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RVG Entscheidungen

Nr. 4142 VV

Einziehung, erfasste Tätigkeiten, Beratung, Vortrag des Verteidigers

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.06.2021 - 1 Ws 16/21

Leitsatz: 1. Von der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG werden sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben, erfasst. Nr. 4142 VV RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war. Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr aber nicht aus.
2. Der Verteidiger muss im Kostenfestsetzungsverfahren darlegen, welche Tätigkeiten er erbracht hat.


KAMMERGERICHT

Beschluss

1 Ws 16/21


In der Strafsache
gegen pp.

wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts am 30. Juni 2021 beschlossen:

1. Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwaltes pp. gegen den Beschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Berlin vom 21. April 2021 wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 12.926,97 Euro festgesetzt.

Gründe

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten mit Beschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Berlin vom 21. April 2021. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte dem früheren Angeklagten mit Anklageschrift vom 16. August 2013, eingegangen beim Landgericht am 2. Oktober 2013, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 73 Fällen in der Zeit vom Januar 2005 bis zum November 2006 mit einem Gesamtschaden von 3.033.470,23 Euro vorgeworfen. Einen Einziehungsantrag hatte die Staatsanwaltschaft nicht gestellt. Rechtsanwalt pp. meldete sich am 12. November 2013 als Verteidiger des früheren Angeklagten. Er reichte eine Vollmacht zur Akte, die unter anderem die Befugnisse enthält, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe einzulegen, Anträge auf Kostenfestsetzung zu stellen und Gelder in Empfang zu nehmen. Mit Beschluss vom 15. Februar 2021 hat das Landgericht Berlin das Verfahren gegen den früheren Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die durch das Amtsgericht Tiergarten am 1. Februar 2006 (258 Ds 827/05), am 4. Januar 2008 (333 Cs 436/07), am 7. Mai 2009 (231 Cs 143/09), am 11. November 2015 (336 Ls 5/15) sowie am 23. Januar 2019 (234 Ds 99/18) rechtkräftig verhängten Strafen eingestellt, gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt.

Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021 hat Rechtsanwalt pp. beantragt, die notwendigen Auslagen des Angeklagten wie folgt festzusetzen und auszusprechen, dass diese ab Antragstellung zu verzinsen sind:

Grundgebühr für Verteidiger § 14 RVG Nr. 4100 VV RVG 360,00 €
Verfahrensgebühr §§ 74a und 74c GVG § 14 RVG Nr. 4118 VV RVG 690,00 €
Mitwirkung an Einstellung des Verfahrens, §§ 74a und 74c GVG Nr. 4141 I 1, 4118 VV RVG 395,00€
Gegenstandswert: 3.033.470,23 Euro
Verfahrensgebühr § 13 RVG, Nr. 4142 VV RVG 10.863,00 €
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme netto 12.328,00 €
19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 2.342,32 €
Gesamtbetrag 14.670,32 €

Der Rechtspfleger hat mit Beschluss vom 21. April 2021 insgesamt 1.053,15 Euro nebst Zinsen für Grund- und Verfahrensgebühr, Mitwirkung an der Einstellung des Verfahrens, Pauschale für Post und Telekommunikation sowie Umsatzsteuer festgesetzt. Er hat dazu ausgeführt, dass hinsichtlich der Verfahrensgebühr zu berücksichtigen sei, dass das Verfahren vor der großen Strafkammer anhängig gewesen sei und sich insoweit auch die Gebührenhöhe nach Nr. 4141 VV RVG - auf die Höhe der Mittelgebühr- reduziere. Die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nebst Umsatzsteuer hat er nicht festgesetzt, da die Gebühr nicht entstanden sei. Zur näheren Begründung wird in dem Beschluss ausgeführt, dass keine Tätigkeit des Rechtsanwalts auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahme erbracht worden sei, da insoweit kein diesbezügliches Verfahren beantragt oder betrieben worden sei.

Mit der am 4. Mai 2021 eingegangenen sofortigen Beschwerde macht Rechtsanwalt geltend, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG entstanden sei. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Es kann offenbleiben, ob Rechtsanwalt pp., dessen umfassende Bevollmächtigung vom 12. November 2013 nicht durch eine spätere Bestellung zum Pflichtverteidiger erloschen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8. August 2019 - 1 Ws 101/18 - m.w.N.), im Zweifel trotz Einlegung der Beschwerde im eigenen Namen als antragsbefugt anzusehen ist (vgl. Gieg. in KK-StPO 8. Aufl., § 464b Rdnr. 3; Thüringer OLG, Beschluss vom 28. Februar 2014 - 1 Ws 403/13 -). Denn die sofortige Beschwerde ist zwar statthaft und rechtzeitig eingegangen (§§ 11 Abs. 1 RPfIG, 464b Satz 3 und Satz 4, 304 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO), aber jedenfalls unbegründet.

