Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 18.07.2025 - 2 Ws 178/25
Leitsatz des Gerichts:
1. Einem als gesetzlicher Vertreter bestellten Betreuer steht ein eigenes Recht zum Einlegen eines Rechtsmittels in einem Strafverfahren nur dann zu, wenn ihm die Vertretung des Betreuten in Strafverfahren ausdrücklich vom Betreuungsgericht als Aufgabenkreis übertragen wurde. Dies gilt auch nach der Reform des Betreuungsrecht und der damit verbundenen Stärkung des Enumerationsprinzips.
2. Die Übertragung des Aufgabenkreises „Rechts-/ Antrags- und Behördenangelegenheiten“ bewirkt ohne Bezug zu weiteren konkreten Aufgabenkreisen keine eigenständige Vertretungsbefugnis in Gerichtsverfahren nach § 1823 BGB.
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
2 Ws 178/25
In der Bewährungssache
gegen pp.
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht sowie den Richter am Amtsgericht am 18. Juli 2025 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Betreuers des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 18. Juni 2025 wird als unzulässig verworfen.
Der Betreuer als Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Die sofortige Beschwerde des Betreuers H. G. für den Verurteilten D.-C. W. vom 26.06.2025 richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg - Strafvollstreckungskammer - vom 18.06.2025, mit dem die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vom 28.08.2017 in Verbindung mit dem Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 13.02.2023 widerrufen wurde.
Mit Urteil des Amtsgericht Dannenberg vom 28.08.2017 wurde der Verurteilte wegen gemeinschaftlicher Wohnungseinbruchsdiebstahl in sechs Fällen, davon in drei Fällen wegen Versuchs unter Einbeziehung eines Strafbefehls des Amtsgericht Dannenberg vom 19. Dez. 2016 zu einem Jahr und sieben Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilte.
Das Landgericht Lüneburg – Strafvollstreckungskammer - setzte mit Beschluss vom 13.02.2023 nach Verbüßung der Halbstrafe den Strafrest für drei Jahre zur Bewährung aus, bestellte dem Verurteilten einen Bewährungshelfer und wies ihn an, unmittelbar nach der Entlassung eine stationäre Suchtmittelbehandlung in einer Fachklinik aufzunehmen. Die günstige Legalprognose wurde im Wesentlichen auf den beanstandungslosen Vollzug und die Bemühung, seine Suchtmittelerkrankung therapeutisch aufarbeiten zu wollen, gestützt.
Im weiteren Bewährungsverlauf wurde der Verurteilte mehrfach nachverurteilt. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Dannenberg wurde er mit Entscheidung vom 15.01.2024 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 15 Euro, mit Urteil vom 06.05.2024 wegen Beleidigung in zwei Fällen in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung zu 180 Tagessätzen zu jeweils 13 Euro und mit Strafbefehl vom 07.10.2024 erneut wegen Beleidigung zu 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
Daraufhin widerrief die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18.06.2025 die Strafaussetzung der Reststrafe und begründete den Widerruf im Wesentlichen damit, dass die Dichte und Häufigkeit der neuerlichen Delikte zeigen, dass den Verurteilten auch die Warnfunktion der Reststrafaussetzung nicht mehr erreiche.
Gegen diesen dem Verurteilten am 24.06.2025 zugestellten Beschluss wendet sich der Betreuer des Verurteilten mit seiner sofortigen Beschwerde vom 26.06.2025. Der Verurteilte sei psychisch stabil und konsumiere keine Drogen oder Alkohol mehr. Es seien keine weiteren Straftaten mehr zu erwarten, da er sich um Kontakt zu seinem erkrankten Sohn bemühe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist unzulässig.
1. Der Betreuer des Verurteilten ist nicht gem. § 298 Abs. 1 StPO befugt, selbständig für den Verurteilten sofortige Beschwerde einzulegen.
Ein nach dem BGB bestellter Betreuer ist nach weiterhin herrschender Meinung
aus eigenem Recht nur dann rechtsmittelbefugt, wenn sich sein Aufgabenbereich speziell oder nach dem allgemeinen Umfang der Bestellung auf eine Betreuung in dem Strafverfahren bezieht (Schmitt/Köhler, 68. Aufl. 2025, § 298, Rn. 1; KG, NStZ-RR 2024, 225; OLG Hamm NStZ 2008, 119, vgl. auch BGH StraFo 2013, 469, aA OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 1995 – 1 Ws 516/95 –, juris).
