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RVG Entscheidungen

§ 55

Kostenfestsetzungsverfahren, Prüfungsumfang des Rechtspflegers

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 04.11.2011 - 1 Ws 133/10

Leitsatz: 1. Das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG dient nicht der Klärung komplizierter materiell-rechtlicher Fragen – hier: Verteilung der anwaltlichen Vergütung auf der Grundlage eines Sozietätsvertrages nach dem Ausscheiden eines der Sozien.
2. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat in dem vereinfachten Betragsfestsetzungsverfahren gemäß § 55 RVG lediglich zu prüfen, ob der Rechtsanwalt, der die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung geltend macht, antragsberechtigt ist, weil er aufgrund der Bestellung bzw. Beiordnung in seiner Person den Vergütungsanspruch erworben hat. Macht eine andere Person im eigenen Namen den Anspruch geltend, muss sie die Rechtsnachfolge nachweisen, wobei sich hier eine entsprechende Anwendung des § 727 ZPO aufdrängt. Vorzulegen sind daher je nach Fallgestaltung beispielsweise eine Abtretungsurkunde gemäß § 410 Abs. 1 BGB i.V.m. § 49b Abs. 4 BRAO, ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss oder ein Erbschein.


KAMMERGERICHT

Beschluss


Geschäftsnummer:
1 Ws 133/10____________________
(533) 69 Js 166/08 KLs (26a/06)



In der Strafsache gegen



Gü.,
geboren am x in x,


wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge u.a.

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 4. November 2011 beschlossen:


Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin beim Landgericht Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2010 aufgehoben.

Es verbleibt bei dem Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Berlin vom 23. Juli 2009.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.


G r ü n d e :

Rechtsanwalt S. wurde dem Angeklagten Gü., den er seit Anfang 2007 als Wahlverteidiger verteidigt hatte, am 12. Juni 2008, dem 62. Tag der Hauptverhandlung vor dem Land-gericht Berlin, zum Pflichtverteidiger bestellt. Im Jahr 2006 hatte Rechtsanwalt S. seine Anwaltskanzlei an Rechtsanwalt G. verkauft und mit diesem für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2008 eine Sozietät vereinbart. Der Sozietätsvertrag regelt, dass „die zum 1. September 2006 begründeten Mandate und die hieraus fließenden Betriebseinnahmen Vermögen der Sozietät sind, einschließlich der Einnahmen aus Straf- und Bußgeldverfahren, auch wenn sie nach dem Gesetz nur von einem Mitglied der Sozietät ausgelöst werden können“, und enthält zeitlich gestaffelte Vereinbarungen über die Gewinnverteilung. Diese vertraglichen Abreden sind später zum Gegenstand mehrerer bis heute andauernder Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Rechtsanwälten geworden.

Nach dem Ausscheiden Rechtsanwalts S. aus der Sozietät hat Rechtsanwalt G. mit Kostenfestsetzungsantrag vom 9. Dezember 2008 im eigenen Namen die Pflichtverteidigervergütung für die Verteidigung des Angeklagten Gü. geltend gemacht. Er hat hierzu den Briefkopf „H.-W. S./D.O. G./Rechtsanwälte“ verwendet. Ein hinter dem Namen des Rechtsanwalts S. ange-brachter Stern verweist auf den weiter unten angebrachten Zusatz „Ausgeschieden 2008“. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts hat mit Beschluss vom 16. Januar 2009 „aufgrund des Antrags des Rechtsanwalts S.“ die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 13.423,83 EUR festgesetzt und die Auszahlung auf das von Rechtsanwalt G. in dem Kostenfestsetzungsantrag angegebene Konto angeordnet. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht hat gegen den Festsetzungsbeschluss Erinnerung eingelegt. Darauf hat die Urkundsbeamtin im Wege der Abhilfe mit Beschluss vom 23. Juli 2009 den Antrag des Rechtsanwalts G. auf Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung abgelehnt und zugleich entschieden, dass Rechtsanwalt G. die erhaltenen 13.423,83 EUR zurückzuzahlen habe. Zur Begründung hat sie entsprechend dem Vorbringen der Bezirksrevisorin ausgeführt, dass Rechtsanwalt G. seine Antragsberechtigung nicht nachgewiesen habe und dass der Vergütungsanspruch allein Rechtsanwalt S. zustehe. Auf die gegen diesen Beschluss erhobene Erinnerung des Rechtsanwalts G. hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 8. Juli 2010 die Abhilfeentscheidung der Urkundsbeamtin vom 23. Juli 2009 aufgehoben und ausgesprochen, dass es bei der mit Beschluss vom 16. Januar 2009 erfolgten Kostenfestsetzung, die als Kostenfestsetzung zugunsten des Rechtsanwalts G. zu verstehen sei, verbleibe. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Bezirksrevisorin hat Erfolg.

