Gericht / Entscheidungsdatum: LG Göttingen, Beschl. v. 03.03.2020 - 6 Ks 25 Js 14421/18 (11/18)
Leitsatz: Bei der Beurteilung der Frage, ob eine in die Mittagszeit fallende Unterbrechung als Mittagspause gelten und deshalb sollen und deshalb von der für die Ermittlung eines Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer abzuziehen ist, ist von Bedeutung, ob die (ungefähre) Dauer der Unterbrechung bereits vor Verhandlungsbeginn an dem jeweiligen Tag absehbar ist und der Pflichtverteidiger sich auf diese Unterbrechung hat einstellen können.
Landgericht Göttingen
Beschluss
6 Ks 25 Js 14421/18 (11/18)
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Mordes
hat das Landgericht Göttingen 6. große Strafkammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht am 3. März 2020 beschlossen:
1. Auf die Erinnerung vom 20. September 2019 gegen die Gebührenfestsetzung vom 12. September 2019 wird die festgesetzte Pflichtverteidigervergütung des Rechtsanwalts pp. abgeändert und auf 12.551,71 Euro festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe:
Die gemäß § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 und 8 RVG zulässige Erinnerung ist nur teilweise begründet.
I.
1. Der Rechtsbehelfsführer (nachfolgend Pflichtverteidiger) verteidigt den Angeklagten in dem oben genannten Strafverfahren und ist ihm seit dem 26. Oktober 2018 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Im Verlauf des Strafverfahrens bekam er Akteneinsicht durch Überlassung eines elektronischen Aktendoppels auf einem Datenträger in einem allgemein lesbaren Format (pdf).
Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2019 bat der Pflichtverteidiger die Gebühren in Höhe von 17.776,52 Euro abzüglich des bereits an ihn gezahlten Vorschusses in Höhe von 4.000,- Euro auf insgesamt 13.776,52 Euro festzusetzen. In diesem Betrag waren für vier Verhandlungstage die Gebühren nach Nr. 4122 Anlage 1 VV RVG in Höhe von jeweils 212,- Euro nebst darauf entfallender Umsatzsteuer enthalten sowie eine Pauschale in Höhe von 1.029,25 Euro nebst darauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7000 Anlage 1 VV RVG für 6.745 Ausdrucke aus den Verfahrensakten.
Unter Abzug dieser Gebühren setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Pflichtverteidigervergütung mit Beschluss vom 12. September 2019, im Übrigen wie beantragt, auf 11.542,59 Euro fest. Hiergegen wendet sich der Pflichtverteidiger mit der Erinnerung vom 20. September 2019 und beantragt, auch die Überlängenzuschläge, die Kopiekosten sowie die jeweils hierauf entfallende Umsatzsteuer festzusetzen.
Die Verhandlungsdauer an den Tagen, für die der Pflichtverteidiger die Gebühr nach Nr. 4122 Anlage 1 VV RVG beantragt, betrug jeweils weniger als 8 Stunden, aber nur dann mehr als 5 Stunden, wenn die Unterbrechungsdauer während der Mittagszeit nicht von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung abgezogen wird.
2.
Die Bezirksrevisorin beim Landgericht Göttingen erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme und beantragte, die Erinnerung zurückzuweisen.
II.
1. Die Entscheidung war wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung auf die Kammer zu übertragen, § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG. Das für den Landgerichtsbezirk Göttingen insoweit zuständige Oberlandesgericht Braunschweig hat die Rechtsfrage, ob die Zeit einer Mittagspause bei der Berechnung des Längenzuschlags zu berücksichtigen ist, zwar bereits entschieden (Beschluss vom 28. April 2014, Az. 1 Ws 132/14, zit, nach beck-online) und dabei die Zeit der Mittagspause unberücksichtigt gelassen.
Von dieser Rechtsauffassung weicht die Kammer zwar nicht ausdrücklich ab, weil ihre Entscheidung auf der im Folgenden näher ausgeführten Annahme beruht, dass es sich bei den bisher unberücksichtigt gelassenen Unterbrechungszeiten am 16. Januar, 28. Februar, 9. Mai und 27. Juni 2019 um keine tatsächlichen Mittagspausen handelte, sondern um zufällige, zunächst nicht geplante Unterbrechungszeiten in der Mittagszeit.
