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RVG Entscheidungen

Allgemeine Gebühren-/Kostenfragen - Kostenfestsetzung

Kostenfestsetzungsverfahren, Beschwerde, Abhilfe, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 08.06.2011 - 1 Ws 9/11

Leitsatz: Im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 464b StPO gilt (ab-weichend von § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO) das Verbot des § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO, eine Abhilfeentscheidung zu treffen.


KAMMERGERICHT
Beschluss
1 Ws 9/11 ______________
In der Strafsache gegen pp.
wegen Volksverhetzung
hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 8. Juni 2011 beschlossen:


Es wird festgestellt, dass sich die sofortige Be-schwerde des Rechtsanwalts N. vom 17. Mai 2010 gegen den Beschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Berlin vom 6. Mai 2010 erledigt hat.
Gründe:
Es bedarf keiner Sachentscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde vom 17. Mai 2010, weil das Rechtsmittel durch die Beschlüsse des Landgerichts vom 9. Juni 2010 und 16. November 2010 prozessual überholt ist.

1. Das Landgericht Berlin hat den früheren Angeklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Juli 2009 vom Anklagevorwurf der Volksverhetzung freigesprochen und seine notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Daraufhin hat sein Verteidiger Rechtsanwalt N. mit Kostenfestsetzungsantrag vom 27. Oktober 2009 (sinngemäß) namens des Freigesprochenen und unter Vorlage einer Geldempfangsvollmacht beantragt, Kosten für Fahrten des Freigesprochenen zu zwei Hauptverhandlungsterminen und drei Besprechungsterminen in der Kanzlei des Verteidigers sowie Verdienstausfall und „Verpflegungsgeld“ für fünf Tage in Höhe von zusammen 2.114,50 Euro festzusetzen. Mit Beschluss vom 11. Januar 2010 hat der Rechtspfleger des Landgerichts zunächst nur über die Position „Verpflegungsgeld“ (Tagegeld im Sinne des § 6 JVEG) antragsgemäß in Höhe von 60,- Euro entschieden und den Freigesprochen aufgefordert, Belege für die weiteren Positionen zu den Akten zu reichen. Da trotz weiterer Nachfragen keine Belege vorgelegt wurden, hat der Rechtspfleger den Kostenfestsetzungsantrag, soweit darüber noch nicht entschieden worden war, mithin im Umfang von 2.054,50 Euro, mit weiterem Beschluss vom 6. Mai 2010 mangels Glaubhaftmachung zurück-gewiesen. Dieser Beschluss hat am selben Tag den Geschäftsgang des Landgerichts verlassen und ist dem Verteidiger gegen Emp-fangsbekenntnis am 10. Mai 2010 zugegangen.

Mit Schreiben vom 3. Mai 2010 hatte der Freigesprochene Belege für die geltend gemachten Fahrtkosten übersandt, die erst am 7. Mai 2010 und damit einen Tag nach Absendung des zurückweisenden Beschlusses zu den Akten gelangt sind.

Gegen den Beschluss vom 6. Mai 2010 hat der Verteidiger des Freigesprochenen am 17. Mai 2010 fristgerecht sofortige Be-schwerde eingelegt.

Der Rechtspfleger des Landgerichts hat angesichts der einge-gangenen Belege der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und zunächst mit Beschluss vom 9. Juni 2010 sowie – nach Ein-gang weiterer durch den Freigesprochenen übersandter Belege am 29. Oktober 2010 zur Höhe des geltend gemachten Verdienstaus-falls – mit einem weiteren Beschluss vom 16. November 2010 er-neut über diese Positionen jeweils unter Zurückweisung von Teilbeträgen entschieden. Beide Beschlüsse sind dem Freige-sprochenen förmlich zugestellt worden; dieser hat dagegen kein Rechtsmittel eingelegt.

2. Der Rechtspfleger war zur Abhilfe und Abänderung seiner Entscheidung vom 6. Mai 2010 im Verfahren über die sofortige Beschwerde nach § 11 Abs. 1 RPflG in Verbindung mit §§ 464b Abs. 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 311 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht befugt.

a) Nach § 11 Abs. 1 RPflG sind gegen die Entscheidungen des Rechtspflegers die allgemeinen Rechtsmittel mit den dafür vor-gesehenen Verfahrensvorschriften gegeben. Hier ist die sofor-tige Beschwerde (§ 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO) statthaft. Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. etwa Rpfleger 2000, 38; MDR 1982, 251; NJW 1955, 35) fest, nach der sich das Beschwerdeverfahren nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung richtet. Da § 464b StPO die zivilprozessu-alen Vorschriften (nur) für „entsprechend“ anwendbar erklärt, können diese nur insoweit eingreifen, als die strafprozessualen Normen eine Regelungslücke aufweisen (vgl. BGHSt 48, 106 und NJW 03, 763; OLG Koblenz NJW 2005, 917; OLG Hamm Rpfleger 2004, 732; OLG Celle Rpfleger 2001, 97; OLG Dresden StV 2001, 634; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 464b Rdn. 6, 7 m.w.N.; Gieg in KK, StPO 6. Aufl., § 464b Rdn. 4 m.w.N.). Folglich finden auf das Verfahren (§§ 103 ff. ZPO) und die Vollstreckung (§§ 794 ff. ZPO) auch die §§ 304 ff. StPO und nicht die entsprechenden Vorschriften der ZPO Anwendung (vgl. BGHSt 48, 106). Hätte der Gesetzgeber den strafprozessualen Kostenerstattungsanspruch den Regeln des Zivilprozesses unterwerfen wollen (so OLG Düsseldorf NStZ 2003, 324), hätte er das Wort „entsprechend“ in § 464b StPO gestrichen und damit für Klarheit gesorgt.

