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Entscheidungen

Zivilrecht

Fristversäumung, Organisationsverschulden, Rechtsanwalt, Überlastung des Personals, Wiedereinsetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.09.2025 - 3 U 69/25

Leitsatz des Gerichts:

Eine Rechtsanwältin kann zwar einzelne Aufgaben auf geeignetes Büropersonal übertragen. Sie muss jedoch sicherstellen, dass ihre Angestellten ihr Aufgaben auch dann zuverlässig erfüllen, wenn die Belegschaft durch Krankheit und Ausscheiden einer Mitarbeiterin reduziert ist. Dazu muss sie auch einer eventuellen Überlastung entgegenwirken, die dadurch entsteht, dass dem verbliebenen Personal zu viele Aufgaben übertragen werden.




In pp.

1. Der Antrag der Beklagten und Berufungskläger vom 11. August 2025 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten und Berufungskläger gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 17. April 2025 zum Aktenzeichen 4 O 331/21 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Beklagten und Berufungskläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 29.709,26 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger begehren von den Beklagten die Zahlung von Schadensersatz aufgrund von Mängeln im Zusammenhang mit einem Hauskauf. Die Kläger sind Käufer und nunmehrige Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in der Straße1 in Stadt1-Stadtteil1. Die Beklagten sind die Verkäufer und ehemaligen Eigentümer des Objekts.

Mit dem am 17. April 2025 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger € 29.709,26 nebst näher bezeichneter Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts vom 17. April 2025 Bezug genommen. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 20. Mai 2025 zugestellt.

Gegen dieses Urteil legten die Beklagten mit Anwaltsschriftsatz vom 20. Juni 2025 Berufung ein (BI. 1 f. d. A.). Mit Verfügung vom 25. Juli 2025 (BI. 21 d. A.) machte der Vorsitzende des erkennenden Senats die Beklagten darauf aufmerksam, dass die Frist zur Berufungsbegründung mit Ablauf des 21. Juli 2025 geendet hatte, ohne dass eine Berufungsbegründung zu den Gerichtsakten gelangt war. Zugleich bat er um kurze Mitteilung bis zum 6. August 2025, ob die Berufung zurückgenommen werden solle.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. August 2025, der hier am 12. August 2025 einging (BI. 23 ff. d. A.), beantragten die Beklagten Wedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags trugen sie im Wesentlichen vor, die Berufungsbegründungsfrist sei nicht eingehalten worden, weil die Frist infolge eines einmaligen Fehlers „der verbliebenen Büromitarbeiterin" der mit der Sache befassten Rechtsanwältin nicht in den Fristenkalender eingetragen worden sei. Das Versäumnis sei der der mit der Sache befassten Rechtsanwältin erst mit dem gerichtlichen Hinweis vom 25. Juli 2025 bekannt geworden, der am 30. Juli 2025 eingegangen sei.

Die Kanzlei verfüge über ein bewährtes, den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechendes Fristenkontrollsystem. Danach würden Fristen grundsätzlich wie folgt gehandhabt. Jede Frist werde unmittelbar nach Diktat des fristauslösenden Schriftsatzes bzw. nach Zugang gerichtlicher Schriftstücke durch geschulte Mitarbeiter in den elektronischen und handschriftlichen Fristenkalender eingetragen (Erfassung). Hauptfrist und Vorfrist würden eingetragen, wobei die Hauptfrist in einem gesonderten „Fristenblatt' der Handakte vermerkt werde (zweifache Notierung). Am Tagesende erfolge eine Durchsicht der erfassten Fristen durch den zuständigen Rechtsanwalt (Kontrolle). Elektronische Erinnerungen würden so eingestellt, dass eine Frist nicht unbeabsichtigt verstreichen könne (Erinnerungsfunktion). Ein Rechtsanwalt dürfe sich grundsätzlich auf ein gut organisiertes, bewährtes Fristenkontrollsystem verlassen.

Im maßgeblichen Zeitraum habe jedoch eine außergewöhnliche personelle Ausnahmesituation bestanden. Eine langjährige und erfahrene Kanzleimitarbeiterin sei seit längerem arbeitsunfähig erkrankt. Ein Auszubildender sei zum 24. Juni 2025 ausgeschieden. Es sei lediglich eine einzige Mitarbeiterin verblieben, die neben sämtlichen organisatorischen Tätigkeiten auch die Fristenverwaltung habe übernehmen müssen. Diese personelle Ausdünnung habe zu einer erheblichen Mehrbelastung geführt, „die den einmaligen Eingabefehler" verursacht habe. Die Frist sei einfach nicht erfasst worden, was bisher noch nicht vorgekommen sei.

