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RVG Entscheidungen

Nr. 4142 VV

Zusätzliche Verfahrensgebühr, Einziehung, beratende Tätigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aachen, Beschl. v. 01.04.2021 – 60 Qs 7/21

Leitsatz: 1. In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben).
2. Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) kommt es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV nicht mehr an, vielmehr kann die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen).
3. Für den Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV genügt jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Die Gebühr wird daher bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Es genügt insoweit, dass der Rechtsanwalt eine beratende Tätigkeit darlegt und anwaltlich versichert. Erforderlich ist darüber hinaus, dass im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung "in Betracht kam" bzw. "nach Aktenlage geboten" war, "ernsthaft in Betracht kam" bzw. "nahelag". Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist.


In pp.

1. Der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts XXX - Rechtspflegerin - vom 11.02.2021 wird aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten vom 02.02.2021 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts XXX vom 29.01.2021 aufgehoben, soweit der von XXX XXX für den früheren Angeklagten gestellte Kostenfestsetzungsantrag vom 28.10.2020 kostenpflichtig zurückgewiesen worden ist.
3. Die nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts XXX vom 27.10.2020 (Az.: 17 Ls-504 Js 51/13-57/20) dem früheren Angeklagten aus der Landeskasse gemäß § 467 StPO zu erstattenden Auslagen werden weitergehend festgesetzt auf 528,96 Euro (in Worten: fünfhundertachtundzwanzig 96/100 Euro) zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 04.11.2020.
5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem früheren Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
6. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 528,96 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Aachen hat gegen den früheren Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Bandendiebstahls geführt. XXX ist dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Mit Anklageschrift vom 27.08.2020 hat sie dem Angeklagten vorgeworfen, am 05.05.2008 gegen 04.20 Uhr gemeinsam mit zwei bislang unbekannten Mittätern aufgrund eines gemeinsamen Tatplans, der auch die gemeinsame und fortgesetzte Begehung von Diebstahlstaten beinhaltet haben soll, die Eingangstür zu der XXX-Tankstelle unter der Anschrift XXX in XXX aufgebrochen zu haben. Aus dem Inneren der Tankstelle sollen der Angeklagte und die unbekannten Mittäter sodann Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 Euro entwendet haben. Ein dritter unbekannter Täter soll währenddessen im Fluchtwagen gewartet haben. Am Tatort wurde eine Taschenlampe der Marke XXX gefunden und sichergestellt. In der Anklageschrift heißt es weiter: "Verbrechen des schweren Bandendiebstahls, strafbar gemäß §§ 244a Abs. 1, 25 Abs. 2, 74 StGB. Die sichergestellten und als Augenscheinobjekte aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung".

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts XXX vom 27.10.2020 ist der ehemalige Angeklagte freigesprochen worden.

Mit Schriftsatz vom 28.10.2020 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 2.085,27 Euro beantragt, u.a. eine 1,0 Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert von 7.200,00 Euro nach Nr. 4142 VV-RVG in Höhe von 456,00 Euro.

Mit Verfügung vom 06.11.2020 hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Aachen zu dem vorgenannten Antrag Stellung genommen und mitgeteilt, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 4142 VV-RVG um eine - zusätzliche - Verfahrensgebühr handle, die das Betreiben des Geschäfts u.a. im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz abgelten solle. Eine entsprechende Tätigkeit sei dem Akteninhalt jedoch nicht zu entnehmen. Die Gebühr sei daher abzusetzen.

Mit Schriftsatz vom 24.11.2020 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mitgeteilt, dass sich die Tätigkeit, die er im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz entfaltet habe, nicht unmittelbar aus dem Akteninhalt ergebe. Jedoch sei die Einziehung in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Aachen vom 27.08.2020 enthalten. Dort heiße es nämlich, dass dort Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 Euro entwendet worden sein sollen. Auch wenn dies in der Anklageschrift nicht ausdrücklich beantragt worden sei, liege die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB nahe. Das Gericht hätte im Falle der Verurteilung einen Betrag von 7.200,00 Euro einziehen müssen. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten, so dass die Gebühr Nr. 4142 VV-RVG entstanden sei. Die Gebühr setze nämlich keine gerichtliche Tätigkeit des Verteidigers voraus. Insbesondere müsse die Einziehung nicht im Verfahren beantragt worden sein. Ausreichend sei, wenn sie in Betracht komme oder nach Aktenlage geboten erscheine. Die Gebühr entstehe nur dann nicht, wenn von vorneherein eine Einziehung nicht in Betracht zu ziehen sei.

