Gericht / Entscheidungsdatum: LG Amberg, Beschl. v. 5.12.2022 - 11 Qs 79/22
Eigener Leitsatz:
Wird die Pflichtverteidigerbestellung rückwirkend aufgehoben, entfällt damit ein Vergütungsanspruch des Verteidigers.
Landgericht Amberg
11 Qs 79/22
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Verbreitung Jugendpornographischer Schriften
erlässt das Landgericht Amberg - 1. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 5. Dezember 2022 folgenden
Beschluss
1. Die Beschwerde des Rechtsanwalts pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 12.10.2022 wird als unbegründet verworfen.
2. Die weitere Beschwerde wird zugelassen
3. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Bei der Staatsanwaltschaft Amberg war seit dem 11.01.2021 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Besitzes von Jugendpornographie anhängig.
Mit Schriftsatz vom 07.12.2020 zeigte Rechtsanwalt pp. die Verteidigung des Beschuldigten gegenüber der KPI Amberg an und beantragte Akteneinsicht.
Im Rahmen der Ermittlungen bei der KPI Amberg wurde das Handy des Beschuldigten ausgewertet. Hierbei wurden 32 Bilddateien (Thumbnails) mit möglicherweise kinder- bzw. jugendpornographischen Bezug festgestellt.
Mit Verfügung vom 12.01.2021 erhielt der Verteidiger Akteneinsicht und die Möglichkeit zur Stellungnahme bis 26.01.2021. Auf Antrag wurde die Stellungnahmefrist bis 19.02.2021 verlängert und Akteneinsicht in das Sonderheft auf der Geschäftsstelle bewilligt. Die Akteneinsicht in den Sonderband erfolgte am 17.02.2021.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.02.2021 beantragte der Beschuldigte die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, da nicht eindeutig feststellbar sei, ob die abgebildeten Personen über-haupt jugendlich seien und der Beschuldigte die abgebildeten Personen für minderjährig gehalten habe.
Aufgrund des Schriftsatzes vom 19.02.2021 bat die Staatsanwaltschaft Amberg mit Verfügung vom 22.02.2021 unter Übersendung der Akte die KPI Amberg um Ausdruck der Bilder in größerem Format, was aber bei Thumbnails technisch nicht möglich ist, da die Originalbilder hierzu nicht vorhanden sind.
Am 24.02.2021 beantragte der Beschuldigte mittels Schriftsatz seines Verteidigers vom 23.02.2021, dass ihm dieser als Pflichtverteidiger beigeordnet werde. Schließlich könne nur der Verteidiger die Bilder, die Kern des Vorwurfs bilden, sichten. Einem eigenen Besichtigungsrecht des Beschuldigten stünden in derartigen Verfahren überwiegend die schutzwürdigen Interessen Dritter entgegen.
Nachdem die Akte am 02.03.2021 bei der Staatsanwaltschaft Amberg in den Rücklauf gelangte, stellte diese das Verfahren mit Verfügung vom 03.03.2021 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Im Anschluss sandte die Staatsanwaltschaft Amberg die Akte an das Amtsgericht Amberg zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerantrag.
Das Amtsgericht Amberg bestellte dem Beschuldigten mit Beschluss vom 08.03.2021 Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger. Aus den Gründen ist ersichtlich, dass dies zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts erfolgte.
Gegen diesen der Staatsanwaltschaft Amberg am 09.03.2021 zugestellten Beschluss legte sie noch am gleichen Tag, eingegangen beim Amtsgericht Amberg am 12.03.2021, sofortige Beschwerde ein und beantragte, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Mit Beschluss vom 08.04.2021 hob die Kammer auf die sofortige Beschwerde hin den Beschluss vom 08.03.2021 auf und lehnte die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger ab.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 12.08.2021 machte Rechtsanwalt pp. gegenüber der Staatskasse Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 584,29 € geltend.
Mit Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21.04.2022 wurde der Vergütungsfestsetzungsantrag vom 12.08.2021 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Erinnerung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 12.10.2022, zugestellt am 19.10.2022, zurückgewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde vom 02.11.2022 verfolgt Rechtsanwalt pp. seinen am 12.08.2021 verfolgten Vergütungsfestsetzungsantrag weiter.