Das OLG Celle (Beschluss vom 12. August 2016, Az. 1 Ws 297/16, zit. nach beck-online) geht jedoch davon aus, dass in die Mittagszeit zwischen 12 Uhr und 14 Uhr fallende Unterbrechungszeiten unabhängig von ihrer konkreten Bezeichnung stets als Mittagspausen gelten und daher bei der Berechnung des Längenzuschlags unberücksichtigt bleiben sollen. Das OLG Braunschweig hat sich in seiner Entscheidung vom 28. April 2014 ausdrücklich auch im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung der niedersächsischen Oberlandesgerichte an der zuvor schon von den Oberlandesgerichten Celle und Oldenburg vertretenen Rechtsauffassung orientiert, sodass insofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass das OLG Braunschweig auch die Auffassung des OLG Celle bezüglich der generellen Einordnung von Unterbrechungen in der Mittagszeit als Mittagspause teilt und jedenfalls dann die Entscheidung der Kammer von der des OLG Braunschweig abweichen würde.
2. Gegen die gern. § 55 RVG erfolgte Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung ist die Erinnerung als Rechtsbehelf statthaft, § 56 Abs. 2 RVG. Die auch sonst zulässig und formgerecht erhobene Erinnerung (§ 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 und 8 RVG) hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
a) Dem Pflichtverteidiger steht der mit der Erinnerung geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nach § 46 RVG i. V. m. Nr. 7000 lit. a VV RVG nicht zu. Die Anfertigung der Ausdrucke war zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten. Das Oberlandesgericht Braunschweig (Beschluss vom 25. August 2015, Az. 1 Ws 233/15, Rn. 14-18, zit. nach Juris) hat zu dieser Rechtsfrage wie folgt ausgeführt:
Aus der Vorbemerkung Ziffer 7 VV ergibt sich, dass mit den Gebühren auch die allgemeinen Geschäftskosten entgolten werden, so dass der Rechtsanwalt diese nicht gesondert in Rechnung stellen darf. Auch die Kosten für Abschriften, Ausdrucke und Ablichtungen gehören zu diesen allgemeinen Geschäftskosten, so dass der Rechtsanwalt ihre Erstattung nicht uneingeschränkt, sondern nur unter den Voraussetzungen von Nr. 7000 VV RVG verlangen kann (vgl. Kotz, in: SchneiderNolpert/Fölsch, a. a. 0., RVG VV RVG Nr. 7000 Rn. 2). Ob die Herstellung der Kopien bzw. Ausdrucke zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache i. S. d. Nr. 7000 Ziff. 1. lit. a) VV RVG geboten ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Ansicht des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten, wobei der Rechtsanwalt allerdings einen eher großzügigen Ermessensspielraum hat, den er pflichtgemäß zu handhaben hat (Hartmann, a. a. 0., 7000 VV Rn. 6; Kroiß, in: Mayer/Kroiß, a. a. 0., RVG Nr. 7000 - 7002 VV Rn. 5).
Ob ein Ausdruck einer vollständigen elektronischen Akte, die dem Rechtsanwalt dauerhaft zur Verfügung steht, nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten geboten ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet.
