Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.08.2025 – 1 Ws 269/25
Eigener Leitsatz:
Das StrEG ist bei einer „Übervollstreckung“ nach Neufestsetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB nicht anwendbar. Als Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung wegen eines - möglicherweise - rechtswidrigen Freiheitsentzuges kommen in diesen Fällen nur Art. 5 Abs. 5 EMRK oder Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB in Betracht.
In pp.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück vom 27. Mai 2025, durch den sein Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für zu Unrecht erlittene Strafhaft von einem Monat abgelehnt worden ist, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Grundentscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) wegen verbüßter Strafhaft vor dem Hintergrund der Neufestsetzung einer gegen ihn zuvor rechtskräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB auf Grund des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz - CanG).
Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Das Amtsgericht Lingen verhängte gegen den Antragsteller durch Urteil vom 27. Oktober 2022 (Az.: 7 Ds 175/22) wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, gebildet aus zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Monaten, wobei einer Einzelstrafe der Besitz von zwei Marihuana-Joints zu Grunde lag.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Lingen vom 20. Oktober 2023 (Az.: 7 Ds 175/22) wurde - nach zwischenzeitlichem Widerruf der Strafaussetzung - aus den vorgenannten Einzelstrafen und einer durch Urteil des Amtsgericht Lingen vom 16. Mai 2023 (Az.: 7 Ds 283/22) verhängten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen Körperverletzung nachträglich eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gebildet, die der Antragsteller ab dem 11. Oktober 2023 verbüßte.
Nach Inkrafttreten des CanG am 1. April 2024 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Beschluss vom 3. April 2024 die Gesamtstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Lingen vom 20. Oktober 2023 - unter Wegfall der Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten (für den Besitz von zwei Marihuana-Joints) aus dem Urteil des Amtsgerichts Lingen vom 27. Oktober 2022 - neu auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten fest und setzte deren Vollstreckung nicht zur Bewährung aus.
Am 4. April 2024 wurde der Antragsteller aus der Strafhaft entlassen, nachdem er - unter Anrechnung von sechs Tagen wegen im ursprünglichen Bewährungsverfahren erbrachter gemeinnütziger Arbeit - sechs Monate verbüßt hatte.
Der Antragsteller hat unter dem 15. Juli 2024 beantragt, die Verpflichtung zur Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft von einem Monat festzustellen. Den diesen Antrag ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 20. November 2024 hat das Landgericht Osnabrück mit Beschluss vom 6. Januar 2025 auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts aufgehoben.
Nunmehr hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Beschluss vom 27. Mai 2025 den Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrEG nicht erfüllt seien, weil die Strafe nicht in einem Wiederaufnahmeverfahren oder in einem Strafverfahren weggefallen sei. Bei dem der neuen Gesamtstrafenbildung zu Grunde liegenden Erlass der Einzelstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 1 EGStGB handele es sich um eine Amnestie, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens den Bestand der Verurteilung nicht berühre. Eine Anwendung des StrEG sei auch nicht aus Billigkeitserwägungen geboten. Dass der Gesetzgeber mit dem Verweis in Art. 313p EGStGB auf Art. 313 EGStGB lediglich eine Regelung für noch nicht vollstreckte Strafen und in § 41 KCanG eine Regelung für die Tilgung getroffen habe, ohne aber eine Entschädigungspflicht zu statuieren, zeige, dass er eine solche nicht beabsichtigt habe.
Gegen diesen dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 3. Juni 2025 zugestellten Beschluss richtet sich dessen sofortige Beschwerde vom 4. Juni 2025, auf die sowie die Schriftsätze des Bevollmächtigten vom 15. Juli 2024, 25. November 2024 und 19. Mai 2025 Bezug genommen wird.
II.
Die gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Strafvollstreckungskammer war - trotz zuvor fehlender Zuständigkeit zur Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nach Art. 313p, 313 Abs. 4 EGStGB - (nunmehr auch) zur Entscheidung über die vom Antragsteller begehrte Entschädigung nach dem StrEG berufen.
a) Da der Senat nicht das beiden Gerichten - hier dem Amtsgericht Lingen und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück - übergeordnete Beschwerdegericht ist, hatte er über die Frage der Zuständigkeit zu befinden.
b) Nach § 8 Abs. 1 StrEG entscheidet über die Verpflichtung zur Entschädigung das Gericht in der das Verfahren abschließenden Entscheidung oder nachträglich durch gesonderten Beschluss, wenn in der Hauptverhandlung eine Entscheidung nicht möglich war. Der Vorschrift ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht als Annex zur Sachentscheidung ausgestaltet wissen wollte. Demzufolge hat das Gericht über die Entschädigung zu befinden, das die das Verfahren abschließende Entscheidung getroffen hat, aus der der Entschädigungsanspruch erwächst (BGH, Beschluss vom 02.04.1993 - 2 ARs 83/93 -, juris Rn. 4). Eine Einschränkung dahin, dass das zuständige Gericht im Sinne des StrEG ausschließlich das erkennende Gericht sein kann, ist dem Gesetz fremd (OLG Köln, Beschluss vom 30.09.2013 - III-2 Ws 533/13 -, juris Rn. 9 m.w.N.).
