Gericht / Entscheidungsdatum: AG Sigmaringen, Beschl. v. 16.07.2025 - 8 OWi 163/25
Eigener Leitsatz:
1. Das Gericht hat einen nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab, um die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, dem Betroffenen bei einer Einstellung des Verfahrens seine notwendigen Auslagen nicht zu erstatten, zu überprüfen. Die Maßnahme ist lediglich dahingehend zu überprüfen, ob Ermessensfehler vorliegen, d.h. ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensfehlgebrauch) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung zuwiderlaufender Weise bzw. überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat (Ermessenswillkür). Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung darf das Gericht die Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde nicht durch seine eigene ersetzen.
2. Zur Anwendung der Regelung des§§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO.
8 OWi 163/25
Amtsgericht Sigmaringen
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen OWi StVO
hat das Amtsgericht Sigmaringen durch die Richterin am Amtsgericht am 16. Juli 2025 beschlossen:
1. Der Antrag des Betroffenen vom 09.04.2025 gegen den Einstellungsbescheid der Staats-anwaltschaft Hechingen vom 01.04.2025 auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.
2. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe:
Mit Schreiben vom 09.04.2025 hat sich der Betroffene gegen die Einstellungsverfügung d-. Staatsanwaltschaft Hechingen vom 01.04.2025, zugestellt am 08.04.2025, gewandt.
Die Staatsanwaltschaft hat bei ihrer Einstellung davon abgesehen, die notwendigen Kosten des Betroffenem der Staatskasse aufzuerlegen.
Im Übrigen hat sie Folgendes vorgetragen:
„Das Bußgeldverfahren wird gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt. Die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt (§ 108a Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO).
Gründe:
1. Dem Betroffenen wurde mit Bußgeldbescheid des Landratsamtes Sigmaringen vom 25.10.2022 zur Last gelegt, am 20.09.2022 als Führer eines Pkws in Hettingen auf der K8201 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 54 km/h überschritten zu haben, weshalb gegen ihn eine Geldbuße von 480,- € € sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt wurden. Hiergegen hatte der Betroffene über seinen Verteidiger am 02.11.2022 in zulässiger Weise Einspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 26.01.2023 gab das Landratsamt Sigmaringen das Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 69 Abs. 2 OWiG an die Staatsanwaltschaft Hechingen ab.
Hier ging das Verfahren ausweislich eines Eintrags im Fachverfahren „Web.StA" am 30.01.2023 ein. Am 07.02.2023 erhielt das Landratsamt Sigmaringen eine entsprechende Aktenzeichenmit-teilung. Der weitere Verfahrensgang ist unklar und lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren, da die Bußgeldakten trotz wiederholter Recherche nicht (mehr) auffindbar sind. Es kann insbesondere nicht nachvollzogen werden, ob die Akten überhaupt dem damals zuständigen Dezernenten und in der Folge dem Amtsgericht Sigmaringen vorgelegt wurden. Bei den Akten des Landratsamtes Sigmaringen finden sich nach dem 07.02.2023 keine weitere Zuschriften der Staatsanwaltschaft, des Betroffenen oder seines Verteidigers. Beim Amtsgericht Sigmaringen ist das Verfahren gemäß telefonischer Auskunft vom 27.11.2024 unbekannt. Im Fachverfahren „ Web.StA" wurde das Verfahren am 07.04.2023 als »ERL - Ohne Vollstreckung" ausgetragen. Durch wen und auf welcher Grundlage dies erfolgte, lässt sich - nicht zuletzt aufgrund des Zeitablaufs - nicht nachvollziehen.
Das Verfahren wurde hier erst durch die Sachstandsanfrage des Verteidigers vom 24.10.2024 in Erinnerung gebracht. Zugunsten des Betroffenen muss davon ausgegangen werden, dass die Akte hier im Hause auf unbekannte Weise in Verstoß geriet und das Verfahren fehlerhaft ausgetragen wurde. Für eine Einspruchsrücknahme des anwaltlich vertretenen Betroffenen liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor.
2. Das Verfahren war gem. § 46 Abs. 1 OWiG i. v. M. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, weil mittlerweile Verjährung eingetreten ist, mithin ein absolutes Verfolgungshindernis vorliegt. Die Verjährungsfrist betrug gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG sechs Monate und wurde zuletzt durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 25.10.2022 unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG).
