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RVG Entscheidungen

§ 33

Einziehung, Gegenstandswert, Vermögensabschöpfung, Bedeutung der Anklage, Berechnung mit fiktivem Charakter

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.07.2023 – 1 Ws 22/23

Leitsatz des Gerichts:

Für das objektive, wirtschaftliche Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Einziehungsanordnung kommt der Anklageschrift, wenn diese sich zur Vermögensabschöpfung äußert, grundsätzlich erhebliche Bedeutung zu; der Inhalt der Anklageschrift verliert allerdings seine Bedeutung für die Bestimmung des Gegenstandwertes für das Einziehungsverfahren, wenn die Vermögensabschöpfung in der genannten Höhe ernstlich nicht im Raum steht und die Berechnung deshalb nur fiktiven Charakter hat.


In pp.

Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 30.12.2022 wird als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) hat gegen den Verurteilten, dem der Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, wegen verschiedener Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz unter dem 12.04.2022 Anklage zum Landgericht erhoben. In der Anklageschrift wird darauf hingewiesen, dass ein Betrag von 660.500,00 € gem. §§ 73, 73c, 73d StGB der Einziehung unterliege und ein Betrag in Höhe von 31.704.000,00 € gem. §§ 73a, 73c, 73d StGB der erweiterten Einziehung unterliege. Unter der Überschrift „Vermögensabschöpfung“ wird dies näher begründet. In der Hauptverhandlung hat der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 274.000,00 € und den „erweiterten Verfall“ in Höhe von 85.500,00 € beantragt. Das Landgericht hat im Urteil vom 11.07.2022 die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 101.500,00 € angeordnet.

Nach Einreichung des Kostenfestsetzungsantrags durch den Beschwerdeführer hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Einziehungsverfahren beantragt. Mit dem angefochtenen Einzelrichterbeschluss hat das Landgericht diesen Gegenstandswert auf 660.500,00 € festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, die erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 31.704.000,00 € sei nach Aktenlage niemals ernsthaft in Betracht gekommen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verteidigers, mit der die Festsetzung eines Gegenstandswertes von 30.000.000,00 € angestrebt wird. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 20.01.2023 der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Der gem. § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG zur Entscheidung berufene Einzelrichter hat das Verfahren gem. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist die Frist für die Einlegung der Beschwerde, die gem. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG zwei Wochen beträgt, eingehalten. Der angefochtene Beschluss ist dem Verteidiger am 05.01.2023 zugestellt worden; die Beschwerdeschrift ist am 17.01.2023 bei dem Landgericht eingegangen.

Das Rechtsmittel bleibt allerdings in der Sache erfolglos.

Nach Nr. 4142 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV) fällt eine besondere Verfahrensgebühr als Wertgebühr an, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene gerichtlich oder außergerichtliche Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29.11.2018 - 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Die Verfahrensgebühr wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten. Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist, noch, ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt, noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache ernsthaft in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14.02.2020 - 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; OLG Braunschweig, Beschluss vom 01.03.2022 – 1 Ws 38/22; juris Rn. 3).

Der Gegenstandswert für die Einziehung richtet sich nach dem objektiven wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Anordnung (BGH, Beschluss vom 30.04.2014 - 1 StR 53/13, juris Rn. 1; Beschluss vom 07.10.2014 - 1 StR 166/07, juris Rn. 1; Beschluss vom 29.11.2018 - 3 StR 625/17, juris Rn. 5; Beschluss vom 22.05.2019 - 1 StR 471/18, juris Rn. 2). Maßgeblich ist - wie bei Festsetzung der Kosten im Zivilprozess - der Nominalwert der titulierten Einziehungsforderung. Eine Verringerung des Gegenstandswerts wegen fehlender Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs ist generell weder im Streitwert- noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorgesehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob wegen einer Vermögenslosigkeit des Angeklagten erhebliche Zweifel an der Werthaltigkeit der Einziehungsforderung bestehen (BGH, Beschluss vom 22.05.2019 - 1 StR 471/18, a. a. O. für das Revisionsverfahren; anders für den Arrest: BGH, Urteil vom 08.11.2018 - III ZR 191/17, juris Rn. 20). Beanstandet die Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren, das Landgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Verfall von Wertersatz anzuordnen, bemisst sich der Gegenstandswert im Revisionsverfahren nach dem von der Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision verfolgten Ziel, mithin der von ihr erstrebten Höhe der Anordnung des Verfalls von Wertersatz (BGH, Beschluss vom 24.02.2015 - 1 StR 245/09, juris Rn. 5). Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe des Verfalls des Wertersatzes kann sich nur nach den zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung erkennbaren Anhaltspunkten in der Verfahrensakte, nicht jedoch nach dem in der Hauptverhandlung gestellten Schlussantrag der Staatsanwaltschaft richten. Ob sich später, etwa in der Hauptverhandlung, Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben haben, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, in welcher Höhe letztlich das Gericht die Einziehung von Wertersatz festgesetzt hat. Der in der zugelassenen Anklage enthaltene Hinweis auf die in Betracht kommende Rechtsfolge der Verfallsanordnung ist nicht völlig bedeutungslos; der Hinweis in der Anklageschrift führt immerhin dazu, dass durch sie ein rechtlicher Hinweis des Gerichts in der Hauptverhandlung entbehrlich wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.08.2007 - 3 Ws 267/07, juris Rn. 7; OLG Oldenburg, Beschluss vom 03.12.2009 - 1 Ws 643/09, juris Rn. 8 und Beschluss vom 06.07.2011 - 1 Ws 351/11, juris Rn. 11).

