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RVG Entscheidungen

Nr. 4142 VV

Rückgewinnungshilfe, zusätzliche Verfahrensgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2014 - 1 Ws 212/13

Leitsatz: Nr. 4142 VV RVG gilt für eine Tätigkeit des Rechtsanwalts, die sich auf einen dinglichen Arrest zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz bezieht, auch dann, wenn der dingliche Arrest der Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO) dient.


In pp.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2013 wird wie folgt festgesetzt:
a) soweit die Staatsanwaltschaft die Anordnung eines dinglichen Arrests in das Vermögen des Angeschuldigten P. über einen Betrag von 1.007.400,- EUR hinaus auf 1.600.000,- EUR begehrte, auf 197.533,- EUR ;
b) soweit die Staatsanwaltschaft die Anordnung eines dinglichen Arrests in das Vermögen der Arrestbeteiligten zu 1. und 2. in Höhe von jeweils 1.600.000,- EUR begehrte, jeweils auf 533.333,- EUR .
Gründe
I.
Mit Verfügung vom 29. August 2013 ordnete die Staatsanwaltschaft nach § 111b Abs. 2 und Abs. 5, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V. mit §§ 73 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 Satz 2, 73a StGB wegen Gefahr im Verzug zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz und zur Sicherung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenden zivilrechtlichen Ansprüche jeweils einen dinglichen Arrest in Höhe von 1.600.000,- EUR in das Vermögen des Angeschuldigten P. und in das Vermögen der Arrestbeteiligten zu 1. und 2. an. Am selben Tag wurden von der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der dinglichen Arreste Pfändungsmaßnahmen u.a. in die Konten der Arrestbeteiligten zu 1. bei der Kreissparkasse H. (Guthaben: ca. 340.000,- EUR) und bei der Volksbank F. eG (Guthaben ca. 40.000,- EUR) ausgebracht.

Mit Beschluss der 6. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts vom 16. Oktober 2013 wurde der gegen den Angeschuldigten P. angeordnete dingliche Arrest mit der Maßgabe bestätigt, dass der Arrestbetrag und der Geldbetrag für die Hemmung der Vollziehung des Arrestes auf 1.007.400,- EUR herabgesetzt wurden. Der darüber hinausgehende dingliche Arrest gegen den Angeschuldigten P. und die dinglichen Arreste gegen die Arrestbeteiligten zu 1. und 2. wurden aufgehoben.

Die dagegen eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 16. Januar 2014 (1 Ws 212/13) als unbegründet verworfen.

Der frühere Verteidiger des Angeschuldigten P. Rechtsanwalt …, die Verfahrensbevollmächtigten der Arrestbeteiligten zu 1. im Beschwerdeverfahren (Rechtsanwalt … und Rechtsanwältin …) und der Verfahrensbevollmächtigte der Arrestbeteiligten zu 2. (Rechtsanwalt …) haben jeweils beantragt, den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 RVG festzusetzen.
II.
Der Senat entscheidet über die Anträge in der Besetzung mit drei Richtern, weil das Verfahren vom Berichterstatter wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache auf den Senat übertragen worden ist (§ 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
III.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ist wie tenoriert festzusetzen.
1. Die Anträge auf Festsetzung des Gegenstandswertes sind zulässig i.S. von §§ 2 Abs. 1, 33 Abs. 1 RVG, weil die Antragsteller einen fälligen Anspruch auf eine Vergütung haben (§§ 33 Abs. 2 Satz 1, 8 Abs. 1 RVG) und es hinsichtlich der Anwaltsgebühren für das Verfahren über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 16. Oktober 2013 auf den Gegenstandswert des Verfahrens ankommt. Die Tätigkeit der Antragsteller, die auf Abwendung der von der Staatsanwaltschaft begehrten Anordnung dinglicher Arreste in das Vermögen des jeweiligen Mandanten gerichtet war, unterfällt nach Auffassung des Senats der als Wertgebühr ausgestalteten Nr. 4142 VV RVG.

