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Leitsatz: Bei der Berechnung der Länge einer Hauptverhandlung müssen die im Protokoll vermerkten längeren Unterbrechungen für die Bestimmung der vergütungspflichtigen Gesamtdauer abgezogen werden.
2 Ws 18/12 OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS In der Strafsache gegen pp wegen Totschlags, hier: Festsetzung der Vergütung des Pflichtverteidigers hat das Oberlandesgerichts Frankfurt am Main -2. Strafsenat - auf die Beschwerde der Staatskasse des Landes Hessen, endvertreten durch den Bezirksrevisor beim Landgericht Marburg am 13. März 2012 beschlossen:
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 20. Dezember 2011 aufgehoben. Es verbleibt bei der Absetzung der Zusatzgebühr (Nr. 4122 VV RVG) durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8. Dezember 2011.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe Der Antragsteller, ist mit Beschluss vom 8. Februar 2011 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden und hat diesen während einer zehntägigen Hauptverhandlung verteidigt. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2011 beantragte er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühr in Höhe von insgesamt 8.240,39 EUR. Darin enthalten, war eine Zusatzgebühr nach Nr. 4122 W RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als fünf und bis zu acht Stunden) für den vierten Verhandlungstag am 22. Februar 2011 in Höhe von 178,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer (insgesamt 211;82 EUR). Die Verhandlung, deren Beginn gerichtlich für 9.00 Uhr bestimmt war, dauerte ausweislich des Protokolls an diesem Tag von 9.15 Uhr bis 14:25 Uhr und war von 9.26 Uhr bis 9.43 Uhr, von 10.36 Uhr bis 11.34 Uhr sowie von 12.06 Uhr bis 14.06 Uhr unterbrochen. Mit Beschluss vom 25. August 2011 setzte die Rechtspflegerin die dem Antragsteller zu zahlende Vergütung auf 7.323,38 EUR fest. In Abzug geriet die Zusatzgebühr nach Nr. 4122 W RVG für die Verhandlung am 22. Februar 2011, da die Hauptverhandlung nach Abzug der Unterbrechung von 12.06 Uhr bis 14.06 Uhr weniger als fünf Stunden gedauert hat. Der hiergegen eingelegten Beschwerde" (richtigerweise Erinnerung) des Antragstellers vom 30. September 2011 hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 teilweise abgeholfen, die Zusatzgebühr Nr. 4122 W RVG aber weiterhin versagt. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2011 hat der Antragsteller die Erinnerung bzgl. dieser Position weiter verfolgt und die Zusatzgebühr ist ihm mit dem angefochtenen Beschluss durch das Landgericht Marburg letztlich zugesprochen worden. Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 eingelegten Beschwerde durch den Bezirksrevisor.
Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern, weil die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen wurde (§ 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 RVG).
Das Rechtsmittel ist auch begründet. Dem Antragsteller steht die beantragte Zusatzgebühr nach Nr. 4122 W RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als fünf und bis zu acht Stunden) nicht zu.
Es geht vorliegend ausschließlich um die Frage, ob bei der Berechnung der Länge einer Hauptverhandlung die im Protokoll vermerkten Unterbrechungen für die Bestimmung der vergütungspflichtigen Gesamtdauer abgezogen werden müssen.
Nach der Reform der Rechtsanwaltsvergütung durch das RVG erhält ein Pflichtverteidiger neben der Terminsgebühr die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4122 W RVG (sog. Längenzuschlag) dann, wenn er im ersten Rechtszug vor der Strafkammer mehr als fünf Stunden und bis acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Zur Bestimmung der Hauptverhandlungsdauer enthält das Gesetz keine Regelung. Ausgehend von Sinn und Zweck der Zusatzgebühr, nämlich den Zeitaufwand eines gerichtlich bestellten Rechtsanwalts für die Teilnahme von über 5 Stunden dauernden Hauptverhandlungstagen zusätzlich zu vergüten, ist die Verhandlungsdauer die Zeitspanne zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung (so die überwiegende Rspr. der OLGs mit Nachweis bei Kotz in Beck'scher Online-Kommentar RVG Stand 15.02.2012 Rdnr. 8.1.; vgl. OLG Frankfurt 2 Ws 197/07 - Beschluss vorn 12. Dezember 2007; OLG Koblenz NJW 2006, 1150; a.A. Beginn der Hauptverhandlung nach Protokoll OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191). Danach begann die Verhandlung am 22. Februar 2011 um 09.00 Uhr und endete um 14.25 Uhr, so dass vorliegend ohne Absetzung der Verhandlungsunterbrechung die Zusatzgebühr entstanden wäre.
