Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 21.08.2025 - 6 Qs 104/25
Eigener Leitsatz:
Zwar ist nicht grundsätzlich dann, wenn ein Sachverständigengutachten zum Gegenstand der Beweisaufnahme wird, eine schwierige Sachlage gegeben. Etwas anders gilt aber für die Fälle, in denen ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Beschuldigten ist, wenn es also z.B. für den Nachweis der Täterschaft des Angeschuldigten auf das Ergebnis eines DNA-Gutachtens voraussichtlich ankommen wird.
LG Dessau-Roßlau
6 Qs 104/25
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstraße 14, 38106 Braunschweig
wegen gefährlicher Körperverletzung
hat die 6. Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Dessau-Roßlau durch die unterzeichnenden Richterinnen und Richter am 21. Aug. 2025 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 22. Juli 2025 aufgehoben.
Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Landeskasse.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 17. Dez 2024 Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung in neun rechtlich zusammentreffenden Fällen vor dem Amtsgericht erhoben.
Dem liegt zu Grunde. dass der Angeschuldigte am 03. Febr. 2024 in Wittenberg im Bereich zum Einlass der Exerzierhalle mit einem Reizstoffsprühgerät der Marke „Walther" auf die vor dem Eingang der Halle in einer Schlange stehenden Personen gesprüht haben soll, wodurch neun Geschädigte ein Brennen und Jucken im Bereich der oberen Atemwege sowie eine Reizung der Augen davongetragen haben sollen.
Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2025 hat der Verteidiger des Angeschuldigten beantragt, diesem als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, da zum einen die im Falle einer Verurteilung zu erwartende Rechtsfolge dies gebiete und zum anderen eine schwierige Sach- und Rechtslage vorliege. Dies sei deshalb anzunehmen, weil keiner der Zeugen eine Tathandlung des Angeschuldigten gesehen habe und auch kein Tatmittel bei ihm gefunden worden sei, sondern der Tatverdacht insbesondere auf einem DNA-Gutachten beruhe, das zu Spuren auf einem in der Nähe des Tatorts sichergestellten Reizstoffsprühgerät erstellt worden sei.
Das Amtsgericht hat den Antrag auf Beiordnung mit Beschluss vom 22. Juli 2025 zurückgewiesen und hierzu im Wesentlichen angeführt, weder die zu erwartende Rechtsfolge noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ließen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Angeklagte sich nicht selber verteidigen könne.
Gegen diesen Beschluss hat der Angeschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23. Juli 2025 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er sein Vorbringen zur Begründung des Beiordnungsantrags wiederholt und vertieft.
Die Staatsanwaltschaft ist der sofortigen Beschwerde entgegengetreten und hat angeführt. neben dem Gutachten seien weitere Beweismittel vorhanden, so dass sich allein aus dem Vorhandensein eines Gutachtens keine schwierige Sach- und Rechtslage ergebe.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Juli 2025 ist zulässig, insbesondere fristgerecht.
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Dabei kann dahinstehen, ob die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe geboten erscheint. Jedenfalls ist vorliegend von einer schwierigen Sach- und Rechtslage im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO auszugehen.
Eine schwierige Sachlage kann sich aus dem zu erwartenden Umfang oder der Schwierigkeit der Beweisaufnahme ergeben. Zwar ist nicht grundsätzlich dann, wenn ein Sachverständigengutachten zum Gegenstand der Beweisaufnahme wird, eine schwierige Sachlage gegeben (vgl. etwa LG Hannover, Beschl. v. 05.09. 2023. 6 Qs 38/23, juris). Anerkannt ist dies aber für die Fälle, in denen ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Beschuldigten ist (LG Aachen, StraFo 2021, 73; LG Braunschweig Beschl. v. 19.4.2017 - 3 Qs 37/17, BeckRS 2017, 109130; LG Osnabrück Beschl. v. 3.12.2018 - 1 Qs 63/18, BeckRS 2018, 31440).
Diese Voraussetzung ist hier aus Sicht der Kammer erfüllt. Für einen Nachweis der Täterschaft des Angeschuldigten wird es auf das Ergebnis des DNA-Gutachtens voraussichtlich ankommen. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen hat keiner der Zeugen wahrgenommen, dass tatsächlich der Angeschuldigte den Reizstoff versprüht hat. Vielmehr haben die Zeugen - soweit polizeilich vernommen - lediglich angegeben, den Angeschuldigten neben der vor dem Einlass stehenden Schlange stehend wahrgenommen zu haben und dann ein Jucken und Brennen in Augen, Mund und Rachen bemerkt zu haben. Allein der Zeuge pp. hat dann den Angeschuldigten aufgrund von dessen aus Sicht des Zeugen auffälligen Erscheinungsbildes und Verhaltens als vermeintlichen Täter ausgemacht und diesen aufgefordert, sich nicht zu entfernen. Dieser Aufforderung hat der Angeschuldigte erst in einiger Entfernung Folge geleistet. Das sichergestellte Reizstoffsprühgerät. an dem die DNA-Spuren festgestellt wurden, ist dann auf diesem Laufweg aufgefunden worden. Insoweit dürfte für eine Überführung des Angeschuldigten der Auswertung dieser Spuren erhebliche Bedeutung zukommen.
Demgemäß war der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und dem Angeschuldigten auf seinen Antrag hin Rechtsanwalt als notwendiger Verteidiger zu bestellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.
Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig
Anmerkung: