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RVG Entscheidungen

Nr. 7000 VV

digitale Datenträger, Ausdruck. Dokumentenpauschale

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.09.2024 - Ws 649/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten kann deren Ausdruck durch den Verteidiger ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich nicht mit der Dokumentenpauschale vergütet werden. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung besteht für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache grundsätzlich kein Erfordernis, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken.
2. Den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, trifft eine besondere Begründungs- und Darlegungslast, warum dies zusätzlich zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er die zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt.


Oberlandesgericht Nürnberg
Ws 649/24

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Handel/Herstellen/Abgabe bzw. Besitz von BtM in nicht geringer Menge

hier: Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Weiden i.d.OPf. gegen die Gewährung einer Dokumentenpauschale

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 25. September 2024 folgenden

Beschluss

Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Weiden i.d.OPf. wird der Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 07.03.2024 in Gestalt des teilweisen Nichtabhilfebeschlusses vom 06.06.2024 insoweit aufgehoben, als die dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen mit einem Betrag über 3.427,87 € festgesetzt wurden.

Gründe:

I.

Rechtsanwalt Dr. jur. S., war dem Angeklagten B., der sich bis zum 05.12.2023 in Untersuchungshaft befand, im Verfahren der Staatsanwaltschaft Weiden i.d.OPf. (Az.: 324 Js 5493/22 jug) als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Dem Pflichtverteidiger wurde der vollständige Akteninhalt digital (CDs/DVDs und Einsicht in das Justizportal) zur Verfügung gestellt.

Nach Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beantragte der Pflichtverteidiger mit Schreiben vom 16.01.2024 unter anderem die Festsetzung und Anweisung von Kosten für die Kopie der gesamten Akte in Höhe von 1.872,00 € für die Anfertigung von 5.240 Schwarzweißkopien und 2.087 Farbkopien.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Weiden i.d.OPf. setzte im Beschluss vom 07.03.2024 die beantragten Kopierkosten ab. Der Pflichtverteidiger sei seiner Darlegungspflicht zur Frage der Erforderlichkeit der Anfertigung der Ausdrucke im geltend gemachten Umfang nicht nachgekommen. Allein der Hinweis darauf, dass er über keinen Laptop verfüge, das Landgericht Weiden i.d.OPf. auch noch mit der Papierakte gearbeitet habe und bislang in Strafsachen die elektronische Akte noch nicht eingeführt worden sei, reiche nicht aus. Jedenfalls ergebe sich bei der geltend gemachten Anzahl der gefertigten Kopien nur ein Betrag von 1.464,60 € (803,50 € für 5.240 Schwarzweißkopien und 661,10 € für 2.087 Farbkopien).

Dagegen legte der Pflichtverteidiger mit Schreiben vom 22.03.2024 Erinnerung ein, wobei er darlegte, dass er Kopierkosten nur noch in Höhe der vom Landgericht errechneten 1.464,60 € begehrt. Der Erinnerung half die Rechtspflegerin des Landgerichts Weiden i.d.OPf. mit Beschluss vom 16.04.2024 nicht ab und legte das Rechtsmittel der Strafkammer des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vor.

Mit Beschluss vom 24.04.2024 änderte das Landgericht Weiden i.d.OPf. - 1. Jugendkammer - auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers den Festsetzungsbeschluss vom 07.03.2024 dahingehend ab, dass die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen festgesetzt werden auf 4.892,47 €. Darin enthalten sind die geltend gemachten Kopierkosten (Dokumentenpauschale) in Höhe von 1.464,60 €.

Gegen diesen Beschluss legte der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Weiden i.d.OPf. mit Schreiben vom 07.05.2024 Beschwerde ein, wobei er klarstellt, dass sich diese nur gegen die Festsetzung der Dokumentenpauschale richtet.