Der Gesetzgeber hat sich zur Frage des Abzugs von Verhandlungsunterbrechungen nicht explizit geäußert. Nach der amtlichen Begründung sind durch das RVG (BTDrucks. 15/1971 Seite 222 ff.) die Strukturen der Verfahrens- und Terminsgebühren neu geregelt und dabei insbesondere die bisherige Rechtsprechung der OLGs zu § 99 BRAGO (BTDrucks. 15/1971 Seite 225) in die neuen Gebührentatbestände eingearbeitet worden. Ziel und Zweck der Reform war es für den Pflichtverteidiger feste Terminsgebühren zu schaffen, auf deren Höhe die Umstände des Einzelfalls keinen Einfluss haben. Dabei sind im Wesentlichen die Tätigkeiten, die nach der alten Rspr. der OLGs über § 99 BRAGO über Pauschzuschläge bei der Terminsgebühr kompensiert wurden, in eigenständige Gebührentatbestände ausgegliedert und die Teilnahme an der Hauptverhandlung (Terminsgebühr) mit einem pauschalen einheitlichen Satz geregelt worden. Damit sollte die bis dato uneinheitliche kasuistische Rechtsprechung zur Gewährung von Pauschgebühren vereinheitlicht und für die Pflichtverteidiger im Bundesgebiet transparent gestaltet werden. Am Deutlichsten kommt diese gesetzgeberische Intension darin zum Ausdruck, dass im Zivilrecht die Terminsgebühr sowohl die frühere Verhandlungs- als auch die Erörterungsgebühr ersetzt. Im selben Maße sind im Interesse der Vereinfachung insbesondere zur Beseitigung früherer Streitfragen die Unterschiede zwischen einer streitigen und nicht- streitigen Verhandlung oder einer ein- oder zweiseitigen Erörterung sowie zwischen Verhandlung. zur Sache oder zur Prozess- und Sachleitung entfallen. (BTDrucks. 15/1971 Seite 209; BGH Beschluss vom 20. November 2006 Az. II ZB 9/06 zur Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG). Diesem gesamten Regelungskontext lässt sich entnehmen, dass eine vom Einzelfall unabhängige Berechnung gewünscht ist, die als einzige formale Voraussetzung verlangt, dass der bestellte Rechtsanwalt auf Ladung des Gerichtes zum Termin erscheint und im Fall der Pflichtverteidigung im Strafrecht zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung dem Gericht zur Verfügung steht. Alle weiteren bisherigen Differenzierungskriterien zur Festsetzung der Höhe einer Gebühr sind entfallen. Wenn Ausgangspunkt der Honorierung durch die strafrechtliche Terminsgebühr damit alleine die Zurverfügungstellung der persönlichen Anwesenheit des Pflichtverteidigers zur Durchführung einer strafrechtlichen Hauptverhandlung auf Ladung des Gerichtes ist, so ist damit vom Grundsatz her die Terminsgebühr an der im Protokoll vermerkten Nettoanwesenheit in der Hauptverhandlung zu bemessen. Pausen und Unterbrechungen sind keine Hauptverhandlung (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 28. 2. 2006 - 2 (s) Sbd IX 1 u. 14/06 NJOZ 2006, 2520, 2523; Kotz, NStZ 2009; 414, 416). Es spielt für die Frage der Vergütung dabei auch keine Rolle, ob diese Unterbrechungen inhaltlich der Hauptverhandlung dienen. Auch andere Handlungen des Pflichtverteidigers (z.B. Beratung mit dem Mandanten, Vorbereitung der Hauptverhandlung oder des Plädoyers, Niederlegung von Beweisanträgen etc.) dienen letztlich der Hauptverhandlung und werden, soweit vom Gesetzgeber als honorabel anerkannt, über andere Gebührentatbestände abgegolten (vgl. W RVG Nr. 4100 ff). Ansonsten hätte es der Pflichtverteidiger in der Hand, seine bereits vergüteten Tätigkeiten (z.B. die Vorbereitung der Hauptverhandlung, die Beratung mit dem Mandanten) über Verhandlungspausen in die Hauptverhandlung zu verlagern, um so künstlich Zuschläge zu generieren und damit eine teilweise Doppelvergütung zu erreichen. Die Einwände, dass der Pflichtverteidiger keinen Einfluss auf die Verhandlungsunterbrechungen durch das Gericht hat, diese nicht vorhersehen" und die dadurch entstandene Zeit nicht sinnvoll" nutzen könne, sind Relikte aus der BRAGO und findet in der pauschalisierten Konzeption des RVG keine Stütze. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Rechtsanwalt nach Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 f W RVG die Terminsgebühr auch erhält, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, macht deutlich, dass er sie ohne diese Sonderregelung gerade nicht bekommen hätte, weil keine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Wartezeiten und Vorhaltezeiten wie sie durch Pausen und Unterbrechungen während der Hauptverhandlung entstehen, sind typische Begleiterscheinungen des Berufsbildes des Rechtsanwaltes und insb. des Strafverteidigers und weder eigenständig vergütungspflichtig noch stellen sie Besonderheiten da, die durch Ausweitung bestehender Vergütungstatbestände aufgefangen werden müssen. Der Gesetzgeber wollte mit dem RVG gerade die intransparente Kasuistik zu Sondervergütungen für Rechtsanwälte beenden und durch transparente Vergütungstatbestände pauschalisieren. Dem RVG liegt die Konzeption einer Mischkalkulation zu Grunde. Die Bewertung, ob der Pflichtverteidiger die der Tätigkeit des Strafverteidigers immanenten Warte- und Vorhaltezeiten sinnvoll" nutzen kann, steht weder dem Rechtspfleger noch dem Gericht zu. Es obliegt dem Strafverteidiger seine Tätigkeit so zu organisieren, wie er es für sinnvoll" erachtet. Ob er die Zeit für Gespräche auf dem Gerichtsflur nutzt, Mittagessen geht, mit seinem Büro telefoniert oder sich anderweitig beschäftigt, ist alleine seine Entscheidung. Wie lange eine Unterbrechung dauert, kann, soweit sie nicht durch das Gericht ohnehin mitgeteilt wird, erfragt werden. Der so vom RVG vorgegebene Nettogrundsatz wird druch das Kriterium, dass Wartezeiten dann relevant werden können, wenn sich der Pflichtverteidiger zur Durchführung einer strafrechtlichen Hauptverhandlung" sozusagen in Bereitschaft" halten muss, durchbrochen. Dabei geht es alleine um die personale Anwesenheit des Pflichtverteidigers.