Mit Verfügung vom 07.01.2021 hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Aachen mitgeteilt, dass es bei der Feststellung verbleibe, dass die Einziehung von Wertersatz nicht Gegensand des Verfahrens geworfen sei. Es werde auf den Beschluss des OLG Köln vom 10.02.2011 (Az.: 2 Ws 85/11) Bezug genommen. In dem vorgenannten Beschluss heißt es insoweit: "Ohne Erfolg bleibt das Rechtsmittel hinsichtlich der Gebühr nach Nr. 4142 VV. In der Anklage ist zwar ausgeführt, ein Betrag von 46.900 EUR unterliege dem Verfall. Der Verteidiger hat aber nicht dargetan, dass er eine Tätigkeit erbracht hat, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet war. Entscheidend ist insoweit, dass der Rechtsanwalt eine Tätigkeit im Hinblick auf die konkrete Maßnahme erbringt. Allein der Umstand, dass er sich gegen die Verurteilung des Mandanten wehrt, reicht nicht aus, auch wenn im Falle der Verurteilung eine Einziehung in Betracht kommen würde (Burhoff, RVG. 2. Auflage, Nr. 4142 VV Rdn. 15).".

Mit Schriftsatz vom 18.01.2021 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mitgeteilt, dass er seinen Festsetzungsantrag nicht berichtigen werde. Es sei eine Einziehung in Höhe eines Betrages von 7.2000,00 Euro zu erwarten gewesen. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten. Damit habe er eine Tätigkeit entfaltet. Dies möge in der Entscheidung des OLG Köln vom 10.02.2011 anders gewesen sein. Die Gebühr entstehe auch für eine außergerichtliche, nur beratende Tätigkeit des Verteidigers.

Mit Verfügung vom 21.01.2021 hat die Rechtspflegerin dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mitgeteilt, dass er keine Tätigkeit dargelegt habe, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 26.01.2021 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mitgeteilt, dass die von ihm entfaltete beratende Tätigkeit für die Entstehung der Gebühr ausreiche. Wenn die Gebühr nur verdient wäre, wenn in der Hauptverhandlung Anträge gestellt wurden, die auf die Abwendung der Einziehung gerichtet sei, würde er diese Gebühren jedenfalls dann nicht verdienen können, wenn er einen Freispruch beantrage. Das sei widersinnig.

Mit Beschluss vom 29.01.2021 hat das Amtsgericht XXX - Rechtspflegerin - Kosten in Höhe von 1.556,31 Euro festgesetzt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Gebühr nach Nr. 4142 VV-RVG abzusetzen sei, da die Gebühr nur dann entstehe, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbringe und nachweise, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet sei (unter Bezugnahme auf Burhoff, RVG, 2. Auflage Nr. 4142 Rdn. 15). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor und seien von dem Verteidiger auch nicht dargelegt.

Der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten hat mit am 02.02.2021 bei dem Amtsgericht XXX eingegangenen Schriftsatz vom 02.02.2021 gegen den ihm am selben Tag zugestellten Beschluss vom 29.01.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung sind die Ausführungen aus den vorangegangenen Schriftsätzen vom 24.11.2020, 18.01.20221 sowie vom 26.01.2021 wiederholt worden.

Mit Verfügung vom 08.02.2021 hat Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Aachen zu der Beschwerde Stellung genommen und mitgeteilt, dass diese zulässig, aber unbegründet sei. Sinn und Zweck der Nr. 4142 VV-RVG sei, eine Anwaltsvergütung auch für die Tätigkeiten zu erhalten, die sich auf die Bewahrung des Eigentums des Mandanten richteten. Aus der Anklage gehe nur hervor, dass Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 Euro entwendet worden seien. Tabakwaren selbst seien nicht sichergestellt worden. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen sei weder in der Anklageschrift beantragt noch im Laufe des Verfahrens/Gerichtsverhandlung angesprochen bzw. angeordnet worden. § 74 StGB beziehe ich auf die Taschenlampe XXX. Ein Tätigwerden des Anwalts sollte zu einer konkreten Maßnahme erfolgen und dokumentiert werden. Im Übrigen ist auf die vorangegangenen Stellungnahmen Bezug genommen worden.

Mit Beschluss vom 11.02.2021 hat das Amtsgericht XXX - Rechtspflegerin - dem Rechtsmittel des Verteidigers des ehemaligen Angeklagten gegen den Beschluss vom 02.02.2021 nicht abgeholfen und zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 18.02.2021 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten ausgeführt, dass die Einziehung nicht auf die Bewahrung des Eigentums des Mandanten gerichtet sei. Die Einziehung diene der Vermögensabschöpfung. Insoweit sei unerheblich, ob die Einziehung des Wertersatzes beantragt worden sei. Da die Einziehung obligatorisch sei, die Nichtanordnung möglicherweise rechtswidrig wäre, ergebe sich, dass er als gewissenhafter Verteidiger den Mandanten hierüber habe belehren müssen. Dies habe er - das versichere er anwaltlich - getan. Den Inhalt der Beratung könne er aufgrund des ihn bindenden Mandatsgeheimnisses nicht offenbaren. Eine Pflicht zur Dokumentation bestehe selbstverständlich nicht.