Auf die Beschwerde setzte das Landgericht Weiden i.d.OPf. - 1. Strafkammer - mit Beschluss vom 06.06.2024 die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 4.726,57 € fest und half der Beschwerde im Übrigen nicht ab. Da sich nach einer Überprüfung nur 6.774 Seiten Akteninhalt ergaben, seien für 5.240 Schwarzweißkopien 803,50 € und für 1.534 Farbkopien 495,20 €, insgesamt somit 1.298,70 €, festzusetzen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragte, die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Weiden i.d.OPf. als unbegründet zurückzuweisen.

Der Pflichtverteidiger und der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Weiden i.d.OPf. hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die zulässige Beschwerde des Bezirksrevisors des Landgerichts Weiden i.d.OPf. hat in der Sache Erfolg.

1. Die Beschwerde (§ 56 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 und S. 3 RVG) ist zulässig, weil der Beschwerdewert von 200 € überschritten und die zweiwöchige Einlegungsfrist gewahrt ist.

2. Das Oberlandesgericht entscheidet über die Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.04.2024 in der Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde, somit vorliegend durch den gesamten Senat (vgl. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 2. Hs RVG).

3. Die Beschwerde richtet sich nur dagegen, dass dem Erinnerungsführer eine Dokumentenpauschale aus § 46 RVG i.V.m. Nr. 7000 Ziffer 1 lit. a VV RVG in Höhe von 1.298,70 € für 6.774 Seiten selbst gefertigter Kopien zugesprochen wurden. Die Beschwerde hat in der Sache auch Erfolg. Der Pflichtverteidiger hat keinen Anspruch auf Festsetzung der für das Ausdrucken der vollständigen Akte im Umfang von 6.774 Seiten von den ihm dauerhaft überlassenen Datenträgern entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von 1.298,70 €, da der Ausdruck zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten war.

a) Der Ausdruck einer in digitalisierter Form (hier auf mehreren CD-Rom) gespeicherten Gerichtsakte fällt unter den Gebührentatbestand der Nr. 7000 Ziff. 1 lit. a VV RVG (Ahlmann, in Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. VV 7000 Rn. 5). Danach entsteht eine Dokumentenpauschale für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

Die Frage, ob die Ausdrucke (entsprechendes gilt für die Kopien aus einer Gerichtsakte) zur sachgerechten Bearbeitung erforderlich waren, beurteilt sich im Einzelfall nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten (Hartmann, Kostengesetze 44. Aufl. RVG 7000 VV Rdn. 6; Ahlmann, in Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. VV 7000 Rn. 8). Dies ist aus der Sicht zu beurteilen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Prozessbevollmächtigter (oder Verteidiger) haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (vgl. BGH NJW 2005, 2317 f.). Es ist also ein objektivierter Maßstab zu Grunde zu legen; auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts kommt es nicht an (Ahlmann a.a.O. VV 7000 Rn. 8). Gleichwohl steht auch dem gerichtlich bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. OLG Celle, NJW 2012, 1671; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 29.03.2012 - 2 Ws 49/12, JurionRS 2012, 14204; OLG Köln, NStZ-RR 2012, 392). Allerdings muss der Anwalt das ihm eingeräumte Ermessen auch ausüben (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.11.2009 - 2 Ws 526/09, JurionRS 2009, 36455; OLG Köln, NStZ-RR 2012, 392).

b) Der Senat folgt nunmehr der Auffassung (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschluss vom 04.08.2024, 20 Ws 193/14), dass bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten deren Ausdruck ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich nicht mit der Dokumentenpauschale vergütet werden kann (unter Aufgabe der im Beschluss vom 30.05.2017, 2 Ws 98/17, BeckRS 2017, 120492 vertretenen gegenteiligen Meinung).

aa) Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung besteht für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache grundsätzlich kein Erfordernis, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken.

