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Leitsatz: 1.Bei Unzumutbarkeit der Wahlverteidigerverteidigergebühren kann dem Verteidiger in Kartellbußgeldverfahren stattdessen eine Pauschgebühr gewährt werden. 2. Die Zumutbarkeitsprüfung erfolgt unter Berücksichtigung der in § 14 RVG für die Bemessung der Rahmengebühr maßgeblichen Kriterien, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit. Bußgeldverfahren, die erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht verhandelt werden, sind in der Regel bedeutend.
In pp. Die mitunterzeichnende Einzelrichterin überträgt die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern, da dies zur Sicherung ei-ner einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 42 Abs. 3 Satz 2 RVG). Dem Verteidiger wird anstelle der gesetzlichen Gebühren nach den Nummern 5100, 5111, 5112 in Verbindung mit Vorbem. (1) zu 5.1.3., und 5112 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zu dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eine Pauschgebühr in Höhe von 2.740 Euro bewilligt. Bereits angewiesene gesetzliche Wahlverteidigergebühren sind anzurechnen. Ansprüche auf Ersatz von Auslagen und von Umsatzsteuer bleiben unberührt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen, soweit nicht der Bundesgerichtshof darüber zu befinden hat.
Gründe: I. Rechtsanwalt Dr. W. vertrat die Nebenbeteiligte in dem Kartellbußgeldverfahren als Wahlverteidiger. In dem Verfahren hatte das Bundeskartellamt durch Bußgeldbescheid vom 17. März 2005 eine Geldbuße in Höhe von 18.500.000 Euro sowie eine weitere in Höhe von 350.000 Euro gemäß § 30 OWiG festgesetzt. Tatvorwurf war, dass die damals verantwortlichen Vorstandsmitglieder der Nebenbetroffenen ab 1999 bis 2002 an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen im Rahmen eines Kartells zur Festsetzung von Maßnahmen zu Prämienerhöhungen in der industriellen Sachversicherung bzw. Transportversicherung beteiligt gewesen seien. Nachdem die Nebenbetroffene seit dem 24. September 2007 mit der H.Versicherung seitdem unter H. Versicherung AG (H) handelnd verschmolzen war, richtete sich das Bußgeldverfahren gegen die H..
Das vorliegende Bußgeldverfahren gegen die Nebenbetroffene ist aus dem Verfahren VI-Kart 55/06 OWi abgetrennt worden, welches sich gegen 17 Beteiligte richtete.
Durch Urteil vom 13.Januar 2010 sprach der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf die Nebenbetroffene frei. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenbetroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Gegen dieses Urteil legte die Generalstaatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde ein, die durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. August 2011 als unbegründet verworfen wurde.
Mit Schriftsatz vom 21. November 2011 hat der Verteidiger beantragt, die notwendigen Auslagen der Nebenbetroffenen mit 2.319,43 Euro festzusetzen und ihm darüber hinaus eine Pauschvergütung in Höhe von zusätzlich 4.426,80 Euro zu bewilligen. Der Verteidiger hat den Antrag damit begründet, dass die Sache schwierig und umfangreich gewesen sei. Das Verfahren habe nicht nur eine detailliert und umfangreiche Aufbereitung der komplexen kartellrechtlichen Tatvorwürfe zwischen 1999 und 2003, sondern darüber hinaus der umwandlungsrechtlichen Sachverhalte aus dem Jahr 2007 sowie ihre Würdigung unter § 30 OWiG und Art. 103 Abs. GG erfordert. Das Verfahren habe für die Nebenbeteiligte eine erhöhte Bedeutung gehabt habe wie bereits aus dem Umstand der festgesetzten Kartellbußen von 18,85 Millionen Euro ersichtlich.
Der Leiter des Dezernats 4 des Oberlandesgerichts hat beantragt, den Antrag des Verteidigers zurückzuweisen.
II.
Der Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG ist im tenorierten Umfang begründet.
Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers errechnen sich wie folgt:
Grundgebühr Nr. 5100 VV 150 Euro Verfahrensgebühr Nr. 5111 VV 300 Euro Terminsgebühr (Senatsbespr. am 19.11.2009) Nr. 5112 VV iVm Vorb.(1) zu 5.1.3. 470 Euro Terminsgebühr (Hauptverhandlung am 13.01.2010) Nr. 5112 VV 470 Euro Summe 1.370 Euro.
