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RVG Entscheidungen

Nr. 4143 VV

Adhäsionsverfahren, Verfahrensgebühr, Pflichtverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kiel, Beschl. v. 26.06.2020 - 10 Qs 34/20

Leitsatz: Die Gebühr Nr. 4143 VV RVG wird bereits dann ausgelöst, wenn der Rechtsanwalt beauftragt wird, vermögensrechtliche Ansprüche des Geschädigten abzuwehren und diesbezüglich erstmalig tätig wird, und sei es nur durch die Einholung von Informationen. Die Verfahrensgebühr kann daher auch dann anfallen, wenn ein Adhäsionsverfahren niemals förmlich anhängig gemacht wird.


10 Qs 34/20

Landgericht Kiel

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Pflichtverteidiger:

Pflichtverteidiger (nur für den Hauptverhandlungstermin vom 27. Juni 2018):

hat das Landgericht Kiel - 10. große Strafkammer - durch den Richter am Landgericht als Einzelrichter am 26. Juni 2020 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes pp. vom 14. Mai 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt vom 14. Dezember 2018 in Verbindung mit dem Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt vom 4. Mai 2020 dahingehend abgeändert, dass die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen sich auf 746,13 Euro belaufen. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
3. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

10 Qs 34/20 Seite 2

Gründe:

I.

Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beschwerde ist statthaft, vgl. dazu § 56 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 3 S. 1 RVG.

Ferner wurde die Beschwerde innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt.

Auch liegt der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 615,23 Euro - wie von § 56 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 3 S. 1 RVG gefordert - über 200,- Euro.

Über die Beschwerde hat die Kammer durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden, § 56 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 8 S. 1 RVG.

II.

Die Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg, nämlich im Hinblick auf die Verfahrensgebühr. Im Übrigen, also im Hinblick auf die Einigungsgebühr, bleibt die Beschwerde dagegen erfolglos.

1. Zu widersprechen ist zunächst der vom Amtsgericht Norderstedt in dem angefochtenen Be-schluss vom 4. Mai 2020 vertretenen Auffassung, dass ein Anspruch auf die Verfahrens- und die Einigungsgebühr schon deshalb nicht bestehen könne, weil die Beiordnung des Beschwerdeführers nicht auch zu dem Zweck der Abwehr vermögensrechtlicher Ansprüche der Nebenklägerin erfolgt sei.

a) Zwar wird in der Tat von einer ganzen Reihe von Oberlandesgerichten die Auffassung vertreten, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger nur soweit reiche, wie es nötig sei, sich gegen den staatlichen Strafanspruch zu verteidigen.

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage allerdings bislang offen gelassen (vgl. Beschluss vom 30. März 2001, Az. 3 StR 25/01, Rn. 4+5 (zitiert nach juris)).

Und seitens des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts wird in gefestigter Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Beiordnung des Pflichtverteidigers ohne Weiteres die Abwehr von im Adhäsionsverfahren gegen den Angeklagten geltend gemachten zivilrechtlichen Ersatzansprüchen (mit-)umfasse (vgl. dazu und zum Folgenden Beschluss vom 30. Juli 1997, Az. 1 Str 114/97, und Beschluss vom 15. April 2013, Az. 1 Ws 143/13 (98/13)). Der Pflichtverteidiger könne daher, auch ohne für das Adhäsionsverfahren zusätzlich beigeordnet worden zu sein, grundsätzlich auch solche Gebühren von der Landeskasse verlangen, die durch seine Tätigkeit im Adhäsionsverfahren entstanden seien.

Die Kammer schließt sich schon aus Gründen der Ressourcenschonung der Auffassung des hiesigen Oberlandesgerichts an. Zwar „passt" die zitierte Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts insofern nicht auf den vorliegenden Fall, als hier überhaupt kein Adhäsionsverfahren anhängig gemacht worden ist. Wenn es allerdings für das Entstehen eines Gebührenanspruches gegen die Landeskasse im Falle der Anhängigkeit eines Adhäsionsverfahrens keiner zusätzlichen Beiordnung des Pflichtverteidigers auch für selbiges bedarf, muss dasselbe - also Entbehrlichkeit einer zusätzlichen Beiordnung - erst recht gelten, wenn zivilrechtliche Ersatzansprüche ohne anhängig gemachtes Adhäsionsverfahren abgewehrt werden (sollen).

b) Auch dass der Beschwerdeführer nur als sog. Terminsvertreter beigeordnet wurde, steht der Geltendmachung der streitgegenständlichen Verfahrens- und Einigungsgebühren nicht entgegen. Denn der sog. Terminsvertreter darf lediglich solche Gebühren nicht (erneut) abrechnen, welche schon bei dem „eigentlichen" Pflichtverteidiger entstanden sind. Und dafür, dass die Gebühren nach den Nummern 1000 (in Verbindung mit 1003) und 4143 VV RVG bereits beim „eigentlichen" Pflichtverteidiger entstanden sind, gibt es keine Hinweise. Insbesondere sind vom „eigentlichen" Pflichtverteidiger die besagten beiden Gebühren (noch) nicht abgerechnet worden.

