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RVG Entscheidungen

Nr. 4100 VV

Grundgebühr; Verfahrensgebühr; Abgeltungsbereich

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Tiergarten, Beschl. v. 17.11.2008, (281) 34 Js 849/08 (8/08)

Fundstellen:

Leitsatz: Zum Abgeltungsbereich von Grundgebühr und Verfahrensgebühr.


Amtsgericht Tiergarten
Beschluss
Geschäftsnummer: (281) 34 Js 849/08 (8/08)
In der Strafsache
pp.
hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin, Abteilung 281, durch den Richter am Amtsgericht am 17. November 2008 beschlossen:
1. Auf das als Erinnerung zu wertende „Rechtsmittel“ des Verteidigers vom 18. August 2008 hin wird eine weitere ihm zu zahlende Vergütung aus der Landeskasse in Höhe von 113,28 €
festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe
I.
Das nach § 56 Abs. 1 RVG als Erinnerung statthafte „Rechtsmittel“ des Verteidigers vom 18. August 2008 hat in der Sache Erfolg, da die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zu Unrecht die Festsetzung der vom Verteidiger beantragten Gebühr Nr. 4106 VV RVG (sogenannte „Verfahrensgebühr“) für das zum Ausgangsverfahren (281) 34 Js 849/08 (8/08) hinzuverbundene Verfahren (281 Ds) 3093 Pls 8151/08 (184/08) in Höhe von 112,00 € zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer in Höhe von 21,28 €, zusammen also in Höhe von 133,27 €, abgelehnt hat.

1. Eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht ist auch für das hinzuverbundene Verfahren (281 Ds) 3093 Pls 8151/08 (184/08) entstanden. Nach Vorbemerkung 4 Absatz 2 zum Teil 4 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr „für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“.

a) Der Verteidiger, der sich vor der Verbindung beider Verfahren in dem Verfahren (281 Ds) 3093 Pls 8151/08 (184/08) bestellt hatte, hat in diese Akte Einsicht genommen und am 8. August 2008 einen im Einzelnen begründeten Beiordnungsantrag, der zeigt, dass er sich mit dem Inhalt der Akte auseinandergesetzt hat, gestellt (I Bl. 40). Damit hat er vorliegend nicht nur die für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall anfallende Grundgebühr nach Nr. 4100 VVRVG verdient, sondern - folgt man dem Wortlaut der Vorbemerkung 4 Absatz 2 zum Teil 4 VV RVG - zugleich auch die Verfahrensgebühr. Dass ein Rechtsanwalt, der sich erstmals in einen (Straf-)Rechtsfall einarbeitet, zugleich das Geschäft eines Verteidigers betreibt, ist offenkundig und liegt auf der Hand. Entsprechend kann nach der Systematik des RVG für einen Verteidiger keine Gebühren anfallen, ohne dass nicht zugleich eine Verfahrens- und eine Geschäftsgebühr entsteht (so auch zutreffend Norbert Schneider, Anmerkung zu OLG Köln, Beschluss vom 17. Januar 2007 -2 Ws 8/07 -, AGS 2007, 451, 452 und AnwKom-RVG Vorb. 4 VV RdNr. 22).

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des OLG Köln vom 17. Januar 2007 -2 Ws 8/07 - (abgedruckt in AGS 2007, 451), auf die die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle sich vorliegend bei ihrer Entscheidung berufen hat.
aa) In Übereinstimmung mit einer starken in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen Nr. 4106 VV RdNr. 1ff.; Gerold/Schmitt/Madert RVG Nr. 4100-4105 VV RdNr. 77 ff.; Hartmann Kostengesetze VV RVG Nr. 4106, 4107 RdNr. 1 ff.) argumentiert das Oberlandesgericht Köln, der sachliche Geltungsbereich der Verfahrensgebühr müsse im systematischen Zusammenhang mit dem der Grundgebühr gesehen werden: Eine Verfahrensgebühr könne nur entstehen, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbracht habe, die über den Geltungsbereich der Grundgebühr hinausgehe, denn die - allgemeine - Verfahrensgebühr falle nur an, wenn die fragliche Tätigkeit des Verteidigers nicht durch eine besondere Gebühr, zu denen auch die Grundgebühr zählen würde, honoriert würde. Ansonsten verbliebe für die Grundgebühr kein eigenständiger Anwendungsbereich. Diese Argumentation stützt das Oberlandesgericht Köln und die herrschende Meinung in der Literatur auf die Gesetzgebungsmaterialien, insbesondere auf die BT-Drucksache 15/1971 S. 220 ff., in der der sachliche Geltungsbereich jeder Gebühr näher beschrieben wird.

bb) Gegen die vorstehend geschilderte Ansicht bestehen jedoch durchgreifende Bedenken.

(1.) Denn grundsätzlich darf jede Art der Auslegung einer Gesetzesnorm nicht zu einem Ergebnis führen, das nicht mehr mit dem Wortlaut der auszulegenden Vorschrift in Einklang steht. Dazu führt aber gerade die vom Oberlandesgericht Köln entwickelte Abgrenzung zwischen Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Wie man es auch drehen und wenden mag: Nach dem insofern maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch betreibt ein Rechtsanwalt, der sich erstmals in einen (Straf-) Rechtsfall einarbeitet, zugleich das Geschäft eines Verteidigers mit der Folge, dass für den vom Oberlandesgericht Köln aufgestellten „Spezialitätsgrundsatz“, die - allgemeine - Verfahrensgebühr falle nur an, wenn die fragliche Tätigkeit des Verteidigers nicht durch eine besondere Gebühr, zu denen auch die Grundgebühr zählen würde, honoriert würde, nicht vom Gesetzestext nicht gedeckt wird. Ein eindeutiger Wortsinn ist aber grundsätzlich bindend (BGHZ 46, 76).