Nach der wohl vorherrschenden Meinung ist der Ausdruck einer vollständigen elektronischen Akte grundsätzlich nicht erforderlich, weil der Rechtsanwalt durch die Nutzung entsprechender Hard- und Software jederzeit auf die Akten Zugriff nehmen kann und ihm dies auch im Hinblick darauf, dass die Arbeit am Computerbildschirm inzwischen zum Berufsalltag gehört, zumutbar ist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 11. Dezember 2009, Az.: 2 Ws 496/09 - juris Rn. 5; OLG Rostock, a. a. 0., Rn. 16 - 23; OLG München, Beschluss vom 3. November 2014, Az.: 4c Ws 18/14 - juris Rn. 42 - 44; LG Osnabrück, Beschluss vom 5. Dezember 2014, Az.: 2 KLs 1/14 - juris Rn. 5). Teilweise wird weiter differenziert, dass dem Rechtsanwalt zwar zuzumuten sei, sich mit Hilfe der elektronischen Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten, er dann aber entscheiden dürfe, welche (zentralen) Aktenbestandteile für die Verteidigung auch in Papierform benötigt würden; ein Anspruch auf Ausdruck der kompletten elektronischen Akte zum Zwecke der sachgerechten Verteidigung sei nicht anzuerkennen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2014, Az.: 1 Ws 247/14, 1 Ws 283/14 - juris Rn. 29; Hartmann, a. a. 0., Rn. 10).
Nach der gegenteiligen Ansicht sei es dem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht zuzumuten, die relevanten Informationen für die sachgemäße Bearbeitung der Rechtssache am Computerbildschirm zusammenzusuchen, so dass der Ausdruck der kompletten Akte erstattungsfähig sei (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, 7000 VV Rn 58): es müsse dem Rechtsanwalt in der Regel selbst überlassen bleiben, ob er mit einer elektronischen Akte oder mit einer Papierakte arbeite (vgl. Schmidt, in: Burhoff, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 4. Auflage, Nr. 58). Dies wird teilweise dahingehend eingeschränkt, dass lediglich bei einem weit überdurchschnittlichen Aktenumfang die Fertigung eines vollständigen Aktenausdrucks zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sei (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28. November 2011, Az.: 1 Ws 415 - 418/11 - juris Rn. 10; LG Duisburg, Beschluss vom 28. April 2014, Az.: 34 KLs 143 Js 193/10 - 15/13 - juris Rn. 2).
Der Senat schließt sich bezüglich der Beantwortung dieser Rechtsfrage der wohl vorherrschenden Meinung an. Die Herstellung von 2622 Ausdrucken aus der elektronischen Gefangenenpersonalakte wäre vorliegend nicht erforderlich gewesen. Den von der Pflichtverteidigerin angeführten Gründen, weshalb ein kompletter Ausdruck der elektronischen Akten zur sachgerechten Verteidigung ihres Mandanten geboten sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist ihr durchaus zumutbar, eine Textdatei mit 2622 Seiten am Computerbildschirm durchzuarbeiten, zumal die Akten in ihrer digitalisierten Form durch Ordner und Verzeichnisse derart übersichtlich gestaltet sind, dass Informationen gezielt herausgesucht werden können. Da die Kanzlei der Pflichtverteidigerin die elektronische Akte ausgedruckt hat, ist dort offensichtlich eine Software zum Öffnen und Lesen der Dokumente vorhanden. Die Pflichtverteidigerin hat auch nicht vorgetragen, dass sie nicht in der Lage sei, mit elektronischen Dokumenten zu arbeiten. Dass sie über keinen Laptop verfüge, den sie zu den Hauptverhandlungsterminen mitbringen könnte, und ein solcher ohnehin mangels Strom bzw. Akkukapazitäten abstürzen könnte, lässt das Arbeiten mit einer elektronischen Akte ebenfalls nicht als unzumutbar erscheinen. Im Hinblick darauf, dass die elektronische Akte demnächst im Justizbereich eingeführt werden wird und im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk bereits als elektronische Doppelakte" erprobt wird, ist die Anschaffung eines Notebooks ohnehin für eine adäquate Berufsausübung i. S. d. § 5 BORA bereits zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich. Auch Richter nutzen bereits Notebooks in den Hauptverhandlungen. Um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten, gibt es entsprechende Programme, die eine etwaige Schadsoftware und nichtautorisierte Zugriffe erkennen und ggf. verhindern. Die heute erhältlichen Notebooks verfügen zudem über genügend Akkuspeicherkapazität, um selbst während langer Sitzungstage dauerhaft genutzt werden zu können. Außerdem sind die Gerichtssäle mit Steckdosen ausgestattet, an denen Notebooks für den Dauerbetrieb angeschlossen und ggf auch aufgeladen werden können. Schließlich darf einem Verteidiger, der die für die Mandantengespräche erforderlichen Unterlagen auf einem Notebook eingespeichert hat, regelmäßig die Mitnahme eines solchen Geräts (ohne Netzwerkkarte und Zusatzgeräte) zu Unterredungen mit dem Mandanten in der Justizvollzugsanstalt nicht verwehrt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2003, Az.: 2 BGs 315/13 - juris Orientierungssatz und Rn. 5; Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 148 Rn. 13)."