Ausweislich der vorgelegten Abschrift des Betreuerausweises vom 28.09.2022, ausgestellt vom Amtsgericht Dannenberg – Betreuungsgericht -, umfasst der Aufgabenkreis des Betreuers neben den Rechts-/ Antrags- und Behördenangelegenheiten die Gesundheits- und Vermögenssorge sowie Wohnungsangelegenheiten.
Die Vertretung im Strafverfahren ist hier weder ausdrücklich übertragen noch nach dem allgemeinen Umfang der Bestellung umfasst. Es lässt sich aus der Übertragung der Aufgabenkreise der Gesundheits- oder Vermögenssorge sowie Wohnungsangelegenheit nicht ableiten, dass das Betreuungsgericht hiermit auch die Vertretung in Strafverfahren habe bezwecken wollen. Zwar sind mit einer strafrechtlichen Verurteilung möglicherweise für den Betreuten Maßnahmen des Freiheitsentzuges oder der Verhängung von Geldstrafen als finanzielle Sanktionen verbunden, die zu den Aufgabenkreisen „Wohnungsangelegenheiten“ bzw. der „Vermögenssorge“ Berührungspunkte aufweisen. Die Vertretung in einem Strafverfahren geht jedoch darüber hinaus. Es bedarf deshalb einer gesonderten und insbesondere rechtskundigen Wahrnehmungskompetenz (BeckOGK/Schmidt-Recla BGB § 1815 Rn. 58; Reh in: Bienwald, Betreuungsrecht, 7. Auflage 2023, § 1815 BGB, Rn. 123).
Auch die Normierung des Aufgabenkreises „Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten“, wie hier vorliegend ohne einen Bezug zu dem Strafverfahren, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht ausreichend (BGH, Beschluss vom 02.09.2013 - 1 StR 369/13, BeckRS 2013, 17195; OLG Brandenburg Beschluss vom 25.05.2021 - 2 Ws 48/21, BeckRS 2021, 14871). Es handelt sich bei der genannten Normierung nicht um einen eigenständigen Aufgabenkreis, sondern um den klarstellenden Annex, dass der Betreuer lediglich in den Grenzen der im Übrigen eigenständigen Aufgabenkreise für den Betreuten tätig werden kann (vgl. KG NStZ-RR 2024, 225). Die Annahme einer allgemeinen Übertragung sämtlicher Rechtsangelegenheiten ohne Bezug zu einem konkreten Aufgabenkreis würde sich als zu unbestimmt und damit als Verstoß gegen das im Betreuungsrecht geltende Erforderlichkeitsprinzip erweisen (vgl. OLG Hamburg Beschluss vom 17.06.2013 – 2 Ws 23-25/13, BeckRS 2014, 8291; OLG Celle, NStZ 2012, 702, 703)
Nach Auffassung des Senats gilt diese Auslegung auch nach Inkrafttreten der Betreuungsrechtsreform vom 01.01.2023 fort.
In der aktuellen Fassung des § 1823 BGB (entspricht § 1902 BGB a.F.) wird normiert, dass der Betreuer den Betreuten in seinem Aufgabenkreis sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich vertreten kann. Bereits der Wortlaut weist ausdrücklich darauf hin, dass die Vertretungsmacht durch die bestehenden dem Betreuer vom Betreuungsgericht übertragenen Aufgabenkreise beschränkt wird. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung ebenfalls explizit darauf hingewiesen, dass sich die Vertretungsmacht des Betreuers auf die Vertretung in einem Prozess erstreckt, soweit der Gegenstand des Verfahrens vom Aufgabenkreis umfasst ist (BT-Drs. 19/24445, 258 f.). Hieraus kann gerade nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber durch die Reform eine grundsätzliche Befugnis des Betreuers zur umfassenden Vertretung in allen den Betreuten betreffenden gerichtlichen Verfahren schaffen wollte.
