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RVG Entscheidungen

§ 51

Pauschgebühr, Fahrtzeiten, Aktenumfang

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2016 - 4 ARs 91/15

Leitsatz: 1. Bei der Bewilligung einer Pauschgebühr ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen/persönlichen Umständen hat (für Fahrtzeit).
2. Eine gleichsam mathematische Berechnung des Aufwands des Pflichtverteidiger anhand eines sich aus einem aus der Anzahl der Blatt Ermittlungsakten ergebenden Faktors erscheint allgemein weder sachgerecht noch im Regelfall für die Findung eines an sämtlichen Gesichtspunkten und am Gesamtgepräge eines konkreten Falles orientierten billigen und zumutbaren Ausgleichs für die entfaltete anwaltliche Tätigkeit hinreichend geeignet.


4 ARs 91/15
Oberlandesgericht Stuttgart
- 4. Strafsenat -
Beschluss
vom 4. Juli 2016
in der Strafsache
gegen pp.
wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung
hier: Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung
Die Gegenvorstellung des Antragstellers, Rechtsanwalt Wolfgang Heer, Köln, gegen den Beschluss des Senats vom 18. März 2016 wird zurückgewiesen.

Gründe:
Der Senat hat mit Beschluss vom 18. März 2016 für die Verteidigung des früheren Angeklagten im vorbereitenden Verfahren und im Verfahren vor dem Landgericht - Staatsschutzkammer - Stuttgart durch den gerichtlich bestellten Verteidiger eine Pauschvergütung in Höhe von 7.500,00 € festgesetzt und dessen weitergehenden Antrag zurückgewiesen.

Mit der Pauschvergütung wurde der erhebliche Einarbeitungsaufwand des Verteidigers in die umfangreichen Akten (93 Leitzordner Ermittlungsakten und fünf Bände Gerichtsakten) gewürdigt.

Der Antragsteller sieht damit den von ihm erbrachten Aufwand nicht angemessen vergütet, u. a. auch deshalb, weil vom Senat nicht gewürdigt worden sei, dass sein Zeitaufwand sowohl für die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung als auch insbesondere die konkrete Vorbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstermine „exorbitant hoch" gewesen sei und ihn an der Annahme anderer Mandate gehindert habe.

Die Gegenvorstellung des Antragstellers ist unbegründet.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschvergütung, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache beziehungsweise des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar. Die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen - auch überdurchschnittlichen Sachen - in exorbitanter Weise abheben (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 4 StR 73/10, Beck RS 2014, 05300 Rn. 5; Beschluss vom 17. September 2013 - 3 StR 117/12, Beck RS 2013, 17198 Rn. 5). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1264 ff mwN). Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und in Folge dieses Umfangs eine zeitaufwendigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist. Dabei ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen, persönlichen Umständen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2015 - 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437 mwN).

1. Gemessen hieran ist eine Pauschvergütung mit der Begründung, dass die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine für den Antragsteller angesichts der Reisezeiten mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden waren, nicht angebracht. Dieser Aufwand beruht auf in seiner Person liegenden Uniständen und wird durch den Anspruch auf Erstattung der entstandenen Fahrt-und Übernachtungskosten sowie auf Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes ausgeglichen (Nr. 7003 ff. VV zu § 2 Abs. 2 RVG). Es ist nicht ersichtlich, dass die Nichtberücksichtigung des erforderlichen Zeitaufwands für die Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache nach § 51 RVG vorliegend zu einer Überschreitung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Zumutbarkeitsgrenze führt.

2. Dies gilt auch für die vom Antragsteller aufgewendete Zeit für die Vor- und Nachbereitung der insgesamt vier stattgefundenen Hauptverhandlungstermine. Zwar kann die Anzahl der Hauptverhandlungstage gerade in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht ein wichtiges Kriterium für die Frage der Gewährung einer Pauschvergütung und deren Höhe darstellen, neben der Dauer der einzelnen Verhandlungstage muss jedoch vor allem die Dichte der Terminierung gerade auch im Blick auf die hiervon abhängenden Möglichkeiten des Pflichtverteidigers zu einem Engagement in anderen Mandaten berücksichtigt werden. Der Senat hat in seiner Entscheidung nicht verkannt, dass die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstage einen Teil der Zeit des Antragstellers beansprucht haben dürfte. Im Vergleich zu anderen, im Rahmen der Nummern 4120 ff. VVRVG vergüteten Tätigkeiten war dieser Aufwand nach dem hier anzulegenden objektiven Maßstab jedoch dadurch reduziert, dass es sich im Zeitraum vom 25. Oktober bis 2. Dezember 2010 um lediglich vier Hauptverhandlungstage handelte und spätestens am letzten Tag absehbar war, dass angesichts der Aussetzung des Verfahrens eine umfassende Verteidigertätigkeit zunächst nicht mehr erforderlich war. Vor diesem Hintergrund kann von einer existenziellen Bedeutung der Höhe des Entgelts für die Teilnahme an sowie der Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlung nicht gesprochen werden.

3. Auch soweit der Antragsteller eine deutlich höhere Pauschvergütung im Hinblick auf seine entfaltete anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Einarbeitung in die umfangreichen Akten beansprucht, ist die Indienstnahme des selbstständig tätigen Antragstellers als bestellter Verteidiger im Verfahren zu öffentlichen Zwecken durch die festgesetzte Pauschvergütung auf noch zumutbare Weise ausgeglichen.

Eine gleichsam mathematische Berechnung des Aufwands anhand eines sich aus einem aus der Anzahl der Blatt Ermittlungsakten ergebenden Faktors wie vom Oberlandesgericht Düsseldorf in Beschlüssen vom 23. Juni und 5. August 2015 praktiziert, entspricht weder der gefestigten langjährigen Rechtsprechung des Senats oder der anderen Senate des Oberlandesgerichts Stuttgart noch erscheint eine solche Vorgehensweise allgemein sachgerecht und im Regelfall für die Findung eines an sämtlichen Gesichtspunkten und am Gesamtgepräge eines konkreten Falles orientierten billigen und zumutbaren Ausgleichs für die entfaltete anwaltliche Tätigkeit nicht hinreichend geeignet.

Die Gegenvorstellung gibt daher insgesamt keinen Anlass, die Entscheidung des Senats abzuändern.


Einsender: RA W. Heer, Köln

Anmerkung: Auf die Gegenvorstellung gegen den OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.03.2016 - 4 ARs 91/15 - hin erlassener Beschluss.


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