Gericht / Entscheidungsdatum: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 02.09.2025 – 14 S 1318/25
Leitsatz des Gerichts mit Ergänzungen/Änderungen:
1. Der Verwaltungsrechtsweg ist für eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Bußgeldbescheids nicht eröffnet.
2. § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG ist eine abdrängende Sonderzuweisung an die Amtsgerichte, die bei einer Gesamtschau derjenigen Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, die den Rechtsschutz in Bußgeldverfahren betreffen (§§ 62, 67 f., 85, 103, 104 OWiG), auch auf die Feststellung der Nichtigkeit von Bußgeldbescheiden gerichtete Rechtsbehelfe erfasst.
In pp.
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4. Juli 2025 - 8 K 6091/25 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit von gegen ihn erlassenen Bußgeldbescheiden der Beklagten vom 25.11.2024 und 09.12.2024, mit denen Verkehrsordnungswidrigkeiten geahndet werden sollen. Mit mehreren Schreiben wandte sich der Kläger gegen diese Bescheide mit dem Einwand, sie seien „wegen der fehlenden Legitimationskette“ nichtig, lehnte aber eine Deutung als Einspruch ausdrücklich ab. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin jeweils mit Schreiben vom 10.04.2025 die Vollstreckung an. Mit seiner Klage vom 24.06.2025 zum Verwaltungsgericht Stuttgart verfolgt der Kläger sein Petitum weiter. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 04.07.2025 erklärte die Kammer den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Schwäbisch-Gmünd.
II.
1. Die nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG sowie den §§ 146, 147 VwGO zulässige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 04.07.2025 hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu Recht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt. Der vorliegende Rechtsstreit ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die allerdings durch Bundesgesetz den Amtsgerichten zur Entscheidung übertragen und für die der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten daher gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eröffnet ist.
§ 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG ist eine abdrängende Sonderzuweisung an die Amtsgerichte, die bei einer Gesamtschau derjenigen Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, die den Rechtsschutz in Bußgeldverfahren betreffen (§§ 62, 67 f., 85, 103, 104 OWiG), auch auf die Feststellung der Nichtigkeit von Bußgeldbescheiden gerichtete Rechtsbehelfe erfasst. Den ordentlichen Gerichten sind nicht nur alle Entscheidungen über Rechtsbehelfe zugewiesen, die sich gegen Entscheidungen und sonstige Maßnahmen einer Behörde im Rahmen eines Bußgeldverfahrens richten, sondern darüber hinaus auch Entscheidung über Rechtsbehelfe, mit denen die Feststellung ihrer Nichtigkeit nach bestandskräftigem Abschluss eines Bußgeldverfahrens begehrt wird (vgl. Niehaus in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 6. Aufl., § 62 Rn. 1; Euler in Graf, BeckOK OWiG, Stand: 01.07.2025, § 62 Rn. 1; Lay in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK StVR, Stand: 15.07.2025, § 68 Rn. 74). Für eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für derartige Feststellungsklagen besteht daneben entgegen dem klägerischen Vorbringen kein Raum.
Die Regelungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten lassen nur den Schluss zu, gerichtliche Entscheidungen in Bußgeldsachen ausnahmslos den Amtsgerichten zugewiesen sind. Entgegen der Grundannahme, die der Beschwerdeschrift unterliegt, handelt es sich bei einem Bußgeldbescheid nicht um einen klassischen Verwaltungsakt, für dessen gerichtliche Überprüfung lediglich eine abdrängende Sonderzuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit besteht, der aber formell und materiell dem allgemeinen Verwaltungsrecht und seinen Grundsätzen folgt. Die von dem Kläger geltend gemachte Nichtigkeit des Bußgeldbescheids ist dem Ordnungswidrigkeitenrecht zwar nicht fremd, die zur Nichtigkeit führenden Gründe des § 44 VwVfG helfen jedoch nicht weiter, da der Bußgeldbescheid ein Verwaltungsakt besonderer Art mit einer sehr starken Anlehnung an den Strafbefehl ist (Niehaus, Karlsruher Kommentar zum OWiG, 6. Aufl., § 66 Rn. 77). Das Bußgeldverfahren unterliegt dementsprechend allgemein auch nicht den Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes, sondern es gelten, soweit das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes (§ 46 Abs. 1 OWiG). Schon in Anbetracht dieses strafprozessualen Charakters des Bußgeldverfahrens ist es fernliegend anzunehmen, der Gesetzgeber habe, indem er die Nichtigkeitsfeststellung nicht ausdrücklich der Zuständigkeit der Amtsgerichte zugewiesen habe, es insoweit bei einer Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte belassen wollen. Ganz im Gegenteil ist dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten eindeutig ein Grundsatz zu entnehmen, sämtliche gerichtlichen Entscheidungen, die ein Bußgeldverfahren betreffen, den ordentlichen Gerichten zuzuweisen. Bereits die allgemeine Verfahrensregelung in § 46 Abs. 1 und 7 OWiG zeigt, dass der Gesetzgeber eine ausschließliche Rechtswegzuständigkeit von spezialisierten Spruchkörpern der Gerichte der ordentlichen (Straf-)Gerichtsbarkeit vor Augen hatte.
