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RVG Entscheidungen

Nr. 4142 VV

Anfall der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG, neues Vermögensabschöpfungsrecht

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 06.03.2019 - 1 Ws 31/18

Leitsatz: Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV-RVG entsteht auch dann, wenn der vor dem 1. Juli 2017 mit der Verteidigung beauftragte oder zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt zunächst nur Tätigkeiten zu entfalten hatte, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe nach altem Recht (§§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F.) richteten.


1 Ws 31/18

In der Strafsache
gegen pp. u.a.,
hier nur gegen pp.,

wegen Förderung der Prostitution u.a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts am 6. März 2019 beschlossen:

Die Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landgerichts Berlin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13. April 2018 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Rechtsanwalt R. wurde dem Angeklagten pp. mit Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2017 zum Pflichtverteidiger bestellt. Bereits im Ermittlungsverfahren hatte das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 in das Vermögen seines Mandanten einen dinglichen Arrest in Höhe von 418.851 Euro angeordnet. Dies geschah nach der seinerzeit geltenden Rechtslage gemäß §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F. „zur Sicherung der den Verletzten aus der Straftat erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche“ (Rückgewinnungshilfe). Rechtsanwalt R. hat mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2017 beantragt, im Wege des Vorschusses neben verschiedenen Hauptverhandlungsgebühren für die Verteidigung des Angeklagten vor dem Landgericht auch eine Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG festzusetzen. Den Gegenstandswert hat er auf 418.000 Euro beziffert und dementsprechend einen Betrag von 447,- Euro zzgl. 84,93 Euro Umsatzsteuer (= 531,93 Euro) geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts hat die Vorschüsse mit Ausnahme der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG festgesetzt. Die Absetzung hat sie damit begründet, dass Tätigkeiten des Verteidigers, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe richteten, keinen Gebührenanspruch gemäß Nr. 4142 VV RVG auslösten. Auf die gegen die Absetzung der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung des Amtsgerichts dahin abgeändert, dass die Landeskasse dem Rechtsanwalt auf seinen Kostenfestsetzungsantrag eine weitere Vergütung von 531,93 Euro zu zahlen habe. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht, mit der sie einen Verstoß gegen § 60 RVG rügt. Das zulässig erhobene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Richtern, da das Landgericht die Entscheidung nach Übertragung des Verfahrens gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls in Dreierbesetzung getroffen hat.

2. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist im Ergebnis unbegründet. Rechtsanwalt R. steht die geltend gemachte Gebühr zu, da er für den Angeklagten Tätigkeiten entfaltet hat, die sich auf eine Einziehung beziehen.

a) Zutreffend ist allerdings die Ausgangsüberlegung der Beschwerde, wonach sich die Entscheidung (auch) danach richten muss, ob § 60 RVG anzuwenden ist. Soweit das Landgericht hierzu lediglich ausgeführt hat, es sei „der Anwendungsbereich von § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht eröffnet, da der Verteidiger nach altem Recht nicht etwa eine geringere, sondern überhaupt keine Gebühr hätte verlangen können“, trifft dies nicht den Kern der Problematik.

Im Zeitpunkt der Bestellung des Rechtsanwalts R. zum Pflichtverteidiger am 3. Mai 2017, mithin vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, bestand in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass Tätigkeiten des Verteidigers, die sich gegen vermögenssichernde Maßnahmen im Rahmen einer Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a, 73b StGB a.F.) wenden, keinen Gebührenanspruch nach Nr. 4142 RVG auslösen (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 22. November 2006 - 2 Ws 614/06 -, StraFo 2007, 131; Senat, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 Ws 309-310/07 -, AGS 2009, 224 = StRR 2009, 154 mit zustimmender Anmerkung Burhoff = ZfS 2008, 647 mit zustimmender Anmerkung Hansens; OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017 - III-5 Ws 130/17 -, JurBüro 2017, 355; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Januar 2018 - 1 Ws 551/17 -, JurBüro 2018, 356; N. Schneider in AnwK-RVG 8. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 14; Hartmann, KostG 48. Aufl., RVG Nr. 4142 VV Rdn. 3; Kroiß in Mayer/Kroiß, RVG 7. Aufl., Nrn. 4141-4147 VV Rdn. 16; Kremer in Riedel/Sußbauer, RVG 10. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 5; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 23. Aufl., Nr. 4142 VV Rdn. 8 [mit wohl distanzierendem Hinweis „nach früherer Auffassung“]; a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. April 2014 - 1 Ws 212/13 -, NStZ-RR 2014, 360; jeweils m. w. Nachw.)

