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RVG Entscheidungen

§ 61

Übergangsregelung beim Pflichtverteidiger; Zuerkennung der Grundgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 25. 02. 2005, Ws 136/05

Fundstellen: RVGreport 2005, 260

Leitsatz: 1. Die Vergütung des Strafverteidigers ist auch dann nach dem seit dem 1. Juli 2004 geltenden Recht (RVG) zu berechnen, wenn der Verteidiger zwar schon vor diesem Stichtag als Wahlverteidiger tätig gewesen ist, er aber erst danach als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist.
2. Hat der Pflichtverteidiger, der zunächst als Wahlanwalt tätig gewesen ist, sich vor dem 1. 7. 2004 in das Verfahren eingearbeitet, steht ihm nicht die Grundgebühr Nr. 4100 VV zu, sondern die Vorverfahrensgebühr nach §§ 97, 84, 83 BRAGO.


Ws 136/05
Qs 177/04 LG Bayreuth
7 Ls 211 Js 7584/04 AG Bayreuth

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt am 25. Februar 2005 in dem Strafverfahren gegen XXXXXX.
Verteidiger: Rechtsanwalt S.
wegen sexueller Nötigung u.a.; hier: Kostenfestsetzung,
folgenden Beschluss:

1. Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Bayreuth wird der Beschluss des Landge¬richts Bayreuth vom 25. Januar 2005 dahin abgeändert, dass die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigerkosten auf 1.204,31 EUR festgesetzt werden. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
Rechtsanwalt S. aus K. hat mit am 09.06.2004 eingegangenem Schriftsatz die Wahlverteidigung des Beschuldigten übernommen, gegen den an diesem Tage durch das Amtsgericht Bayreuth die Untersuchungshaft angeordnet wurde. Am 06.07.2004 in der Zeit von 09.10 Uhr bis 10.16 Uhr hat der Verteidiger an einem Termin beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bayreuth, in dem eine Zeugin richterlich zum Sachverhalt vernommen wurde, und am 08.07.2004 an einem kurzen mündlichen Haftprüfungstermin teilgenommen. Am 25.08.2004 hat der Vorsitzende des Schöffenge¬richts dem Beschuldigten Rechtsanwalt S. gemäß § 140 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 13.09.2004 hat die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - Bayreuth erhoben. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten hat am 15.10.2004 von 9.00 Uhr bis 10.27 Uhr stattgefunden und endete mit rechtskräftiger Verurteilung.

Mit Schriftsatz vom 24.10.2004 hat Rechtsanwalt S. beantragt, die aus der Staatskasse zu zahlenden Pflichtverteidigergebühren gemäß § 55 RVG einschließlich Mehr¬wertsteuer auf 1.247,23 EUR festzusetzen, wobei er die Grundge¬bühr nach Nr. 4101 RVG W mit 162,-- EUR, eine Terminsgebühr nach Nr. 4103 RVG W, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4105 RVG W und eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4107 RVG W mit jeweils 137,-- EUR, eine Terminsgebühr nach Nr. 4109 RVG W mit 224,-- EUR, Fotokopierkosten für 190 Blatt nach Nr. 7000 RVG W mit 46,-- EUR, eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 RVG W mit 20,-- EUR, Fahrtkosten für fünf Fahrten mit dem eigenen PKW bei einer Gesamtfahrstrecke von 374 km nach Nr. 7003 RVG W mit 112,20 EUR sowie Tage- und Abwesenheitsgeld für fünf Geschäfts¬reisen von nicht mehr als jeweils vier Stunden nach Nr. 7005 RVG W mit 100,-- EUR angesetzt hat.