Für eine solche Auslegung spricht auch das mit der Reform nochmals deutlich gestärkte Enumerationsprinzip (BeckOGK/Schmidt-Recla BGB § 1823 Rn. 86). Nach § 1815 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Aufgabenkreise oder mehrere Aufgabenbereiche vom Betreuungsgericht einzeln anzuordnen (Enumerationsprinzip). Im Weiteren katalogisiert § 1815 Abs. 2 BGB Einzelfallentscheidungen, die dem Betreuer ausdrücklich übertragen werden müssen. Die nach altem Recht noch vertretene Auffassung, dass ein weit bezeichneter Aufgabenkreis alle diesen Bereich tangierenden Aufgaben konsumieren würde, und somit denkbar auch Aufgaben im Rahmen eines Strafverfahrens, wird nach der Reform und der Einführung des § 1815 BGB nicht mehr begründbar sein (s.a. BeckOGK/Schmidt-Recla BGB § 1815 Rn. 14). Auch der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 1815 BGB in seiner Gesetzesbegründung den Betreuungsgerichten ausdrücklich aufgegeben, den Umfang der Betreuung in geeigneten Fällen durch eine möglichst präzise Beschreibung einzelner Aufgaben so eng wie möglich zuzuschneiden (BT-Drs. 19/24445, 135). Der Umfang der Aufgabenkreise und die Vertretungsmacht des Betreuers sind daher im Ergebnis restriktiv auszulegen.
Das Betreuungsgericht ist danach gehalten gegebenenfalls durch Erweiterung der Betreuung, den Bezug zu dem konkret bezeichneten Gerichtsverfahren herzustellen, für das die Notwendigkeit der Vertretung durch einen Betreuer besteht.
2. Im Übrigen wäre die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung jedoch auch unbegründet.
Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB liegen vor.
Danach widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.
Ein Widerruf der Strafaussetzung kann grundsätzlich auch dann erfolgen, wenn die neue Straftat im Strafbefehlswege geahndet wurde, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände die Richtigkeit des Strafbefehls in Frage stellen, die hier nicht ersichtlich sind (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 02.04.2024, Az. 2 Ws 60/24).
Auch die Verurteilung zu einer Geldstrafe kann einen Bewährungswiderruf rechtfertigen, wenn sich durch die dieser Verurteilung zugrunde liegende Tat von nicht unerheblichem Gewicht gezeigt hat, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat (st. Rspr. Senat, Beschluss vom 15. Februar 2017, 2 Ws 20/17). Daran kann im vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen. Das erhebliche Gewicht der erneuten Straftaten ergibt sich bereits aus der Höhe der verhängten Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen mit Einzelstrafen von 120 Tagesätzen aus dem Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vom 06.05.2024, die den Bagatellbereich deutlich überschreitet. Die Höhe der Geldstrafe ist auch tat- und schuldangemessen, da der Verurteilte bereits zahlreiche einschlägige Vorstrafen aufweist. Von weiterem Gewicht ist der Umstand, dass der Verurteilte nach nicht einmal drei Monaten nach der Verurteilung erneut wegen einer Beleidigung straffällig geworden ist.
Die in dem Beschwerdevorbringen mitgeteilte aktuelle Drogen- und Alkoholabstinenz vermag, sofern sie belegt wäre, prognostisch günstig zu bewerten sein, könnte in der erforderlichen Gesamtschau die negativen Umstände aber nicht ausgleichen.
Mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung im Sinne des § 56f Abs. 2 StGB genügen vorliegend nicht. Sie wären nur dann eine ausreichende Reaktion auf das neuerliche Fehlverhalten, wenn erwartet werden könnte, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird. Hierzu reicht der Wille zu straffreier Führung allein aber nicht aus; vielmehr muss aufgrund von Tatsachen ersichtlich sein, dass der Verurteilte fähig ist, diesen Willen auch in die Tat umzusetzen (OLG Braunschweig BeckRS 2023, 1 1461). Solche Tatsachen sind dem bisherigen Bewährungsverlauf und auch dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Zur Tragung der Kosten ist bei erfolglosem Rechtsmittel der vollmachtlose Vertreter verpflichtet, dem der außerhalb seines Aufgabenkreises Rechtsmittel einlegende Betreuer gleichsteht (MüKoStPO/Maier, 2. Aufl., § 473 Rn. 46).
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Einsender: 2. Strafsenat des OLG Celle
Anmerkung: