Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.07.2025 – 16 B 425/25
Leitsatz des Gerichts:
Die Entziehung der Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ist auch unter Berücksichtigung seiner beruflichen und familiären Belange rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.
In pp.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 4. April 2025 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin entscheidet (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Die Ausführungen des Antragstellers dazu, was im Falle offener Erfolgsaussichten der Hauptsache in die Interessenabwägung im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einzustellen wäre, geht schon deshalb ins Leere, weil weder das Verwaltungsgericht offene Erfolgsaussichten angenommen hat, noch solche durch das Beschwerdevorbringen auch nur ansatzweise dargelegt werden. Der Antragsteller erläutert überwiegend nur allgemein und hypothetisch die Gründe für die Rechtswidrigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung. Seine Beanstandung, es sei nicht erkennbar, ob ihm die Ermahnung vom 4. April 2024 vor der Begehung der weiteren Ordnungswidrigkeit am 16. April 2024 zugegangen sei, ist zum einen unzutreffend (was der Antragsteller nach seiner Akteneinsicht auch hätte erkennen können; vgl. die Postzustellungsurkunde vom 6. April 2024, Bl. 57 des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners) und zum anderen ebenso wie der Einwand, die Verwarnung vom 14. August 2024 habe ihm offensichtlich erst nach dem Verkehrsverstoß vom 19. Juli 2024 vorgelegen, ohne Belang. Eine Warn- oder Erziehungsfunktion kommt den Maßnahmenstufen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG nicht zu.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 - 3 C 21.15 -, juris, Rn. 23 f.; OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2020 - 16 B 854/20 -, juris, Rn. 2; Bay. VGH, Beschluss vom 13. Januar 2022 - 11 CS 21.2794 -, juris, Rn. 13.
Die dem vom Antragsteller genannten Beschluss des Senats vom 2. März 2015 - 16 B 104/15 -, juris, zugrunde liegende Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG betrifft eine hier nicht einschlägige Sachverhaltskonstellation.
Soweit der Antragsteller im Übrigen beanstandet, dass die Fahrerlaubnisentziehung zu einer Existenzgefährdung führe, da er als Berufskraftfahrer tätig sei, die Entziehung de facto ein Berufsverbot in seinem bislang ausgeübten Beruf bedeute und er aufgrund der bestehenden Verständigungsschwierigkeiten ohne realistische Chance auf Umschulung oder sonstige Erwerbsalternativen sei, dringt er nicht durch. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundenen Auswirkungen auf seine Möglichkeiten der Berufsausübung muss er im Interesse der Verkehrssicherheit und zum Schutz von Leib und Leben sowie Eigentum Dritter hinnehmen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. Dezember 2020 - 16 B 1323/20 -, juris, Rn. 8; Bay. VGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 - 11 CS 24.1933 -, juris, Rn. 15 f., m. w. N.
Die zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister stellt keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar. Bei diesem Punktestand geht der Gesetzgeber davon aus, dass Kraftfahrer eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen, und knüpft daran eine Ungeeignetheitsvermutung, die grundsätzlich nicht widerlegt werden kann. Diese Konzeption begegnet auch mit Blick auf das Übermaßgebot keinen Bedenken. Das abgestufte und transparente System mit Ermahnung und Verwarnung, mit Hilfestellungen durch Fahreignungsseminare mit und ohne Punktabzug, mit der Ankündigung der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten, mit der Regelung des § 4 Abs. 6 StVG, die sicherstellt, dass alle Maßnahmenstufen durchlaufen werden, bevor nach Erreichen von acht Punkten unwiderlegbar von Ungeeignetheit auszugehen ist, und mit den Tilgungsregelungen rechtfertigt die Annahme, dass Personen als ungeeignet zum Führen von Kfz anzusehen sind, die acht oder mehr Punkte erreicht haben.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 - 11 CS 24.1933 -, juris, Rn. 13, m. w. N.