Bei diesen Gebühren handelt es sich jeweils um die Höchstbeträge der Rahmengebühren.
Der Bewilligung der Pauschgebühr von 2.740 Euro liegen folgende Berechnungsfaktoren zugrunde:
Nach § 42 Abs. 1 RVG wird dem gewählten Verteidiger auf Antrag eine Pauschgebühr für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte festgesetzt, wenn auf Grund des besonderen Umfanges oder der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren eines Wahlanwaltes nicht zumutbar sind.
Die Prüfung der Unzumutbarkeit schließt die Berücksichtigung der weiteren Umstände ein, die nach § 14 RVG bei der Bemessung der Rahmengebühren durch den Verteidiger maßgeblich sind, nämlich die Bedeutung der Angelegenheit, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers und das Haftungsrisiko. Denn nur dann kann beurteilt werden, ob der Höchstbetrag der Rahmengebühr für den Verteidiger nicht zumutbar ist. Eine Pauschgebühr nach § 42 RVG wird vorrangig dann in Betracht kommen, wenn bereits die Bedeutung der Sache für den Betroffenen und/oder die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers überdurchschnittlich sind sowie zusätzlich ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bzw. eine besondere Schwierigkeit derselben gegeben ist. Insoweit unterscheidet sich die Festsetzung der Pauschgebühr nach § 42 RVG, auch wenn der Gesetzeswortlaut fast identisch ist, wesentlich von der Festsetzung einer Pauschgebühr gem. § 51 RVG.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Nebenbetroffenen, einer Versicherung, sind als überdurchschnittlich einzuschätzen. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffene war ebenfalls überdurchschnittlich. Denn es ging um ein Bußgeld von über 18,85 Millionen Euro, das auch in Anbetracht der Bilanzsumme des Unternehmens nicht unbedeutend gewesen sein dürfte. Zudem war der Ruf der Nebenbetroffenen in der Versicherungsbranche durch den negativen Ausgang des Verfahrens gefährdet. Derartige Verfahren erzeugen mediale Aufmerksamkeit in einer breiten Öffentlichkeit, auch bei potentiellen Versicherungsnehmern, die sich dadurch womöglich von dem Abschluss eines Vertrages abschrecken lassen, was wiederum zu Einkommenseinbußen führt. Die Bedeutung der Sache zeigt sich auch darin, dass gemäß § 83 GWB erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht verhandelt wurde. Anders als bei den für Strafsachen maßgeblichen Gebührentatbeständen (vgl. 4106 ff VV RVG) findet sich zwar in denen für Bußgeldsachen keine Staffelung nach Gerichtstyp. Doch kann dieser Umstand bei der Bemessung der Gebührenhöhe innerhalb des Rahmens berücksichtigt werden. Bei durchschnittlicher Schwierigkeit und durchschnittlichem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wären deshalb bereits Rahmengebühren des Wahlverteidigers im jeweils obersten Bereich angemessen.
Durch den Senat war damit zu prüfen, ob unter Berücksichtigung einer besonderen Schwierigkeit und/oder eines besonderen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit die Höchstgebühren nach Nummern 5111 bis 5112 VV RVG für den Wahlanwalt nicht zumutbar sind. Dies ist der Fall.
Zwar beträgt der Umfang der Bußgeldakte in diesem Verfahren lediglich ca. 360 Seiten. Die Akte ist aber ersichtlich nicht komplett. Dies ist schon daran zu erkennen, dass sich der Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes nicht darin befindet. Zu erklären ist das Fehlen dieser maßgeblichen Verfahrensvoraussetzung, dass das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen VI-Kart 27-55/06 OWi gegen 17 Versicherungsunternehmen bei dem 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts geführt wurde. Hieraus wurde eine Zweitakte für das abgetrennte Verfahren gefertigt, die fünf Bände sowie zwei Anlagenordner umfasst.