Ein einmaliges Versehen einer ansonsten zuverlässigen und hinreichend instruierten Bürokraft sei dem Rechtsanwalt nicht als Verschulden anzulasten. Die betreffende Mitarbeiterin sei seit Jahren beanstandungsfrei tätig. Sie sei von der Unterzeichnerin persönlich in die Fristennotierung eingewiesen worden. Das eingerichtete System habe „allen BGH-Anforderungen" entsprochen und sei in der Vergangenheit zuverlässig gewesen.

Der vorliegende Fehler sei nicht auf ein Organisationsverschulden, sondern auf ein einmaliges, menschliches Versäumnis in einer Ausnahmesituation zurückzuführen. Das Hindernis sei mit Zugang des gerichtlichen Hinweises am 30. Juli 2025 entfallen. Der vorliegende Antrag sei innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. I ZPO gestellt worden.

Zur Glaubhaftmachung der vorstehenden Ausführungen werde die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin A „in Kürze" nachgereicht, aus der sich der genaue Ablauf und die außergewöhnliche Belastungssituation ergebe.

Zugleich legten die Beklagten die „versäumte Berufungsbegründung" vor. Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die S. 3 ff. des Anwaltsschriftsatz vom I I . August 2025 (BI. 25 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen,
1. dem Berufungskläger [sic!] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, und
2. die beigefügte Berufungsbegründung als rechtzeitig eingereicht zu behandeln.

In der Sache beantragen sie,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Limburg vom 17. April 2025,
Aktenzeichen 4 0 331/21, die Klage abzuweisen, und hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Il.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht begründet, da weder fristgemäß vorgetragen noch glaubhaft gemacht wurde, dass die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden der Beklagten bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt wurde (§ 233 ZPO).

Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Wiedereinsetzungsantrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Hierzu kann sich der Antragsteller gemäß S 294 ZPO aller präsenten Beweismittel und der Versicherung an Eides statt bedienen.

Dabei müssen alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. I, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.05.1998 - VI ZB 10/98 VersR 1999, 642, 643; Beschluss vom 07.03.2002 - IX ZR 235/01 NJW 2002, 2107, 2108; Beschluss vom 21.10.2010 - IX ZB 73/10 -, NJW 2011, 458, 460; Beschluss vom 01.07.2013 - VI ZB 18/12 NJW 2013, 3181, 3182).

1. Im Streitfall haben die Beklagten die Tatsachen, die nach ihrer Ansicht die Wiedereinsetzung begründen sollen, weder bei der Antragstellung noch im Nachgang glaubhaft gemacht.

Aus dem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich, dass sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zur Glaubhaftmachung des Vortrags der eidesstattlichen Versicherungen ihrer Mitarbeiterin A bedienen wollte, die „in Kürze nachgereicht werden" sollten. Dies ist indes nicht geschehen.

Der Senat war auch nicht etwa gehalten, den Beklagten eine Frist zur Nachreichung der eidesstattlichen Versicherung zu setzen. Es genügte das Abwarten einer angemessenen Frist, innerhalb derer das Nachreichen der Anlagen erwartet werden konnte (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20.09.2022 - VI ZB 27/22 -, NJW-RR 2022, 1577, 1578). Der Senat hat fast drei Wochen zugewartet, bevor er über das Wiedereinsetzungsgesuch entschieden hat, und damit den Beklagten zweifellos genügend Zeit zur Übersendung der eidesstattlichen Versicherung eingeräumt.

Eine Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung der Richtigkeit der Angaben einer Rechtsanwältin unter Bezugnahme auf ihre Standespflichten, die - für die eigenen Wahrnehmungen der Rechtsanwältin - grundsätzlich genügen würde (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 05.07.2017 - XII ZB 463/16 FamRZ 2017, 1704, 1705; Beschluss vom 20.09.2022 -VI ZB 27/22 -, NJW-RR 2022, 1577, 1578), wurde dem eindeutigen Wortlaut des Antrags zufolge nicht angeboten. Es fehlt daher schon ersichtlich an dem Willen, sich des Mittels der anwaltlichen Versicherung überhaupt zu bedienen (vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.2022 - VI ZB 27/22 NJW-RR 2022, 1577, 1578).