Allerdings ist der vom Antragsteller verfolgte Entschädigungsanspruch wegen „Übervollstreckung“ aufgrund einer neu festgesetzten Gesamtstrafe im StrEG nicht vorgesehen (dazu noch im Folgenden unter 2.), so dass die Zuständigkeitsregelung in § 8 Abs. 1 StrEG nicht unmittelbare Anwendung finden kann. Es erscheint jedoch sachgerecht, die Vorschrift auf andere Fälle sinngemäß anzuwenden, die in diesem Gesetz nicht geregelt sind (vgl. BGH a.a.O.).
Vorliegend stützt der Antragsteller sein Begehren auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 3. April 2024, mit dem die gegen ihn verhängte Gesamtstrafe neu festgesetzt worden ist und die die Grundlage für die von ihm monierte „Übervollstreckung“ bildet. Diese Konstellation ähnelt - insoweit - derjenigen nach abweichender Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren, bei der zweifellos das Wiederaufnahmegericht zur Entscheidung über eine Entschädigung berufen wäre. Dem steht nicht entgegen, dass in derartigen Fällen grundsätzlich in der Hauptverhandlung über die Entschädigung zu befinden ist, da nach herrschender Meinung entgegen dem engen Wortlaut des § 8 Abs. 1 StrEG eine Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht von Amts wegen oder nach Antrag des Betroffenen auch dann nachgeholt werden, wenn sie aus anderen als den darin genannten Gründen unterblieben ist (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 23.08.2012 - I Ws 155/12 -, juris Rn. 29; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 8 StrEG Rn. 7 m.w.N.).
Bei der hier gebotenen sinngemäßen Anwendung des § 8 Abs. 1 StrEG ergibt sich daher die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück.
c) Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Strafvollstreckungskammer die Zuständigkeit für die dem Entschädigungsbegehren zu Grunde liegende Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe fehlte. So ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für Entscheidungen nach Art. 313p in Verbindung mit Art. 313 EGStGB nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig (BGH, Beschluss vom 23.10.2024 - 2 ARs 179/24 -, juris; so auch OLG Schleswig, Beschluss vom 01.08.2024 - 1 Ws 123/24 -, juris), so dass vorliegend das Amtsgericht Lingen zur Entscheidung berufen gewesen wäre. Gleichwohl ist der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 3. April 2024 wirksam. Der ihm anhaftende Mangel des Verstoßes gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters macht die Hinnahme der Entscheidung nicht rechtsstaatlich unerträglich, so dass von seiner Nichtigkeit auszugehen wäre (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 26.10.2007 - 2 Ws 248/07 -, juris Rn. 7). Vielmehr ist es in solchen Fällen - bei eingetretener Rechtskraft - der Rechtssicherheit geschuldet, dass es bei der Entscheidung verbleibt.
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 8 Abs. 1 StrEG, nämlich dass sichergestellt werden soll, dass die Entscheidung alsbald und durch ein mit den Einzelheiten vertrautes Gericht getroffen wird, und insbesondere widersprechende Entscheidungen vermieden werden sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.1993 - 2 ARs 83/93 -, juris Rn. 4), ist für einen Rückgriff auf die originäre Zuständigkeit des Amtsgerichts Lingen, dem nunmehr eine Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB nicht mehr möglich ist, kein Raum. Die damit verbundene Perpetuierung des ursprünglichen Zuständigkeitsmangels ist angesichts der für eine Fortwirkungszuständigkeit sprechenden Gründe nach der gesetzgeberischen Intention hinzunehmen.
2. Dem Antragsteller steht ein Anspruch nach StrEG nicht zu.
a) Als Grundlage für eine Entschädigung des Antragstellers käme lediglich die Vorschrift des § 1 Abs. 1 StrEG in Betracht. Danach ist derjenige aus der Staatskasse zu entschädigen, der der durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird.
