Gericht / Entscheidungsdatum: AG Lampertheim, Beschl. v. 30.05.2025 - 52 AR 19/25 (OWi)
Eigener Leitsatz:
Eine Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG ist bereits dann schon gegeben, wenn sich der Betroffene auf Rat des Verteidigers auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft. Berät der Rechtsanwalt seinen Mandanten in diese Richtung und wird das Verfahren daraufhin später eingestellt, hat der Verteidiger an der Einstellung mitgewirkt
Amtsgericht Lampertheim
52 AR 19/25 (OWi)
Beschluss
In der Bußgeldsache
betreffend pp.
Verteidiger:
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Lampertheim durch den Richter am Amtsgericht am 30.05.2025 beschlossen:
Auf Antrag des Verteidigers des Betroffenen vom 30.04.2025 auf gerichtliche Entscheidung gegen den Kostenfestsetzungsbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 29.04.2025 wird eine Zusatzgebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG in Höhe von 176,- Euro, nebst Umsatzsteuer (19 %) festgesetzt.
Die Kosten des Rechtsbehelfsverfahrens und den diesbezüglich notwendigen Auslagen des Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Am 24.10.2024 erließ das Regierungspräsidium Kassel einen Bußgeldbescheid gegenüber dem Betroffenen, welcher den Vorwurf enthielt, dass dieser am 13.09.2024 um 11:07 Uhr auf der Bundesstraße B 47 in der Gemarkung Bürstadt, Fahrtrichtung Lorsch, als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h überschritten haben soll.
Der Bescheid gegen den Betroffenen erging, nachdem der Halter des Fahrzeuges, die pp. GmbH in Schifferstadt, nach Übersendung eines Zeugenfragebogens am 27.09.2024 gegenüber dem Regierungspräsidium Kassel mitgeteilt hatte, das Fahrzeug sei zum Tatzeitpunkt an den Betroffenen überlassen worden. Weitere Ermittlungen der Verwaltungsbehörde zur Fahreridentität verliefen ergebnislos. So teilte die Verbandsgemeinde Alzey-Land auf ein Ersuchen des Regierungspräsidiums Kassel vom 09.10.2024 mit Schreiben vom 10.10.2024 mit, dass kein Lichtbild des Betroffenen vorhanden sei, da er ausländischer Staatsangehöriger sei. Der Bußgeldbescheid erging demnach auf der Grundlage der Auskunft der Halterin des Fahrzeuges.
Der Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 24.10.2024 wurde dem Betroffenen am 26.10.2024 zugestellt. Nach einem Verteidigerwechsel legte Herr Rechtsanwalt pp. mit Schreiben vom 28.10.2024 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte Akteneinsicht.
Bereits mit Schreiben vom 08.10.2024, vor Erlass des Bußgeldbescheides, teilte Frau Rechtsanwältin pp. aus dem Verteidigerbüro mit, dass der Betroffene zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wird.
Nach Einspruchseinlegung sah sich das Regierungspräsidium Kassel erneut veranlasst, Ermittlungen zur Fahreridentität durchzuführen. Mit Schriftsätzen vom 29.10.2024 und 17.12.2024 bat das Regierungspräsidium Kassel die Verbandsgemeinde Alzey-Land erneut, im Wege der Amtshilfe, um Übersendung einer möglichst vergrößerten Kopie des Fotos aus dem Personalausweis- oder Passregister von dem Betroffenen, um den verantwortlichen Fahrer zu identifizieren, obwohl die Verbandgemeinde bereits mit Schreiben vom 10.10.2024 gegenüber dem Regierungspräsidium mitgeteilt hatte, dass kein Lichtbild vorhanden sei, da der Betroffene ausländischer Staatsangehöriger ist.
Nachdem das Amtshilfeersuchen bei der Verbandgemeindeverwaltung Alzey-Land erneut ergebnislos verlief, bat das Regierungspräsidium Kassel die Polizeiinspektion Alzey um ein Ermittlungsersuchen. Die Polizeiinspektion Alzey wurde mit Schreiben vom 21.01.2025 gebeten, zu ermitteln, ob die im Bußgeldbescheid bezeichnete Person die Tat begangen hat. Die Polizeiinspektion Alzey teilte mit, dass das Ersuchen zuständigkeitshalber an die Verbandsgemeinde Alzey-Land weitergeleitet worden sei.
Da nach Erlass des Bußgeldbescheides sämtliche Identitätsermittlungen ergebnislos verliefen, stellte das Regierungspräsidium Kassel am 24.04.2025 das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Betroffenen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 170 StPO ein und nahm den Bußgeldbescheid vom 24.10.2024 zurück.
Nachdem das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt wurde, beantragte der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 25.04.2025 die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß §§ 105 Abs. 2 OWiG, 467 a Abs. 1 StPO der Behörde aufzuerlegen und eine dementsprechende Kostenentscheidung zu treffen. Zudem wurde beantragt, die notwendigen Auslagen des Betroffenen gemäß § 106 OWiG gegen die Behörde festzusetzen und festzustellen, dass diese Kosten ab Antragseingang mit 5 Prozent über dem Basiszinssatz zu verzinsen sind.