b) Daher gilt im strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren (abweichend von § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO) auch das Verbot des § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO, eine Abhilfeentscheidung zu treffen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 2. September 1999 – 2 Ws 239/99 – und vom 22. April 1999 – 4 Ws 27/99 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Dezember 1998 – 3 Ws 631/98 -; Bran-denburgisches OLG Rpfleger 1999, 174; OLG Saarbrücken Rpfleger 1999, 175; OLG Zweibrücken Rechtspfleger 1999, 176; OLG Frank-furt MDR 1990, 320; OLG Karlsruhe MDR 1999, 321; Meyer-Goßner aaO, § 464b Rdn. 7). Soweit vertreten wird, dass der Rechts-pfleger auch nach Änderung des Rechtspflegergesetzes (durch das 3. Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes vom 6. August 1998 [BGBl. I 2030], das am 1. Oktober 1998 in Kraft getreten ist) und der damit einhergehenden Abschaffung der Durchgriffserinnerung zur Abhilfe auf die sofortige Beschwerde hin berechtigt oder gar verpflichtet sei (vgl. OLG Stuttgart JurBüro 1999, 88; OLG München JurBüro 1999, 86; OLG Koblenz MDR 1999, 505; OLG Köln JurBüro 1999, 202), folgt der Senat dem nicht. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 11 Abs. 1 RPflG in Verbindung mit §§ 464b Abs. 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 311 Abs. 2 Satz 1 StPO besteht keine Regelungslücke, die mit richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte. Auch liegt die Annahme eines unbewussten Redaktionsversehens fern: Wie sich aus der Regelung des § 11 Abs. 2 RPflG ergibt, hat der Gesetzgeber das Problem der Abhilfebefugnis gesehen und geregelt; der Verzicht auf die Abhilfemöglichkeit entspricht daher seinem Willen (vgl. Schneider, Rpfleger 1998, 499; Hansens, Rpfleger 1999, 105). Eine den Wortlaut korrigierende Auslegung kommt aufgrund der Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) deshalb nicht in Betracht.

3. Die nach der sofortigen Beschwerde vom 17. Mai 2010 ergan-genen Beschlüsse des Rechtspflegers des Landgerichts vom 9. Juni 2010 und vom 16. November 2010 verstoßen gegen die Rege-lung des § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO.

Ein Fall der Verletzung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 311 Abs. 3 Satz 2 StPO, der eine Abänderung durch den Rechtspfleger ermöglichen würde, liegt nicht vor. Eine Befugnis zur erneuten Entscheidung über die streitigen Positionen lässt sich vorliegend auch nicht durch „Umdeutung“ des am 7. Mai 2010 eingegangenen Schreibens des Freigesprochenen vom 3. Mai 2010 in einen nunmehr im eigenen Namen geltend gemachten Erstat-tungsanspruch begründen. Wie die Bezirksrevisorin beim Landge-richt Berlin in ihrem Vermerk vom 31. Mai 2010 zutreffend festgestellt hat, sind die durch den Freigesprochenen zu den Akten gereichten Belege lediglich als Ergänzung des bereits am 27. Oktober 2009 durch dessen Verteidiger gestellten Antrag auf Festsetzung der dem Freigesprochenen entstandenen notwendigen Auslagen zu verstehen. Auch ist der Umstand, dass die ersten Belege bereits am 7. Mai 2010 und damit vor der Bekanntgabe des Beschlusses vom 6. Mai 2010 durch dessen förmliche Zustellung bei Gericht eingegangen sind, ohne Belang. Eine Entscheidung, die mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann, darf von dem entscheidenden Gericht bzw. dem entscheidenden Rechtspfleger nicht geändert werden (vgl. Meyer-Goßner aaO, vor § 296 Rdn. 24). Dies gilt ab dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung mit Außenwirkung erlassen wurde, hier also spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem der Beschluss von der zuständigen Geschäftsstelle des Landgerichts an den Verteidiger des Freigesprochenen abgesandt worden ist (vgl. Meyer-Goßner aaO, vor § 33 Rdn. 9). Das war ausweislich des Abvermerks in den Akten bereits am 6. Mai 2010 der Fall.

4. Gleichwohl haben die Beschlüsse des Rechtspflegers vom 9. Juni 2010 und 16. November 2010 über die streitigen Positionen aus dem Kostenfestsetzungsantrag vom 27. Oktober 2009 insgesamt eine neue Entscheidung herbeigeführt und der Beschwerde nicht nur - soweit stattgebend – teilweise die Beschwer, sondern durch die neue Entscheidung über den Streitgegenstand vollständig die Grundlage entzogen. Diese Beschlüsse sind zwar rechtsfehlerhaft, aber nicht nichtig, denn sie leiden nicht unter einem derart schweren und offensichtlichen Mangel, dass es unter Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens unerträglich wäre, sie gelten zu lassen (vgl. Meyer-Goßner aaO, Einl. Rdn. 105 m.w.N.). Da der Freige-sprochene gegen die Teilzurückweisungen einzelner Positionen nicht innerhalb der jeweils geltenden Rechtsmittelfrist vorge-gangen ist, sind die Beschlüsse vom 9. Juni 2010 und 16. No-vember 2010 in Rechtskraft erwachsen und haben damit den Kos-tenfestsetzungsantrag vom 27. Oktober 2009 vollständig erle-digt.


5. Angesichts der hierdurch nachträglich eingetretenen pro-zessualen Überholung der sofortigen Beschwerde vom 17. Mai 2010 ist diese zwar nicht unzulässig, aber in der Sache erledigt (vgl. Meyer-Goßner aaO, vor § 296 Rdn. 17 aE).

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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