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Leitsatz: Zur Darlegungslast des Pflichtverteidigers betreffend die Erforderlichkeit von Mandantenbesuchen in der Haftanstalt. Umkehr der Beweislast nur bei Anhaltspunkten für (nicht kostenschonende) missbräuchliche Prozessführung.
Brandenburgisches Oberlandesgericht 1 Ws 31/14 Beschluss In der Strafsache gegen pp. wegen Einbruchsdiebstahls u. a. hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch am 31. März 2014 beschlossen: Auf die Beschwerde des Verteidigers gegen die Beschlüsse der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 29. Januar 2014 und 26. Februar 2014 wird die Pflichtverteidigervergütung auf 2.606,44 Euro festgesetzt. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Gründe: I. Auf Antrag des Angeklagten vom 09. November 2012 bestellte der Vorsitzende der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin am 05. April 2013 den Beschwerdeführer zum Pflichtverteidiger, nachdem er ausweislich der Vollmachtsurkunde vom 28. Oktober 2012 zunächst als Wahlverteidiger des Angeklagten tätig geworden war. Mit Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin vom 13. Juli 2012 wurden dem Angeklagten und zwei weiteren Tätern bandenmäßige Begehung von 15 Taten des Einbruchsdiebstahls zur Last gelegt. Der Angeklagte befand sich bei Anklageerhebung in anderer Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Neuruppin-Wulkow, er verbüßte eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die Hauptverhandlung begann am 06. August 2013, es folgten drei weitere Termine im August 2013, das Urteil erging gegen alle drei Angeklagten am 12. September 2013. Der Angeklagte wurde u. a. aufgrund seines Geständnisses unter Einbeziehung der Strafen aus der vorangegangenen Verurteilung und Freispruch im Übrigen wegen Diebstahls in neun besonders schweren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, die Mitangeklagten zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das Urteil wurde nach Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig. Mit Schriftsatz vom 16. September 2013, eingegangen am 19. September 2013, hat der Beschwerdeführer die Festsetzung und Erstattung von Kosten für die Pflichtverteidigung in Höhe von insgesamt 2.606,44 Euro, darunter Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld für insgesamt 8 Besuche in der JVA Luckau-Duben beantragt. Für 7 der Besuche hat er im Hinblick auf einen Besuch bei einem weiteren Gefangenen jeweils nur die halbe Gebühr gem. Nr. 7003 RVG, § 14 RVG beantragt. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2013 setzte die Urkundsbeamtin die Gebühren und Auslagen in Höhe von 2.322,03 Euro fest und wies den Antrag im Übrigen zurück. Nur vier der beantragten Besuche seien erstattungsfähig, nämlich der vom 06. November 2012 aufgrund der zuvor erhaltenen Anklageschrift, der vom 28. Dezember 2012 aufgrund der zuvor gewährten Akteneinsicht, der vom 26. März 2013 aufgrund der diesbezüglichen richterlichen Verfügung vom 08. März 2013 und der vom 05. Juli 2013 aufgrund der notwendigen Vorbereitung auf die am 06. August 2013 beginnende Hauptverhandlung. Hinsichtlich der darüber hinaus erfolgten Besuche am 21. Januar 2013, 22. Februar 2013, 15. Mai 2013 und 20. Juni 2013 sei weder ersichtlich noch vorgetragen, warum sie notwendig gewesen seien. Mit seiner Erinnerung vom 13. November 2013 trägt der Beschwerdeführer vor, die vier Besuchstermine seien notwendig gewesen. Seinem Mandanten seien erhebliche, überdurchschnittliche Taten vorgeworfen worden. In Verfahren mit mehreren Angeklagten seien die Verteidiger untereinander berechtigt, die Sache inhaltlich zu besprechen, sogenannte Sockelverteidigung. Auch über solche Bemühungen habe der Angeklagte in Kenntnis gesetzt werden müssen. Der Erinnerung des Bezirksrevisors vom 16. Dezember 2013 gegen den Beschluss vom 17. Oktober 2013 half die zuständige Rechtspflegerin mit Beschluss vom 13. Januar 2014 ab und setzte die Gebühren und Auslagen des Beschwerdeführers unter Zurückweisung seiner Erinnerung auf 2.300,61 Euro fest. Dem Einwand des Bezirksrevisors entsprechend habe der Beschwerdeführer den Angeklagten am 06. November 2012 und 28. Dezember 2012 nicht in der JVA Luckau-Duben, sondern in der JVA Neuruppin-Wulkow besucht, weswegen der Beschwerdeführer Fahrtkosten in Höhe von 24,42 Euro zurückzuerstatten habe. Hiergegen hat sich der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23. Januar 2014 mit der Begründung gewandt, er habe den Angeklagten sehr wohl an den beiden maßgeblichen Terminen in Luckau-Duben aufgesucht. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. Januar 2014 hat der Vorsitzende der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Erinnerungen des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Die Festsetzung der Vergütung der Haftbesuche hätte in Gänze unterbleiben können, da ihre Vielzahl den Rahmen einer glaubhaften Erforderlichkeit sprenge und ihre Notwendigkeit nicht dargetan sei. Zwar sei die Darlegungslast eines Verteidigers auf formelle Gesichtspunkte beschränkt, jedoch könnten so ungewöhnlich viele Haftbesuche wie hier nicht allein mit dem Vorliegen eines Umfangsverfahrens dargelegt werden. Der Beschwerdeführer hätte in seinem Vergütungsantrag zumindest Angaben wie Klärung der Verteidigungsstrategie oder Beweislage im Anklagepunkt 1 oder Verhalten in der Hauptverhandlung machen und die Länge der einzelnen Haftbesuche angeben müssen. Die Kürzung der Wegstrecke für die Besuche in der JVA Neuruppin sei angesichts der aktenkundigen Auskunft der JVA Neuruppin-Wulkow rechtmäßig. Die fehlerhafte Abrechnung des Beschwerdeführers stelle die Glaubhaftigkeit seines Vergütungsantrags hinsichtlich sämtlicher Haftbesuche in Frage. Mit Schriftsatz vom 06. Februar 2014 wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 29. Januar 2014 und legt die Bestätigung des Leiters der JVA Luckau-Duben vom 29. Januar 2014 vor, wonach er den Angeklagten am 06. November 2012 von 12 h 28 bis 13 h 04 und am 28. Dezember 2012 von 10 h 28 bis 10 h 48 dort besucht habe. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. Februar 2014 hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin unter Nichtabhilfe im Übrigen der Beschwerde insoweit abgeholfen, als die Vergütung des Beschwerdeführers auf 2.322,03 Euro festgesetzt werde, da die Haftbesuche am 06. November 2012 und 28. Dezember 2012 in der JVA Luckau-Duben stattgefunden hätten. II. 1. Die Beschwerde ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig und fristgemäß erhoben. Der Senat entscheidet gem. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG. 2. Die Beschwerde ist auch begründet, da die Nichterstattung der Fahrt- und Abwesenheitskosten für die Haftbesuche am 21. Januar 2013, 22. Februar 2013, 15. Mai 2013 und 20. Juni 2013 nicht mit § 46 Abs. 1 RVG vereinbar ist. Die Durchführung eines Haftbesuches pro Monat während der Dauer von acht Monaten vom Zeitpunkt der Übernahme des Mandats bis zum Beginn der Hauptverhandlung begründet bei einem Umfangsverfahren, bei dem eine mehrjährige Haftstrafe im Raum steht, ohne weitere Anhaltspunkte noch nicht die Vermutung missbräuchlicher Prozessführung. Gem. § 46 Abs. 1 RVG sind Auslagen nicht zu vergüten, wenn sie zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren. Aufgrund der negativen Fassung von § 46 Abs. 1 RVG, die insoweit der Vorgängervorschrift gem. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO entspricht, trägt die Staatskasse grundsätzlich die Beweislast dafür, dass die Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren (BVerfG, NJW 2003, 1443; BbgOLG, B. v. 06. Februar 2007, 2 Ws 270/06, zitiert nach juris; Hartmann, Kostengesetze, 40. A. 2010, § 46 RVG Rn. 9; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. A. 2006, § 46 Rn. 1, 12). So ist die Staatskasse nicht verpflichtet, die Auslagen für unnötige und zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderliche Tätigkeiten zu erstatten. Es kann daher mit Rücksicht auf das Kostenrisiko gerechtfertigt sein, die Erstattung von Auslagen von der Darlegung konkreter Umstände abhängig