(2.) Von ihm darf allenfalls abgewichen werden, wenn der aus der Entstehungsgeschichte zu ermittelnde Gesetzeszweck eine abweichende Auslegung nicht nur nahe legt, sondern zwingend gebietet (vgl. BGHZ 2, 176, 184; BGH NJW 2003, 290). Ein derartiger Ausnahmefall kann hier vorliegend aber nicht angenommen werden: Für den vom Oberlandesgericht Köln entwickelten Spezialitätsgrundsatz finden sich aber in den Gesetzgebungsmaterialien keinerlei ausdrückliche Hinweise. Es heißt zwar insofern in der BT-Drucksache 15/1971 (S. 220) wörtlich:

„Absatz 2 der Vorbemerkung 4 beschreibt den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr. Diese soll der Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts, im gerichtlichen Verfahren also z.B. für die Vorbereitung der Hauptverhandlung erhalten. Durch die Gebühr werden alle Tätigkeiten des Rechtsanwaltes abgegolten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind.“

Mit keinem Wort findet sich aber in den Gesetzesmaterialien ein Hinweis darauf, dass die Grundgebühr eine „besondere Gebühr“ im Sinne der vorstehenden Ausführungen darstellt und Grundgebühr und Verfahrensgebühr und Verfahrensgebühr nicht nebeneinander anfallen können. Das Oberlandesgericht Köln begründet das von ihm entwickelte Spezialitätsverhältnis beider Gebührentatbestände damit, dass neben der Verfahrensgebühr für die Grundgebühr kein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibe. Diese Überlegung greift aber zu kurz und steht mit den Gesetzgebungsmaterialien nicht in Einklang. Denn nach BT-Drucksache 15/971, S. 222, soll der Verteidiger die Grundgebühr einmalig erhalten, „unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt er tätig geworden ist.“ Damit ist der sachliche Anwendungsbereich der Grundgebühr nach Nr. 4100 nicht stets kongruent mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 4106. Im Gegenteil, da „das Entstehen der Grundgebühr vom Zeitpunkt des Tätigwerdens des Anwaltes unabhängig“ ist (so BT-Drucksache 15/971, S. 222), spricht alles dafür, dass der Verteidiger im Regelfall gerade beide Gebühren verdienen soll.

cc) Aber selbst wenn man vorliegend der - hier für unzutreffend gehaltenen - Ansicht, dass der Verteidiger eine über den sachlichen Anwendungsbereich der Grundgebühr Nr. 4100 V RVG hinausgehende Tätigkeit entfalten muss, um die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG zu verdienen, folgt, ist diese durch den Antrag des Verteidigers vom 8. August 2008, ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen, angefallen. Denn anders als das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss des OLG Köln vom 17. Januar 2007 -2 Ws 8/07 - ohne weitere Begründung behauptet, unterliegt der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger jedenfalls nicht mehr dem sachlichen Geltungsbereich der Grundgebühr, sondern geht darüber hinaus (so im Ergebnis auch Burhoff RVG report 2007, 425, 426; Gerold/Schmitt/Madert RVG Nr. 4100-4105 VV RdNr. 77 ff.). Denn ein solcher Antrag ist - anders als die erste Beschaffung von Informationen durch eine Akteneinsicht und eine Sachstandsanfrage bei der Staatsanwaltschaft (Beispiele nach BT-Drucks 15/1971, S. 222) - nicht Bestandteil der ersten Einarbeitung in einen (Straf-)Rechtsfall, sondern er baut auf der ersten Einarbeitung auf. Erst, wenn der Verteidiger den Akteninhalt zur Kenntnis genommen, mit seinem Mandanten besprochen und dessen Darstellung der Geschehnisse dem Akteninhalt gegenübergestellt hat, kann er - unter Berücksichtigung seiner rechtlichen Würdigung der Ermittlungsergebnisse und der möglichen Einlassung des Angeklagten - einen Beiordnungsantrag stellen. Damit ist die Stellung eines Beiordnungsantrages regelmäßig der erste Schritt einer bereits entwickelten oder zumindest im Aufbau befindlichen Verteidigungsstrategie, mit ihm betreibt der Verteidiger jedenfalls das Geschäft, und zwar in einem Bereich jenseits des Geltungsbereichs der Grundgebühr.

2. Von der nach alledem dem Verteidiger noch zustehenden Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG für das hinzu verbundene Verfahren (281 Ds) 3093 Pls 8151/08 (184/08) in Höhe von 133, 27 € (= 112,00 € + 21,28 € Umsatzsteuer) war die Überzahlung des Verteidigers in Höhe von 20,00 € - er hatte statt der am 10. September 2008 festgesetzten 533,36 € versehentlich 553,36 € überwiesen erhalten - abzusetzen, so dass sich die ihm jetzt noch zu zahlende Vergütung aus der Landeskasse auf 113,28 € beläuft.

II.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG.

III.

Da die aus diesem Beschluss folgende Beschwer den Schwellenwert von 200,00 € nicht erreicht, ist er zwar grundsätzlich nicht im Wege der Beschwerde anfechtbar, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG. Allerdings ist die Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2 Satz 2, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zuzulassen, weil die hiesige Entscheidung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 17. Januar 2007 abweicht, eine Entscheidung eines Obergerichts für das Land Berlin noch nicht vorliegt, und der Sache wegen der häufig auftretenden Fallkonstellation grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Einsender: RiAG Herbst, Berlin

Anmerkung:


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