Dieser allgemeine Befund, dass das Prozessrecht in Ordnungswidrigkeiten-Verfahren strafprozessualen Grundsätzen folgt, die keinen Raum für eine verwaltungsgerichtliche Feststellung lassen, wird durch die besonderen Regelungen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten zu der gerichtlichen Überprüfung verwaltungsbehördlichen Handelns bestätigt.
Dies gilt zunächst für Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden (§ 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG), also während eines laufenden Bußgeldverfahrens, für die § 62 Abs. 2 Satz 1 OWiG eine Zuständigkeit des Amtsgerichts eröffnet. Der hiergegen erhobene Einwand des Klägers, (auch) § 62 Abs. 2 Satz 1 OWiG sei im Sinne einer Rechtsgrundverweisung nur anwendbar, wenn zuvor ein Einspruch erhoben wurde, überzeugt in Anbetracht von Wortlaut und Systematik der Regelung bereits im Ansatz nicht. Nach dem Wortlaut von § 62 Abs. 2 Satz 1 OWiG entscheidet „[ü]ber den Antrag […] das nach § 68 zuständige Gericht.“ Schon die Wendung „das nach § 68 zuständige Gericht“ deutet auf eine Rechtsfolgenverweisung hin, da ausdrücklich nur dessen Rechtsfolge der Zuständigkeitsbestimmung in Bezug genommen wird. Aus dem Wortlaut folgt ferner zwingend, dass an die Stelle eines Einspruchs im Fall des § 62 Abs. 2 Satz 1 OWiG ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine Maßnahme nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG, also einer Maßnahme während des Bußgeldverfahrens und damit vor Erhebung eines Einspruchs gegen einen noch zu erlassenden Bußgeldbescheid tritt. Dieser Befund einer reinen Rechtsfolgenverweisung wird dadurch bestätigt, dass die Norm des § 62 OWiG systematisch in dem Unterabschnitt „Vorverfahren“ und hier unter „III. Verfahren der Verwaltungsbehörde“ verortet ist. Es handelt sich um eine dem Strafprozessrecht nachgebildete Norm (vgl. Niehaus, Karlsruher Kommentar zum OWiG, 6. Aufl., § 62 Rn. 1), die gegenüber dem Verwaltungsprozess (vgl. § 44a VwGO) erweiterten Rechtsschutz während eines laufenden Bußgeldverfahrens ermöglicht (vgl. für vorbeugenden Rechtsschutz mit dem Ziel, den Erlass eines Bußgeldbescheids zu verhindern VG Göttingen, Beschluss vom 24.03.2023 - 1 B 63/23 - juris Rn. 10).
Auch für Rechtsschutz gegen einen Bußgeldbescheid ist ausdrücklich eine Zuständigkeit des Amtsgerichts vorgesehen. Dabei unterliegt dem – vor allem straf- und nicht verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen folgenden – Gesetz über Ordnungswidrigkeiten die Grundannahme, das Rechtsschutz gegen Bußgeldbescheide (§ 65 OWiG) im Einspruchsverfahren gewährt wird (§§ 67 ff. OWiG). Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG entscheidet bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat.
Auf die Zuständigkeitsregelung in § 68 OWiG wird von weiteren Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten verwiesen, so dass für eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte jedenfalls während und nach Abschluss des Bußgeldverfahrens kein Raum bleibt. So ist nach (negativem) Ausgang des Einspruchsverfahrens und mit Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids zwar dessen Vollstreckung weitgehend nach Verwaltungsvollstreckungsrecht vorgesehen (vgl. § 90 Abs. 1 OWiG). Allerdings ist auch insoweit für Einwendungen eine Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG bestimmt (vgl. §§ 103, 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) wie auch im Übrigen die Zuständigkeit ordentlicher Gerichte (vgl. § 104 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 OWiG). In diesem Verfahren kann auch der Einwand der Nichtigkeit des Bußgeldbescheids gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG geltend gemacht werden (VG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2018 - 6 K 17287/17 - juris Rn. 4 f.; Mitsch in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 6. Aufl., § 103 Rn. 7 m. w. N.). Dass der Eintritt der Bestandskraft keine abweichende Würdigung gebietet, zeigt § 85 Abs. 4 OWiG, der auch für die Wiederaufnahme des Verfahrens auf § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG verweist, sodass auch insoweit (ausdrücklich) eine Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet ist (vgl. dazu VG Braunschweig, Beschluss vom 28.08.2006 - 6 A 228/06 - juris Rn. 2).
