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RVG Entscheidungen

§ 48

Erstreckung; Pflichtverteidiger bereits beigeordnet; Aufhebung der Beiordnung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 26. 11. 2006, 5 Ws 575/06

Fundstellen:

Leitsatz: Die Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG ist auch dann auszusprechen, wenn dem Beschuldigten in dem Verfahren, auf das sich die Erstreckung beziehen soll, zwar bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, diese Beiordnung aber unwirksam ist.


KAMMERGERICHT
Beschluss
5 Ws 575/06
In der Strafsache gegen W. u.a.,
hier nur gegen
M. W.
wegen Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung
hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin durch die Richterin am Kammergericht am 22. 11. 2006 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Be-schluss des Vorsitzenden der Strafkammer 1 des Land-gerichts Berlin vom 21. August 2006 aufgehoben. Die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG werden auf das verbundene Verfahren des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin

– (284) 6 Op Js 1620/04 Ls (35/05) - gemäß § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG erstreckt.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.


Gründe:

1. Gegen den Angeklagten war bei dem Amtsgericht Tiergarten das Verfahren - (284) 6 Op Js 1620/04 Ls (35/05) – anhängig, in dem ihm vorgeworfen wurde, in 42 Fällen unerlaubt mit Be-täubungsmitteln gewerbsmäßig Handel getrieben zu haben. In dem hiesigen Verfahren – zu dem das Verfahren des Amtsgerichts Tiergarten am 10. Juli 2006 verbunden worden ist – wird dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 23. Mai 2006 unter an-derem schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperver-letzung in zwei Fällen sowie Freiheitsberaubung in zwei Fällen vorgeworfen. Am 14. Juni 2006 hat das Landgericht Berlin in diesem Verfahren dem Angeklagten Rechtsanwältin F. als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Nach der danach erfolgten Verbindung beider Verfahren hat die Verteidigerin des Ange-klagten beantragt, die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestel-lung gemäß § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG auf das verbundene Verfahren des Amtsgerichts Tiergarten, in dem sie als Wahlverteidigerin tätig war, gemäß § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG zu erstrecken. Durch den angefochtenen Beschluss vom 21. August 2006 hat der Vor-sitzende der Strafkammer 1 des Landgerichts den Antrag abge-lehnt. Die dagegen gerichtete zulässige Beschwerde des Ange-klagten hat Erfolg.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG

auf das verbundene Verfahren des Amtsgerichts Tiergarten gemäß § 48 Abs. 5 Satz 3 StPO zu erstrecken.

Das Landgericht begründet seine Entscheidung allein mit der Tatsache, dass in dem verbundenen Verfahren Rechtsanwalt H. zum Pflichtverteidiger bestellt war und deshalb dort eine Bei-ordnung der Rechtsanwältin F. nicht mehr in Betracht kam. Die-ser Gedanke trägt die Ablehnung aus folgenden Erwägungen nicht.

a) In dem Verfahren – (284) 6 Op Js 1620/04 Ls (35/05) forder-te das Amtsgericht Tiergarten mit Schreiben vom 8. Juli 2005 den damaligen Angeschuldigten auf, binnen fünf Tagen nach Zu-stellung des Anhörungsbogens einen Rechtsanwalt seines Ver-trauens zu benennen, andernfalls werde ihm seitens des Ge-richts ein Verteidiger beigeordnet. Die Zustellung des Anhö-rungsbogens erfolgte an die Anschrift L. Straße in Berlin, bei Fi.. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde das Schrei-ben am 18. Juli 2005 unter der oben angegebenen Adresse an C. Fi. ausgehändigt. Da eine Äußerung des Angeklagten ausblieb, wurde ihm mit Verfügung vom 29. Juli 2005 Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger bestellt.

Nachdem am 22. Dezember 2005 die Zustellung des Eröffnungsbe-schlusses nebst Ladung zum Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Tiergarten unter der dem Gericht bekannten Adresse erfolglos verlief, führte der Polizeipräsident in Berlin am 03. März 2006 eine Hausermittlung durch. Diese ergab, dass der Angeklagte nach Auskunft der C. Fi. zu keinem Zeitpunkt in ih-rer Wohnung gelebt und sich dort nie aufgehalten habe. Ferner gab sie an, sie habe das Schreiben des Amtsgerichts Tiergarten vom 08. Juli 2005 zwar im Juli 2005 ihrem Briefkasten entnom-men, dieses jedoch bis zum Tage der Befragung am 03. März 2006 weder an den Angeklagten übergeben, weil sie keinen Kontakt mehr zu ihm pflege, noch habe sie das Schreiben an das Amtsge-richt zurückgesandt.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2006 hat das Amtsgericht Tiergarten den Antrag der Verteidigerin, Rechtsanwältin F., sie dem An-geklagten als Pflichtverteidigerin beizuordnen, mit der Be-gründung abgelehnt, dass bereits Rechtsanwalt H. bestellt wor-den sei, weil der Angeklagte von seiner Benennungsmöglichkeit innerhalb der ihm gesetzten Frist keinen Gebrauch gemacht ha-be.

b) Dem Angeklagten ist das Anhörungsschreiben des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Juli 2005 nicht wirksam zugestellt worden ist.