Mit Verfügung vom 09.03.2021 hat die Kammer unter Darlegung der nachfolgenden Begründung die Bezirksrevisorin darauf hingewiesen, dass sie die sofortige Beschwerde für begründet erachtet und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Im Anschluss ist die Verfahrensakte durch die Kammer unter Vermittlung der Bezirksrevisorin an das Amtsgericht XXX zur Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG weitergeleitet worden. Der Abteilungsrichter hat mit Beschluss vom 25.03.2021 den Gegenstandswert des Verfahrens auf 7.200,00 Euro festgesetzt.

II.

1. Soweit die Rechtspflegerin bei dem Amtsgericht XXX mit Beschluss vom 11.02.2021 der sofortigen Beschwerde vom 02.02.2021 nicht abgeholfen hat, ist der Beschluss (deklaratorisch) aufzuheben, da eine Abhilfemöglichkeit in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht besteht. Aus § 464b Satz 3 StPO i.V. mit § 572 Abs. 1 ZPO ergibt sich eine solche Abhilfemöglichkeit in strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren nicht. Nach dieser Bestimmung sind auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung die Vorschriften der Zivilprozessordnung (nur) entsprechend anzuwenden. Deshalb finden auf das Verfahren (§§ 103 ff. ZPO) und die Vollstreckung (§§ 794 ff. ZPO) der Kostenfestsetzung die Vorschriften der ZPO lediglich insoweit Anwendung, als sie strafprozessualen Prinzipien nicht widersprechen. Demgemäß sind für das Beschwerdeverfahren die §§ 304 ff. StPO - also auch § 311 Abs. 3 StPO - und nicht die entsprechenden Vorschriften der ZPO anwendbar (zutreffend BGH, Beschl. v. 27.11.2002 - 2 ARs 239/02, BGHSt 48, 106 = NJW 2003, 763; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464b Rn. 4 m.w.Nachw. zum Streitstand). Der gleichwohl erlassene Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 30.04.2018 - 20 Ws 78/18, juris Rn. 28; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464b Rn. 4 m.w.Nachw.).

2. Die sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten ist gemäß §§ 464b Satz 3 StPO i.V. mit §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 304 Abs. 2 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG statthaft. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt. Der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten erstrebt für diesen die Festsetzung einer weitergehenden Gebühr in Höhe von 456,00 Euro nebst Umsatzsteuer in Höhe von 16 %, insgesamt also 528,96 Euro (zur Berücksichtigung der Umsatzsteuer bei der Berechnung des Beschwerdewerts vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 14.01.2010 - 6 W 16/10, MDR 2010, 532, juris Rn. 6 f. m.w.Nachw.). Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus form- und fristgerecht eingelegt worden.

3. Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus begründet und führt zur Festsetzung der mit dem zugrunde liegenden Antrag vom 28.10.2020 weitergehend begehrten Gebühr nach Nr. 4142 VV-RVG (456,00 Euro) nebst Umsatzsteuer in Höhe von 16 % (72,96 Euro) unter Zugrundelegung eines Gegenstandswerts von 7.200,00 Euro (528,96 Euro). Zur Begründung wird Bezug auf die Hinweisverfügung der Kammer vom 09.03.2021 genommen, in der Folgendes ausgeführt worden ist:

"...a) Dem Verfahren liegt eine Straftat vom 05.05.2008 zugrunde. Das Urteil des AG XXX ist am 27.10.2020 ergangen. Bezogen auf die vorliegend in Rede stehende Frage, ob in dem Verfahren eine Einziehungsentscheidung hätte getroffen werden können, finden daher gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB die §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl. I S. 872) Anwendung (im Folgenden nur noch: n.F.). Unter Berücksichtigung ist für die Anordnung eines Verfalls - auf den in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss abgestellt wird - von vorneherein kein Raum. Auch dürfte die von dem Bezirksrevisor in Bezug genommene Entscheidung des OLG Köln vom 10.02.2011 rechtlich "überholt" sein.

b) Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. ist der sachliche Anwendungsbereich der Gebührenvorschrift der Nr. 4142 VV-RVG umstritten:

Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB a.F. entspricht es der herrschenden Meinung, dass es sich um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenen den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommt, weshalb vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe nach §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F. nicht zum Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 VV-RVG führten (vgl. hierzu KG, Beschl. v. 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 5 m.w.Nachw.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 6 m.w.Nachw. in Fn. 13; a.A. aber OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.05.2014 - 1 Ws 212/13, NStZ-RR 2014, 360). Diese Rechtsauffassung liegt (wohl) auch der Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht vom 08.02.2021 zugrunde.