Die nachträgliche Herabsetzung einer rechtkräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe infolge des kraft Gesetzes erfolgten Erlasses einer zuvor einbezogenen Einzelstrafe nach Art. 316p, 313 Abs. 4 EGStGB stellt jedoch keine Strafmilderung dar, die in einem Strafverfahren im Sinne des § 1 Abs. 1 StrEG vorgenommen wurde.
aa) Zwar kommt es bei Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB zu einer Durchbrechung der Rechtskraft und einer wertenden Neufestsetzung der zu vollstreckenden Strafe. Es handelt sich mithin um originäre Entscheidungen, die den eigentlich rechtskräftigen Strafanspruch des Staates der Höhe nach abändert (BGH, Beschluss vom 23.10.2024 - 2 ARs 179/24 -, juris Rn. 31). Anders als in den - nach dem gesetzgeberischen Willen - von § 1 Abs. 1 StrEG erfassten Fällen handelt es sich jedoch nicht um die materiell-rechtliche Korrektur einer rechtskräftigen Entscheidung, sondern um eine Amnestie-Korrektur, die der Anpassung der Vollstreckung an eine neue Gesetzeslage dient.
Das am 8. März 1971 eingeführte StrEG sollte eine gesetzliche Grundlage für Entschädigungen bei „ungerechtfertigter“ Strafverfolgung schaffen. Der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes ist zu entnehmen, dass - gegenüber dem HaftEntschäG vom 20. Mai 1898 und dem UHaftEntschäG vom 14. Juli 1904 - die Entschädigungspflicht des Staates - vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung - zwar erheblich erweitert werden, es insbesondere nicht mehr darauf ankommen sollte, ob der Tatverdacht tatsächlich ausgeräumt bzw. ein Unschuldsnachweis erbracht werden kann. Der den Ursprungsregelungen innewohnende Normierungszweck wurde jedoch beibehalten, nämlich die Haftung des Staates für rechtmäßige Justizakte zu regeln „gegenüber denjenigen, die verurteilt worden sind oder die in der Untersuchungshaft waren, wenn die Strafverfolgung sich nachträglich als nicht gerechtfertigt herausstellt“ (BT-Drucks. VI/460, S. 5 – 6).
Damit steht im Einklang, dass nach h. M. der Entschädigungsanspruch nach StrEG seiner Rechtsnatur nach als Aufopferungsanspruch angesehen wird; er setzt voraus, dass der Betroffene, der einer - nicht durch ein Verfahrensergebnis sachlich legitimierten – Strafverfolgungsmaßnahme ausgesetzt ist, im Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege ein Sonderopfer erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.1973 - III ZR 162/70 – NJW 1973, 1322, 1323; OLG Jena, Beschluss vom 20.07.2009 - 1 Ws 283/09 -, juris, Rn. 20; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., Vorbem. zu § 1 StrEG Rn. 1; Pardey/Balke/Link, Schadenrecht, 1. Aufl., Strafverfolgungsmaßnahmen und Entschädigung, Rn. 7; BeckOK StPO/Cornelius, 56. Ed., StrEG § 1 Rd. 6.1).
Ein solches Sonderopfer wird aber nicht demjenigen abverlangt, der rechtskräftig nach seinerzeit geltender Rechtslage verurteilt wurde und infolge einer späteren Gesetzesänderung eine Strafmilderung erfährt. Hier geht nicht das Gebot materieller Gerechtigkeit der Rechtskraftwirkung vor (vgl. MüKo-Kunz/Grommes, StPO, 2. Aufl., § 1 Rn. 1); deren Durchbrechung beruht vielmehr auf einer generellen politischen Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Straftaten nicht mehr oder milder zu verfolgen. Durch die mit Einführung des CanG in Art. 316p EGStGB normierte Anwendbarkeit des Art. 313 EGStGB wird lediglich zur Anpassung der ab dem 1. April 2024 geltenden neuen Gesetzeslage eine Vollstreckungskorrektur vorgenommen.
bb) Die Vorschrift des Art. 313 EGStGB entspricht daher in ihrem Wesen - als gesetzgeberischer Eingriff in den Gang der Strafrechtspflege - einer Amnestie (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.05.2024 - 1 ORs 24 SRs 167/24 -, BeckRS 2024,13224 Rn. 5 ff.), da sie den Straferlass für Taten, die nach dem CanG nicht mehr strafbar oder mit Geldbuße bedroht sind, unmittelbar kraft Gesetzes mit dessen Inkrafttreten anordnet. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB treten dabei unmittelbar kraft Gesetzes (ipso jure) ohne weiteren Rechtsakt ein (vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2024 - 3 StR 177, 24 -, BeckRS 2024, 18588 Rn. 10; OLG Stuttgart, a.a.O.). Eine Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, dass Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, hat nur deklaratorischen Charakter. Käme es in solchen dem Art. 313 Abs. 1 EGStGB unterliegenden Fällen des Straferlasses zu einer „Übervollstreckung“, wäre ein Entschädigung nach § 1 Abs. 1 StrEG von vornherein ausgeschlossen, da die Strafe nicht in einem Strafverfahren weggefallen ist. Auch eine Entschädigung nach einer anderen Vorschrift des StrEG wäre ausgeschlossen, da es auf Strafvollstreckungsmaßnahmen generell keine Anwendung findet (vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.1993 - 2 ARs 83/93 - juris Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 30.09.2013 - III-2 Ws 533/13 -, juris Rn. 11). Dass eine nachträgliche Festsetzung der Gesamtstrafe nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB, die auf dem Erlass einer Einzelstrafe nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB fußt, eine andere Bewertung nach sich zöge, verstieße nicht nur gegen das Gebot materieller Gerechtigkeit, sondern wäre nach dem Gesetzeszweck verfehlt.