2. Die Beklagten haben überdies nicht dargelegt, dass die Fristversäumung nicht auf organisatorischen Mängeln der Fristenkontrolle beruht. Zwar mag man mit den Beklagten davon ausgehen, dass die drastische Reduzierung des Personals infolge Erkrankung einer Mitarbeiterin und Ausscheiden eines weiteren Mitarbeiters die Gefahr der Überlastung des verbliebenen Personals - der Mitarbeiterin A - barg. Es ist indessen nicht auszuschließen, dass diese Überlastung die Ursache für die festgestellten Fehler war, zumal nach der Darstellung der Beklagten die Mitarbeiterin A bisher zuverlässig gearbeitet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26.08.1999 - VII ZB 12/99 NJW 1999, 3783, 3784).

Auf dieser Grundlage kann ein organisatorisches Verschulden der Prozessbevollmächtigten nicht ausgeschlossen werden. Die eigenen Sorgfaltspflichten einer Rechtsanwältin sind nämlich erhöht, wenn Störungen in der Organisation des Büros auftreten, die dazu führen können, dass die zulässig delegierten Pflichten der Anwältin nicht erfüllt werden. Die Anwältin kann zwar einzelne Aufgaben, wie das Führen des Fristenkalenders, auf geeignetes Büropersonal übertragen. Sie muss jedoch sicherstellen, dass ihre Angestellten ihre Aufgaben auch dann zuverlässig erfüllen, wenn die Belegschaft durch Krankheit und Ausscheiden einer Mitarbeiterin reduziert ist. Dazu muss sie auch einer eventuellen Überlastung entgegenwirken, die dadurch entsteht, dass dem verbliebenen Personal zu viele Aufgaben übertragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26.08.1999 - VII ZB 12/99 NJW 1999, 3783, 3784; Greger, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 233 Rdnr. 23.13). Denn es erfordert besondere organisatorische Sorgfalt der Rechtsanwältin, wenn sie bei gehöriger Beobachtung der Kanzleiabläufe erkennen kann, dass ihre verbliebene Mitarbeiterin durch mehrere Aufgaben und einen erhöhten Arbeitsanfall abgelenkt ist und deshalb aufgrund der besonderen Umstände die Gefahr besteht, dass sie die ihr übertragenen Aufgaben, jedenfalls was die mit besonderer Sorgfalt zu behandelnden Fristsachen anbelangt, nicht fehlerfrei erledigen kann (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14.06.2017 - VIII ZB 41/16 -, NJOZ 2018, 35, 36). Auf welche Weise eine Rechtsanwältin die Belastung des verbliebenen Personals in zumutbaren Grenzen hält, bleibt ihr überlassen. Ist ihr eine Kompensation durch den Einsatz weiterer zuverlässiger Kräfte nicht möglich, kann der Gefahr von Fehlverhalten z.B. durch eine verstärkte Kontrolle entgegengewirkt werden. Im Einzelfall kann es notwendig werden, dass die Anwältin die delegierten Aufgaben, wie z.B. die Fristenkontrolle, wieder an sich zieht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 01.04.1965 - Il ZB 11/64 VersR 1965, 596, 596 f.; Beschluss vom 02.03.1978 - VII ZB 17/77 JurBüro 1978, 1640; Beschluss vom 26.08.1999 - VII ZB 12/99 NJW 1999, 3783, 3784). Im Streitfall haben die Beklagten nicht vorgetragen, dass ihre Prozessbevollmächtigte geeignete Maßnahmen getroffen hätte, um trotz des personellen Engstandes eine ausreichende Fristenkontrolle zu gewährleisten (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26.08.1999 - VII ZB 12/99 -, NJW 1999, 3783, 3784).

Der Organisationsmangel der Prozessbevollmächtigten der Beklagten war für die Fristversäumnis auch ursächlich.
Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist. Hat eine Rechtsanwältin nicht alle ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu ihren Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 06.10.2020 - XI ZB 17/19 -, BeckRS 2020, 31055 Rn. 12 mwN). so liegt es hier.

Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11. August 2025 waren damit unschlüssig und nicht etwa erkennbar unklar oder unvollständig, weshalb auch ein Hinweis des Senats nach § 139 ZPO entbehrlich war. Die Anforderungen, welche die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einer Anwältin auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.06.2018 Il ZB 23/17 - NJW 2018, 2895, 2897). Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.06.2018 - Il ZB 23/17 NJW 2018, 2895, 2897; Beschluss vom 06.02.2018 - Il ZB 14/17 -, NJOZ 2018, 828, 829, jeweils m. w. N.).

Die Berufung war nach Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht rechtzeitig, d. h. nicht innerhalb der Zweimonatsfrist seit Zustellung des vollständigen Urteils, begründet wurde (§ 522 Abs. I, § 520 Abs. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmt.


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