Deshalb ist im vorliegenden Fall das von der Vertreterin der Landeskasse tatsächlich zutreffend herausgestellte „grobe Missverhältnis“ zwischen den von der Staatsanwaltschaft hochgerechneten Einkünften des Verurteilten und dem nach dem Urteil letztlich der Einziehung unterfallenden Betrag für die Festsetzung des Gegenstandswertes ohne Bedeutung. Auch dass - wie die Generalstaatsanwaltschaft in tatsächlicher Hinsicht zutreffend einwendet - eine Anordnung der erweiterten Einziehung von Wertersatz bei dem Verurteilten wirtschaftlich nicht durchsetzbar ist, spielt für die Festsetzung keine Rolle. Schließlich vermögen auch die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der erweiterten Einziehung hier schon nach Aktenlage nicht vorlagen (BGH, Beschluss vom 04.03.2021 - 5 StR 447/20, juris Rn. 67 f.; ferner: Beschluss vom 03.11.2020 - 6 StR 258/20, juris Rn. 7; Beschluss vom 19.08.2021 - 5 StR 238/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 26.10.2021 - 5 StR 327/21, juris Rn. 3), die Wertfestsetzung nicht zu beeinflussen.

Als aus der Akte erkennbarem Anhaltspunkt für das objektive, wirtschaftliche Interesse des Angeklagten an der Abwehr der Einziehungsanordnung kommt der Anklageschrift, wenn diese sich zur Vermögensabschöpfung äußert, naturgemäß erhebliche Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft die nach ihrer Auffassung der Einziehung und der erweiterten Einziehung unterliegenden Beträge nicht nur beziffert, sondern deren Berechnung auch noch ausführlich begründet. Nach der Anklageschrift sollte ein Betrag von insgesamt 32.364.500,00 € der Einziehung bzw. der erweiterten Einziehung von Wertersatz unterliegen.

Entsprechenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keine Bedeutung für das Interesse des Verurteilten an der Abwehr der Anordnung beizumessen, würde der Bedeutung der Anklageschrift für das Strafverfahren nicht gerecht; steht die Vermögensabschöpfung in der genannten Höhe allerdings ernstlich nicht im Raum und hat die Berechnung deshalb nur fiktiven Charakter, verliert der Inhalt der Anklageschrift seine Bedeutung für die Bestimmung des Gegenstandwertes (zum Verfall und unter Geltung der BRAGO: OLG Köln, Beschluss vom 01.06.2007 - 2 Ws 173-175/07, BeckRS 2007, 16796 = StraFo 2007, 525).

So liegt der Fall hier. Der fiktive Charakter der Berechnung des vermeintlich der erweiterten Einziehung unterliegenden Betrages lässt sich zwar nicht dem Wortlaut der Anklageschrift entnehmen; die Bezifferung dieses Betrages ist aber im Hinblick auf den Ansatzpunkt für deren Berechnung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten im Tatzeitraum offensichtlich abwegig.

Deshalb hat es mit dem von dem Landgericht für das Einziehungsverfahren festgesetzten Gegenstandwert in Höhe von 660.500,00 € sein Bewenden.


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