2. Die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG entsteht nur, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen bezogene Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2018 - 3 StR 625/17 - m.w.N.) und sich dadurch für das — oft besonders wertvolle — Eigentum des Mandanten einsetzt (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2008 —1 Ws 123/08 — und Urteil vom 18. Juli 2005 — 5 Ws 256/05 —). Erfasst werden von ihr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben. Nr. 4142 VV RVG setzt dabei — insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Gebühr — keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 24. Aufl., W 4142 Rdnr. 10, 12 m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 — 1 Ws 643/09 —). Allein der Umstand, dass im Falle der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht aus (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8: November 2019 — 1 Ws 53/19 —, vom 25. Oktober 2019 — 1 Ws 86/19 — und vom 17. Juni 2008 — 1 Ws 123/08 —).

a) Nach diesem Maßstab ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Rechtsanwalt eine Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht zusteht. Weder hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift einen Antrag nach § 73c StGB gestellt, noch ist es zu anderen Maßnahmen, wie etwa zu einem Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung oder zu einer Beschlagnahme, gekommen (vgl. Burhoff a.a.O. VV 4142 Rdnr. 7). Auch das Gericht, das die Anklage mit Beschluss vom 25. Juli 2014 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen hat, hat den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er seine Verteidigung darauf einzurichten habe, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB in Betracht komme (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2019 — 1 Ws 86/19 —). Nach der derzeitigen Rechtslage wäre ein gerichtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO jedoch zwingende Voraussetzungen gewesen, um mit einer etwaigen Verurteilung eine Einziehung des Wertes etwaiger Taterträge vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 — 1 StR 186/18 —; BGH, Beschluss vom 14. April 2020 — 5 StR 20/19 —). Zwar führt die Beschwerde zutreffend aus, dass keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts erforderlich ist, sondern auch die nur beratende Tätigkeit des Anwalts die Gebühr auslöst (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 — 1 Ws 40/20 —; KG, Urteil vom 18. Juli 2005 — 5 Ws 256/05 —). Mangels eines entsprechenden Hinweises ist jedoch nicht ersichtlich, dass eine solche Beratung zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Verfahrens bis zu seiner Einstellung am 15. Februar 2021 nach Aktenlage geboten war.

Soweit die Beschwerde sich darauf beruft, dass sich schon aus dem Beschluss des Landgerichts vom 15. Februar 2021, in dem gemäß § 421 Abs: 1 Nr. 3 StPO von der Einziehung der Taterträge abgesehen wurde, umstandslos ergebe, dass nach Akten-lage im Fall der Hauptverhandlung mit der Einziehung zu rechnen war, kann dem nicht gefolgt werden. Denn der Einziehung unterliegen keine Beträge, die durch nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten erlangt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 — 1 StR 326/18—). Mit der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO, mit der die gerichtliche Anhängigkeit endet (vgl. BGH, Beschluss vorn 9. September 1981 — 3 StR 290/81 —), musste daher nicht von der Einziehung abgesehen werden. Die Einziehung wäre vielmehr nur noch im selbständigen Verfahren nach § 76a Abs. 1, Abs. 3 StGB in Betracht gekommen, das einen Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO voraussetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2018 — 4 StR 297/18 —). Der Einstellungsbeschluss lässt daher entgegen dem Beschwerde-vorbringen weder eine „Prognose" für eine etwaige Einziehung in der Hauptverhandlung zu, noch zeigt er an, dass eine Einziehung Gegenstand der anwaltlichen Beratung sein musste.

b) Darüber hinaus merkt der Senat an, dass sich insbesondere aus dem Beschwerde-vorbringen nicht ergibt, welche Tätigkeit der Rechtsanwalt tatsächlich im Hinblick auf eine etwaige Einziehung ausgeübt hat, Zwar genügt der Kostenfestsetzungsantrag diesbezüglich den Anforderungen des § 10 Abs. 2 RVG (vgl. dazu BGH MDR 2019, 127). Zudem kommt es für das Entstehen und die Höhe der Gebühr auf den Umfang der Tätigkeit nicht an (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.). Der angefochtene Beschluss stellt aber ausdrücklich darauf ab, dass keine Tätigkeit des Rechtsanwalts auf eine Einziehung oder verwandte Maßnahme erbracht worden sei. Im Rahmen des im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich geltenden Beibringungsgrundsatzes (vgl. Toussaint, Kostenrecht 51. Aufl., § 11 RVG Rdnr. 61) wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde eine dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Tätigkeit vorträgt. Soweit die Beschwerde auf den anwaltlichen Schriftsatz vom 9. Dezember 2013 verweist, enthält dieser aber allein eine Auseinandersetzung mit dem Zahlenwerk der Anklageschrift. Im Übrigen stützt sich die Beschwerde darauf, dass eine Beratung hinsichtlich der Einziehung nicht lediglich geboten, sondern unerlässlich gewesen sein soll. Diesen Ausführungen lassen sich konkrete Tätigkeiten mit Bezug auf eine Einziehung nicht entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass allein die telefonische Anhörung durch die Vorsitzende Richterin vor der Beschlussfassung zu einer entsprechenden Tätigkeit führte.

3. Der Gegenstandswert bemisst sich danach, in welchem Umfang eine Änderung des Festsetzungsbeschlusses beantragt wird (vgl. Burhoff a.a.O. VV Vorb. 4 Rdnr. 53).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RÄin T. Holter, Berlin

Anmerkung:


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