Unter Geltung der §§ 73 ff. StGB n.F. entspricht es jedoch der (derzeit) herrschenden Meinung, dass es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für die Gebührenentstehung nicht mehr ankommt, vielmehr soll die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen können (so insbesondere KG, Beschl. v. 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 6, 14; LG Berlin, Beschl. v. 27.03.2018 - 537 Qs 26/18, juris 4 f.; LG Berlin, Beschl. v. 16.01.2018 - 501 Qs 127/17, juris Rn. 6 ff.; LG Hanau, Beschl. v. 28.06.2019 - 4b Qs 50/19, juris Rn. 10 ff.; AG Frankfurt a.M., Beschl. v. 29.06.2020 - 911 Ls-5163 Js 232283/19, BeckRS 2020, 18961 Rn. 8 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 6; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 4; Fromm, JurBüro 2019, 59; Klüsener, JurBüro 2018, 169, 170). Schon der Wortlaut der Nr. 4142 VV-RVG spricht für die Richtigkeit dieser Meinung, da das neue Recht einheitlich die in Betracht kommenden Maßnahmen als "Einziehung" bezeichnet. Es ließe sich zwar argumentieren, dass der Gesetzgeber durch die Änderung der Terminologie in den §§ 73 ff. StGB sachlich keine Änderung auch der unverändert gebliebenen und - soweit ersichtlich - nicht Gegenstand der gesetzgeberischen Erwägungen gewordenen Gebührenvorschrift der Nr. 4142 VV-RVG herbeiführen wollte. Indes spricht der Sinn und Zweck der Neuregelung nach zutreffender Auffassung ebenso dafür, dass der sachliche Anwendungsbereich der Gebührenvorschrift auch bei einer Maßnahme nach § 73c StGB n.F. eröffnet ist. Denn eine Einziehung von Taterträgen hat nach neuem Recht auch dann zu erfolgen, wenn Entschädigungsansprüche von Tatverletzten nicht bestehen. Die Einziehungsentscheidung wird nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Einziehungsbetroffenen im Strafverfahren getroffen. Es geht in dem nachträglichen Verfahren nur noch darum, ob die eingezogenen Vermögenswerte dem Staat anfallen oder nach dem in §§ 459h ff. StPO geregelten Verfahren an den Verletzten zurückzuübertragen sind (vgl. hierzu LK-StGB/Lohse, 13. Aufl. 2020, Vorbem. zu §§ 73-76b Rn. 27). Die Tätigkeit des Rechtsanwalts betrifft damit bereits im Strafverfahren eine auf den endgültigen Verlust bei dem Einziehungsbetroffenen gerichtete Maßnahme (zutreffend LG Berlin, Beschl. v. 16.01.2018 - 501 Qs 127/17, juris Rn. 8; AG Frankfurt a.M., Beschl. v. 29.06.2020 - 911 Ls-5163 Js 232283/19, BeckRS 2020, 18961 Rn. 10-12). Damit fehlt es nach neuem Recht an einem "Nachfolgeverfahren", in dem der Rechtsanwalt die Möglichkeit hat, für die Rechtsvertretung des Mandanten Gebühren zu verdienen (zutreffend KG, Beschl. v. 06.03.2019 - 1 Ws 31/18, juris Rn. 14). Der entgegenstehenden, nicht näher begründeten Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. vom 10.10.2019 (Az.: 2 Ws 48/19) kann daher nicht gefolgt werden.