Geltend gemacht wurden mit Schriftsatz vom 25.04.2025 folgende Gebühren:
Grundgebühr Nr. 5100 VV 110,00 EUR
Verfahrensgebühr VerwB (60 € - 5000 €) 176,00 EUR Nr. 5103 VV
Zusatzgebühr (60 € - 5000 €) Nr. 5115 VV 176,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 EUR Nr. 7002 VV RVG
Netto-Gesamtsumme 482,00 EUR
19,00 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 91,58 EUR
Rechnungsbetrag 573,58 EUR
Auf die Kostenrechnung des Verteidigers erließ das Regierungspräsidium Kassel am 29.04.2205 einen selbständigen Kostenbescheid nach dem RVG.
In diesem Bescheid wurden folgende Beträge zur Erstattung festgesetzt.
110,00 € Grundgebühr nach Nr. 5100 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
(RVG)
176,00 € Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 der Anlage 1 zum RVG
20,00 € Pauschale nach Nr. 7002 der Anlage 1 zum RVG
58,14 € Umsatzsteuer (19 %) nach Nr. 7008 der Anlage 1 zum RVG
364,14 € Gesamtbetrag
Die Festsetzung der zusätzlichen Gebühr gemäß Nr. 5115 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz lehnte das Regierungspräsidium Kassel ab mit den Gründen, dass ein Einspruch ohne weitere Begründung nicht als Beitrag zur Förderung des Verfahrens im Sinne dieser Vorschrift genüge. Eine Mitwirkung liege nicht vor, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit lediglich auf die Verteidigerbestellung und Akteneinsicht beschränke oder ein nicht begründeter Einstellungsantrag eingereicht bzw. eine spätere Einlassung in Aussicht gestellt werde.
Gegen den Kostenbescheid vom 29.04.2025 legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 30.04.2025 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein und begründete seinen Antrag damit, dass für die Entstehung der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG keine ursächliche Mitwirkung des Anwalts an der Einstellung erforderlich sei, es reiche aus, dass eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Die bloße Mitteilung, der Betroffene werde keine Einlassung abgeben, reiche ebenfalls aus. Eine solche Tätigkeit des Verteidigers liege hier schon in dem Schriftsatz vom 08.10.2024 vor, mit letzterem der Verteidiger gegenüber der Verwaltungsbehörde die Einstellung des Verfahrens beantragt habe und dem Mandanten geraten habe, zu schweigen, demnach keine Einlassung abzugeben. Ferner wäre ohne Einspruch der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden. Von Amts wegen hätte die Behörde sicherlich keinen Bußgeldbescheid mehr zurückgenommen. Damit liege eine Förderung des Verfahrens, mithin eine Mitwirkung vor.
Das Regierungspräsidium Kassel hat auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 Abs. 2 OWiG in Verbindung mit § 306 Abs. 2 StPO dem Antrag nicht abgeholfen und dargelegt, der Einspruch sei nicht näher begründet worden. Etwaige Mitwirkungshandlungen im Vorverfahren hätten nicht zur Einstellung des Verfahrens geführt, vielmehr sei zunächst der Bußgeldbescheid erlassen worden. Das Verfahren sei wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt worden.
Der zulässige Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.
Nach der Rechtsprechung wird der Gebührentatbestand unstreitig ausgelöst, wenn eine Mitwirkung des Rechtsanwalts ersichtlich ist. Welche Tätigkeit der Rechtsanwalt erbringt, ist dabei unerheblich. Es genügt jede auf die Einstellung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwaltes. Eine Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG ist bereits dann schon gegeben, wenn sich der Betroffene auf Rat des Verteidigers auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft. Berät der Rechtsanwalt seinen Mandanten nämlich in diese Richtung und wird das Verfahren daraufhin später eingestellt, hat der Verteidiger an der Einstellung mitgewirkt (Gerold/Schmitt RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, Randziffer 6 zu RVG VV 5115).
Im vorliegenden Verfahren hatte die Verwaltungsbehörde lediglich auf der Grundlage der Auskunft der Halterin des Kraftfahrzeuges einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen erlassen. Erst nachdem der Verteidiger Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hatte und mit Schreiben vom 08.10.2024 bereits angekündigt hatte, dass der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wird, führte das Regierungspräsidium Kassel erneut verschiedene Ermittlungsersuchen zur Fahrerfeststellung durch, die jedoch innerhalb der Verjährungsfrist ergebnislos verliefen, sodass das Verfahren eingestellt werden musste.
Der Verteidiger hat somit in seinem Schreiben vom 08.10.2024 und dem Einspruch vom 30.04.2025 an der Erledigung des Verfahrens mitgewirkt, sodass ihm die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zusteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 OWiG in Verbindung mit § 467 StPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG.
Einsender: RA D. Engels, Düsseldorf
Anmerkung:
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