In Zivil- und Familiensachen ist im Freistaat Bayern und vielen anderen Bundesländern die elektronische Gerichtsakte bereits seit längerem eingeführt. In Strafsachen können die Akten gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 StPO elektronisch geführt werden; ab 01.01.2026 ist dies verpflichtend. Bei einigen Staatsanwaltschaften und Gerichten im Freistaat Bayern laufen Pilotprojekte und die Regeleinführung der elektronischen Gerichtsakte bei den Bayerischen Gerichten hat begonnen. Hieraus ergibt sich, dass der Umgang mit elektronischen Akten mittlerweile Alltag im gerichtlichen und anwaltlichen Berufsleben geworden ist, so dass es für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich nicht mehr erforderlich ist, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken. Dass die elektronische Aktenführung für Rechtsanwälte nicht verpflichtend ist, ändert daran nichts.

Ob die Akten, wie im vorliegenden Fall, auf einem elektronischen Speichermedium (etwa CD-ROM) zum dauernden Verbleib oder durch die Möglich zum Download und lokaler Speicherung auf einem Speichermedium des Rechtsanwalts zur Verfügung gestellt werden und ihm damit jederzeit und an jedem Ort ein vollständiger Zugriff auf die Akten möglich ist, ist dabei unerheblich.

bb) Aus den vom Verteidiger zur Begründung des Aktenausdrucks vorgetragenen Umstände ergibt sich nicht, dass im vorliegenden Einzelfall ein vollständiger oder teilweiser Ausdruck der Akten erforderlich war.

(1) Den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, trifft eine besondere Begründungs- und Darlegungslast, warum dies zusätzlich zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er die zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschluss vom 04.08.2024, 20 Ws 193/14). Da die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile zum Alltag gehört und damit ein gezielter Zugriff auf bestimmte Informationen gerade bei umfangreichem Verfahrensstoff erheblich erleichtert wird, ist es dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der elektronischen Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob und wenn ja in welchem Umfang ein Aktenausdruck aus besonderen Gründen für die weitere Verteidigung zusätzlich in Papierform benötigt werden.

(2) Der Einwand des Verteidigers, nicht über einen Laptop zu verfügen, greift nicht durch. Die fehlende Ausstattung des Verteidigers mit einem Laptop stellt keinen tragfähigen Grund für den Ausdruck der Akte dar (Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 7000 VV Rn. 97 m.w.N.). Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind gemäß § 5 BORA verpflichtet, die für ihre Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten, wozu mittlerweile auch die technische Ausstattung zur Bearbeitung elektronischer Akten gehört.

(3) Auch dass es ein Rechtsanwalt als praktikabler oder einfacher empfindet, bei der Besprechung mit seinem Mandanten Anmerkungen auf den Papierausdrucken anbringen zu können, stellt aus Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers keinen Grund dar, der den Ausdruck der Akte erforderlich macht. Zum einen ist auch in einem elektronischen Dokument das Anfertigen von Anmerkungen möglich. Zum anderen kann der Verteidiger bei Besprechungen gleichwohl Anmerkungen in Papierform erstellen und sich die dazugehörige Blattzahl der Akte vermerken. Sollte im Einzelfall der Ausdruck einzelner Aktenteile, etwa von Protokollen von Zeugenaussagen, erforderlich sein, rechtfertigt dies jedenfalls nicht den Ausdruck der gesamten Akte mit über 7.000 Seiten. Gründe dafür, dass der Ausdruck einzelner Aktenteile erforderlich war, hat der Verteidiger nicht vorgebracht, so dass auch eine teilweise Kostenerstattung nicht in Betracht kommt.

(4) Der Ausdruck der dem Verteidiger überlassenen elektronischen Akte stellt auch aus Gründen der Waffengleichheit keine zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache grundsätzlich erforderliche Aufwendung dar. Die Arbeit mit einer Papierakte ist der mit einer elektronischen Akte nicht überlegen. Vielmehr können die elektronische Suchfunktion oder das Anbringen von elektronischen Lesezeichen die Aktenarbeit gerade in umfangreichen Verfahren vereinfachen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 S. 2, S. 3 RVG).


Einsender: Strafsenat des OLG Nürnberg

Anmerkung:


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