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Entscheidungen

StPO

KiPo-Verfahren, Beschlagnahme Computer, Auswertung verzögerte Bearbeitung, Ermessen der Staatsanwaltschaft, Rechtskontrolle des Ermittlungsrichters

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Essen, Beschl. v. 30.07.2025 - 25 Qs 20/25

Eigener Leitsatz:

Die Entscheidung, in welchem Umfang eine inhaltliche Durchsicht potentieller Beweismittel nach § 110 StPO notwendig ist, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, obliegt allein dem Ermessen der Staatsanwaltschaft, welches allerdings auch erkennbar ausgeübt werden muss. Die Rechtskontrolle durch den Ermittlungsrichter beschränkt sich darauf, ob die Staatsanwaltschaft im Entscheidungszeitpunkt die Grenzen des ihr zukommenden Ermittlungsermessens überschritten hat.


Landgericht Essen

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren

gegen pp.

Verteidiger:

wegen Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften u.a.
(hier: Beschwerde gegen richterliche Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung von Speichermedien zum Zwecke der Durchsicht)

hat die V. Große Strafkammer Jugendkammer des Landgerichts Essen durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 30.07.2025 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 02.07.2025 wird der Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 18.06.2025 (66 Gs 465/25) aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 27.05.2025 auf Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung der im genannten Antrag im Einzelnen näher bezeichneten - sichergestellten Speichermedien des Beschwerdeführers, zum Zwecke der Durchsicht auf potentielle Beweismittel zurückgewiesen.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Be-schwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt gegen den Beschwerdeführer wegen des Besitzes kinder- bzw. jugendpornografischer Inhalte. Das Verfahren ist aus der Operation „Hektara" von ZIT (Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität) und BKA hervorgegangen. Vom neuseeländischen Department of Internal Affairs (DIA) wurden Nutzer des neuseeländischen Cloud-Storage-Anbieters MEGA.nz mitgeteilt, die sie sich Zugang zu zwei öffentlich einsehbaren Links mit kinderpornographischen Inhalten konkret die Ordner „Baby- und „125" - verschafft hatten, wovon das DIA im September 2019 Kenntnis erhalten hatte. Darunter befand sich auch die E-Mail-Adresse pp. des Beschuldigten. Wegen des Verdachts der Eigenbesitzverschaffung und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184 b Abs. 3, Alt. 1 und 2 StGB wurde im Rahmen des schlussendlich an die Staatsanwaltschaft Essen abgegebene Ermittlungsverfahren vom Amtsgericht Essen am 18.02.2022 (66 Gs 165/22 AG Essen, BI. 23 der Akte) ein Durchsuchungsbeschluss in den Wohnräumen des Beschuldigten im Haushalt seiner Großeltern erlassen. Zugleich ordnete das Amtsgericht die Sicherstellung von "Datenträgern, auf denen sich kinderpornographische Schriften befinden könnten", an. Am 25.03.2022 stellte die Polizei Essen zahlreiche elektronische Geräte bzw. Speichermedien als potentielle Beweismittel zum Zwecke der Durchsicht gemäß § 110 Abs. 2 StPO sicher, womit der Beschwerdeführer einverstanden war.

Der Beschuldigte gab im Rahmen der Durchsuchung zudem an, 2018 auf der Plattform MEGA diverse Dateien über bereitgestellte Links heruntergeladen zu haben, vorrangig mit pornographischen Inhalten, da er sich sexuell noch finden wollte. Kinderpornographie habe er nicht bewusst heruntergeladen, aber auch nicht ausschließen, dies unbewusst getan zu haben und teilte der Polizei noch sein Kennwort und seine PIN mit und genehmigte die Durchsicht gespeicherter Dateien.