Dieser Rechtsauffassung die in jüngster Zeit z. B. auch vom OLG Frankfurt im Wesentlichen geteilt (Beschluss vom 3. April 2018, Az. 2 Ws 1/18) und auch von der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Göttingen (Beschluss vom 1. August 2018, Az. 5 KLs 13/16, nicht veröffentlicht) bereits vertreten wurde schließt sich die Kammer an.
Der Pflichtverteidiger hat vorliegend keine Gründe vorgetragen, warum der Ausdruck der (gesamten) Akte für eine sachgemäße Bearbeitung des Mandats ausnahmsweise geboten und erforderlich war. Maßstab ist dabei nicht die subjektive Ansicht des Rechtsanwalts, sondern der objektive Standpunkt eines vernünftigen Dritten. Die elektronischen Aktendoppel werden üblicherweise und wurden auch hier in allgemein lesbaren Formaten wie dem pdf-Format zur Verfügung gestellt. Hierfür gibt es ausreichend Programme, mit denen die Bearbeitung der so zur Verfügung gestellten Dokumente möglich ist. Durch das Anlegen von Ordnern und Verzeichnissen können dabei die einzelnen (Teil-)Dokumente entsprechend den eigenen Bedürfnissen strukturiert werden. Durch die Erstellung von Dateikopien wäre es ohne nennenswerten Aufwand möglich, einem Mandanten auch mehrere gleichzeitig relevante (Teil-)Dokumente parallel zu präsentieren. Das Drehen des Computers ist hierbei nicht -jedenfalls nicht wesentlich umständlicher, als das Drehen einer physisch vorhandenen Akte. Bei Bedarf könnten die Aktenauszüge auch gleichzeitig auf mehreren Bildschirmen angezeigt werden, sodass ein Hin- und Herdrehen entfallen würde.
Dem Angeklagten hätte das elektronische Aktendoppel zur Durcharbeitung ebenfalls zur Verfügung gestellt werden können, sodass es insofern keiner Anfertigung von Ausdrucken bedurfte. Im Rahmen des durchgeführten Selbstleseverfahrens sind dem Angeklagten ebenfalls Aktenbestandteile in digitalisierter Form überlassen worden, die er auf einem von der JVA zur Verfügung gestellten PC einsehen konnte. Die technischen Voraussetzungen lagen insoweit vor.
Für die Vorbereitung von Vorhalten wäre es problemlos möglich, Teile der Dokumente unter Vermerk der Fundstelle in ein gesondertes (digitales) Dokument zu kopieren und in diesem anschließend etwaige Antworten zu notieren. Angesichts der dabei nur durch den Speicherplatz begrenzten Dokumentationsmöglichkeiten wäre für die Mitschrift auf diese Weise sogar regelmäßig mehr Platz", als auf dem schon allein durch den physischen Umfang begrenzten Ausdruck eines Aktenteils. Auch aus Gründen der Waffengleichheit" ist es demnach nicht erforderlich, die Kosten für den (vollständigen) Ausdruck der Akte zu erstatten.
b) Die Unterbrechungen an den Tagen 16. Januar (12:05 Uhr bis 13:18 Uhr), 28. Februar (12:18 Uhr bis 13:30 Uhr), 9. Mai (12:56 Uhr bis 13:51 Uhr) und 27. Juni 2019 (10:54 Uhr bis 13:20 Uhr) fielen zwar in die Mittagszeit, es handelte sich dabei aber nicht um als solche geplante Mittagspausen, sondern um zufällig in diese Zeit fallende Unterbrechungen, die nach Auffassung der Kammer nicht von der Verhandlungsdauer für die Berechnung der Überlängenzuschläge abgezogen werden können.
