Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 4 /99 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: zweite Aufhebung, keine Blutprobe, relative Fahruntüchtigkeit aus den Umständen, Trunkenheit im Verkehr

Normen: StGB 316

Beschluss: Strafsache gegen J. W.,
wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) vom 29.09.1998 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.02.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs.4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision(en), an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) zurückverwiesen.

Gründe: I. 1. Das Amtsgericht Ibbenbüren verurteilte den Angeklagten am 05.05.1997 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, verhängte eine isolierte Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von drei Jahren und untersagte dem Angeklagten für die Dauer von drei Monaten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Seine Berufung, mit der er einen Freispruch erstrebt hat, hat das Landgericht Münster (Westf.) zunächst durch Urteil vom 25.08.1997 und nunmehr - nach Zurückverweisung der Sache entsprechend dem Senatsbeschluß vom 13.01.1998 - im angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, daß der Angeklagte der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig ist. Dagegen richtet sich seine form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und die Aufhebung des Urteils begehrt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Antrag nicht gestellt.
2. Zum Schuldspruch hat das Landgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte ist seit 1995 Eigentümer eines PKW Nissan Kombi, dessen Motorleistung er im Verlauf des Jahres 1996 auf eine Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h drosseln ließ. Mit diesem Fahrzeug war der Angeklagte auch am 31.12.1996 (Silvester) unterwegs. Gegen 19.15 befuhr er in Ibbenbüren den Straßenzug "Am Karlschacht"/"Pommeresch" in Richtung Recker Straße. Bis zur Kreuzung mit der Straße "Am Luftschacht" heißt die von dem Angeklagten befahrene Straße "Am Karlschacht", hinter der Kreuzung "Ponmieresch". Zu dieser Zeit war es sehr kalt. Die Temperatur lag bei minus 18 Grad. Gleichwohl trug der Angeklagte als Oberbekleidung nur ein offenes Hemd. Die Fahrbahn war zumindest stellenweise eisglatt.
Der Angeklagte hatte zuvor in erheblichem Umfang Alkohol, nämlich Weinbrand, getrunken. Die Umstände des Alkoholgenusses waren nicht zu klären. Infolge des Alkoholgenusses war der Angeklagte, wie er bei seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten unschwer hätte erkennen können und müssen, nicht mehr in der Lage, den von ihm benutzten PKW sicher zu führen.
Etwa 80 bis 100 Meter hinter der Kreuzung mit der Straße "Am Luftschacht" hielt der Angeklagte seinen PKW in Höhe des Hauses "Pommeresch 11" an. Dort wohnt auf der linken Seite der Zeuge Hergemöller, der gerade zu Fuß nach Hause kam. Als der Angeklagte die Tür seines PKW öffnete, sprach ihn der Zeuge H. an und fragte, ob der Angeklagte vielleicht etwas suche. Der Angeklagte entgegnete, er suche nichts und es sei alles in Ordnung. Dabei bemerkte der Zeuge bei dem Angeklagten eine verwaschene Aussprache. Sodann stieg der Angeklagte schwankend aus seinem Fahrzeug aus und begab sich ebenfalls schwankend vor sein Fahrzeug, wo er im Licht der Scheinwerfer auf die Fahrbahn urinierte. Dabei schwankte er ebenfalls. Der Zeuge H., der über das Verhalten des Angeklagten erbost war, hatte den Eindruck, daß der Angeklagte deutlich alkoholisiert war.
Der Angeklagte fuhr danach weiter in Richtung Recker Straße, wo er einen Bekannten aufsuchen wollte, den er aber nicht antraf. Sodann fuhr er auf der Straße "Pommeresch" zurück in Richtung der Straße "Am Luftschacht".Ca.15 bis 30 Meter vor der Straße "Am Luftschacht", wo die Straße "Pommeresch" in Richtung der Straße "Am Luftschacht" ansteigt, kam der Angeklagte infolge alkoholbedingter Fahrunsicherheit mit seinem Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab. Während die Front des PKW noch im Bereich des Fahrbahnrandes stand, und zwar mit der Front in Richtung der Straße "Am Luftschacht", ragte das Heck bereits über die dortige Böschung, die dort mindestens 2,50 m tief abfällt. Der Angeklagte blieb danach im Fahrzeug sitzen. ..."(UA 8/9)
In der Folgezeit bemühten sich mehrere Zeugen um ihn, die durchweg Alkoholgeruch bei dem Angeklagten wahrnahmen und auf die er den Eindruck deutlicher bzw. erheblicher Alkoholisierung machte. Gegenüber dem Taxifahrer S., der ihn nach Hause brachte, äußerte er, daß er trotz Brustschmerzen ein Krankenhaus nicht aufsuchen wollte, weil er wegen vorherigen Alkoholgenusses Angst vor der Polizei hätte und seinen Führerschein nicht aufs Spiel setzen wollte.