Mit Beschluss vom 16.11.2004 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Bayreuth die aus der Staatskasse zu veräuslagenden Pflichtverteidigerkosten nach den bis zum Inkrafttreten des RVG geltenden Bestimmungen der BRAGO auf 709,90 EUR festgesetzt.
Gegen diesen ihm am 20.11.2004 zugestellten Beschluss hat Rechts¬anwalt S. mit am 22.11.2004 eingegangenem Schriftsatz Erinnerung eingelegt, die der Richter am Amtsgericht Bayreuth nach Nichtabhilfe mit Beschluss vom 08.12.2004 zurückgewiesen hat.

Auf die sofortige Beschwerde des Verteidigers, eingegangen am 17.12.2004, gegen den ihm am 15.12.2004 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth hat das Landgericht Bayreuth mit Beschluss vom 25.01.2005 die Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 16.11.2004 und 08.12.2004 aufgehoben, die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigerkosten antragsgemäß auf 1.247,23 EUR nach den Bestimmungen des am 01.07.2004 in Kraft getretenen RVG festgesetzt und die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.
Gegen diesen ihm am 03.02.2005 zugestellten Beschluss hat der Be¬zirksrevisor des Landgerichts Bayreuth am selben Tage weitere Be¬schwerde mit dem Ziel der Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung eingelegt.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte weitere Beschwerde der Staatskasse (§§ 56 Abs. 2,, 33 Abs. 3 S. 3 und Abs. 6 RVG) hat einen geringen Erfolg, ist aber weitgehend unbegründet.

Eine Rechtsverletzung durch das Landgericht Bayreuth (§§ 33 Abs. 6 S. 2, 2. Halbs. RVG, 546 ZPO) liegt nur hinsichtlich der Zuerkennung der Grundgebühr nach Nr. 4001 RVG W, im übrigen aber nicht vor. Im Gegensatz zu der vom Landgericht Berlin in seinem Beschluss vom 20.10:2004 (JurBüro 2005, 31) vertretenen Ansicht, die von der des Kammergerichts abweicht (vgl. KG, Beschluss vom 17.01.2005 - (1) 2 StE 10/03 - 2 (4/03)), hat die Kosten¬festsetzung im vorliegenden verfahren, von der Zuerkennung der Grundgebühr abgesehen, nach den am 01.07.2004 in Kraft getretenen Bestimmungen des RVG und nicht nach den früheren Vorschriften der BRAGO zu erfolgen. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 26.01.1989 (JurBüro 1989, 966) unter Bezugnahme auf den Beschluss des BGH vom 31.05.1988 (NJW 1988, 2671) angesichts des am 01.01.1987 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung von Kosten¬gesetzen vom 09.12.1986 (BGBl. I 2326) anderer Ansicht gewesen ist, hält er an dieser Auffassung nicht mehr fest.

Die Frage, ob die Tätigkeit des Antragstellers nach der BRAGO oder dem RVG zu vergüten ist, richtet sich nicht nach der Dauerübergangsregelung des § 60 Abs. 1 RVG, der der Vorschrift des § 134 BRAGO entspricht, sondern nach § 61 Abs. 1 RVG, der die Übergangsvorschrift aus Anlass des am 01.07.2004 in Kraft getre¬tenen RVG beinhaltet, im Grundsatz jedoch der Regelung des § 60 Abs. 1 RVG entspricht.