Ob Unterbrechungen, die in die Mittagszeit fallen bei der Berechnung der Überlängenzuschläge nach Nr. 4122 Anlage 1 VV RVG einzubeziehen oder abzuziehen sind, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Im Wesentlichen haben sich vier unterschiedliche Positionen entwickelt (vgl. die zusammenfassende Darstellung im BeckOK RVG v. Seltmann, Stand 1. September 2019, zu RVG VV 4122, Rn. 17 bis 17.4):
die Mittagspause wird von der Dauer der Hauptverhandlung nicht abgezogen
dem Verteidiger steht eine vergütete Mittagspause von ca. einer Stunde zu
eine Mittagspause von ca. einer Stunde wird bei der Berechnung des Längenzuschlags abgezogen
die Mittagspause wird in vollem Umfang von der Dauer der Hauptverhandlung abgezogen
Das Oberlandesgericht Braunschweig hat sich in seiner Entscheidung vom 28. April 2014 der letztgenannten Auffassung angeschlossen und hierzu zusammengefasst ausgeführt, dass es regelmäßig der Fürsorgepflicht des Gerichts entspreche, den Verfahrensbeteiligten zwecks Aufrechterhaltung ihrer Konzentrations- und Verhandlungsfähigkeit die Einnahme einer Mahlzeit zu ermöglichen und eine Mittagspause einzuräumen. Auf diese allgemeine Handhabung könnten sich alle Verfahrensbeteiligten einstellen, die Mittagspause sei deshalb vorherseh- und planbar. Es stehe daher den beteiligten Rechtsanwälten frei, in dieser Zeit eine Mahlzeit einzunehmen oder darauf zu verzichten und sich in dieser Zeit ggf. unter Verwendung moderner Kommunikationsmittel mit anderen Dingen zu befassen. Dadurch werde deutlich, dass die Mittagspause zur freien Verfügung stehe und die Hauptverhandlung in dieser Zeit nicht stattfinde, was aber Voraussetzung für die Einrechnung der Unterbrechung in die für den Längenzuschlag maßgebliche Zeit sei.
Diese Ausführungen können nach Auffassung der Kammer aber nur dann gelten, wenn für die Beteiligten der jeweiligen Verhandlung nach der üblichen und vorhersehbaren Handhabung des jeweiligen Spruchkörpers tatsächlich damit zu rechnen ist, dass es eine (längerfristige) Mittagspause geben wird. Nur dann ist für die Beteiligten absehbar, dass sie in dieser Zeit die Möglichkeit haben werden, ihre Zeit frei zu gestalten. Wenn ein Rechtsanwalt seine Kanzlei wie hier nicht am Ort des Gerichts unterhält, sondern längere Fahrzeiten zum Kanzleisitz hat, ist es ihm auch unter Verwendung moderner Kommunikationsmittel nicht ohne weiteres möglich, eine unvorhergesehene Unterbrechung zur Erledigung anderweitiger Arbeit zu nutzen.
Die Auffassung des OLG Celle, wonach in die Mittagszeit fallende Unterbrechungen stets als Mittagspausen gelten sollen und deshalb von der Verhandlungsdauer abzuziehen seien, überzeugt in dieser Pauschalität nicht. Eine Verhandlungsunterbrechung kann von den Verfahrensbeteiligten letztlich nur dann tatsächlich frei gestaltet" werden, wenn ihre (ungefähre) Dauer bereits vor Verhandlungsbeginn an dem jeweiligen Tag absehbar ist und sie sich auf diese Unterbrechung einstellen können, worauf sich beispielsweise Hinweise aus den zeitlichen Abständen der mitgeteilten Zeugenladungen ergeben können. Ist dies nicht vorhersehbar, sind die Verfahrensbeteiligten regelmäßig wie durch andere, kürzere Unterbrechungen auch in der Nutzung der Unterbrechungszeit eingeschränkt. Diese Einschränkung ist durch die zeitliche Gestaltung der Hauptverhandlung bedingt, weshalb es nach Auffassung der Kammer gerechtfertigt ist, diese Zeiten bei der Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung einzubeziehen und nicht abzuziehen.