Das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung (früher: „Verfall und Einziehung“) grundlegend neu geregelt. Es hat das Rechtsinstitut des Verfalls abgeschafft und durch ein neues Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. In diesem Rahmen hat es die Regelungen über die Rückgewinnungshilfe aufgehoben und gegen neue dem Verletztenschutz dienende Vorschriften ausgewechselt. Gebührenrechtlich hat dies zur Folge, dass die Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen gemäß Nr. 4142 VV RVG für die Tätigkeiten des Verteidigers seither unabhängig davon entsteht, ob die Vermögensabschöpfung (auch) der Entschädigung von Tatverletzten dient oder ob dies nicht der Fall ist.

Ob sich diese Änderung der Gesetzeslage auf die Vergütung des Rechtsanwalts R. auswirkt, bestimmt sich grundsätzlich nach § 60 RVG.

Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ist nicht unmittelbar anzuwenden, weil mit der darin genannten „Gesetzesänderung“ eine Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes selbst gemeint ist (vgl. Klees in Mayer/Kroiß a.a.O., § 60 Rdn. 20), worum es hier jedoch nicht geht.

Allerdings ordnet Abs. 1 Satz 3 an, dass Satz 1 auch gilt, „wenn Vorschriften geändert werden, auf die dieses Gesetz verweist.“ Sofern diese Norm zur Anwendung käme, müsste die Vergütung nach bisherigem Recht berechnet werden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist. Die (mit der Vorgängervorschrift § 134 BRAGO) wortgleiche Formulierung „Die Vergütung ist nach bisherigem Recht zu berechnen“ wird nach allgemeiner Auffassung dahingehend verstanden, dass sie bestimmt, ob das bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltende alte oder das neue Recht anwendbar ist (vgl. etwa Hartmann a.a.O., § 60 RVG Rdn. 1; AnwK-RVG/N. Schneider a.a.O., § 60 RVG Rdn. 2, 3).

b) Der Beschwerde ist zuzugeben, dass nach den vorstehenden Ausführungen § 60 Abs. 1 Satz 3 RVG tatsächlich einschlägig erscheint.

Ein solches Ergebnis wäre zur Überzeugung des Senats jedoch nicht sachgerecht, weil hierbei ein wesentlicher Aspekt der Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung außer Betracht bliebe, der sich bei der gebotenen Gesamtschau zwingend auch auf das Vergütungsrecht auswirken muss:

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des Art. 316h EGStGB ausdrücklich angeordnet, dass das neue Vermögensabschöpfungsrecht auf vor dem 1. Juli 2017 begangene Anlasstaten anwendbar ist (sofern nicht bis zu diesem Tag eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls von Wertersatz ergangen ist, was bei der vorgelegten Beschwerdekonstellation nicht der Fall ist).

Diese Rückwirkung bedeutet, dass ein vor dem Stichtag bestellter Verteidiger bereits zu diesem Zeitpunkt in der Sache nicht mehr gegen eine bloße Rückgewinnungshilfe, sondern gegen eine Einziehung nach neuem Recht verteidigt hat, weshalb eine Gleichstellung mit den nach dem Stichtag bestellten Verteidigern geboten ist. Dass im Zeitpunkt der Bestellung des Rechtsanwalts R. formal noch das alte Vermögensabschöpfungsrecht galt, muss daher entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unbeachtlich sein.

Gestützt wird dieses Ergebnis auch durch folgenden Umstand: Dass die Verteidigung gegen eine Rückgewinnungshilfe nach altem Recht für den Verteidiger keine Gebühr auslöste, war argumentativ vor allem darauf zurückzuführen, dass die der Rückgewinnungshilfe dienenden strafgerichtlichen Entscheidungen bei dem Beschuldigten noch nicht zu einem Vermögensverlust führten; darüber war vielmehr außerhalb des Strafverfahrens nach Maßgabe des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses und des dafür vorgesehenen Verfahrensrechts zu befinden (vgl. Senat, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 Ws 309-310/07 -, AGS 2009, 224). Dem Rechtsanwalt eröffnete sich damit die Möglichkeit, für die Rechtsvertretung des Mandanten in den Nachfolgeverfahren Gebühren zu verdienen. Derartige Nachfolgeverfahren sind jedoch durch die Reform des Vermögensabschöpfungsrechts obsolet geworden. Es gibt, soweit ersichtlich, in den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber des neuen Vermögensabschöpfungsrechts eine hierdurch bewirkte Schlechterstellung der Rechtsanwälte gewollt habe.

3. Der Senat stellt im Hinblick auf die Erwägungen des Landgerichts zum Gegenstandswert und die hierauf bezogene Erklärung der Beschwerdeführerin, sie gehe davon aus, dass der angefochtene Beschluss keine Streitwertfestsetzung enthalte, abschließend klar, dass das hier entschiedene Festsetzungsverfahren lediglich eine Vorschusszahlung betrifft. Das Landgericht hat dementsprechend keine konkludente Entscheidung über den Gegenstandswert getroffen. Diese bleibt dem Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 und 2 RVG vorbehalten.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.


Einsender: RiKG K.-P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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