Nach überwiegender Ansicht unterfallen Tätigkeiten zur Abwendung eines dinglichen Arrests, der zur Sicherung der Rückgewinnungshilfe angeordnet worden ist, nicht der Nr. 4142 VV RVG (OLG Köln, StraFo 2007, 131; KG, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 Ws 309/07, 310/07 -, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 2 Ws 378/08 -, BeckRS 2009, 08073; LG Saarbrücken, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 2 Qs 18/11 -, juris). Denn ein solcher Arrest diene lediglich der vorläufigen Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche und daher falle nicht unter die in Nr. 4142 VV RVG aufgeführten Tätigkeiten (OLG Hamm, a.a.O., LG Saarbrücken, a.a.O., Rn. 7). Entscheidend für die Anwendung von Nr. 4142 VV RVG sei, ob es sich um eine Maßnahme handelt, die darauf gerichtet ist, dem Betroffenen den Gegenstand endgültig zu entziehen und dadurch einen endgültigen Vermögensverlust bewirken soll (KG, a.a.O.; LG Saarbrücken, a.a.O., Rn. 5). Nur eine auf diese Maßnahmen bezogene Tätigkeit des Verteidigers verdiene eine gesonderte Honorierung (KG, a.a.O.). Strafgerichtliche Entscheidungen, welche der Rückgewinnungshilfe dienten, führten hingegen bei dem Betroffenen noch nicht zu einem Vermögensverlust. Darüber sei vielmehr außerhalb des Strafverfahrens nach Maßgabe des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses und des dafür vorgesehenen Verfahrensrechts zu befinden (KG, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.). Teilweise (Burhoff, RVG, 3. Aufl., zu Nr. 4142 Rn. 6 f.) wird differenziert zwischen einerseits dem Verfall, der „Strafcharakter“ habe, und dem Arrest zur Sicherung eines solchen Verfalls - Tätigkeiten im Zusammenhang mit diesen beiden seien von Nr. 4142 VV erfasst (Burhoff, a.a.O., Rn. 6) - und andererseits der Anordnung des Arrests bzw. der Beschlagnahme zum Zweck der Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO), bei denen Nr. 4142 VV jeweils nicht anwendbar sei (Burhoff, a.a.O., Rn. 7).

Nach anderer Ansicht (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2008 - 3 Ws 323/07 -, wistra 2008, 160; Beschluss vom 17. Januar 2008 - 3 Ws 560/07, 592/07 -, juris Rn. 6; OLG München, wistra 2010, 456; vgl. auch LG Koblenz, Beschluss vom 21. November 2011 - 9 Qs 144/11 -, juris Rn. 7) können Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Abwehr eines dinglichen Arrests, auch soweit dieser zur Sicherung der Rückgewinnungshilfe angeordnet worden ist, nach Nr. 4142 VV RVG vergütet werden. Die zitierten Entscheidungen begründen diese Ansicht allerdings nicht näher.
b) Der Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an. Im Einzelnen:

Die zusätzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen) entsteht nach Abs. 1 der Gebührenziffer im Rahmen einer Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich u.a. auf die Einziehung oder dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 442 StPO) bezieht. Aus dem in Nr. 4142 VV RVG enthaltenen Verweis (auch) auf § 442 Abs. 2 StPO sowie aus der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG ergibt sich, dass Nr. 4142 VV RVG auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts für einen vom Beschuldigten verschiedenen Dritten erfasst, wenn sich diese Tätigkeit auf einen gegen den Dritten anzuordnenden Verfall von Wertersatz (§§ 73 Abs. 3, 73a StGB) bezieht.

Nr. 4142 VV RVG erfasst Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Sicherung der künftigen Einziehung oder des künftigen Verfalls. Hinsichtlich der diesen Zwecken dienenden Beschlagnahme (§§ 111b Abs. 1, 111c, 111f Abs. 1 und 2 StPO) ergibt sich dies aus der Formulierung „oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme“ (vgl. nur Schmahl, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rn. 123). Im Ergebnis kann nichts anderes gelten, soweit die Tätigkeit des Anwalts gegen eine vorläufige Maßnahme der Sicherung des Verfalls von Wertersatz (§§ 73, 73a StGB) gerichtet ist. Zwar wird der Verfall von Wertersatz nicht durch Beschlagnahme nach § 111c StPO gesichert, sondern - weil es sich um einen Zahlungsanspruch handelt - durch Anordnung des dinglichen Arrests (§ 111b Abs. 2, 111d Abs. 1 StPO) und darauf gestützte Vollziehungsmaßnahmen, insbesondere Pfändungen (§ 111d Abs. 2 StPO i.V. mit §§ 928, 930 bis 932 ZPO; § 111f Abs. 3 StPO). Allerdings bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den dinglichen Arrest in Nr. 4142 VV RVG bewusst ausgenommen hat. Durch den Verweis auf § 442 StPO - und damit auch auf dessen Absatz 2 - hat der Gesetzgeber ausdrücklich den Fall aufgenommen, dass sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf den Verfall von Wertersatz gegen Dritte (§§ 73 Abs. 3, 73a StGB) bezieht; hierin unterscheidet sich Nr. 4142 VV RVG von dem bis 30. Juni 2004 geltenden § 88 BRAGO (vgl. zu § 88 BRAGO: LG Stuttgart, Beschluss vom 5. April 2004 - 6 KLs 183 Js 75705/03 -, juris Rn. 8). Der Anspruch auf Verfall von Wertersatz kann nur über einen dinglichen Arrest gesichert werden. Warum Tätigkeiten im Zusammenhang mit der (endgültigen) Anordnung des Verfalls (§ 73 StGB), dessen (vorläufiger) Sicherung durch Beschlagnahme (§§ 111b Abs. 1, 111c StPO) und der (endgültigen) Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§ 73a StGB) sämtlich unter Nr. 4142 VV RVG fallen sollen, nicht aber Tätigkeiten im Zusammenhang mit der (vorläufigen) Sicherung des Verfalls von Wertersatz, erschließt sich nicht. Einer Einbeziehung dieser Tätigkeiten steht der Wortlaut von Nr. 4142 VV RVG nicht ausdrücklich entgegen, weil über den Verweis auf § 442 Abs. 2 StPO Tätigkeiten des Rechtsanwalts, die gegen die endgültige Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§§ 73 Abs. 3, 73a StGB) gerichtet sind, eindeutig erfasst werden, und dem Passus „oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme“ die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde liegt, dass auch anwaltliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit vorläufigen Maßnahmen zur Sicherung der Einziehung oder dieser gleichstehenden Rechtsfolgen (§ 442 Abs. 1 und 2 StPO) erfasst sein sollen. Dass hierunter auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Anordnung eines dinglichen Arrests fallen, kommt auch in der Begründung des Entwurfs zum RVG (BT-Drs. 14/8818 vom 18. April 2002) zum Ausdruck; die dort erwähnte „Zunahme von Verfahren mit Einziehungs- oder Verfallerklärung“ und die „erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die die Anordnung dieser Maßnahmen für den Beschuldigten haben kann“ (BT-Drs. 14/8818 S. 84), treffen gerade typischerweise auf die Fälle zu, in denen es um den Verfall von Wertersatz und dessen Sicherung durch dinglichen Arrest geht. Vor diesem Hintergrund lässt sich die ausschließliche Verwendung des Begriffs „Beschlagnahme“ in Nr. 4142 VV RVG nur als gesetzgeberisches Redaktionsversehen erklären.