Die sichergestellten Speichermedien wurden in der Direktion K asserviert. Der Verteidiger des Beschuldigten, der am 18.08.2022 Akteneinsicht erhalten hatte, erhielt auf seine am 17.04.2023 gestellte Sachstandsanfrage am 19.04.2024 die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass das Auswerteergebnis abgewartet werden soll. Auf neuerliche Sachstandsmittelung vom 10.01.2024 bzw. Bitte um Mitteilung des Auswerteergebnisses notierte die Staatsanwaltschaft eine Wiedervorlagefrist von 6 Monaten, nachdem sie am 09.01.2024 ihrerseits seine Sachstandsanfrage an das Polizeipräsidium (PP) Essen gestellt hatte. Unter dem 26.01.2024 teilte das PP Essen der Staatsanwaltschaft Essen mit, dass sich das Verfahren auf Platz 155 der nicht priorisierten Verfahren befinde. Aufgrund der stark gestiegenen Anzahl der Verfahren mit immer größeren Datenmengen komme es im Bereich der Datenauswertung zu erheblichen Verzögerungen. Die Verfahren würden der Reihe nach bearbeitet. Aufgrund der Vielzahl der priorisierten Verfahren könne es durchaus zu weiteren Verzögerungen kommen. Auf weitere Sachstandsanfrage des Verteidigers vom 29.10.2024 teilte die Staatsanwaltschaft Essen ihm mit, dass die Auswertung andauere und stellte ihrerseits unter dem 06.12.2024 eine eigene Sachstandsanfrage beim PP Essen. Das PP Essen teilte unter dem 27.12.2024 mitteilte, dass das Asservat durch das KK 41 gesichert und aufbereitet werde und es aufgrund stark gestiegener Anzahl der Verfahren mit immer größeren Datenmengen im Bereich der Datenauswertung zu erheblichen Verzögerungen komme. Gegenwärtig würden noch Verfahren aus 2020 ausgewertet und es sei frühestens in der ersten Jahreshälfte 2025 mit einer Auswertung zu rechnen.

Unter dem 22.05.2025 beantragte der Verteidiger die gerichtliche Entscheidung sowie sofortige Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe der Gegenstände an seinen Mandanten sowie Feststellung, dass die Art und Weise der Sicherstellung wegen unverhältnismäßiger Dauer rechtswidrig ist und verwies zur Begründung auf eine überlange Verfahrensdauer von mehr als drei Jahren und die Betroffenheit der Grundrechte seines Mandanten aus Art. 2 Abs. 2, 14 Abs. 1 GG.

Unter dem 27.05.2025 bat die Staatsanwaltschaft Essen unter Verweis auf den Antrag des Verteidigers das Polizeipräsidium Essen um dringende sofortige Auswertung der Asservate. Zugleich beantragte sie die richterliche Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung der Speichermedien zum Zwecke der Durchsicht gemäß §§ 94 Abs. 1, 98 Abs. 2 S. 2 (entsprechend), 102, 110 Abs. 1 und Abs. 3 StPO.

Mit Beschluss vom 18.06.2025 bestätigte das Amtsgericht Essen (Az. 66 Gs 465/25) die vorläufige Sicherstellung der vorgenannten Speichermedien gemäß §§ 110 Abs. 4 i. V. m. § 98 Abs. 2 StPO und führte zur Begründung aus, dass der Beschuldigte verdächtig sei, am 03.06.2018 kinderpornographische Dateien bei MEGA.nz heruntergeladen und gespeichert zu haben und auch jetzt noch zu vermuten sei, dass die Untersuchung der Speichermedien zur Auffindung beweisrelevanter Daten führen werde. Die Speichermedien hätten sichergestellt werden dürfen, um eine Sichtung der Medien nach kinderpornographischen Dateien vorzunehmen. Die Polizei habe am 20.04.2022 mitgeteilt, dass mit einem Ergebnis nicht unter 24 Monaten zu rechnen sei und die Staatsanwaltschaft habe mehrere Sachstandsanfragen getätigt. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass das Verfahren nicht mit der erforderlichen Intensität betrieben worden sei und die vorläufige Sicherstellung sei unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs derzeit noch verhältnismäßig.

Der Verteidiger legte am 25.06.2025 Beschwerde gegen den Beschluss ein und begründete diese mit Schriftsätzen vom 02.07.2025 und 04.07.2025 und verwies primär auf seine Ausführungen aus dem Schriftsatz vom 22.05.2025. Inzwischen dauere das Verfahren 40 Monate und personelle Engpässe bei der Polizei rechtfertigen diese Dauer nicht unter Verweis auf Rechtsprechung des BVerfG. Die Staatsanwaltschaft Essen als Herrin des Verfahrens müsse sich fragen, welche Bemühungen sie unternommen habe, die Auswertung voranzutreiben und ggf. zu beschleunigen und verwies unter dem 14.07.2025 ergänzend auf eine Entscheidung des LG Gera vom 11.06.2025 (1 Qs 187/25).

Inzwischen wurde mit der Auswertung beim PP Essen begonnen, worauf nunmehr zuletzt am 24.6.2025 - auch die Staatsanwaltschaft Essen mit Blick auf das hiesige Beschwerdeverfahren drängte.

Unter dem 16.07.2025 wiederholte die Staatsanwaltschaft Essen ihre Bitte an das PP Essen um sofortige Auswertung und übersandte die Akte an das Landgericht, nachdem unter dem 14.07.2025 das Amtsgericht Essen verfügt hatte, nicht abzuhelfen.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Denn die Voraussetzungen für eine richterliche Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung der Speichermedien zum Zwecke der Durchsicht gemäß § 110 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog lagen und liegen nicht vor.