Gemäß den §§ 37 Abs. 1 StPO, 178 Abs. 1 ZPO kann zwar in der Wohnung eine Ersatzzustellung an einen zur Familie gehörenden Hausgenossen erfolgen, wenn der Zustelladressat in seiner Woh-nung nicht angetroffen wird. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es sich um die Wohnung des Zustelladressaten handelt, in der er zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich lebt, insbe-sondere schläft und in die er regelmäßig wiederkehrt. Zwar ist nicht erforderlich, dass er dort seinen Wohnsitz hat oder po-lizeilich gemeldet ist, sie muss jedoch den räumlichen Mittel-punkt seines Lebens darstellen (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1161 m.w.Nachw.). Sowohl nach den Angaben der C. Fi. als auch nach seinen eigenen Angaben hatte der Angeklagte danach im maßgeb-lichen Zeitraum nicht unter der Zustellungsadresse gewohnt.


Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die Postzustel-lungsurkunde. Obwohl eine Postzustellungsurkunde öffentlichen Glauben genießt, umfasst ihre Beweiskraft nicht den Umstand, dass der Zustellungsadressat an der Zustellungsadresse wohnt. Denn insoweit enthält die Zustellungsurkunde keine Beschrei-bung von Tatsachen und Feststellungen, die der Zusteller wahr-genommen hat, sondern lediglich eine von ihm vorausgesetzte – wenn auch nicht völlig ungeprüfte – Annahme (vgl. OLG Nürn-berg, NJW-RR 1998, 495, 496). Gleiches gilt für die Annahme, dass die entgegennehmende Person eine zum Empfang gemäß § 178 Abs. 1 ZPO berechtigte Ersatzperson darstellt. Selbst wenn C. Fi. das Schreiben – wie in der Postzustellungsurkunde belegt - entgegengenommen und hierbei vorgegeben hat, als Ersatzperson im Sinne einer Familienangehörigen des Angeklagten agieren zu dürfen, kann dies nicht zu einer ordnungsgemäßen Ersatzzustel-lung führen. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Ersatzzustel-lung gemäß § 178 Abs. 1 ZPO den Zugang zustellungsbedürftiger Schriftstücke an den Adressaten durch Aushändigung an solche Personen ermöglichen, von denen man nach der Lebenserfahrung aufgrund ihres zum Adressaten bestehenden Vertrauensverhält-nisses erwarten kann, dass sie ihm das Schriftstück alsbald aushändigen werden (BGH NJW-RR 1997, 1161). Um eine derartige Person handelt es sich bei C. Fi. im Verhältnis zu dem Ange-klagten nicht.

c) Der Zustellungsmangel hat zur Folge, dass die durch das Amtsgericht Tiergarten erfolgte Beiordnung des Rechtsanwalts H. rechtfehlerhaft war. Denn die unterbliebene Zustellung des Anhörungsbogens und die damit nicht mögliche Benennung des An-walts seines Vertrauens, verletzt den Angeklagten in seinem Recht gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO. Denn trotz des Wortlau-tes kommt dieser Soll-Vorschrift als Ausfluss des Fairness-grundsatzes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103

Abs. 1 GG) einer Anhörungspflicht gleich, von der nur in sel-tenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (BVerfG NJW 2001, 3695, 3697; KG wistra 2006, 74). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Bei der Benennung eines Anwalts des Ver-trauens durch den Angeklagten hat dessen Beiordnung grundsätz-lich Vorrang (BVerfG NJW 2001, 3695, 3697).

Das Amtsgericht Tiergarten hätte daher die Beiordnung des Rechtsanwalts H. aufheben und dem Angeklagten die von ihm be-nannte Verteidigerin beiordnen müssen.

3. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG sind daher vorliegend gegeben. Eine Anordnung der Erstreckung kommt nach der Gesetzesbegründung insbesondere dann in Betracht, wenn in dem hinzu verbundenen Verfahren eine Bestellung als Pflicht-verteidiger ohne die Verbindung unmittelbar bevorgestanden hätte (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 201; LG Berlin, 505 Qs 167/05; Volpert in Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 48 Rdnr. 15 f). Das ist vorliegend der Fall, denn die Verteidige-rin hätte in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten dem Angeklagten beigeordnet werden müssen. Sie hat rechtzeitig vor der Verbindung den Beiordnungsantrag gestellt und war in jenem Verfahren auch tätig.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2, Sätze 2 und 3 RVG.

Einsender: VorRiKG Weißbrodt, Berlin

Anmerkung:


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