauung erlangt haben könnte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.
Wegen der Fehlerhaftigkeit war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde zurückzuverweisen. In der erneuten Hauptverhandlung wird das Amtsgericht bei Aufrechterhaltung der Einlassung des Betroffenen, daß ihm nur ein Augenblicksversagen anzutasten sei, im Hinblick auf die Auswirkungen eines solchen minderen Verschuldens auf die Bewertung der Geschwindigkeitsüberschreitung als grober Verkehrsverstoß auch nähere Feststellungen dazu zu treffen haben, wie die Beschilderung der Autobahn vor und in dem Bereich, in dem die Messung vorgenommen wurde, beschaffen ist (vgl. hierzu BGHSt 43, 241 = NZV 1997, 525) und ob die Geschwindigkeitsbeschränkung dem Betroffenen möglicherweise aus häufigerer voraufgegangener Benutzung des in Rede stehenden Autobahnabschnittes bekannt war.


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