Das Amtsgericht Amberg half der Beschwerde nicht ab.
II.
1. Der statthafte Rechtsbehelf ist die einfache Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG.
a) Gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet grundsätzlich das Gericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Aufgrund der erfolgten Übertragung entscheidet nunmehr die Kammer.
b) Die Beschwerde ist zulässig. Sie wurde fristgerecht binnen 2 Wochen ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung erhoben, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG.
Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt den in §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG geforderten Betrag von 200 €.
2. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Ein Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse besteht nicht.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 12.10.2022.
Ergänzend wird ausgeführt:
Zwar erhält nach § 48 Abs. 6 RVG der Rechtsanwalt, der in Angelegenheiten nach den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses im ersten Rechtszug bestellt oder beigeordnet wird, die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung, in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage und in Bußgeldsachen einschließlich der Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde.
Vorliegend wurde aber die Pflichtverteidigerbestellung auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Die Kammer sah die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens im konkreten Fall für nicht gegeben an. Es kann deshalb nicht von einer erfolgten Pflichtverteidigerbestellung i.S.d. § 48 Abs. 6 RVG ausgegangen werden. Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den Fällen vergleichbar, bei denen es nachträglich zu einer Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, z.B. durch Entpflichtung, Widerruf oder Zurücknahme, gekommen ist. Denn in diesen Fällen erfolgte eine (rechtskräftige) Pflichtverteidigerbestellung bzw. dauerte eine Pflichtverteidigerbestellung u.U. schon mehrere Wochen an. Erst nachträglich erfolgte dann eine Beendigung der Pflichtverteidigerbestellung.
Die Pflichtverteidigerbestellung ist nunmehr seit dem 01.01.2020 nach § 142 Abs. 7 StPO nur noch mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Der Gesetzgeber hat mit Einführung der sofortigen Beschwerde das Ziel verfolgt, schnell Klarheit über die Bestellung zu schaffen und das weitere Verfahren nicht mit Fragen über die Rechtmäßigkeit der Bestellung oder deren Ablehnung zu belasten. Die Sachlage ist somit im vorliegenden Fall, also im Fall einer Aufhebung der Bestellung im Rahmen einer sofortigen Beschwerde, völlig anders als in den Fällen, in denen nachträglich eine Aufhebung der rechtskräftigen Bestellung erfolgt. Dies gilt umso mehr, als vorliegend Rechtsanwalt pp. ausschließlich vor der (aufgehobenen) Pflichtverteidigerbestellung tätig wurde und nach dem Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 08.03.2021 keinerlei Tätigkeiten mehr in Bezug auf das bereits eingestellte Ermittlungsverfahren entfaltete.
III. Die weitere Beschwerde ist zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 1 RVG.
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
So liegt der Fall hier. Obergerichtliche Entscheidungen zu der hier vorliegenden Problematik, ob ein Vergütungsanspruch des Verteidigers gegenüber der Staatskasse entstanden ist bzw. der Verteidiger einen bereits entstandenen Vergütungsanspruch behält, wenn die Pflichtverteidigerbestellung im Rahmen einer sofortigen Beschwerde aufgehoben wird, existieren nicht. Es ist lediglich die bereits vom Verteidiger zitierte Entscheidung des LG Kaiserslautern vom 11.01.2019 bekannt, die aber altes Recht betrifft, wonach die Pflichtverteidigerbestellung nur mir einfacher Beschwerde anfechtbar war und nicht in Rechtskraft erwuchs.
Es handelt sich auch nicht um eine Einzelfallentscheidung. Die Frage, ob dem Pflichtverteidiger Gebührenansprüche gegen die Staatskasse zustehen, wenn im Rahmen der sofortigen Be-schwerde die Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben wird, stellt sich in einer Vielzahl von Verfahren.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG
Einsender: RA J. Jendricke, Amberg
Anmerkung: aufgehoben durch OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.07.2023 - Ws 133/23
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