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Leitsatz: Das Beschwerdegericht kann einen Untersuchungshaftbefehl in einen Haftbefehl zur Sicherung der Hauptverhandlung umwandeln.
In pp. Der angefochtene Beschluss und der Untersuchungshaftbefehl der Strafkammer vom 19. Februar 2010 werden aufgehoben. Statt dessen wird gegen den Angeklagten die Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO angeordnet. G r ü n d e : I. Die 4. Strafkammer als 2. Jugendkammer des Landgerichts Wuppertal hat den Angeklagten am 3. Juni 2009 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Urteil ist im Schuldspruch rechtskräftig. Auf die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof das Urteil mit Beschluss vom 27. Oktober 2009 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Zu der neuen Hauptverhandlung am 19. Februar 2010 ist der Angeklagte nicht erschienen. Die Strafkammer hat in der Hauptverhandlung angekündigt, einen Haftbefehl gegen den Angeklagten zu erlassen. Am selben Tage hat die Strafkammer die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten angeordnet. Den auf § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO gestützten Haftbefehl hat die Strafkammer damit begründet, dass sich der Angeklagte ärztliche Bescheinigungen erschlichen habe, um - auf diese Weise formal entschuldigt - nicht zur Hauptverhandlung erscheinen zu müssen. Der Angeklagte ist noch am 19. Februar 2010 in seiner Wohnung in Z verhaftet worden. Mit Beschluss vom 16. März 2010 hat die Strafkammer Haftfortdauer angeordnet. Die gegen den Haftbefehl vom 19. Februar 2010 gerichtete Beschwerde des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 7. April 2010 als unzulässig verworfen, da nur die zuletzt getroffene Haftentscheidung der Anfechtung unterliegt. Bei der Beschlussfassung war dem Senat nicht bekannt, dass der Verteidiger bereits mit Schriftsatz vom 29. März 2010 gegenüber dem Landgericht erklärt hatte, dass sich die Beschwerde gegen die Haftentscheidung vom 16. März 2010 richte. Die Akten sind dem Senat zur Entscheidung über diese Beschwerde nunmehr erneut vorgelegt worden. II. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Haftentscheidung und des Untersuchungshaftbefehls. Statt dessen ordnet der Senat gegen den Angeklagten die Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO an. 1. Ein die Untersuchungshaft rechtfertigender Haftgrund besteht nicht. Der von der Strafkammer angeführte Haftgrund des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO lag bei Anordnung der Untersuchungshaft ersichtlich nicht vor. Der Angeklagte war weder flüchtig noch hatte er sich verborgen gehalten. Das Erschleichen von ärztlichen Bescheinigungen, um trotz tatsächlich bestehender Reise- und Verhandlungsfähigkeit eine formale Entschuldigung für das Ausbleiben in der Hauptverhandlung vorlegen zu können, begründet nicht den Haftgrund der Flucht. Flüchtig ist, wer seine Wohnung aufgibt, ohne eine neue zu beziehen, oder sich sonst mit der Wirkung absetzt, dass er für Ermittlungsbehörden und Gerichte unerreichbar und ihrem Zugriff entzogen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 112 Rdn. 13 m.w.N.). Hierfür bestanden ebenso wenig Anhaltspunkte wie für ein Sich-Verborgen-Halten des Angeklagten an einem unbekannten Ort oder unter falschem Namen. Tatsächlich konnte der Angeklagte nach Erlass des Haftbefehls noch am selben Tage in seiner Wohnung in Z angetroffen und verhaftet werden. Das gezeigte Verhalten begründet auch nicht den Haftgrund der Fluchtgefahr. Aus dem bloßen Ungehorsam gegenüber der Ladung lässt sich nicht ableiten, dass sich der Angeklagte, käme er auf freien Fuß, dem Strafverfahren im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO entziehen werde. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist nicht zu befürchten, dass der 19 Jahre alte Angeklagte, der in einem Haushalt mit seiner Mutter lebt, an seinem Wohnsitz künftig nicht mehr für Ladungen oder Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung stehen werde. Auch nach Rechtskraft des Schuldspruchs hat der Angeklagte keine Anstalten zur Flucht gezeigt. Bei seinen Lebensverhältnissen fehlt schon eine realistische Fluchtperspektive. Da nach den plausibel begründeten Ausführungen des Sachverständigen mit weiteren Sexualstraftaten in Form von Übergriffen auf Kinder nicht zu rechnen ist, scheidet auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 1 StGB) aus. 2. Das nicht genügend entschuldigte Ausbleiben in dem Hauptverhandlungstermin vom 19. Februar 2010 rechtfertigt indes den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO. a) Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen stellen keine genügende Entschuldigung dar. Der Hausarzt Dr. W, der die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18. Februar 2010 ausgestellt hat, hat der Strafkammer am selben Tage auf telefonische Nachfrage mitgeteilt, dass der Angeklagte erkältet sei, jedoch kein Fieber habe, er sei reise- und verhandlungsfähig. Am Abend des 18. Februar 2010 hat der Angeklagte nach Rücksprache mit seinem Verteidiger den ärztlichen Notdienst bemüht, woraufhin ihm die herbeigerufene Notärztin Verhandlungsunfähigkeit für den 19. Februar 2010 attestiert hat. Eine telefonische Nachfrage der Strafkammer bei der Notärztin hat indes ergeben, dass diese einen Verhandlungsunfähigkeit belegenden Befund nicht festgestellt hat. Nach ihren Angaben sei ihr mitgeteilt worden, dass der Angeklagte am nächsten Tag einen