zu machen (BVerfG a. a. O.). Wenn sich Anhaltspunkte ergeben, die auf einen Missbrauch der Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung des Pflichtverteidigers hindeuten, kann die grundsätzlich die Staatskasse treffende Darlegungs- und Beweislast auf den Verteidiger verlagert werden (BbgOLG a. a. O.; KG Berlin, B. v. 27. Mai 2008, 2/5 Ws 131/06, zitiert nach juris; OLG Zweibrücken, B. v. 04. Juni 2012, 1 Ws 71/12, zitiert nach juris). Will die Staatskasse ihre Erstattungspflicht bestreiten, muss sie konkrete Gründe nennen, deretwegen aus ihrer Sicht die Auslagen für die sachgemäße Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich gewesen sein sollen (Hartung u. a., a. a. O. Rn. 12f.) Die Prüfung, ob die Auslagen erforderlich waren, ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (BVerfG a. a. O.). Maßstab kann die Beantwortung der Frage sein, ob ein verständiger, nicht mittelloser Angeklagter die Auslagen in gleicher Situation auch veranlasst hätte (BbgOLG a. a. O). Bei Reisekostenersatz kann auch entscheidend sein, ob der Pflichtverteidiger die Angelegenheit gleichermaßen ohne die Reise hätte sachgemäß durchführen können, wobei auf den Zeitpunkt der Entstehung der Auslagen abzustellen ist (KG a. a. O.). Konkrete Gründe, deretwegen die Durchführung der streitgegenständlichen Haftbesuche nicht erforderlich gewesen sein könnte, sind hier, nachdem die zuvor als unwahr angesehenen Angaben des Verteidigers zum Haftort sich als Irrtum der Justizvollzugsanstalt erwiesen haben, nicht ersichtlich. Zwar existiert kein allgemeingültiger Grundsatz, wonach ein Inhaftierter, der eine Verlängerung seiner Haft zu gewärtigen hat, regelmäßiger Verteidigerbesuche bedarf (LG Stuttgart, B. v. 31. Juli 2012, 14 Qs 8/12, zitiert nach juris). Des gleichen kann eine außergewöhnliche Häufung von Haftbesuchen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums grundsätzlich Anlass zur Annahme missbräuchlicher Prozessführung bieten (BVerfG a. a. O.; LG Stuttgart, a. a. O.; LG Neuruppin, B. v. 08. Januar 2014, 21 KLs 3/13, zitiert nach juris). Auch der Umstand, dass der Verteidiger bei 7 der 8 Besuchsterminen, darunter 3 der hier streitgegenständlichen Termine, zugleich einen weiteren Gefangenen aufgesucht hat, vermag keinen Anlass zu Zweifeln an der Erforderlichkeit der Fahrtkosten zu begründen. So kann es der Fürsorgepflicht des Verteidigers entsprechen, den Angeklagten angelegentlich der Haftbesuche anderer Mandanten in der JVA aufzusuchen (BbgOLG a. a. O.). Die Nutzung einer Reise zur Durchführung mehrerer Haftbesuche kann - vergleichbar der Wahl der kürzesten Anfahrtsstrecke zur JVA (LG Stuttgart a. a. O.) - daher gerade dem Gebot kostenschonender Prozessführung entsprechen. Mangels Vorliegens weiterer Gesichtspunkte, die im konkreten Fall Anlass für die Annahme missbräuchlichen Verhaltens bieten könnten, überschreitet die Durchführung von acht Haftbesuchen über einen Zeitraum von acht Monaten hinweg noch nicht die Grenze zur Unangemessenheit, zumal es sich um ein Umfangsverfahren mit weiteren Mitangeklagten handelte. 3. Angesichts dessen waren die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer die Notwendigkeit der Haftbesuche nicht, wie vom Landgericht Neuruppin gefordert, konkret beschrieben hat, ist mangels Umkehr der Beweislast gem. § 46 Abs. 1 RVG zulasten des Verteidigers unschädlich. Nur wenn Anlass zur Annahme missbräuchlicher Prozessführung besteht, ist dem Verteidiger eine differenzierte Substantiierung abzuverlangen, die eine Nachprüfung konkret ermöglicht (vgl. KG a. a. O.). Ist dies, wie hier, nicht der Fall, reichen die undifferenzierten Angaben zu den Besuchsterminen aus. 4. Da die beantragten Auslagen für Fahrt- und Abwesenheitskosten des Beschwerdeführers gem. § 45 Abs. 3, 46 Abs. 1 RVG erstattungsfähig sind, sind sie gem. Nr. 7003 VV RVG, Nr. 7005 VV RVG im beantragten Umfang wie tenoriert festzusetzen. III. Gem. §§ 56 Abs. 2 RVG ist das Beschwerdeverfahren gebührenfrei und es erfolgt keine Kostenerstattung.
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