Es besteht vor diesem Hintergrund kein Anlass, im vorliegenden Fall ausnahmsweise die vom Gesetzgeber angeordnete sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 9 StVG auszusetzen. Die vom Antragsteller für sich reklamierte atypische Härte ist schon nicht festzustellen. Zwar ist davon auszugehen, dass der Antragsteller bis zu einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis (vgl. § 4 Abs. 10 StVG) daran gehindert sein wird, seinem bisher ausgeübten Beruf des Berufskraftfahrers nachzugehen. Diese Konsequenzen hat er jedoch nach dem Vorstehenden in Folge des Erreichens von acht Punkten im Fahreignungsregister hinzunehmen. Auch der vom Antragsteller des Weiteren befürchtete Bezug von Sozialleistungen im Falle einer Arbeitslosigkeit führte nicht bereits dazu, dass der Schutz von Leib und Leben sowie Eigentum anderer vorliegend zurückzustehen hätte.
Soweit der Antragsteller „Korrekturmöglichkeiten“ insbesondere für Berufskraftfahrer sieht, kann der von ihm hierzu allein zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Entsprechendes nicht entnommen werden. Hierin wird vielmehr ausgeführt, dass es auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht geboten sei, zwischen Viel- und Wenigfahrern zu differenzieren.
Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 - 11 CS 24.1933 -, juris, Rn. 14, m. w. N.
Die Auffassung, dass bei „Vielfahrern“ „gleichwohl eine Interessenabwägung stattzufinden“ habe, erschließt sich angesichts des generellen Prüfungsmaßstabs im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO nicht.
Die vom Antragsteller zusätzlich zu den beruflichen Auswirkungen der Fahrerlaubnisentziehung angeführte familiäre Notlage führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Bewertung. Eine lebenswichtige Versorgung seiner Ehefrau durch allein von ihm vorzunehmende Fahrten zu Fachärzten und Therapeuten wird schon nicht aufgezeigt. Das pauschale Vorbringen, seine Ehefrau könne keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und andere Familienangehörige stünden nicht zur Verfügung, ist nicht ausreichend. Die in diesem Zusammenhang erstinstanzlich noch geltend gemachten, im Beschwerdeverfahren aber nicht erneut angeführten depressiven Zustände und Panikattacken seiner Ehefrau sind nicht ansatzweise belegt. Vielmehr ergeben sich aus den vorgelegten Arztberichten keine dahingehenden Diagnosen. Noch am 26. März 2024 lagen ausweislich des Entlassungsberichts aus stationärer Behandlung der V. gGmbH keine Hinweise auf psychische Beeinträchtigungen der Ehefrau des Antragstellers vor. Dass sich ihr psychischer Zustand in der Folge derart verschlechtert haben könnte, dass sie allein von ihrem Ehemann zu Arztterminen gefahren werden kann und auch eine gemeinsame Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausscheidet, ist ohne die Vorlage entsprechender Nachweise nicht dargelegt.
Die Ausführungen des Antragstellers dazu, dass ein Ermessensnichtgebrauch bzw. ein Ermessensdefizit vorliege, weil dem angefochtenen Bescheid keine Abwägung der Verhältnismäßigkeit entnommen werden könne, da insbesondere keine milderen Mittel geprüft worden seien, gehen angesichts des Umstandes, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen oder Überschreiten eines Punktestandes von acht Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem vorsieht, und nach dem Vorstehenden ins Leere. Entgegen der Auffassung des Antragstellers führen den Punkten zugrunde liegende Verkehrsverstöße „eher minder schwerer Natur“ auch nicht dazu, dass Auflagen oder Beschränkungen in Betracht zu ziehen wären. Wie der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit hätte anstellen sollen, wenn die aus Sicht des Antragstellers insoweit zu berücksichtigenden Umstände erst im Anschluss an dessen Erlass mitgeteilt werden, erschließt sich im Übrigen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 sowie § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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