Aus Gründen der Praktikabilität verhandelte der 1. Kartellsenat in dem Verfahren VI-Kart 27-55/06 (OWi) zunächst nur gegen wenige Betroffene. Durch Beschluss vom 9. Dezember 2009 wurde das Verfahren gegen die Nebenbetroffene abgetrennt. Die Kenntnis des Aktenbestandes aus dem Verfahren VI-Kart 27-55/06 OWi wurde bei den Verfahrensbeteiligten vorausgesetzt. Dies ergibt sich auch aus der Urkundenliste (Bl. 10-13 GA), die dem Verteidiger zur Kenntnis zugesandt worden. Die dort aufgeführten Schriftstücke und Unterlagen befinden sich sämtlich nicht in dieser Akte.
Darüber hinaus hatte das Bundeskartellamt zu dem Gesichtspunkt der Nachfolge in der Bußgeldhaftung Nachermittlungsergebnisse von mehreren hundert Seiten vorgelegt, die der Verteidiger mit dem Mandanten zu besprechen hatte. Die gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungsvorgänge, die für eine Verurteilung von erheblicher Bedeutung waren, mussten geklärt werden.
Zu zahlreichen Schreiben in dem Verfahren VI-Kart 27-55/06 OWi, aus dem dieses Verfahren hervorgegangen ist, wurde die Nebenbetroffene durch das Gericht zur Stellungnahme aufgefordert.
In Vorbereitung der Hauptverhandlung fand am 19. November 2011 ein ausführlicher Besprechungstermin mit dem Senat statt.
Vor dem Hauptverhandlungstermin waren Schriftstücke und Unterlagen gemäß einer von dem Vorsitzenden versandten Urkundenliste durchzuarbeiten. Die Urkunden wurden nach § 249 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG im Selbstleseverfahren eingeführt, was zu einer erheblichen Verkürzung des Termins führte.
Die Beweissituation erforderte eine besonders intensive Beschäftigung mit der Sache. Auch die rechtliche Schwierigkeit des Verfahrens lag erheblich über dem Durchschnitt, selbst unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wistra 1986, 221. Der Kartellsenat war an diese Entscheidung, die zum Zeitpunkt des freisprechenden Urteils bereits mehr als 20 Jahre alt war, nicht gebunden. Dass die Rechtslage keineswegs klar war, zeigt sich darin, dass die Generalstaatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt hat. Gerügt wurde u. a., das Oberlandesgericht habe zu Unrecht die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers auf Fälle der "Nahezu-Identität" zwischen der übernommenen juristischen Person und dem Gesamtvermögen der übernehmenden juristischen Person beschränkt. Dieses enge Verhältnis entspreche gerade nicht der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu § 30 OWiG. Ihre Auffassung legte die Generalstaatsanwaltschaft eingehend und fundiert in ihrer 31-seitigen Begründungsschrift vom 19. Mai 2010 zuzüglich eines Anlagenkonvolutes unter Auswertung obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung und Zugrundelegung wissenschaftlicher Auslegungskriterien dar. Ihre letztlich von der des Bußgeldkartellsenats abweichende Rechtsauffassung hatte die Generalstaatsanwaltschaft auch schon zuvor in dem Verfahren deutlich gemacht; die Verteidigung hatte sich darauf einzustellen.
In seinem Verwerfungsbeschluss vom 10. August 2011 geht der BGH auch detailliert auf die Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft ein, hält indes trotz der erkannten Möglichkeit, dass Unternehmen eine drohende Geldbuße durch die gezielte gesellschaftsrechtliche Gestaltung umgehen können, an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Die Ausführlichkeit, mit der der BGH seine Entscheidung begründet, lässt erkennen, dass die Rechtsauffassung der Generalstaats-anwaltschaft nicht völlig abwegig war.
Die Festsetzung des Doppelten der o. a. Höchstgebühren in Höhe von 2.740 Euro ist unter Abwägung der dargelegten Umstände angemessen. Eine weitere Erhöhung dieses Gebührenbestandteils kommt indes nicht in Betracht, weil die Pauschgebühr das Doppelte des für die Gebühren eines Wahlanwalts geltenden Höchstbeträge nach den Teilen 4 bis 6 VV nicht übersteigen darf, § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG.
Soweit der Verteidiger außerdem die Festsetzung einer Pauschgebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren begehrt, ist der Senat darüber nicht zur Entscheidung berufen. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 5 RVG hat hierüber der Bundesgerichtshof zu befinden.
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