Polizeibeamte, die ihn gegen 20.45 Uhr in seiner Wohnung antrafen, veranlaßten die Entnahme einer Blutprobe um 21.33 Uhr, die eine Blutalkoholkonzentration von 1.98 ergab.
3. Die Einlassung des Angeklagten, er habe bis zu dem Unfall keinen Alkohol getrunken, danach allerdings ein kleines Fläschchen Weinbrand, das er im Auto gehabt habe, geleert und bis zum Eintreffen der Polizei zu Hause noch eine halbe Flasche Weinbrand konsumiert, hat die Strafkammer aufgrund der Beweisaufnahme als widerlegt angesehen. Sie hat sich unter besonderer Berücksichtigung der Auffälligkeiten, die die Personen geschildert haben, die mit dem Angeklagten in den Abendstunden des Silvestertages 1996 zur Zeit des Unfallgeschehens bis nach der Blutprobenentnahme zu tun gehabt haben, von dessen hochgradiger Alkoholisierung überzeugt und aus dem Unfallgeschehen dessen dadurch bedingte Fahruntüchtigkeit zur Unfallzeit hergeleitet. Insoweit hat sie in den Urteilsgründen ausgeführt:
"Zwar waren sich sämtliche Zeugen darin einig, daß die Straßen zur Vorfallszeit glatt waren. Teilweise haben die Zeugen auch bestätigt, daß die Fahrbahn unmittelbar an der Unfallstelle glatt war. Zu bedenken ist aber, daß auch andere Kraftfahrer diese Örtlichkeit befahren haben, so die Polizeibeamten, der Zeuge S. und der Zeuge K. Keiner von ihnen ist im Bereich der Unfallstelle verunfallt. Einer glatten Fahrbahn trägt man üblicherweise durch eine geringe Fahrgeschwindigkeit Rechnung. Das Fahrzeug des Angeklagten konnte aber per se nur eine Fahrgeschwindigkeit von 6 km/h erreichen. Da er gleichwohl mit seinem Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen ist, deutet dies darauf hin, daß er alkoholbedingt nicht mehr das nötige Feingefühl hatte, um sein Fahrzeug sicher zu steuern. Nach allem ist die Kammer davon überzeugt, daß der Angeklagte zur Vorfallszeit alkoholbedinqt nicht mehr fahrtüchtig war."(UA 16)
II. Die Revision ist zulässig und hat - jedenfalls vorläufig Erfolg.
Das Berufungsgericht leitet seine Überzeugung von der (relativen) Fahruntüchtigkeit des Angeklagten im Sinne des § 316 StGB zur Unfallzeit daraus her, daß dieser in einem - aufgrund von Sprach-, Gleichgewichts- und Empfindungsstörungen sowie Hemmungsverlust erkennbaren - Zustand hochgradiger Alkoholisierung infolge des ihm alkoholbedingt fehlenden Feingefühls die Kontrolle über sein Fahrzeug auf eisglatter Straße verloren und deshalb nach links von seiner Fahrbahn abgekommen ist.
1. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten bejaht, sich dabei jedoch bei festgestellter Alkoholisierung auf einen bestimmten Wert der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit nicht festlegt (vgl. OLG Hamm VRS 59, 40/41; OLG Koblenz VRS 50, 288, 290; 54, 282, 283;OLG Düsseldorf VM 1990, 14). Das gilt indes nur für Ausnahmefälle.
a ) Ein Kraftfahrer ist fahruntüchtig im Sinne des § 316 StGB, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, daß er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (BGHSt 13, 83, 90).
b) Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest.