Entgegen der herrschenden Ansicht wird auch die anwaltliche Tätigkeit, die sich gegen einen zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrest (§ 111b Abs. 5 StPO) richtet, von Nr. 4142 VV RVG erfasst. Denn durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2350) wurde § 111i StPO mit Wirkung vom 1. Januar 2007 grundlegend novelliert und in Abs. 2 bis 7 ein staatlicher Auffangrechtserwerb normiert. Seit 1. Januar 2007 kommt es daher für die Frage, ob ein auf der Grundlage eines dinglichen Arrests gepfändeter Vermögensgegenstand dem betroffenen Vermögensinhaber letztlich entzogen werden wird, nicht mehr darauf an, ob der Verletzte in die aufgrund des dinglichen Arrests sichergestellten Vermögenswerte vollstreckt oder hiervon wegen des damit verbundenen Aufwands absieht. Seither unterscheidet sich die Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines (auch) zum Zweck der Rückgewinnungshilfe angeordneten dinglichen Arrests in Intensität und wirtschaftlicher Auswirkung aus der Sicht des Betroffenen nicht mehr wesentlich von der Pfändung eines Vermögensgegenstandes auf der Grundlage eines „nur“ nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO i.V. mit § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB angeordneten dinglichen Arrests bzw. von der Beschlagnahme eines „nur“ dem Verfall unterliegenden Gegenstandes.
2. Nach § 2 Abs. 1 RVG wird die Verfahrensgebühr nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat. Dabei ist der objektive Wert maßgebend, subjektive Interessen der Arrestschuldnerin sind bei der Bemessung ohne weiteren Belang (OLG München, a.a.O.). Da der dingliche Arrest der Sicherung des Verfalls von Wertersatz dient und damit bloß vorläufigen Charakter hat, ist ausgehend von dem zu sichernden Hauptanspruch ein Abschlag vorzunehmen, so dass der Gegenstandswert des Arrestverfahrens in der Regel unter dem Betrag des zu sichernden Hauptanspruchs liegt. Im Regelfall ist es angemessen, als Gegenstandswert 1/3 des zu sichernden Hauptanspruchs festzusetzen (OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2008, a.a.O., Rn. 8; OLG München, a.a.O.). Dies entspricht auch der Praxis im zivilprozessualen Arrestverfahren (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 3 Rn. 16 Stichwort: Arrestverfahren). Anhaltspunkte, dass entsprechend den zu § 3 ZPO entwickelten Grundsätzen der objektive Wert im vorliegenden Fall höher zu veranschlagen ist, bestehen nicht.

Ausgehend hiervon war, soweit von der Staatsanwaltschaft die Anordnung eines dinglichen Arrests in das Vermögen des Angeschuldigten P. über einen Betrag von 1.007.400,- EUR hinaus auf 1.600.000,- EUR begehrt wurde, der Gegenstandswert auf 1/3 von 592.600,- EUR (Differenz aus 1.600.000,- EUR und 1.007.400,- EUR), mithin 197.533,- EUR, festzusetzen. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde die Anordnung des dinglichen Arrests in das Vermögen der Arrestbeteiligten zu 1. und 2. in Höhe von jeweils 1.600.000,- EUR begehrte, war der Gegenstandswert auf 1/3 von 1.600.000,- EUR, mithin 533.333,- EUR, festzusetzen.
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 33 Abs. 9 Satz 1 RVG).

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