Die Kammer hat in den vergangenen Monaten regelmäßig so auch in diesem Verfahren ohne eine fest eingeplante, bereits bei Terminierung und Ladung berücksichtigte Mittagspause verhandelt, sondern allenfalls kürzere Unterbrechungen in dieser Zeit vorgenommen. Der Fürsorgepflicht für die Verfahrensbeteiligten wurde dabei in der Regel dadurch entsprochen, dass die Verhandlungen bereits am frühen Nachmittag endeten. Diese Gestaltung der Verhandlungen hat sich für die Kammer in solchen Zeiten als sinnvoll erwiesen, in der auf Grund einer Vielzahl parallellaufender Verfahren mit inhaftierten oder einstweilig untergebrachten Verfahrensbeteiligten und dadurch oftmals täglichen Hauptverhandlungsterminen eine adäquate Vor- und Nachbereitung der Sitzungstage so am besten gewährleistet werden konnte.
Die Ladungen der Zeugen am 16. Januar 2019 erfolgten im Abstand von jeweils 45 Minuten, lediglich zwischen dem Zeugen pp. (geladen um 11:45 Uhr) und pp. (geladen um 13:15 Uhr) war ein Abstand von 90 Minuten, wobei die tatsächliche Unterbrechung angesichts der üblichen Dauer der Vernehmungen an diesem Tag maximal mit 45 Minuten erwartet wurde, tendenziell sogar eher kürzer. Dass es zu einer Unterbrechung von über einer Stunde kam, lag wesentlich daran, dass die Vernehmung des Zeugen pp. sich letztlich deutlich kürzer gestaltete, als zunächst angenommen. Dasselbe gilt für den 28. Februar 2019.
Am 9. Mai 2019 war ursprünglich vorgesehen, dass die Sachverständigen Frau Dr. pp., Herr Prof. Dr. pp. und Frau Prof. Dr. pp. ihre Gutachten erstatten, wobei ursprünglich keine Mittagspause vorgesehen war. Auf Grund eines kurzfristig zuvor gestellten Antrags ist an diesem Tag vor den Sachverständigen noch die Zeugin pp. vernommen worden, wodurch sich die Beweisaufnahme länger als ursprünglich geplant gestaltete und daher eine zuvor nicht beabsichtigte Unterbrechung von 12:56 Uhr bis 13:51 Uhr erforderlich wurde.
Die Unterbrechung am 07. Juni 2019 von 10:54 Uhr bis 13:20 Uhr war ebenfalls nicht als Mittagspause geplant, sondern ist zur kammerinternen Beratung und Beschlussfassung über zuvor am selben Tag gestellte (Beweis-)Anträge notwendig geworden. Zu diesem Zeitpunkt war beabsichtigt, die Beweisaufnahme noch am selben Tag zu schließen, die Schlussvorträge zu hören und am Folgetag das Urteil zu verkünden, was nicht möglich gewesen wäre, wenn die Kammer bei ihrer Beratung zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die beantragten Beweiserhebungen notwendig gewesen wären.
Da die Unterbrechungen an den vier Verhandlungstagen 16. Januar, 28. Februar, 9. Mai und 27. Juni 2019 nach Auffassung der Kammer nicht von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung abzuziehen sind, steht dem Pflichtverteidiger für diese Tage die Zusatzgebühr nach Nr. 4122 Anlage 1 VV RVG in Höhe von jeweils 212,- Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer zu, Nr. 7008 Anlage 1 VV RVG. Daraus ergibt sich die nunmehr festgesetzte Vergütung:
bisher festgesetzt. 11.542,59 Euro
zzgl. 212,- Euro x 4 = 848,00 Euro
zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von 19 % = 161,12 Euro
Gesamtvergütung 12.551,71 Euro
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.
Einsender: RA O. Wiesemann, 37154 Northeim
Anmerkung:
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