1. Denn die Staatsanwaltschaft hat das allein ihr zustehende Ermessen (BGH, Beschluss vom 20.05.2021, Az.: StB 21/21, Rn. 18 m.w.N.) bezüglich der neben der Frage, ob zum Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Durchsuchung vorlagen entscheidenden weiteren Frage, ob die vorläufige Sicherstellung der betreffenden Gegenstände für eine weitere Durchsicht zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln noch erforderlich, insbesondere in welchem Umfang eine inhaltliche Durchsicht potentieller Beweismittel nach § 110 StPO notwendig, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, gar nicht ausgeübt.

Denn seitens der Staatsanwaltschaft hat vorliegend überhaupt keine nachvollziehbar dokumentierte Ermessensentscheidung stattgefunden, die auf Ermessensfehler hin hätte überprüft werden können, so dass ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vorliegt. Denn die Staatsanwaltschaft hat sich einzig nach Mitteilung der Polizei, dass die Durchsicht selbst ohne Angabe von Gründen für die prognostizierte Wartezeit, abgesehen von einem sprunghaften Anstieg an Verfahren mindestens 24 Monate dauere und eine Durchsicht nicht vor dem ersten Halbjahr 2025 nicht zu erwarten sei, auf die Stellung regelmäßiger Sachstandsanfragen beschränkt und keinerlei eigene Ermessenüberlegungen dokumentiert. Daher ist von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen, der schon zur Aufhebung des seitens des Amtsgerichts Essen bestätigenden Beschlusses führt.

2. Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass was die Kammer nicht verkennt - in Umsetzung des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Essen vom 18.02.2022 im Rahmen einer vorläufigen Sicherstellung der auf BI. 36 und 39 aufgelisteten Speichermedien die Sichtung auf beweisrelevante Daten als Teil der richterlich angeordneten Durchsuchung von § 110 Abs. 1 StPO gedeckt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2021, Az.: StB 21/21, Rn. 10), die sichergestellten Speichermedien im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung zur Auswertung mitgenommen/behalten und hierfür einstweilen sichergestellt werden dürfen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11 m.w.N.).

Aus dem eingangs genannten Grunde, der schon zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses führt, kommt es ferner nicht mehr darauf an, ob da die Durchsicht der Speichermedien noch Teil der Durchsuchung war - die rechtlichen Voraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung gemäß § 102 StPO vorlagen (BGH, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.).

3. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss kommt es nicht an. Denn im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nach § 110 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog hat der nach § 98 Abs. 2 Satz 3 StPO zuständige Richter allein darüber zu befinden, ob zum Entscheidungszeitpunkt die vorläufige Sicherstellung des betreffenden Gegenstandes für eine (weitere) Durchsicht zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln rechtmäßig ist. Eine eigenständige prognostische Bewertung des erforderlichen und verhältnismäßigen sachlichen und zeitlichen Umfangs noch ausstehender beziehungsweise möglicher weiterer Auswertungen ist ihm versagt (BGH, Beschluss vom 20.05.2021, Az.: StB 21/21, Rn. 17).

Die Entscheidung, in welchem Umfang eine inhaltliche Durchsicht potentieller Beweismittel nach § 110 StPO notwendig ist, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, obliegt wie ausgeführt - allein dem Ermessen der Staatsanwaltschaft (BGH, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.), welches jedenfalls nach dem vorliegenden Akteninhalt nicht ausgeübt wurde. Die Rechtskontrolle durch den Ermittlungsrichter beschränkt sich deshalb darauf, ob die Staatsanwaltschaft im Entscheidungszeitpunkt die Grenzen des ihr zukommenden Ermittlungsermessens überschritten hat. Jedwede gerichtliche Entscheidung über einen Zeitpunkt, bis zu dem die Durchsicht eines vorläufig sichergestellten Gegenstandes abgeschlossen sein muss, enthielte notwendigerweise eine eigene Wertung des Ermittlungsrichters hinsichtlich des Umfangs der in der Sache gebotenen Ermittlungen und griffe daher in den Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft ein.

4. Konsequenz der aus den vorstehenden Gründen erforderlichen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist es nunmehr, dass die Kammer gemäß § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache selbst erforderliche Entscheidung trifft. Dies ist aufgrund des Ermessensnichtgebrauchs die Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft vom 27.05.2025.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA P. F. W. Strüwe, Essen

Anmerkung:


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