Diesen gesetzlichen Vorschriften lässt sich der eindeutige Wille des Gesetzgebers entnehmen, die Entscheidung über Einwendungen gegen Bußgeldbescheide und andere im Bußgeldverfahren von der Verwaltungsbehörde getroffene Maßnahmen abschließend den Amtsgerichten zuzuweisen. Begehrt der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit der Bußgeldbescheide außerhalb der Vollstreckung kann nichts anderes gelten. Auch insofern ist der Verwaltungsrechtsweg verschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.1962 - I C 51.61 - juris Rn. 8ff; NdsOVG, Beschluss vom 20.11.2020 - 8 OB 106/20 - juris Rn. 8 m. w. N.; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 10.04.2025 - 6 K 401/25 - juris Rn. 3). Denn andernfalls könnte es zu divergierenden Entscheidungen von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten über ein und denselben Bußgeldbescheid kommen, was zu vermeiden ist (so auch VG Braunschweig, Beschluss vom 28.08.2006 - 6 A 228/06 - juris Rn. 3 m. w. N.).
Dem Einwand des Klägers, der von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht entschiedene Fall sei nicht vergleichbar, vermag der Senat schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu folgen. Denn dieser Entscheidung lag ersichtlich eine Konstellation zugrunde, in welcher der dortige Kläger – wie hier – im Kern nach Eintritt der Rechtskraft die Nichtigkeit einer Maßnahme der Verwaltungsbehörde geltend macht (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 20.11.2020 - 8 OB 106/20 - juris Rn. 4). Dass es dort um die Rückforderung eines auf einen solchen Bescheid hin gezahlten Verwarnungsgelds ging, begründet keinen erheblichen Unterschied zu dem hier zu entscheidenden Fall.
Gleiches gilt für den vom VG Frankfurt (Oder) entschiedenen Fall. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht nehme insoweit auf eine nicht näher begründete Entscheidung Bezug, übersieht, dass die Kammer die Entscheidung lediglich als Beleg für ihre in der Rechtsprechung jüngst auch andernorts vertretene Auffassung wiedergibt, darauf aber nicht zu deren Begründung verweist (vgl. Beschlussabdruck, S. 3). Das ist nicht zu beanstanden, denn unzweifelhaft vertritt das VG Frankfurt (Oder) die Ansicht, dass die Amtsgerichte auch für die Überprüfung der Nichtigkeit von Bußgeldbescheiden zuständig sind (VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 10.04.2025 - 6 K 401/25 - juris Rn. 3). Nichts anderes beantragt der Kläger.
Offenbleiben kann, ob die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit für Rechtsbehelfe, mit denen die Feststellung der Nichtigkeit von Bußgeldbescheiden geltend gemacht wird, die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs auch für Feststellungsklagen ausschließt, mit denen vorbeugender Rechtsschutz im Vorfeld eines Bußgeldverfahrens verfolgt wird (so wohl OVG B.-Bbg., Beschluss vom 29.04.2014 - 12 S 23/14 - juris Rn. 2 f.; vgl. auch VG Stuttgart, Beschluss vom 18.08.2006 - 10 K 4317/05 - juris Rn. 17; demgegenüber BVerwG, Urteil vom 07.05.1987 - 3 C 53/85 - juris Rn. 17 f.; OVG Bremen, Beschluss vom 12.01.2012 - 1 B 289/11 - BeckRS 2012, 46378, juris Rn. 7 ff.; OVG Münster, Urteil vom 31.01.1996 - 13 A 6644/95 - NVwZ-RR 1997, 264, juris Rn. 4 ff.; Niehaus in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 6. Aufl., § 62 Rn. 1). Kennzeichnend für diese Fallgestaltungen ist, dass eine Klärung der Rechtmäßigkeit und des Umfangs der sich aus der Verbotsnorm ergebenden Pflichten angestrebt wird (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 20.11.2020 - 8 OB 106/20 - juris Rn. 5).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Es bedarf keiner Festsetzung eines Streitwerts, weil bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine vom Streitwert unabhängige Festgebühr anzusetzen ist (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor. Dass der Verwaltungsrechtsweg für Klagen mit dem Begehr der Feststellung der Nichtigkeit von Bußgeldbescheiden nicht eröffnet ist, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.1962 - I C 51.61 - juris Rn. 8ff).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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