Es hat dabei zu berücksichtigen, daß nach gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ein Kraftfahrer bei einem Blutalkoholgehalt von 1,1 absolut fahruntüchtig ist (vgl. BGHSt 37, 89, 91). Bei einer geringeren - 0,3 übersteigenden - Blutalkoholkonzentration muß der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit aufgrund zusätzlicher Tatsachen geführt werden, wobei die an eine konkrete Ausfallerscheinung zu stellenden Anforderungen um so geringer sind, je höher die Blutalkokolkonzentration und je ungünstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt des Angeklagten sind (vgl. BGHSt 31, 42, 44, 45).Fehlt das (verwertbare) Ergebnis einer Blutprobe als Beweisgrundlage, ist folglich an die vorhandenen Beweisanzeichen ein besonders strenger Maßstab zu legen (vgl. Hentschel/Born, Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996), Rdnr. 216 m.w.N.).
2. a) Eine regelwidrige Fahrweise kann - zumal neben den von der Strafkammer festgestellten Sprach-, Gleichgewichts- und Empfindungsstörungen sowie dem Hemmungsverlust - auf eine alkoholbedingte Ausfallerscheinung zurückzuführen und deshalb wesentliches Beweisanzeichen für Fahrunsicherheit sein (vgl. Hentschel/ Born, a.a.O., Rdnr.182 ff.). Da Auffälligkeiten in der Fahrweise auch bei nüchternen Kraftfahrern zu beobachten sind, ist insoweit entscheidend, ob das konkrete Verhalten erfahrungsgemäß häufiger - typischerweise - bei alkoholisierten Fahrern vorkommt, und deshalb der Schluß gerechtfertigt ist, daß der Angeklagte sich im nüchternen Zustand anders verhalten hätte, als er es tatsächlich getan hat (OLG Köln NZV 1995, 454;BayObLG bei Bär, DAR 1991, 361, 368 m.w.N.; Hentschel/Born, a.a.O. Rdnr.179).
b) Die Annahme des Landgerichts, die Leistungsminderung des Angeklagten sei bei dem konkreten Vorfall als alkoholbedingte daran zu erkennen, daß er im Gegensatz zu den anderen Fahrern die Situation auf der ansteigenden, eisglatten Straße nicht gemeistert habe, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, auch wenn die tatrichterliche Würdigung der Umstände, aus denen relative Fahruntüchtigkeit gefolgert wird, der revisionsgerichtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen ist (vgl. BGH DAR 1969, 105/106).
Zwar kann - wie oben ausgeführt - das Fahrverhalten nüchterner Fahrer mittelbar Rückschlüsse darauf zulassen, ob eine bestimmte Fahrweise des Angeklagten als alkoholbedingt zu bewerten ist. Das setzt allerdings eine Vergleichbarkeit der Leistungsanforderungen an den Kraftfahrzeugführer in der konkreten Situation voraus. Diese ist hier nicht gegeben, weil der Angeklagte zur Vorfallszeit einen PKW benutzt hat, dessen "Motorleistung" auf 6 km/h gedrosselt gewesen ist. Es liegt nahe, daß ein solches Fahrzeug sich aufgrund der geringeren Leistung oder der zu erzielenden geringen Geschwindigkeit bei (stellenweiser) Fahrbahnglätte in Bezug auf die Richtungsstabilität und den Kraftschluß der Räder mit dem Untergrund anders als ein gewöhnlicher PKW verhalten kann. Das Leistungsvermögen der anderen Verkehrsteilnehmer in normalen PKW ergibt deshalb keine Anhaltspunkte für die Schlußfolgerung, daß der Angeklagte mit seinem Fahrzeug den Weg im nüchternen Zustand geschafft hätte - mithin alkoholbedingt versagt hat - zumal er die Motorleistung des PKW erst im Verlauf des Jahres 1996 hat drosseln lassen.
Die Beweiswürdigung beruht ebenso wie die Verurteilung auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Das Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache war an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) zurückzuverweisen (§ 354 Abs.2 StPO), die auch über die Kosten der Revision(en) zu befinden hat, weil deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".