Nach der Rechtsprechung des Senats, die im Ergebnis wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen - in Übereinstimmung mit den meisten Oberlandesgerichten steht, wird, um den Pauschalisierungsgedanken des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, bei kürzeren Verhandlungspausen vom Grundsatz davon auszugehen sein, dass der Pflichtverteidiger bei diesen Unterbrechungen und Wartezeiten dem Gericht nach wie vor zur Verfügung steht. Das ist auch die Begründung für die Berücksichtigung der angeordneten Terminsstunde als gebührentechnischer Beginn der Hauptverhandlung und nicht der im Protokoll vermerkte tatsächliche Hauptverhandlungsbeginn.
Von diesem Prinzip ausgehend, verliert diese Indizwirkung ihre Anscheinsfunktion jedoch dann, wenn die Unterbrechungen länger andauern, so dass in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung der Oberlandesgerichte Unterbrechungen über eine Stunde grundsätzlich ein Indiz dafür sind, dass während dieser Zeit der Pflichtverteidiger nicht für das Gericht in Bereitschaft steht, er damit nicht rechnen musste, dass die Hauptverhandlung jederzeit wieder aufgerufen werden wird. Ob er diese Zeit sinnvoll oder nicht sinnvoll nutzen kann, ist dabei wie oben ausgeführt unerheblich. Er verliert seinen Gebührenanspruch nicht, sondern es bleibt lediglich bei der vom Gesetzgeber pauschalisierten Terminsgebühr, die für die bloße Anwesenheit in der Hauptverhandlung gewährt wird. Ausgangspunkt und entscheidend ist alleine, dass keine Bereitschaftsanweisung des Gerichts vorliegt. Überschreitet die einzelne Unterbrechung danach eine Stunde, ist sie gänzlich in Abzug zu bringen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass Unterbrechungen protokolliert werden können, aber nicht müssen, da zu den nach § 273 Abs. 1 StPO protokollierungsbedürftigen Vorgängen nur solche Unterbrechungen zählen, die der Anordnung durch gerichtlichen Beschluss gem. § 228 Abs. 1 StPO bedürfen. Kürzere Unterbrechungen, d.h. Verhandlungspausen und Unterbrechungen für Stunden oder Tage bis zur Höchstgrenze nach § 229 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner, § 273 Rdnr. 8; § 228 Rdnr. 9; Gmel, KK-StPO, § 228 Rdnr. 2), die gem. § 228 Abs. 1 StPO vom Vorsitzenden angeordnet werden, gehören nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung. Folglich sind sie auch nicht protokollierungsbedürftig (BGH, VRS 32, 143, 144; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191; OLG Köln NStZ-RR 2002, 337). Sie werden aber, um den Gang der Hauptverhandlung zeitlich wiederzugeben, in der Regel teilweise mit Gründen - im Protokoll aufgenommen. Werden danach kostenrelevante Unterbrechungen von über einer Stunde nicht protokolliert, kann dies ggf. im Einzelfall zu einer unberechtigten Begünstigung eines Pflichtverteidigers führen, da die Indiziwirkung des Protokolls der vereinfachten Abwicklung dient und Rückfragen bei den Verfahrensbeteiligten verhindern soll. Diese begünstigenden Einzelfälle durchbrechen aber .nicht den gesetzlichen Regelfall des Nettoprinzips und begründen keinen außergesetzlichen Anspruch bei protokollierten Unterbrechungen ebenfalls begünstigt zu werden.
Vorliegend führt dies dazu, dass von den im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierten Pausen alle Unterbrechungen unberücksichtigt bleiben mit Ausnahme der zweistündigen Unterbrechung von 12.06. Uhr bis 14.06 Uhr. Diese ist - wie von der Kostenbeamtin zutreffend festgestellt - in Abzug zu bringen, sodass damit vorliegend auch die Zusatzgebühr Nr. 4122 W RVG in Höhe von 178,00 EUR zzgl. Umsatzsteuern entfällt und es bei der ursprünglich festgesetzten Terminsgebühr verbleibt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.
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