1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 RVG zulässig. Der Senat entscheidet über das Rechtsmittel in der Besetzung mit drei Richtern, da das Landgericht die angefochtene Entscheidung nicht durch den Einzelrichter erlassen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 zweiter Halbsatz RVG).

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet mit der Folge, dass der Senat den angefochtenen Beschluss aufhebt und es bei der (negativen) Kostenfestsetzung vom 23. Juli 2009 verbleibt, mit der der Antrag des Rechtsanwalts G. zurückgewiesen und seine Verpflichtung zur Rückzahlung der rechtsgrundlos erhaltenen Pflichtverteidigervergütung angeordnet worden ist.

a) Die vom Gesetzgeber für zahlreiche Rechtsmaterien geregelten Kostenfestsetzungsverfahren dienen nicht der Klärung komplizierter materiell-rechtlicher Fragen.

Dementsprechend hat der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (NJW-RR 2007, 422) das zivilprozessuale Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 ff ZPO) folgendermaßen charakterisiert: Das Kostenfestsetzungsverfahren behandle allein die Frage, welcher Betrag nach der Kostengrundentscheidung zu erstatten sei. Schon dies spreche dagegen, materiell-rechtliche Fragen innerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens zu klären, das auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und die Beurteilung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten und deshalb dem Rechtspfleger übertragen sei. Die Entscheidung zwischen den Parteien streitiger Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen sei in diesem Verfahren nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendigen verfahrensrechtlichen Instrumente auch nicht sinnvoll möglich. Nur ausnahmsweise könnten Einwände, deren tatsächliche Voraussetzungen unstreitig oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten zu ermitteln seien, aus prozessökonomischen Gründen auch im Kostenfestsetzungsverfahren erhoben und beschieden werden.

Diese Ausführungen gelten sinngemäß - und erst recht - für die strafprozessualen Kostenerstattungsverfahren gemäß § 464b StPO i.V.m. §§ 103 ff ZPO oder - wie hier – gemäß §§ 55, 56 RVG. Das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG ist ein vereinfachtes Betragsfestsetzungsverfahren, das durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bearbeitet wird. Dieser hat zu prüfen, ob der Rechtsanwalt, der die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung geltend macht, antragsberechtigt ist, weil er aufgrund der Bestellung bzw. Beiordnung in seiner Person den Vergütungsanspruch erworben hat. Macht eine andere Person im eigenen Namen den Anspruch geltend, muss sie die Rechtsnachfolge nachweisen, wobei sich hier eine entsprechende Anwendung des § 727 ZPO aufdrängt. Vorzulegen sind daher je nach Fallgestaltung beispielsweise eine Abtretungsurkunde gemäß § 410 Abs. 1 BGB i.V.m. § 49b Abs. 4 BRAO, ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss oder ein Erbschein.

b) Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss eine Auslegung des Sozietätsvertrages zwischen den beteiligten Rechtsanwälten vorgenommen und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gekommen: „Diese vertragliche Vereinbarung erfordert es, dass zukünftige [gemeint: die ab dem 1. September 2006 begründeten] Ansprüche, die in der Person nur eines Sozius entstehen, auf die Sozietät übergehen, d.h. an diese abgetreten werden. Entsprechend muss der Passus des Vertrages deshalb ausgelegt werden.“ Es sei daher von der – gemeint offenbar: konkludenten - Abtretung des Anspruchs von Rechtsanwalt S. an die Sozietät auszugehen, was zur Folge habe, dass nach dessen Ausscheiden Rechtsanwalt G. der alleinige Inhaber des Anspruchs geworden sei. Selbst wenn der Anspruch aber nicht übergegangen wäre, stünde nunmehr der zwischen beiden Rechtsanwälten geschlossene Vergleich vom 16. Februar 2009, wonach alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Sozietäts- und dem Kaufvertrag ausgeglichen seien, „einer Rückabwicklung der Auszahlung der Pflichtverteidigergebühren an Rechtsanwalt G.“ entgegen. Dieser Vergleich sei zwar angefochten worden, allerdings, was sodann näher ausgeführt wird, nicht wirksam.