3. Von einer Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse wurde gem. § § 108a Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO abgesehen, da die Einstellung alleine aufgrund des vorgenannten Verfahrenshindernisses erfolgte."
Dagegen wendet sich der Betroffene damit, dass bei einem in der Sphäre der Verwaltungsbehörde bzw. der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernisses es regelmäßig der Billigkeit entspräche, die notwendigen Auslagen des Betroffenem der Staatskasse auch aufzubürden. Mit Schreiben vom 13.06.2025 trägt er ergänzend vor, dass im Beschluss des LG Köln, Az. 120 Qs 16/21 ein im Rahmen des Amstgerichts zu liegender Grund der Verfolgungsverjährung nicht rechtfertigt, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selber tragen würde. Zudem trägt er aus einer Entscheidung des LG Ravensburg, Az. 1 Qs 54/24 bei einem Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vor, bei dem der Tatverdacht bei der Ermessensentscheidung irrelevant sei.
Ergänzend trägt die Staatsanwaltschaft vor:
„Es wird beantragt, den Antrag, die notwendigen Auslagen des Betroffenen unter Abänderung der vorgenannten Entscheidung der Staatskasse aufzuerlegen, abzulehnen. Stellt die Staatsanwaltschaft das Bußgeldverfahren nach Einspruchseinlegung ein, bevor sie die Akten dem Gericht vorlegt, so trifft sie die Entscheidungen nach § 467a Abs. 1 und 2 StPO (§ 108a Abs. 1 OWiG). Sie kann hierbei gem. §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO absehen, wenn der Betroffene wegen der Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis ein-getreten ist. Dies ist vorliegend der Fall.
Der Betroffene hatte die Geschwindigkeitsüberschreitung in seiner polizeilichen Anhörung nach Belehrung eingeräumt (BI. 24). Die rechtlichen Einwände der Verteidigung gegen die Verwertbarkeit der Messergebnisse greifen nach gefestigter obergerichterlicher Rechtsprechung nicht durch. Die Einstellung des Bußgeldverfahrens beruhte danach alleine auf der eingetretenen Verjährung.
Danach wäre es unangemessen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verjährung nicht ausschließbar auf Versäumnissen im Bereich der Staatsanwaltschaft beruht, denn der Verteidiger war bereits weit vor Eintritt der Verjährung beauftragt worden; er hatte sich bereits im Nov. 2022 gegenüber der Verwaltungsbehörde legitimiert (BI. 36). Die für den Betroffenen mit der Beauftragung seines Verteidigers verbundenen Auslagen stehen also nicht im Zusammenhang mit den möglichen Ver-säumnissen im hiesigen Geschäftsbereich."
Eingelegt wurde eine „sofortige Beschwerde", was als Antrag auf gerichtliche Entscheidung
nach § 108a Abs. 2 OWiG umzudeuten und demgemäß statthaft ist.
Dieser Antrag ist zulässig. Er wurde form- und fristgerecht gestellt.
In der Sache ist der Antrag aber unbegründet.
Die von der Staatsanwaltschaft angestellten Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat einen nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab in diesem Fall. Die Maßnahme ist lediglich dahingehend zu überprüfen, ob Ermessensfehler vorliegen, d.h. ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensfehlgebrauch) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung zuwiderlaufender Weise bzw. überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat (Ermessenswillkür). Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung darf das Gericht die Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde nicht durch seine eigene ersetzen.
Zutreffenderweise hat die Staatsanwaltschaft darauf abgestellt, dass der Betroffene nur deshalb nicht verurteilt wurde, weil ein Verfahrenshindernis besteht und damit die Regelung des § 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StPO rekurriert. Dabei hat sie zu Recht darauf abgestellt, dass keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung ersichtlich sind, insbesondere ist das angekündigte private Gutachten nicht zur Akte gelangt und auch sonst sind keine weiteren Gründe ersichtlich. Auch hat sie darauf abgestellt, dass der Betroffene den Verstoß vor Ort zugegeben hat (BI. 5). Anhaltspunkte für eine fehlehrhafte Messung liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung für dieses Verfahren beruht auf § 46 Abs.1 OWiG i.v.m. § 473 StPO.
Die Entscheidung ist abschließend. Es ist kein Rechtsbehelf bzw. Rechtsmittel statthaft (§ 62 Abs. 2 § 3 OWiG).
Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau
Anmerkung: Im Beschluss muss es wohl richtig heißen: "§§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO". Alles andere macht keinen Sinn.