Gerichtstermin habe und ein Attest benötige. Angeblich habe der Angeklagte nicht sprechen können. Einen gravierenden Halsbefund habe sie jedoch nicht feststellen können, lediglich sein Gesicht sei gerötet gewesen. Fieber habe sie selbst nicht gemessen. Ihr sei alles sehr verdächtig vorgekommen, sie habe das Gefühl gehabt, dies sei eine geplante Sache gewesen. Hiernach ist davon auszugehen, dass der Angeklagte tatsächlich reise- und verhandlungsfähig war und die Notärztin am Abend des 18. Februar 2010 nur deshalb eingeschaltet hat, um nach dem Hinweis des Verteidigers zur mangelnden Aussagekraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung doch noch ein formal ausreichendes Attest zu erhalten. Wäre der Angeklagte gewillt gewesen, zum Hauptverhandlungstermin am 19. Februar 2010, 09.15 Uhr zu erscheinen, hätte er die ca. 470 km weite Reise von Z nach W schon am Vortag nach dem Besuch bei seinem Hausarzt, der keine Reise- und Verhandlungsunfähigkeit attestiert hat, antreten müssen. b) Das Beschwerdegericht kann den Untersuchungshaftbefehl in einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO umwandeln. Grundsätzlich kann jeder Haftbefehl in einen qualitativ anderen Haftbefehl umgewandelt werden (vgl. KMR-Wankel, StPO, 47. Lfg., vor § 112 Rdn. 7). Eine Ausnahme gilt in der Beschwerdeinstanz insoweit, als es dem Beschwerdegericht mit Rücksicht auf die Erstzuständigkeit des Tatgerichts (§ 125 Abs. 2 StPO) verwehrt ist, einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO in einen Untersuchungshaftbefehl umzuwandeln (vgl. OLG Karlsruhe MDR 1980, 868; OLG Köln NStZ-RR 2006, 22, 23; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 89, 90; KK-Gmel, StPO; 6. Aufl., § 230 Rdn. 18). Vorliegend geht es um den umgekehrten Fall. Der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO setzt keinen dringenden Tatverdacht und keinen Haftgrund nach §§ 112, 112a StPO voraus, sondern nur die Feststellung, dass der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung in der Hauptverhandlung ausgeblieben ist (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 230 Rdn. 21 m.w.N.). Ein solcher Haftbefehl unterliegt damit weitaus geringeren Voraussetzungen als ein Untersuchungshaftbefehl. Auch die lediglich bis zum Ende der Hauptverhandlung reichende Wirkung des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO bleibt hinter derjenigen des Untersuchungshaftbefehls zurück. Unter diesen Gesichtspunkten spricht im Rahmen des § 309 Abs. 2 StPO nichts gegen eine Umwandlungsbefugnis des Beschwerdegerichts (argumentum a maiore ad minus). Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass über Zwangsmittel nach § 230 Abs. 2 StPO grundsätzlich in der Hauptverhandlung in der hierfür maßgeblichen Besetzung, mithin unter Mitwirkung der Schöffen, zu entscheiden ist (vgl. OLG Bremen MDR 1960, 244; OLG Köln StV 2005, 433; KMR-Eschelbach a.a.O. § 230 Rd. 38 m.w.N.). Zum einen hat die Strafkammer den Erlass eines Haftbefehls - beabsichtigt war offensichtlich von Anfang an ein Untersuchungshaftbefehl - bereits in der Hauptverhandlung angekündigt. Wäre der Strafkammer bewusst gewesen, dass die Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 StPO nicht erfüllt sind, wäre noch in der Hauptverhandlung ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen worden. Das fehlerhafte ""Überziehen"" kann nicht zu einer Sperre für einen sachlich gerechtfertigten Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO führen, der gegenüber dem Untersuchungshaftbefehl ein wesensgleiches Weniger darstellt. Zum anderen ist die Beschwerdeinstanz bei einer Haftbeschwerde eine Tatsacheninstanz, das Beschwerdegericht trifft gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Sachentscheidung. c) Weniger einschneidende Maßnahmen bieten keine genügende Gewähr, dass der Angeklagte an der Hauptverhandlung am 26. Mai 2010 teilnehmen wird. Bei einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls in entsprechender Anwendung des § 116 StPO ist in Anbetracht des gezeigten Verhaltens erneuter Ungehorsam des Angeklagten zu befürchten. Einem Vorführungsbefehl könnte sich der Angeklagte, der den neuen Hauptverhandlungstermin kennt, durch kurzfristiges Sichentfernthalten entziehen. Auch erscheint ein Vorführungsbefehl in Anbetracht der 470 km weiten Entfernung zwischen Wohnsitz und Gerichtsort ungeeignet. III. Zur Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft bemerkt der Senat, dass es angezeigt gewesen wäre, den Schriftsatz des Verteidigers vom 29. März 2010, durch den die Beschwerde richtigerweise nunmehr gegen die Haftentscheidung vom 16. März 2010 gerichtet wurde, per Telefax an die Generalstaatsanwaltschaft weiterzuleiten. Das Landgericht hatte diesen Schriftsatz am 30. März 2010 per Telefax an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Dort wurde der Schriftsatz zwar am 31. März 2010 mit einem Anschreiben versehen, das rot unterstrichen den Vermerk ""Eilt sehr!"" trägt. Die Übermittlung an die Generalstaatsanwaltschaft erfolgte indes auf dem Behördenpostweg und dauerte bis zum 8. April 2010. Bereits am 7. April 2010 hatte der Senat die gegen den Haftbefehl vom 19. Februar 2010 gerichtete Beschwerde als unzulässig verworfen. Es ist nicht akzeptabel, dass eine doppelte Aktenvorlage und Beschlussfassung erfolgen muss, weil die Staatsanwaltschaft in einer eilbedürftigen Sache von der sich aufdrängenden Telefaxübermittlung abgesehen hat.
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