Auf den Gebührenanspruch des Pflichtverteidigers sind nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebührensätze des RVG (zur Grundgebühr siehe unten) anzuwenden, weil Rechtsanwalt S. dem Beschuldigten am 25.08.2004 und somit nach dem Inkrafttreten des RVG am 01.07.2004 beigeordnet wurde. Durch die Vorschrift des § 61 Abs. 1 S. 2 RVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es für die Frage, ob altes oder neues Gebührenrecht für den Vertei¬diger anzuwenden ist, nicht auf den Zeitpunkt des Beginns des jeweiligen Rechtszugs ankommt, sondern auf den Zeitpunkt der Auf¬tragserteilung oder der Bestellung zum Pflichtverteidiger (vgl. hierzu zum Kostenrechtsänderungsgesetz 1994: OLG Celle, MDR 1995, 532). Damit ist die Rechtsprechung des BGH in seinem Beschluss vom 31.05.1988 (NJW 1988, 2671), auf die sich der Senat in seiner Entscheidung vom 26.01.1989 (JurBüro 1989, 966) bezogen hatte, bereits seit der am 01.07.1994 in Kraft getretenen Änderung des § 134 BRAGO überholt gewesen und auch durch § 61 Abs. 1 S. 2 RVG Überholt. Aus der Gesetzesbegründung zu § 60 RVG (BT-Drs. 15/1971 S. 203), die auch für § 61 RVG gilt, ergibt sich, dass für die Frage, welches Vergütungsrecht Anwendung findet, der Zeitpunkt ausschlaggebend sein soll, an dem erstmals einer der in § 60 Abs. 1 S. 1 bzw. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, wobei sich aus der weiteren Begründung ergibt, dass die Pfichtverteidigerbestellung der Auftragsertei¬lung vorgeht. Dort ist nämlich klargestellt, dass hinsichtlich der Pflichtverteidigervergütung kein Zusammentreffen mehrerer Tatbestände i.S. des § 60 Abs. 1 S. 1 bzw. § 61 Abs. 1 S. 1 RVG vorliegt, wenn der Wahlverteidiger sein Mandat niederlegt und anschließend zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Erfolgt die Pflichtverteidigerbestellung nach dem Stichtag des 01.07.2004, soll die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht berechnet werden. Diesem gesetzgeberischen willen steht, wie bereits darge¬legt, im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts Berlin in sei¬nem Beschluss vom 04.10.2004 der Gesetzeswortlaut nicht entgegen. Zutreffend weist das Oberlandesgericht Hamm in seinem Beschluss vom 10.01.2005 - 2 (s) Sbd. VIII 267, 268 u. 269/04 - darauf hin, dass das Landgericht Berlin in seiner Entscheidung übersehen hat, dass im Falle der Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtver¬teidiger für die Frage, ob die gesetzlichen Gebühren sich nach der BRAGO oder dem RVG richten, wenn der vor dem 01.07.2004 bereits als Wahlanwalt tätige Rechtsanwalt nach dem 01.07.2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, gerade nicht mehr-die Übernahme des Wahlmandats als Anknüpfungspunkt für das anzuwen¬dende Recht zur Verfügung steht, weil mit dem Beiordnungsantrag das Wahlmandat niedergelegt wird, und damit Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Gebührenrechts nur noch die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist. Das Oberlandesgericht Hamm stellt weiter zutreffend dar, dass der Hinweis des Landgerichts Berlin auf die Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe fehl geht, weil dem Prozesskostenhilfeanwalt auch im Falle der Beiordnung nach dem 01.07.2004 immer noch als zeitlich erster Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Gebührenrecht die "unbedingte Auftragserteilung" vor dem 01.07.2004 zur Verfügung steht. Das Wahlmandat wird von ihm - anders als beim Pflichtverteidiger - nicht mit dem Beiordnungsantrag niedergelegt, sondern der mit dem Mandanten geschlossene Mandatsvertrag bleibt Grundlage der anwaltlichen Tätigkeit. Soweit das Landgericht Berlin in seiner Entscheidung auf die "Interessenlage des Kostenschuldners" abstellt, führt das Oberlandesgericht Hamm in seinem genannten Beschluss weiter über¬zeugend aus, dass das Landgericht Berlin es übersehen hat, dass es wegen der Wahlanwaltsvergütung bei der Anwendung der BRAGO bleibt. Lediglich die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidi¬gers richten sich nach dem RVG.

Zutreffend geht deshalb die herrschende Meinung und mit ihr der Senat davon aus, dass es für die Gebühren des Pflichtvertei¬digers nur auf den Zeitpunkt seiner Bestellung ankommt (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., RdNr. 32 zu § 60 sowie die von Jungbauer in ihrer Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Berlin in JurBüro 2005, 32 zitierte Literatur; OLG Schleswig, Beschluss vom 30.11.2004 - 1 Ws 423/04 (132/04); OLG Celle, Beschluss vom 11.02.2005 - 1 ARs 293/04 P).