c) Mit diesen Erwägungen hat das Landgericht die dargelegte Funktion des Kostenfestsetzungsverfahrens verkannt. Wie die von den beteiligten Rechtsanwälten S. und G. getroffenen ge-sellschaftsrechtlichen Vereinbarungen über die Zuordnung von Alt- und Neumandaten auszulegen waren, ist ohne Belang, weil dies allein das Innenverhältnis der Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrifft. Es ist unerheblich, ob Rechtsanwalt S. möglicherweise verpflichtet war, seine ab dem 1. September 2006 begründeten Ansprüche auf Pflichtverteidigervergütung an die Sozietät abzutreten, weil es für das Kostenfestsetzungsverfahren allein darauf ankommt, ob er seine Ansprüche tatsächlich abgetreten hat. Dass eine solche vom schuldrechtlichen Grundgeschäft zu unterscheidende Verfügung gemäß § 398 BGB getroffen wurde, lässt sich dem Sozietätsvertrag nicht oder jedenfalls nicht in der für das Kostenfestsetzungsverfahren erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen. Um eine vom bisherigen Gläubiger (Rechtsanwalt S.) über die Abtretung ausgestellte Urkunde im Sinne des § 410 Abs. 1 BGB, die der Urkundsbeamte hätte verlangen können und mangels einer schriftlichen Anzeige nach § 410 Abs. 2 BGB auch hätte verlangen müssen, handelt es sich nicht.

Die (wohl eigene Zweifel an einer Forderungsübertragung ver-deutlichende) Hilfserwägung des Landgerichts, dass es letzt-lich nicht darauf ankomme, ob der Anspruch wirksam abgetreten worden ist, weil jedenfalls der zwischen den Rechtsanwälten später abgeschlossene und nicht wirksam angefochtene Vergleich „einer Rückabwicklung der Auszahlung der Pflichtverteidigergebühren an Rechtsanwalt G. entgegensteht“, trägt nicht, weil damit über eine zivilrechtliche Vorfrage entschieden wird, die gegebenenfalls von den Zivilgerichten zu klären ist. Mit der auf eine formale Prüfung der Anspruchsinhaberschaft beschränkten Aufgabe des Kostenfestsetzungsverfahrens lässt sie sich nicht vereinbaren.

Die angefochtenen Entscheidung wird schließlich auch nicht durch die weitere und letzte Hilfserwägung des Landgerichts gerechtfertigt, die Landeskasse könne „nicht gehalten sein, die ausgezahlten Pflichtverteidigergebühren zurückzufordern, da sie aufgrund des von Rechtsanwalt S. [durch den Abschluss des die Verwendung seines Namens gestattenden Sozietätsvertrages] gesetzten Rechtsscheines von ihrer Zahlungspflicht frei geworden sei.“ Ob die Landeskasse dem Kostenfestsetzungsantrag des Rechtsanwalts S., den dieser nach dem von Rechtsanwalt G. gestellten Antrag angebracht hat und der bisher nicht beschieden ist, entgegen halten könnte, die Landeskasse sei durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Januar 2009 und die Aus-zahlung an Rechtsanwalt G. von ihrer Zahlungspflicht frei geworden, ist überaus zweifelhaft. Es handelt sich zudem er-neut um einen Gesichtspunkt, der komplexe zivilrechtliche Vorfragen betrifft und daher nicht mit der Funktion des Kostenfestsetzungsverfahrens in Einklang zu bringen ist. Das von der Bezirksrevisorin geltend gemachte Rechtsschutzbedürfnis der Landeskasse, die „verunglückte“ ursprüngliche Kostenfestsetzung rückgängig zu machen, steht außer Frage.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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