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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss OWi 297/99 OLG Hamm

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Aufhebung, Aussage gegen Aussage, Anforderungen an Beweiswürdigung, Erkennbarkeit von Schildern, Geschwindigkeitsüberschreitung, Sichtbarkeit von Schildern, Verkehrszeichen, Meßverfahren, Meßtoleranz

Beschluss: Bußgeldsache gegen U.F.,
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 14.12.1998 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 4 1999 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht Minden hat die Betroffene wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr zu einer Geldbuße von 350,- DM sowie zu einem Fahrverbot von einem Monat Dauer verurteilt.
Nach den zugrundeliegenden Feststellungen hatte die Betroffene am 08.05.1998 gegen 18.51 Uhr auf der L 770 in Hille/Pohlsche Heide, westlich der Kreuzung mit der L 803, die dort durch Verkehrszeichen angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 49 km/h überschritten. Zu der Art der Geschwindigkeitsmessung finden sich im Urteil folgende Feststellungen:
"Die Betroffene fuhr mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 123 km/h, was durch ein Geschwindigkeitsmeßgerät Film-Nr. 2171, Bild-Nr. 035 ermittelt worden ist. Unter Abzug eines Toleranzwertes von 4 km/h ergibt sich eine Geschwindigkeit von 119 km/h was einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 49 km/h entspricht."
Die Einlassung der Betroffenen, die Verkehrsschilder seien schwarz übermalt gewesen, hat das Amtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als "eindeutig widerlegt" angesehen. Das angefochtene Urteil gibt sodann wieder, daß der Zeuge L. angegeben habe, die Schilder seien abgeklebt gewesen. Sie seien mit einem Band abgeklebt gewesen. Direkt davor habe ein PKW gestanden. Der Zeuge T. habe angegeben, die Schilder seien entweder schwarz abgeklebt oder übersprüht, jedenfalls dunkel gewesen. Zur Beweiswürdigung heißt es in dem angefochtenen Urteil sodann:
"Es fällt hier bereits auf, daß die Aussagen der Zeugen im Gegensatz stehen zu dem, was die Betroffene vorgetragen hat. Sie hat nämlich grundsätzlich von übersprühten Schildern gesprochen.
Die Aussagen der Zeugen und die Einlassung der Betroffenen sind jedoch aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung eindeutig als widerlegt anzusehen. Dies beruht auf der Aussage des Zeugen K., der seine Aussagen detailliert vorgetragen hat und diese Aussagen auch durch ein Kontrollbuch nachgewiesen hat."
Danach wird der Inhalt der Aussage des Zeugen K., der die Schilder vor und möglicherweise auch nach der Messung überprüft und dabei festgestellt haben will, daß diese nicht beklebt und nicht besprüht gewesen seien, wiedergegeben. Eine weitere Beweiswürdigung findet sich in dem angefochtenen Urteil nicht. Das angefochtene Urteil enthält auch keinerlei Ausführungen zu den persönlichen Verhältnissen der Betroffenen und zu etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde wird die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG sowie die allgemeine Sachrüge erhoben.
II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig. Das Rechtsmittel hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden.
Die Rechtsbeschwerde hat bereits mit der Sachrüge vollen Erfolg. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung nicht.
Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung verlangt die rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung bei der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr, daß neben der in Abzug gebrachten Meßtoleranz zumindest das angewandte Meßverfahren mitgeteilt wird, um so dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob es sich um ein wissenschaftlich anerkanntes Meßverfahren handelt und eine angemessene Meßtoleranz in Abzug gebracht wurde (grundlegend: BGH NJW 1993, 3081; vgl. auch Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 71 Rdnr. 43 f m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es fehlt bereits an der Mitteilung des zur Anwendung gebrachten Meßverfahrens.
Hinzu kommt, daß die Beweiswürdigung zur Frage der Erkennbarkeit des die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden Verkehrszeichens 274 in den Urteilsgründen nicht hinreichend dargelegt ist. Auch in Ordnungswidrigkeitenverfahren muß die Beweiswürdigung zumindest so beschaffen sein, daß sie für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar darlegt, aus welchen Gründen der Tatrichter von der Richtigkeit der Angaben des Belastungszeugen überzeugt ist. Hier war die Einlassung der Betroffenen durch ihre beiden Beifahrer bestätigt worden. Den Urteilsgründen lassen sich auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß es sich insoweit etwa um eine abgesprochene Schutzbehauptung der Betroffenen und ihrer Beifahrer gehandelt hätte. Das Amtsgericht hätte daher zumindest konkret feststellen müssen, zu welchen Zeitpunkten der Zeuge K. die Schilder auf Erkennbarkeit überprüft haben will, insbesondere ob dies auch konkret im vorliegenden Fall nach dem Ausbau der Kamera am 08.05.1998 um 22.08 Uhr der Fall war. Dies vermag der Senat den vagen Ausführungen in den Urteilsgründen nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen. Darüber hinaus hätte das Amtsgericht sich mit der Möglichkeit einer Nachlässigkeit des Zeugen Kleiber bei der Kontrolle der Verkehrszeichen auseinandersetzen und diese Möglichkeit sicher ausschließen müssen. Hier standen die Aussagen des Zeugen K. als einzigem Belastungszeugen den Angaben der Beifahrer der Betroffenen sowie der Betroffenen selbst unvereinbar gegenüber. In derartigen Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht und in denen die Entscheidung allein davon abhängt, welchen der sich widersprechenden Angaben das Gericht Glauben schenkt, bestehen erhöhte Beweisanforderungen. Der Tatrichter muß alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände erkannt und einer Gesamtwürdigung unterzogen haben (vgl. BGH StV 1995, 115; StV 1995, 340; StV 1996, 249; StV 1996, 582; Senat, Beschluß vom 08.10.1998 - 3 Ss 1055/98 OLG Hamm). Diese Grundsätze finden im Ordnungswidrigkeitenverfahren jedenfalls dann Anwendung, wenn es wie hier um die Verhängung einer empfindlichen Geldbuße verbunden mit einem Fahrverbot geht.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß jedenfalls bei der Verhängung - wie hier - erheblicher Rechtsfolgen auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen sowie zu ihren Vorbelastungen geboten sind (Senat, Beschluß vom 19.12.1995 - 3 Ss OWi 1239/95 OLG Hamm).
Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts zurückzuverweisen (vgl. Göhler, a.a.O., § 79 OWiG Rdnr. 48 m.w.N.).


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