Die von Rechtsanwalt S. in seinem Antrag vom 24.10.2004 angesetzten Gebühren mit Ausnahme der Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG W sind nicht zu beanstanden.

Mit Jungbauer in ihrer Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Berlin vertritt auch der Senat die Auffassung, dass dem Antragsteller im vorliegenden Fall nicht die Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG W, sondern lediglich die Vorverfahrensgebühr nach der BRAGO zusteht. § 48 Abs. 5 S. 1 RVG bestimmt, dass der im ersten Rechtszug bestellte Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung einschließlich seiner Tätigkeit vor der Anklageerhebung erhält. Es bleibt aber offen, ob die Vergütung insoweit nach der BRAGO oder dem RVG zu erfolgen hat. In der Gesetzesbegründung zu § 60 RVG (BT-Drs. 15/1971 S. 203) ist insoweit ausgeführt: "Erfolgt die Pflichtverteidigerbestellung nach dem Stichtag, soll die Pflichtverteidigervergütung nach neuem Recht berechnet werden. Dies soll auch für die Tätigkeiten vor dem Stichtag gelten, soweit diese nach § 48 Abs. 5 RVG zu vergüten sind.

Eine Aufspaltung der Vergütung könnte bei einer Veränderung des Abgeltungsbereichs einzelner Gebühren zu massiven Problemen bei der Gebührenbemessung führen. Weder diese Übergangsvorschrift noch § 134 BRAGO gelten jedoch für die Übergangsfälle aufgrund des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Für diese Fälle sieht § 61 RVG eine eigene Übergangsregelung vor." Weiterhin ist in der Gesetzesbegründung zur Grundgebühr (BT-Drs. 15/1971 S. 222) aus¬geführt: "Die Grundgebühr soll den Arbeitsaufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen. Da dieser Aufwand auch dann entsteht, wenn der Verteidiger nicht schon im Ermittlungsverfahren tätig wird, son¬dern z.B. erst in der Berufungsinstanz, ist es sachgerecht, das Entstehen der Grundgebühr vom Zeitpunkt des Tätigwerdens unabhän¬gig zu machen." '

Der Antragsteller war zum Zeitpunkt seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger am 25.08.2004 bereits in die Materie eingearbeitet. Die Einarbeitung erfolgte bereits zwischen der Wahlmandatsübernahme am 09.06.2004 und dem Inkrafttreten des RVG am 01.07.2004. In der Einarbeitungsphase des Verteidigers war das RVG somit noch nicht in Kraft. Die oben dargestellte Rückwirkung der Bestellung führt nach §§ 48 Abs. 5, 61 RVG deshalb auch unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung nicht dazu, dass der An¬tragsteller seine Einarbeitungstätigkeit im Ermittlungsverfahren nach dem zu diesen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen RVG vergütet erhalten kann. Mit Jungbauer ist der Senat deshalb der Ansicht, dass Rechtsanwalt S. für die Einarbeitung in die Sache im Ermittlungsverfahren nicht die Grundgebühr nach Nr. 4101 RVG W in Höhe von 162,-- EUR, sondern die Vorverfahrensge¬bühr nach §§ 97 Abs. 1 S. l und 3, 84 Abs. l, 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO in Höhe von 125,-- EUR beanspruchen kann.

Die aus der Staatskasse zu verauslagenden Pflichtverteidigerge¬bühren betragen deshalb 1.038,20 EUR und einschließlich 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 166,11 EUR insgesamt 1.204,31 EUR brutto.

Der von der Staatskasse angefochtene Beschluss des Landgerichts Bayreuth ist deshalb geringfügig abzuändern und die weitergehende Beschwerde zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 RVG.

Einsender: RA Schmidtgall, Kulmbach

Anmerkung:


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