Die Gesetzesbegründung zu § 1 StrEG benennt beispielhaft die dem Wiederaufnahmeverfahren gleichgestellten Fälle („oder sonst … in einem Strafverfahren“), in denen fortan ebenfalls eine Entschädigungspflicht bestehen soll, nämlich solche, in denen die Rechtskraft infolge „der beschränkten Rechtskraftwirkung des Strafbefehls“ durchbrochen wird oder „wenn sich die Revisionsentscheidung auf den rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten erstreckt“ (BT-Drucks VI/460, S. 7). Eine in der Wirkung und im Ergebnis dem Wiederaufnahmeverfahren gleichstellte Verfahrenslage ist bei Neufestsetzung einer Gesamtstrafe infolge Straferlasses kraft Gesetzes gerade nicht gegeben. Die Entscheidung nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB berührt nicht den Bestand der Verurteilung; weder führt sie zu einer Änderung des Schuldspruchs noch zur Aufhebung oder Auflösung der rechtskräftig verhängten Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2024 - 3 StR 177/24 -, BeckRS 2024, 18588 Rn. 12, 13), begründet mithin keinerlei Zweifel an einer zutreffenden Entscheidung, sondern passt lediglich - im Wege einer Neufestsetzung der Gesamtstrafe - die Vollstreckungslage dem kraft Gesetzes erfolgten Erlass einer (zuvor einbezogenen) Strafe an.
Eine strafverfahrensmäßige Korrektur im Sinne des Art. 1 EGStGB liegt somit nicht vor. Der gegenteiligen Ansicht, die bei einer „Übervollstreckung“ einer Gesamtstrafe nach dem Inkrafttreten des CanG eine Entschädigung nach dem StrEG für gegeben erachtet (vgl. Krumm in: Krumm/Ostmeyer, Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Aufl. 2024, E. Rn. 362, 381), folgt der Senat aus den vorstehenden Gründen nicht.
b) Eine analoge Anwendung der Vorschriften des StrEG scheidet aus. Die Bestimmungen der §§ 1, 2 StrEG haben abschließenden Charakter und können nicht auf ähnliche Maßnahmen oder Sachverhalte angewendet werden (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17.01.2008 – GSSt 1/07 – juris, Rn. 41).
Für eine entsprechende Anwendung des StrEG unter Billigkeitserwägungen ist überdies schon aus den vorgenannten Gründen kein Raum. Zudem fehlt es an einer Gesetzeslücke. So wurde Art. 313 EGStGB mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974, mithin nach dem am 8. März 1971 eingeführten StrEG, geschaffen, ohne dass den Gesetzesmaterialien eine Intention des Gesetzgebers auf eine Ausdehnung der Entschädigungsfälle nach StrEG bei späterer Neufestsetzung der Strafe infolge Gesetzänderung zu entnehmen ist. Auch im Zuge der Einführung des CanG ist die Statuierung einer Entschädigungspflicht nicht in Erwägung gezogen worden.
c) In den Fällen, in denen die Strafvollstreckung trotz des mit Inkrafttreten des CanG am 1. April 2025 eingetretenen Straferlasses fortgesetzt wurde, ist der von der „Übervollstreckung“ Betroffene jedoch nicht rechtlos gestellt. Auch hier kommt als Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung wegen eines - möglicherweise - rechtswidrigen Freiheitsentzuges Art. 5 Abs. 5 EMRK in Betracht, der einen unmittelbaren und verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.1993 - III ZR 3/92 -, BGHZ 122, 268 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 14.02.2012 – 2 Ws 32/12 -, juris Rn. 14) gewährt. Für einen solchen Anspruch ist jedoch ebenso wie für einen – allerdings verschuldensabhängigen - Anspruch aus Amtspflichtverletzung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB der Zivilrechtsweg eröffnet (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.07.1995 – 1 Ws 289/15 -,NStZ-RR 1996, 125; OLG Celle, a.a.O.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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