c) Weiter ist umstritten, welche anwaltliche Tätigkeit zum Anfall der Gebühr führt. Nach der (zutreffenden) ganz herrschenden Meinung genügt für die Gebührenentstehung jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Danach wird entgegen der in dem angegriffenen Beschluss vertretenen Auffassung die Gebühr bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 14.02.2020 - 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; LG Amberg, Beschl. v. 29.05.2019 - 12 KLs 107 Js 2871/18, juris Rn. 4; LG Chemnitz, Beschl. v. 09.01.2020 - 4 KL 310 Js 40553/18, juris Rn. 7; AG Mainz, Beschl. v. 28.05.2019 - 402 Ls 3444 Js 80146/17, juris Rn. 7; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 10 m.w.Nachw.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 12; m.w.Nachw.; a.A. KG, Beschl. v. 17.06.2008 - 1 Ws 123/08, NStZ-RR 2008, 391, 392; KG, Beschl. v. 25.10.2019 - 1 Ws 86/19, juris Rn. 8; KG, Beschl. v. 08.11.2019 - 1 Ws 53/19, BeckRS 2019, 33300). Entgegen der Ausführungen in der Verfügung der Bezirksrevisorin vom 08.02.2021 genügt insoweit, dass der Rechtsanwalt eine beratende Tätigkeit darlegt und - wie geschehen - anwaltlich versichert (unklar insoweit Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 12 [RA sollte dokumentieren, dass er für den Mandanten auch im Hinblick auf eine Einziehung tätig war]). Im Hinblick hierauf dürfte auch die von dem Bezirksrevisor in Bezug genommene Entscheidung des OLG Köln vom 10.02.2011 nicht einschlägig sein, da dort offenbar gerade keine Beratungstätigkeit dargetan worden ist.

Allerdings kommt auch unter Zugrundelegung der vorgenannten herrschenden Meinung ein Gebührenfall nur in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung "in Betracht kam" (so LG Amberg, Beschl. v. 31.05.2019 - 11 KLs 106 Js 7350/18, juris Rn. 2; LG Amberg, Beschl. v. 29.05.2019 - 12 KLs 107 Js 2871/18, juris Rn. 4; BeckOK-RVG/Knaudt, Stand: 01.12.2020, Nr. 4142 VV RVG Rn. 10 m.w.Nachw.) bzw. "nach Aktenlage geboten" war, "ernsthaft in Betracht kam" (so LG Chemnitz, Beschl. v. 09.01.2020 - 4 KL 310 Js 40553/18, juris Rn. 6) bzw. "nahelag" (so OLG Dresden, Beschl. v. 14.02.2020 - 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; AG Mainz, Beschl. v. 28.05.2019 - 402 Ls 3444 Js 80146/17, juris Rn. 7 f.). Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist (vgl. hierzu Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4142 Rn. 12). Dies ist nach dem oben Gesagten indes keine notwendige Voraussetzungen, insbesondere muss das Gericht die Einziehungsentscheidung von Amts wegen treffen. Auch kann es entgegen der vorgenannten Auffassung des KG nicht darauf ankommen, ob das Gericht zunächst einen rechtlichen Hinweis bezogen auf die Einziehung gegeben hat, denn eine Beratung des ehemaligen Angeklagten hinsichtlich einer in Betracht kommenden Einziehung hätte bereits vor Beginn der Hauptverhandlung erfolgen müssen.

Nach Auffassung der Kammer ist vorliegend davon auszugehen, dass eine Einziehung nach Aktenlage in Betracht kam. Bei der in Rede stehenden Tat wurden Tabakwaren entwendet. Dass diese schon aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr vorhanden waren, liegt auf der Hand. In Betracht kam daher nur noch eine Einziehung von Wertersatz nach § 73c StGB in Betracht. Da dem Angeklagten aufgrund der an der Taschenlampe sichergestellten DNA vorgeworfen worden ist, selbst am Tatort gewesen zu sein, lag nach Auffassung der Kammer auch die vom Bundesgerichtshof für eine solche Einziehung geforderte tatsächliche (Mit-)Verfügungsgewalt (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.2018 - 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, juris Rn. 7 m.w.Nachw.; BGH, Beschl. v. 21.08.2018 - 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20, juris Rn. 8 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 07.06.2018 - 4 StR 63/18, juris Rn. 12; BGH, Urt. v. 24.05.2018 - 5 StR 623/17, juris Rn. 8 m.w.Nachw.) nahe....".

An dieser Auffassung hält die Kammer auch nach erneuter Prüfung und in ihrer seit dem 01.04.2021 bestehenden Besetzung fest. Die Bezirksrevisorin hat eine weitergehende Stellungnahme hierzu nicht abgegeben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.

5. Der Beschwerdewert errechnet sich aus der Differenz zwischen dem erstinstanzlich festgesetzten und dem mit der sofortigen Beschwerde beanstandeten Betrag.

6. Eine (weitere) Beschwerde gegen diesen Beschluss findet nicht statt (vgl. § 310 StPO).

Die Kammer kann nicht gemäß § 464b Satz 3 StPO i.V. mit § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO über die Zulassung der Rechtsbeschwerde entscheiden, da die Regelung aus den oben genannten Gründen in Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen keine Anwendung findet (vgl. BGH, Beschl. v. 27.11.2002 - 2 ARs 239/02, BGHSt 48, 106 = NJW 2003, 763).


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