c) Schließlich steht der Geltendmachung der Verfahrens- und der Einigungsgebühren auch nicht der Umstand entgegen, dass der Beschwerdeführer erst ganz am Ende der Hauptverhandlung beiordnet wurde. Zwar können Pflichtverteidigergebühren grundsätzlich nur für solche Tätigkeiten verlangt werden, welche nach erfolgter Beiordnung entfaltet wurden. Doch ordnet § 48 Abs. 6 S. 1 RVG an, dass für die Beiordnung in Strafsachen auch Vergütung für Tätigkeiten vor dem Zeitpunkt der Bestellung verlangt werden kann.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte. Verfahrensgebühr nach Nummer 4143 VV RVG ist vorliegend auch tatsächlich entstanden. Die Gebühr wird bereits dann ausgelöst, wenn der Rechtsanwalt beauftragt wird, vermögensrechtliche Ansprüche des Geschädigten abzuwehren (vgl. dazu und zum Folgenden LG Braunschweig, Beschluss vom 8. März 2012, Az. 5 Qs 39/12, Rn. 6f. (zitiert nach juris)) und diesbezüglich erstmalig tätig wird, und sei es nur durch die Einholung von Informationen (vgl. dazu und zum Folgenden Burhoff in Gerold/Schmitt, RVG, 24. Auflage, RVG W 4143 Rn. 6). Die Verfahrensgebühr kann daher auch dann anfallen, wenn ein Adhäsionsverfahren - wie hier - niemals förmlich anhängig gemacht wird (vgl. dazu OLG Jena, Beschluss vom 14. September 2009, Az. 1 Ws 343/09; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2013, Az. 2 Ws 419/13).

Vorliegend ist ausweislich der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.) in der Hauptverhandlung „längere Zeit über die Einstellungsmodalitäten diskutiert" und „letztlich Einvernehmen erzielt worden über die zu leistenden Zahlungen". Da in der Hauptverhandlung eine vorläufige Einstellung gemäß § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 StPO erfolgte, war Gegenstand der Diskussion und des Einvernehmens zumindest auch ein vermögensrechtlicher Anspruch der Nebenklägerin gegen den Angeklagten, zu dessen Abwehr der Beschwerdeführer tätig geworden ist.

Der vom Beschwerdeführer insofern angegebene Gegenstandswert in Höhe von 3.000,- Euro begegnet keinen Bedenken, denn ausweislich der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 „wurde zunächst auch eine Zahlung von 3.000,- Euro an die Nebenklägerin in den Raum gestellt" (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.).

3. Tatsächlich nicht entstanden ist vorliegend dagegen die Einigungsgebühr. Zwar ist in der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 die Rede davon, dass ein „Einvernehmen über die zu leistenden Zahlungen erzielt" worden sei (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.).
Doch ist zu beachten, dass der Zahlbetrag, auf welchen sich geeinigt wurde (= 3.000,- Euro), genau dem Betrag entspricht, welcher von der Nebenklägerin gefordert wurde. Damit kommt die erzielte Einigung - trotz des Umstandes, dass die Hälfte des Betrages nicht an die Nebenklägerin zu zahlen war, sondern an eine gemeinnützige Einrichtung - letztlich einem bloßen Anerkenntnis des Angeklagten gleich, was gemäß Nummer 1000 Abs. 1 S. 2, 2. Var. VV RVG der Entstehung der Einigungsgebühr entgegensteht.

Dass dem Angeklagten eine Ratenzahlungsmöglichkeit eingeräumt wurde, rechtfertigt ebenfalls keine Zuerkennung der Einigungsgebühr. Denn gemäß Nummer 1000 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 1. Var. VV RVG entsteht die Einigungsgebühr bei einer Zahlungsvereinbarung nur, wenn seitens des Anspruchsinhabers gleichzeitig vorläufig auf die gerichtliche Geltendmachung verzichtet wird. Ein solcher vorläufiger Klageverzicht ist weder dem Hauptverhandlungsprotokoll noch den Ausführungen des Beschwerdeführers zu entnehmen geschweige denn dem angefochtenen Beschluss vom 4. Mai 2020 oder der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018.

4. Dem Beschwerdeführer steht damit neben der (unstreitigen) Terminsgebühr in Höhe von 225,- Euro netto nur eine 2,0-Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert in Höhe von 3.000,- Euro zu (= 402,- Euro netto).

In der Summe ergeben sich damit 627,- Euro netto. Zuzüglich Umsatzsteuer ergibt sich der tenorierte Betrag in Höhe von 746,13 Euro.

IV.

Die weitere Beschwerde war nicht zuzulassen, da die zur Entscheidung stehenden Fragen keine grundsätzliche Bedeutung haben, vgl. dazu § 56 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 6 S. 1 RVG. Insbesondere ist die Frage, ob der nicht ausdrücklich auch für das Adhäsionsverfahren beigeordnete Pflichtverteidiger auch solche Gebühren gegenüber der Landeskasse abrechnen kann, die durch seine Tätigkeit im Adhäsionsverfahren entstanden sind, durch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht abschließend beantwortet worden (siehe dazu oben II 1 a).


Einsender: RA Dr. S. Ebrahim-Nesbat, Hamburg

Anmerkung:


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